Albinismus: Ein Parlamentarier trotzt dem Stigma
Overstone Kondowe kämpft seit Jahrzehnten gegen Diskriminierung von Menschen mit Albinismus. In seinem Land ist die Störung der Hautpigmentierung auch wegen Ritualmorden lebensgefährlich. Kondowe will als Parlamentarier nun endlich die Hintermänner der Angriffe finden
Auf dem Hof des Hauses von Overstone Kondowe stehen zwei Polizeiwagen. Der Politiker aus Malawi ist an die ständige Begleitung durch Polizisten gewöhnt. Seit sieben Jahren hat er staatlichen Personenschutz, meistens sind zwei Leibwächter bei ihm – eine äußerst unübliche Maßnahme für einfache Parlamentarier. Alleine verreist er nie. Zu riskant.
Kondowe ist Afrikas bekanntester Politiker mit Albinismus – einer angeborenen Störung der Hautpigmentierung, unter der allein in Malawi rund 134.000 Menschen leiden. Die Krankheit beeinträchtigt die Augen und macht die Haut extrem anfällig für Hautkrebs. Der Politiker meidet die Sonne, trägt meistens eine elegante Baskenmütze zum Schutz. In Malawi aber kommt eine andere Gefahr hinzu. Allein seit dem Jahr 2014 gab es über 170 Angriffe auf Menschen mit Albinismus, mindestens 36 davon tödlich. Einige traditionelle Heiler nutzen Körperteile von Menschen mit Albinismus für ihre Rituale, sie versprechen Wohlstand und Gesundheit. Verhaftete Mörder von Menschen mit Albinismus berichteten, dass ihnen umgerechnet über 10.000 Euro versprochen wurde. Das Neunfache des durchschnittlichen Jahreseinkommens in dem Land in Südostafrika.
Ähnlicher Aberglaube herrscht auch in anderen Ländern der Region. Besonders in Tansania, wo die Regierung im vergangenen Jahr allerdings strikt den Einfluss traditioneller Heiler zurückgefahren hat. Sie drohte Tätern zudem mit der Todesstrafe – seitdem gibt es dort deutlich weniger derartige Fälle. In Malawi war die Zahl zwar auch lange rückläufig, aber in diesem Jahr gab es vier Morde an Menschen mit Albinismus. Doppelt so viele wie 2020.
Kondowe, 42, schlank und groß gewachsen, sitzt auf der Veranda des Hauses. Vor einigen Tagen wurde er als erster Politiker mit Albinismus als Parlamentarier vereidigt. Der langjährige Universitätsdozent Kondowe hatte sich einen Namen als eloquenter Aktivist und Präsidentenberater für Belange von Bürgern mit Albinismus gemacht, gilt aber auch als Fachmann für Entwicklungsfragen.
Seine Wahl ist auf dem Kontinent, wo es in vielen Ländern Diskriminierung und Vorurteile gegenüber Menschen mit dieser Erbkrankheit gibt, eine Premiere. Über Parteilisten gab es in einigen afrikanischen Ländern schon vereinzelt Abgeordnete mit Albinismus. Aber noch nie per Direktmandat. Sein Bezirk hatte über die Nachfolge einer verstorbenen Politikerin abgestimmt.
