Christian Putsch

Unter Tage

Christian Putsch
Unter Tage

Als Teboho Mohai Hunderte Meter tief im Innern der Erde in einem Felsschacht kauert, steht er vor einer Entscheidung, die einen bescheidenen Reichtum bedeuten kann oder den Tod. Er war um sechs Uhr am Morgen in einer Blechhütte aufgestanden, die er sich mit vier Kollegen teilt. Mohai, ein hagerer Mann mit rastlosem Blick, 23 Jahre alt, lebt eine halbe Autostunde entfernt von dem Armenviertel, in dem seine Frau und sein ein Jahr alter Sohn leben.

Nun also der Schacht. Mohai hat in diesem unterirdischen Labyrinth aus Gängen und Höhlen eine Stelle erreicht, die sich in den vergangenen Wochen bedenklich verändert hat. Als er zum letzten Mal hier war, erst kürzlich, ließ ihm der Fels noch etwa einen Meter Platz, um durch einen Spalt zu kriechen, der ihn zu einem seiner Plätze führt. Inzwischen sind es vielleicht noch 50 Zentimeter. Von der Decke haben sich metergroße Steine gelöst, sie ist abgesackt.

Es wird wohl nicht mehr lange dauern, dann wird dieser Schacht verstopft sein, für immer verloren.

Kehrt Mohai um, entgeht ihm vielleicht der große Fund, auf den er hofft. Kriecht er weiter, ergeht es ihm womöglich wie einem seiner Freunde. Der starb vor ein paar Wochen nur ein paar Gänge entfernt. Auch dort hatten sich Steine von der Decke gelöst, sie trafen ihn im Schlaf. Es dauerte mehrere Tage, bis sein lebloser Körper aus den Schächten des Bergwerks geborgen war.

"Fass die Decke nicht an", sagt Thabang Mohai. Er ist Teboho Mohais Onkel und arbeitet seit 15 Jahren in dieser verborgenen Stadt bei Johannesburg, er ist dort einer der Veteranen. Und dieses Höhlenlabyrinth, eine Stadt unter der größten Stadt Südafrikas, ist eine stillgelegte Goldmine. Durban Deep, Ende des 19. Jahrhunderts gebaut. Sie war eine der lukrativsten, die dem Land bis vor 50 Jahren fast ein Monopol auf die Goldvorkommen der Welt garantierten. Noch in den frühen 70er-Jahren wurden in Südafrika 40 Prozent des weltweit geförderten Goldes aus der Erde geholt. Inzwischen ist China der größte Produzent, Südafrika spielt kaum noch eine Rolle.

Die Mine, eigentlich vor zwei Jahrzehnten geschlossen, ist eines von etwa 6000 stillgelegten Bergwerken im Land. Allein im Großraum Johannesburg gibt es 300 ehemalige Goldminen. Der große Goldrausch ist längst vorüber. Viele Förderkonzerne haben sich zurückgezogen, kaum noch Profit, zu große Gefahren. So ist Durban Deep zu einem Ort für Männer wie Teboho Mohai und seinen Onkel geworden.

Männer, die einen Großteil ihres Lebens tief in der Erde verbringen, in engen Schächten schlafen und manchmal erst nach Tagen oder Wochen wieder ans Tageslicht zurückkehren. Männer, die Brocken aus Steinwänden schlagen, sie stundenlang in schweren Säcken zurück in die Welt schleppen, mit mannhohen Stahlbalken zertrümmern und schließlich in einer Quecksilberlösung winzige silberne Krümel herauslösen. Einige tun das, weil sie das Glück jagen, die meistens allerdings, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sehen, sich und ihre Familie irgendwie durchs Leben zu bekommen.

Die Leute nennen diese Männer Zama Zamas, illegale <<Goldgräber>>. In der Sprache der Zulu, der größten ethnischen Gruppe im Land, heißt das so viel wie "Probiere es weiter". Angeblich gibt es 15.000 Zama Zamas in alten Goldminen. Seit einiger Zeit füllen sich die Schächte mit Neulingen. Das hat mit der Arbeitslosigkeit in Südafrika zu tun, die von Rekord zu Rekord klettert. Und mit dem Zustand der Welt. Denn Corona, der Krieg in der Ukraine und die Inflation haben die Dinge des täglichen Bedarfs so teuer gemacht, dass viele Menschen sie sich kaum noch leisten können. Die globalen Krisen der Gegenwart treffen die Armen in Afrika mit besonderer Härte.

