Wie der Klimawandel ein Dorf in Simbabwe zerstörte
Wüstenbildung, Wirbelstürme und Dürren – Afrika ist vom Klimawandel weit mehr als die Industrienationen betroffen, während der Kontinent nur einen geringen Anteil an den weltweiten Treibhaus-Emissionen hat. Auch darum soll es bei der am Sonntag beginnenden Weltklimakonferenz gehen
Als die Farmerin Takemore Mufuya am Abend ins Bett ging, beachtete sie den aufziehenden Sturm kaum. Doch dann hörte sie die Schreie draußen, sah das rasant steigende Wasser im Haus. Ihr Mann weckte die beiden älteren Kinder, sie schnürte panisch das Baby mit einer Decke an den Rücken. Dann lief die Familie in die Dunkelheit.
Es war der 15. März 2019, und der Zyklon Idai hatte ihr Dorf Kopa im Osten Simbabwes erreicht. Im Südlichen Afrika tötete er mindestens 1300 Menschen, die meisten kamen bei Erdrutschen und Überschwemmungen ums Leben. Mufuya erlebte seine volle Zerstörungskraft. Zuerst wurde ihr Mann vom Schlamm weggerissen. Sie unterdrückte den Schmerz, auch als sie die Kinder aus den Augen verloren hatte, das Wasser alle Kleider von ihrem Körper riss.
„Ich merkte, wie mir der Boden unter den Füßen weggespült wurde“, sagt die 38-Jährige unter Tränen. „Trümmer und Steine trafen meinen Körper, und ich spürte, wie mir die Kraft ausging. Irgendwann glitt mir das Baby aus den Händen.“ Mufuya betete damals zu Gott: „Ich möchte nicht länger leben.“ Dann aber klammerte sie sich doch an ein Stück Holz – bis zwei Männer nach ihrem Arm griffen, ihr Leben festhielten.
300 Menschen in Kopa starben, über die Hälfte der Bevölkerung des Dorfes. Darunter waren Mufuyas Mann und das Baby. Ihre anderen beiden Kinder aber leben. Die Familie hat eine neue Farm zugewiesen bekommen, baut ihre Zukunft neu auf. Doch oft liegt die Mutter nachts wach, besonders bei Regen – geplagt von der stets präsenten Frage, wann der nächste Wirbelsturm kommt. „Ich habe gleichzeitig Angst und Hoffnung“, sagt sie.
Das Ausmaß des Klimawandel-Einflusses auf derart extreme Stürme mag umstritten sein, nicht aber die Tatsache, dass ein Zusammenhang besteht. Wissenschaftler der Oxford Universität halten es für erwiesen, dass die ungewöhnlich hohe Intensität von Idai auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Wegen der Erwärmung des Wassers vor der Küste des simbabwischen Nachbarlandes Mosambiks nimmt auch die Schwere von Stürmen zu. Und durch den steigenden Meeresspiegel haben Überflutungen schlimmere Auswirkungen.
Ein Einzelfall ist das nicht. Besonders in Afrika erleben viele Länder eine doppelte Ungerechtigkeit: Sie sind weit überproportional vom Klimawandel betroffen, während sie nur einen geringen Anteil an den weltweiten Treibhaus-Emissionen haben. Bei der an diesem Sonntag beginnenden UN-Klimakonferenz im schottischen Glasgow (kurz COP26, bis 12. November) gehört die Unterstützung ärmerer Staaten bei der Klima-Anpassung zu den wichtigsten Themen. Im Jahr 2015 zugesagte Finanzhilfen der Industrienationen wurden bislang nur teilweise ausgezahlt.
Der Kontinent wurde zuletzt neben Wirbelstürmen verstärkt von verheerenden Dürren im Südlichen Afrika (aktuell besonders Madagaskar) sowie Heuschreckenplagen im Osten erschüttert. Und im Westen breitet sich die Sahara aus. „Es geht um Leben und Tod“, sagte der Klimaforscher David Mfitumukiza von der Makere Universität in Uganda der „Deutschen Welle“. Seit dem Jahr 1970 starben einem Bericht der UN-Agentur „World Meteorological Organisation“ (WMO) zufolge 700.000 Afrikaner an den Folgen von Dürren.
