Christian Putsch

Ein Hoffnungsträger in Nigerias Korruptionssumpf

Christian Putsch
Ein Hoffnungsträger in Nigerias Korruptionssumpf

Mit 61 Jahren gilt Peter Obi bei den Präsidentschaftswahlen im Vergleich zur greisen Konkurrenz als aussichtsreicher Kandidat der Erneuerung, er wird von jungen Unternehmern und der Mittelklasse gepusht – die in den vergleichsweise skandalfreien Obi ihre letzte Hoffnung legen

Anfang Februar zieht Ben Idoha ein T-Shirt mit einem Aufdruck von Peter Obi an. Dann geht er zu einer Kundgebung des Präsidentschaftskandidaten der Arbeiterpartei, den er als letzte Chance Nigerias erachtet. Doch dort attackieren ihn Anhänger der Oppositionspartei People’s Democratic Party (PDP) mit Messern, so erzählt es der Marketing-Unternehmer, ein Freund wird am Bauch verletzt.

Die Obi-Kleidung trägt er seitdem nicht mehr, einen Sticker des Politikers hat er von seinem Auto entfernt. Zu gefährlich, sagt Idoha. Aber die nur langsam abheilenden Wunden an den Unterarmen haben seine Zuversicht nicht zerstören können. Fünf Mal war er bislang wahlberechtigt, ohne davon Gebrauch zu machen – wie so viele Nigerianer. 2019 lag die Wahlbeteiligung in Afrikas bevölkerungsreichstem Land (225 Millionen) nur bei einem Drittel, die niedrigste auf dem Kontinent der letzten Jahre. Am Samstag aber wird Idoha wählen gehen. Zum ersten Mal, im Alter von 38 Jahren.

Doch wohl zum ersten Mal überhaupt gibt es in Nigeria bei Präsidentschaftswahlen einen Kandidaten, in den Jugend und Mittelschicht in Lagos derartige Hoffnung setzen. Einer, der nicht zu den beiden großen und verkrusteten Volksparteien PDP und All Progressives Congress (APC) gehört, zwischen denen seit zwei Jahrzehnten die Macht alterniert und die mal wieder mit Politikern jenseits der 70 antreten. Da gilt dann plötzlich schon Peter Obi mit seinen 61 Jahren als Kandidat des Aufbruchs. Der Unternehmer will die aufgeblähte Administration verschlanken, die Wirtschaft diversifizieren, die ausufernde Kriminalität und Korruption auch mit dem Einsatz moderner Technologie zu bekämpfen, wirtschaftshemmende Bürokratie abzubauen und die Unabhängigkeit der Zentralbank wieder herzustellen.

Das Rad erfindet er damit nicht unbedingt neu, allerdings verkörpert Obi für die bislang so politikverdrossene Jugend ungewohnte Glaubwürdigkeit. Für Nkemchor Duru zum Beispiel, 23, im schwarzen Kleid und goldgefärbter Handtasche tritt sie in Lagos ein Restaurant. Eine durchaus typische Unterstützerin: Aus einer Mittelklasse-Familie, Studentin, Tech-Affin. Über 100.000 Follower hat sie auf Twitter, auf dem sie vor zwei Jahren zunächst Polizeibrutalität offenlegte und inzwischen für Obi wirbt. Ein Mann am Nebentisch erkennt die junge Aktivistin deshalb und begrüßt sie fast ehrfürchtig.

Eloquent zählt Duru die Verdienste von Peter Obi auf. Acht Jahre lang war der Ökonom Gouverneur im Bundesstaat Anambra, dessen Schulen danach die besten Ergebnisse im Land aufgewiesen hätten, auch Sicherheit, Agrarproduktivität und den Gesundheitssektor habe er verbessert.  Während auf Bundesebene die Schuldenlast rasant anstieg, setzte er auf fiskalische Disziplin, fliegt trotz immensen Reichtums auch schon mal in der Economy-Klasse.

„Er hat Leute aus dem Privatsektor auf die wichtigen Positionen gesetzt“, sagt die Studentin, „Leute, die schnell und transparent sind, wie er.“ Selbst ein Eintrag in den Pandora Papers zu einem Offshore-Bankkonto kann aus ihrer Sicht Obis Saubermann-Image nicht trüben. „Er hatte das Geld ja rechtmäßig verdient.“

Die eigentliche Stärke von Obi ist wohl, dass er trotz zwischenzeitlicher PDP-Karriere nicht als Teil der Elite gilt, die für den desolaten Zustand des nigerianischen Staates verantwortlich ist. Zwar gab es im Kampf gegen die Terrorgruppe Boko Haram im Nordosten des Landes einigen Erfolg, dafür strebt deren Ableger „Islamic State’s West Africa Province“ (ISWAP) auf. Im vergangenen Jahr starben rund 10.000 Menschen bei verschiedenen gewaltsamen Konflikten im Land. In vielen Teilen ist die Sicherheit auf einem Tiefstand, Entführungen sind zum lukrativen Geschäftsmodell von Verbrecherbanden geworden.