In Johannesburg leben 15.000 Dollar-Millionäre, dort verkauft Porsche einen Großteil seiner 1300 jährlich in Südafrika abgesetzten Autos. Dort haben die französischen Hersteller von Champagner im vergangenen Jahr viele der 1,1 Millionen Flaschen verkauft, die sie ins Land exportiert haben. Und auch wenn der Höhepunkt der Goldförderung am Kap lange zurückliegt, bleibt Johannesburg "eGoli", die Stadt des Goldes. Doch unter ihren Fundamenten, tief im Erdinneren, offenbart sich die Kehrseite.

Teboho Mohai hat sich angewöhnt, zwei zerschlissene Jeans übereinander zu tragen, er hofft, dass sie nicht an den gleichen Stellen Löcher haben und so seine Haut irgendwie schützen. In den zerschrundeten Händen hält er einen weißen Stoffsack, Abfall eines Getreidegroßhändlers. Er wird ihn in den nächsten Stunden mit Steinen füllen. Darin werden winzige Goldreste sein, wahrscheinlich nicht mehr als ein paar Euro wert. Doch eines Tages, so hofft Mohai, könnten es Tausende Euro sein. Dieser weiße Sack könnte ihn aus der Armut holen. Das jedenfalls glaubt Mohai, das will er glauben.

Die tiefsten Gänge des alten Bergwerks führen mehr als 3000 Meter weit ins Erdinnere. Mohai und sein Onkel wissen oft selbst nicht, wie tief sie eigentlich sind. Sie verlieren nach und nach auch das Gefühl für die Zeit, wenn der dünne Strahl ihrer Kopfleuchten tagelang ihre einzige Lichtquelle ist.

"Du schläfst, wenn du müde bist", sagt Mohai, "sonst arbeitest du." Bis das Essen ausgeht.

Mohais Eltern kamen aus Lesotho nach Südafrika, illegal, ohne Papiere. Als sie starben, verließ er vorzeitig die Schule, begleitete seinen Onkel, fing an, unter Tage zu arbeiten. In einigen Bergwerken verdient so mancher Südafrikaner mehr als er, mit Brot, das er nach unten trägt und dort für den dreifachen Einkaufspreis verkauft.

Nach einem Moment des Zögerns entscheidet sich Mohai in der Dunkelheit von Durban Deep für die Gefahr. Er zwingt seinen hageren Körper im Krebsgang in den bröckelnden, schmalen Schacht, Zentimeter für Zentimeter, dem Strahl seiner Kopflampe folgend. Die anderen Gräber nennen ihn "Shorts", weil er klein ist und drahtig und so tief in die dunklen Gänge vordringt wie kaum jemand sonst.

Es brauchte einige Monate Recherche und mehrere Mittelsmänner, um den <<Goldgräber>> Teboho Mohai zu finden. In den Armenvierteln Südafrikas leben Mitglieder von Banden, ihre Mitglieder sind Einheimische oder Zuwanderer aus anderen Ländern des Kontinents. Sie kämpfen um die Kontrolle über die stillgelegten Bergwerke mit Gewalt und Waffen. Deshalb misstrauen sie Journalisten. Denn Öffentlichkeit lotst die Polizei auf ihre Fährte, die für ihren Geschmack ohnehin zu oft Ärger macht. Und wenn man es trotzdem schafft, diese Männer zu überzeugen, einen <<Goldgräber>> durch seine Tage in einer der alten Minen zu begleiten, dann kann es sein, dass zum vereinbarten Termin eine andere Gruppe die Herrschaft über den Ort an sich gerissen hat. Am Eingang des Bergwerks lungern dann Männer mit Waffen um ein Lagerfeuer herum, die sich für die Versprechungen ihrer Vorgänger nicht interessieren. Am Ende hat eine Aktivistin den Kontakt zu einer Gruppe von Zama Zamas in der Durban Roodeport Deep Mine hergestellt, der zu Teboho Mohai führte.