„Das ist wirklich ein Meilenstein“, sagt Kondowe, „wir werden so oft als minderwertige Menschen gesehen, als nicht Mann oder Frau genug. Diese Wahl ist so viel mehr als ein persönlicher Sieg.“ Als den sieht er ihn aber durchaus auch. Gegenüber dem Polizisten, der nicht glauben wollte, dass „Leute wie er“ fahren dürfen. Den Passanten, die nicht glauben konnten, dass er eine Familie haben könnte. Und dem Dozenten, der sich weigerte, die Powerpoint-Präsentation zu ändern, so dass auch Kondowe mitlesen konnte. Solche Lehrer hatte er schon als Kind in ihren Vorurteilen widerlegt. Weil seine helle Haut schon bei geringer Sonnenstrahlung erheblichen Schaden nimmt, blieb der Sohn eines Lehrers die meiste Zeit drinnen: „Während meine Freunde Fußball spielten, habe ich ein Buch nach dem anderen gelesen.“
Kondowe findet, dass die Probleme von Menschen mit Albinismus in Malawi längst noch nicht adäquat adressiert worden sind. In all den Jahren sei es trotz zahlreicher Verhaftungen nicht gelungen, die Hintermänner der Angriffe offenzulegen. Die Zahl steigt oft vor Wahlen, was zu Gerüchten führt, dass auch der ein oder andere Politiker beteiligt sind, die sich über derartige Rituale Erfolg an der Wahlurne versprechen.
Viele Menschen setzen nun große Hoffnung in Kondowe. „Das ist wirklich ein historischer Moment in Afrika”, sagt Maynard Zacharia, der Koordinator des „Verbands für Menschen mit Albinismus in Malawi“ (APAM). Kondowe sei seit langem „ein Champion“ in dem Kampf gegen Übergriffe jeglicher Art. Sein Beispiel werde aber auch die junge Generation motivieren, schließlich zeige es das Potential, das jeder einzelne Mensch mit Albinismus habe. Zacharia hält es sogar für möglich, dass Kondowe bald ein Ministerium übernehmen könnte.
Gleichzeitig, so betont er, aber könne ein einzelner das Problem nicht bewältigen. Zu viel Geld ist im Spiel, zu groß das Trauma der Überlebenden, von denen viele Gliedmaßen bei den Angriffen verloren. Zacharia, 38, hat mehrere Freunde verloren. Vor ein paar Jahren wurde seine Nachbarin ermordet, sie litt ebenfalls unter Albinismus. Wenige Stunden vor ihrem Tod hatte er sie noch in einer Bar gesehen, bat sie um Vorsicht. Sie solle früh nach Hause gehen und möglichst nicht alleine. Zwei Tage später wurde ihr Torso gefunden, ein Arm, ein Bein und der Kopf fehlten. „Ich bin danach weggezogen“, sagt Zacharia. Zu groß war das Trauma. Alleine verlässt er sein Haus nur selten, schon gar nicht bei Dunkelheit.
Auch er hält mehr politischen Druck auf die Polizei für die dringendste Aufgabe. „Wir müssen den Markt ausleuchten“, sagt er, „wer ist der Markt, wo ist er, warum wurden die Abnehmer nie aufgedeckt?“ Das Misstrauen gegen die Strafverfolgungsbehörden ist in der Community groß, der Verband führt sogar eigene Statistiken zu Angriffen, weil man den staatlichen Angaben nicht traut. Unicef habe einmal Ermittlungen mitfinanziert, auch das Parlament habe der Angelegenheit mehr Raum gegeben – nennenswerte Erfolge gab es aber nicht. „Wir glauben, dass es einflussreiche Menschen gibt, von denen die Täter gedeckt werden“, sagt Zacharia.
Zwar ist die Zahl der Angriffe im Vergleich zu 2014, als erstmals im größeren Stil Statistiken zu dem Thema erhoben worden, deutlich geringer geworden. Doch die bisherigen Fortschritte stehen auf labilem Boden, sagt auch Parlamentarier Kondowe. Seit einigen Jahren geht die Regierung das Problem mit mehr Nachdruck an. Von der internationalen Gemeinde aber kommt wenig Unterstützung.
Ihm geht es dabei längst nicht allein um die Gewalt. Er selbst kannte keines der Mordopfer der vergangenen Jahre persönlich. Viele Freunde hat er dennoch verloren, wegen Hautkrebs, das sei die häufigste Todesursache. „Es wird viel für den Kampf gegen HIV, Malaria und Klimawandel ausgegeben“, sagt Kondowe, „für Albinismus gibt es dagegen kaum finanzielle Mittel.“