Das Realeinkommen ist gesunken, Armut, Arbeitslosigkeit und Lebensmittelpreise dagegen gestiegen. Das Benzin wird aus den leeren Staatskassen subventioniert, ist aber chronisch knapp, weil es derart verbilligt lukrativ in die Nachbarländer geschmuggelt wird. Während in Europa weit weniger illegale Migranten aus Nigeria ankommen als noch vor wenigen Jahren – das Land ist nicht mehr unter den zehn Herkunftsländern mit den meisten Asylanträgen in Deutschland – wandern gut qualifizierte Fachkräfte in Scharen ab. Im Jahr 2022 zogen allein 7000 Krankenpfleger nach England.

In diesen Tagen sorgt zudem ein chaotischer Austausch von Banknoten für Chaos in Nigeria. Seit Anfang Februar sind die alten Banknoten ungültig, neue Scheine wurden aber bislang kaum rausgegeben. Der scheidende Präsident Muhammadu Buhari erklärte seine chaotische Geldmarktpolitik recht vage mit dem „Kampf gegen Korruption“. Tatsächlich, so sagen in Nigeria viele, will er wohl den Kauf von Wählerstimmen verhindern – entsprechende Gerüchte gibt es bei beiden großen Volksparteien immer wieder. Buhari darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten und hat kaum einen Erfolg vorzuweisen. Es wirkt, als wolle der 80-Jährige wenigstens faire Wahlen als Vermächtnis hinterlassen – auch wenn er sich mit dem Austausch des Bargelds gegen eine einstweilige Verfügung des Obersten Gerichtshofs hinwegsetzt.

Er nimmt damit in Kauf, dass vor jeder Bank die Menschen stundenlang anstehen, um am Ende umgerechnet nur wenige Euro abheben zu können. In Nigeria wird trotz erfolgreicher Startups im Finanzsektor zumeist bar bezahlt, besonders im informellen Sektor. Zuletzt häuften sich die Meldungen über Sachbeschädigungen wütender Kunden an Banken, sogar Angriffe auf Bankangestellte gab es. Studentin Duru zahlt alle Besorgungen per App oder Karte, unterstützt das Bargeldverbot. „Es tut mir leid für die Menschen, die in Armut leben, die trifft es hart“, sagt sie, „aber das ist temporär und hilft hoffentlich, dass es am Samstag fair abläuft.

Buhari ist für rabiate Entscheidungen bekannt. Mal verbietet er im Rahmen von protektionistischen Gesetzen den Import von dringend benötigtem Reis, mal den Gebrauch von Crypto-Währung. Twitter war lange gesperrt, zuletzt wurde sogar Werbung mit ausländischen Models untersagt.

Ob es am Ende für Obi reichen wird, ist völlig offen. Er liegt in einigen Wahlumfragen vorne, die aber oft über ein Drittel Unentschlossener aufweist, oder deren Qualität umstritten ist. In Lagos, der zum christlich geprägten Süden zählt, wackelt die Dominanz der PDP-Oppositionspartei. Hier ist die Unterstützung für den Senkrechtstarter Obi beachtlich, Taxifahrer, Flughafenmitarbeiter, Studenten und Marktstand-Betreiber preisen ihn fast einhellig, trauen ihm zu, dass Nigeria endlich mal nicht basierend auf Ethnie oder Religion abstimmt. Auch die Diaspora unterstützt ihn wie selten einen Kandidaten. Ein Anhänger erzählt sogar, dass er sein Auto verkauft habe, um für Obis Wahlkampf zu spenden.

Doch im muslimischen Norden des Landes ist die Unterstützung deutlich niedriger – und die Wahlbeteiligung traditionell höher. Hier zeigt sich auch die schwache Struktur der Arbeiterpartei von Obi. In der Millionenstadt Maiduguri klebt auf der Hauptverkehrsstraße vom Flughafen in Richtung Stadt kein einziges Obi-Plakat. Sie wurde von der Regierungspartei APC, die mit dem völlig konzeptlos wirkenden Bola Tinubu antritt, dagegen regelrecht tapeziert.

In Lagos ist für Erstwählerin und Influencerin Duru eine Niederlage ihres Kandidaten jedenfalls schwer vorstellbar, „weil das einfach ein beängstigender Gedanke ist“. Für sie würde es bedeuten, das Land zu verlassen, nach Kanada, wo bereits gute Freunde Visas bekommen haben. Doch sie will in Nigeria bleiben, diesem oft lautesten und ermüdendsten Afrikas. Es ist ihre Heimat. Beschädigt wie lange nicht mehr, aber doch Heimat.