In den ersten Tagen der südafrikanischen Goldförderung, etwa ab 1887, wurden in dieser Mine Goldvorkommen von ungeheurem Wert ausgegraben. Doch sie galt von Anfang an als eines der gefährlichsten Bergwerke auf dem Globus. Sie wurde so berüchtigt für ihre zahlreichen Unfälle, dass der britische Popsänger Elton John in den 80er-Jahren einen Song schrieb, "Durban Deep".

Es gibt keine Gnade in meinem Schlaf,

Ich höre nur den Bohrer und den Hammer,

Ich fühle die tödliche Hitze,

Zwei Meilen beim Abstieg zum Herzen,

Von Durban Deep

Damals wie heute kommt es zu tödlichen Unfällen. Wenn unter Tage gesprengt wird, Gänge einstürzen oder Gasleitungen der Stadt beschädigt werden. Zudem sterben die Männer an Kohlenmonoxidvergiftungen. Die sind üblich, weil die stillgelegten Gänge nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Vor allem dann nicht, wenn die <<Goldgräber>> dort Generatoren und Sprengstoffe einsetzen.

Die Aktivistin Tiny Dlamini kämpft seit Jahren dafür, dass das Handwerk der Zama Zamas legalisiert wird. Sie sagt, das würde zumindest ein Ende der Schikanen durch örtliche Polizisten bedeuten, die immer wieder Ausrüstung beschlagnahmen und dann weiterverkaufen. Eine Entkriminalisierung würde zudem den Zugang zu legalen Märkten ermöglichen und bessere Löhne. Wenn Medien berichteten, könne das helfen. So sieht es Dlamini.

Ein paar Männer kauern unter einem Bretterverschlag am Eingang der Mine. Eingehüllt in Decken, unter denen Maschinengewehre hervorlugen. Die Farbe ihrer Decken, in diesem Fall Gelb, markiert, welcher Gang sie angehören. Im Boden vor ihnen ist ein Loch, kaum größer als eine Dachluke. Es ist ein provisorischer Zugang zu den unterirdischen Gängen. Von unten steigen Lärm und Rauch von Maschinen herauf, mit denen Goldstaub von wertlosem Gestein getrennt wird. So war es auch, als Teboho und Thabang Mohai durch das Loch hinabstiegen.

Inzwischen sind sie seit einem halben Tag in dieser Unterwelt, 800 Meter unter der Erde. Mohai sagt, er habe keine Angst zu sterben. "Wenn meine Zeit gekommen ist, dann ist sie gekommen."

Auf dem Weg hinab haben Mohai und sein Onkel Mal um Mal angehalten, haben Hammer und Meißel gezogen, Gestein aus dem Felsen gehauen, die Proben zertrümmert und mit etwas Quecksilber aus einer ausrangierten Cola-Flasche in einer Schale vermischt. Nach einigen Minuten werden so winzige Goldkörper, kaum glänzend, kaum größer als Staub, aus dem Gestein gelöst. Doch an keiner Stelle war es so viel Gold, dass es die Mühe eines Arbeitstages wert schien. Also zogen sie weiter, immer tiefer, bis zu diesem Spalt, in dem die Gefahr lauert.

Risiken wie dieses gehen Menschen seit Jahrtausenden ein. Vor 2600 Jahren entstanden in den griechischen Handelsstätten der Ägäis die ersten Münzen, sie waren aus einer Goldlegierung. Seither hat der Wert des Goldes den Wert des Geldes in der Welt mitbestimmt.

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs erklärten sich viele Staaten bereit, das internationale Währungssystem neu zu ordnen, mithilfe von Gold. Sie legten den Wert des Dollar, als Leitwährung, auf einen fixen Goldpreis fest. Diese Entscheidung hat das Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik Deutschland begünstigt. Im Sommer 1971 hob Richard Nixon, Präsident der USA, diese Bindung auf. Er kündigte die Verpflichtung der Vereinigten Staaten auf, Dollar in Gold zu tauschen. Trotzdem gilt Gold bis heute als Wert, auf den man sich in Krisenzeiten verlassen kann.

Zu Beginn der Corona-Krise stieg die Nachfrage, der Goldpreis kletterte auf ein historisches Hoch. Er stieg auch mit Beginn des Kriegs in der Ukraine rasant. Seither ist er zwar gefallen, liegt aber noch immer auf einem, über Jahrzehnte hinweg betrachtet, hohen Niveau. Der Ruf als Krisenwährung täuscht allerdings ein wenig darüber hinweg, dass Gold aufgrund seiner mitunter starken Kursschwankungen letztlich eine spekulative Geldanlage ist.