Simbabwe ist auf die nächste Katastrophe schlecht vorbereitet, obwohl diese absehbar ist – und erneut weit über die Region reichende Folgen haben könnte. Die Regenzeit setzt mit zunehmender Heftigkeit ein, so dass der Boden das Wasser nicht effektiv aufnehmen kann. Fruchtbarer Agrarboden wird weggeschwemmt. In den Städten versagt angesichts der plötzlichen Wassermassen derweil die meist ohnehin überlastete Kanalisation. Und wenn Brücken durch Stürme zerstört werden, können die Kinder nicht zur Schule gehen. Die Häufigkeit von Dürren hat ebenfalls zugenommen, was zu Ernteausfällen führt und die ohnehin angespannte Lebensmittelsicherheit weiter gefährdet.
So wichtig Maßnahmen gegen den Klimawandel auch sind, so besteht allerdings auch die Gefahr, dass parallele Fehlentwicklungen in Afrika zu wenig beachtet werden. Die Auswirkungen unökologischer Überbeanspruchung des Ackerbaus oder die Überweidung durch Viehherden wird bisweilen allzu monothematisch dem Stichwort Erderwärmung zugeordnet.
In der senegalesischen Küstenstadt Saint-Louis sind etwa ganze Siedlungen im Wasser versunken. Ohne Frage wegen des Klimawandels, aber auch – und weit seltener von örtlichen Politikern betont – wegen des unzureichend reglementierten Sandbergbaus und schlecht geplanter Infrastruktur. Nicht zuletzt erhöht das weiterhin hohe Bevölkerungswachstum in Afrika – auf dem Kontinent zu oft ein Tabuthema – den Druck auf die vorhandenen Ressourcen.
Der Klimawandel war ein wichtiger Faktor für die Katastrophe in Simbabwe, aber auch hier nicht der einzige. Kopa ist von steilen Hängen mit lockerer Erde umgeben, die bei enormen Regenfällen zu Erdrutschen tendieren. Die Anwohner haben mangels Alternative zum Kochen zu viele Bäume gefällt, was die Erosion im Zuge von Zyklon Idai verstärkt hat. Wie in anderen Teilen des Landes ist die Wirtschaft in Rezession, so dass die staatlichen Behörden zum Management der Region nicht ausreichend ausgerüstet waren.
Nach Angaben der Afrikanischen Union geben die Länder des Kontinents zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aus, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. In Simbabwe muss diese Zahl bezweifelt werden. In Kopa mangelt es an staatlicher Unterstützung, noch immer wohnen viele Überlebende in Zelten. Brücken und viel Straßen liegen weiter in Trümmern, nur wenige Häuser wurden wiederaufgebaut. Für die eigentlich erforderliche Umsiedlung der Überlebenden fehlen weiterhin die Ressourcen, gerade jetzt, während der Covid-19-Pandemie.
Mufuya kann immerhin wieder als Farmerin arbeiten. Mit Unterstützung der örtlichen Hilfsorganisation „Towards Sustainable Use of Resources Organisation“ (Tsuro) hat sie eine Art Gemeinschaftsbank gegründet: Jeder zahlt nach Kräften ein, wer wie die Farmerin Hilfe bei der Existenzgründung braucht, bekommt einen Kredit. Die erste Ernte ist eingefahren, sie ist nicht mehr jede Woche auf Lebensmittel-Nothilfe angewiesen. Ein Fortschritt, Antrieb für die kommenden Monate.
Ihr Sohn, inzwischen 19 Jahre alt, hat sich in den Kopf gesetzt, Anwalt zu werden. Nichts könne ihn davon abhalten, sagt die Mutter voller Stolz. Zuerst waren die Schulen und Universitäten monatelang wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Dann wegen eines Lehrerstreiks, schließlich wertet die Hyperinflation in Simbabwe deren Gehalt immer weiter ab. „Er hält trotz allem an diesem Traum fest“, sagt Mufuya, „also muss auch ich stark sein.“
(Foto: Karin Schermbrucker, Brot für die Welt)