Zama Zamas wie Teboho Mohai bekommen von solchen Dingen wenig mit, sie stehen am Ende der Wertschöpfungskette. Die Händler in den Townships zahlen ihnen derzeit etwa 15 Euro für ein Gramm Gold. Das ist etwa ein Drittel des Preises, mit dem es momentan an den Weltmärkten gehandelt wird.

 

Im Township Soweto betreibt einer der Mittelmänner sein Handwerk, ein athletischer Mann mit rotem Pullover und tiefsitzender Mütze. Offiziell handelt der 43-Jährige mit seltenen Münzen und gebrauchtem Schmuck, das große Geld aber kommt durch die Zama Zamas rein. „Wir schmelzen das Gold ein und machen daraus Armreife“, sagt er. Damit sei das Gold legal, schließlich habe er eine Lizenz für den Aufkauf und Verkauf von gebrauchtem Schmuck. Es werde so auch von den beiden großen offiziellen Goldraffinerien im Großraum Johannesburg akzeptiert.

Wirklichen Ärger mit den Behörden erlebte der Händler nur einmal. Vor einigen Jahren hatte er umgerechnet 31.000 Euro Bargeld im Auto, mit denen er simbabwischen Goldgräbern ihre Vorräte abkaufen wollte. Polizeikontrolle, Verhaftung, Inhaftierung wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Er profitierte schließlich von der überlasteten Justiz. Es wurde keine Anklage erhoben, nach einigen Monaten kam er frei. Nicht einmal einen Eintrag ins Polizeiliche Führungszeugnis gab es.

Der Mittelsmann besitzt mehrere Grundstücke in Soweto und einen schicken Audi, bezeichnet sich aber selbst als „kleinen Fisch“. Das meiste Gold werde von „Mr. Lee“ aufgekauft, einem über 80 Jahre alten Chinesen, der in Johannesburgs Innenstadt mehrere Geschäfte habe. Wo diese zu finden seien, wisse er aber nicht, behauptet der Mittelsmann auf Nachfrage. Er wisse nur, dass Mr. Lee zu den einflussreichsten Menschen der Stadt gehöre.

Einige wenige macht das Edelmetall schwer reich. Sein Wert lebt nicht zuletzt von seinem emotionalen Wert, den Mythen. Mohai aber riskiert in der Tiefe sein Leben, um zu überleben.

Einen Moment lang ist es völlig still. Kein Geräusch von oben, vom Eingang, wo eine Gang einen Generator und schwere Maschinen aufgebaut hat. Keines von unten, wo Dutzende Zama Zamas sind, zu weit entfernt, um ihr Hämmern zu hören.

Manch einer habe in dieser Unterwelt seinen Verstand verloren, so erzählen es sich die Männer. Viele der Zama Zamas von Durban Deep glauben auch an die Legende des "Besitzers", einer Art Gott der Unterwelt. Er lebt demnach ganz unten, in den tiefsten Schächten.

Wer den Besitzer verärgere, sagt Mohai, der sterbe von innen heraus, ohne eine einzige Wunde. "Halte nach Ratten Ausschau", sagt Mohai. Wenn aus einem Schacht die Ratten wegrennen, so glaubt er, dann flüchteten sie vor dem Besitzer. Denn vor nichts sonst hätten die Ratten Angst.

Wahrscheinlich sind eher Kohlenmonoxidvergiftungen die Erklärung, wenn Tote keine Wunden aufweisen. Erfahrene Zama Zamas gehen daher nie allein unter Tage. Und sie kehren um, sobald einer von ihnen Kopfschmerzen bekommt. Denn so kündigen sich die Vergiftungen oft an.

Das Nachrichtenportal "GroundUp" hat mithilfe von Medienberichten mal berechnet, dass in den Jahren 2012 bis 2015 mindestens 312 Zama Zamas in illegalen Minen starben. Mehr Daten gibt es dazu nicht, jedenfalls keine verlässlichen. Also trägt die Polizei in der Regel "unnatürliche Todesursache" auf dem Totenschein ein, falls es denn einen gibt. Die Sicherheitsfirmen mancher Bergwerke haben schon Leichen geborgen, die seit Jahren verwest waren.

In Südafrika ist der letzte Minenbetreiber gesetzlich verpflichtet, sein Bergwerk ordnungsgemäß stillzulegen. Das bedeutet, die Zugänge vernünftig zu schließen und Umweltschäden zu beheben. Das allerdings ist kostspielig, oft auch kompliziert. Die Wirklichkeit sieht deshalb eher so aus, dass die Betreiber für ihre Unternehmen verworrene Firmenkonstrukte wählen, die es ihnen ermöglichen, ihre Besitzverhältnisse zu verschleiern und sich ihren Pflichten zu entziehen. Wenn die staatlichen Behörden den letzten Eigentümer nicht ermitteln können, geht die Verantwortung auf den Staat über. Allerdings kümmert auch der sich in aller Regel nicht um diese Unterwelt.

Der Bergbau ist in Afrika noch immer ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Etwa 20 Prozent des weltweit offiziell produzierten Goldes und aller Diamanten werden von Bergarbeitern ohne Lizenz gefördert. Bei manchen Mineralien ist es mehr als die Hälfte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fordert deshalb mehr internationalen Druck auf die Konzerne.

Der Bergbau richtet in vielen rohstoffreichen Ländern auch nach der Stilllegung von Bergwerken massive Schäden bei Mensch und Umwelt an. Und immer wieder sterben Kinder, die im Alltag mit Chemikalien wie dem äußerst giftigen Quecksilber in Kontakt kommen, das die <<Goldgräber>> nutzen, um das Gold aus dem Gestein zu lösen. Oder sie fallen beim Spielen in eines der Löcher, die Bergarbeiter in die Erdoberfläche gegraben haben.

In Ländern wie dem Kongo sind es oft Kinder, die die Rohstoffe fördern. Die Einnahmen fließen unter anderem an wiedererstarkende Milizen.

Im Sudan plündern russische Söldner im Verbund mit dem mächtigen Kriegsfürsten "Hemeti" die Goldminen in Darfur, hoffen im rasant wachsenden Goldförderland Mali auf Zugriff auf die lukrativsten Bergwerke.

Und in Ecuador sackte kürzlich eine gesamte Stadt ab, weil unter ihr nach Rohstoffen gegraben wurde.

Mal ist das Gewerbe legal wie in Ghana, oft nicht. Meist fehlt es an Mitteln oder dem politischen Willen, es zu regulieren. Der südafrikanische Staat hätte die Möglichkeiten, das Bergbaugeschäft zu reglementieren. Schätzungen zufolge gehen dem Staat wie der Industrie jährlich umgerechnet 1,36 Milliarden Euro an Umsatz und Steuern verloren. Branchenkenner spekulieren, dass auch mancher Politiker im Hintergrund mitverdient. Das würde erklären, warum die Goldsucher mit beschränkter Hoffnung nur dann auf erheblichen Widerstand stoßen, wenn sie in aktive Bergwerke einsteigen und es zu Kämpfen mit Sicherheitspersonal kommt. Oder bei Schießereien rivalisierender Gangs.

Nur wenige Kilometer von der Mine entfernt, in der Teboho Mohai Tag für Tag versucht, sich die Hoffnung auf etwas Glück zu erhalten, steht ein kleines schwarzes Haus. Die Kneipe "Mdlaluse&apos;s Place" gehört zu den beliebtesten Treffpunkten von Klipspruit, einer Ecke ohne besondere Eigenschaften im Armenviertel Soweto. Bescheidene Einfamilienhäuser reihen sich aneinander, die Straßen sind vergleichsweise sauber.

Anfang Juli fielen Männer mit Maschinenpistolen in das schwarze Haus ein, töteten 16 Besucher, stahlen nichts. Im Garagentor sind noch vier Einschusslöcher zu sehen. Und drei Häuser weiter trauert Zingisile Golimpi um seinen Sohn Simthembile. Der Sohn habe in der Kneipe am Billardtisch gestanden, als die Täter kamen, erzählt Golimpi. In einem Raum von wenigen Quadratmetern Größe, ohne Chance zu entkommen. "Wir haben die Schüsse gehört, konnten das Haus nicht verlassen." Die Polizei sei erst nach drei Stunden gekommen. Und das wohl auch nur, weil Nachbarn die Beamten abgeholt hatten.

Die ganze Nation rätselte über die Hintergründe der Tat. Die Zeitung "Sunday Times" berichtete, dass die Polizei nach der Auswertung einer Überwachungskamera Zama Zamas aus Lesotho verdächtigt. Sie hätten den illegalen <<Goldgräber>> einer rivalisierenden Gang getötet, die anderen 15 Opfer seien wahrscheinlich zufällige Opfer gewesen, die Täter hätten wahllos um sich geschossen.

Mohai hält sich von den Gangs fern, so gut es geht. Er zahlt sein Schutzgeld, umgerechnet fünf Euro, damit sie ihn unter Tage lassen. "Das war&apos;s", sagt er. Das funktioniert allerdings nur, solange er sein Glück nicht in jenen Minen sucht, die durchaus noch lukrative Geschäfte ermöglichen.

An diesem Tag werden Teboho Mohai und sein Onkel mit rund 500 Rand aus der Erde zurückkommen, etwa 30 Euro, wie an den meisten Tagen. Einmal, sagt Mohai, habe er auf einen Schlag Gold im Wert von 700 Euro ausgegraben. Es war womöglich eine der wenigen verbliebenen Goldadern der Mine. Mehr als eine Woche blieb er unter Tage, um die wertvolle Stelle nicht aufzugeben. Allerdings ist das inzwischen fünf Jahre her, er war damals 18 und hatte gerade angefangen.

Während sein Onkel die nächste Gesteinsprobe aus einer Felswand klopft, zündet sich Mohai eine Zigarette an und lehnt sich an das kühle Gestein. Er hofft, aber er gönnt sich ab und an auch den Traum, er könnte jederzeit aufhören und ein normales Leben führen. Einen kleinen Laden aufmachen, vielleicht Lebensmittel verkaufen. Den Sohn und die Frau in eine sichere Existenz führen. Ohne das tägliche Bangen, ob er überlebt.

Man braucht nicht viel Geld, um in Südafrika eine Existenz zu gründen, zumindest offiziell. Die Registrierung für Gründer kostet rund zehn Euro, weniger als in den meisten Ländern der Welt. Allerdings müssen die Antragsteller sich durch ein Dickicht aus bürokratischen Vorgaben schlagen. Und wenn die Menschen das schaffen, werden sie Teil einer von Konzernen dominierten Wirtschaft, in der sich ohne Startkapital wenig bewegen lässt.

"Keine Papiere, kein Geld, kein Geschäft", sagt Mohai.

Er hat keinen Ausweis, kein Konto, kaum noch Geld. Seine frühen Erträge aus einer seltenen Goldader waren schnell aufgebraucht. Verwandte brauchten Kleidung, Essen, das Nötigste. Einen ähnlich guten Fund wie vor fünf Jahren hatte er nie wieder. Und selbst Gründer mit südafrikanischem Pass haben es schwer, Kredite zu bekommen, wenn sie aus Townships stammen. Und wenn, dann müssen sie hohe Zinsen zahlen.

Seit mindestens einer Stunde haben Teboho Mohai und sein Onkel keinen Zama Zama mehr getroffen, als in der Dunkelheit ein Lichtschein einer Stirnlampe flackert. Vorsichtig folgen die beiden Männer der Leuchte, ihre Freunde sind hier schon ausgeraubt worden. Nach einiger Zeit ist das metallische Schaben einer Schaufel zu hören.

Als sie näher kommen, stellt sich heraus, dass ein Migrant aus Simbabwe sein Quartier in einem halb überschwemmten Schacht aufgebaut hat. An einer Pfütze hat er Stofflappen und einen langen Holzbalken gelegt, ein improvisiertes Förderband. Er schüttet Geröll und mit Quecksilber vermischtes Wasser auf die Lappen, an denen staubgroße Körnchen hängen bleiben. Gold. Mohai und sein Onkel kennen den Mann flüchtig, sie helfen ihm.

Hier sei nicht viel zu holen, sagt der andere nach einer Weile.

Mohai lacht, zeigt auf das Glitzern, das sich am Rande der Schüssel abzeichnet. Dieser Ort ist eindeutig eine der besseren Stellen von Durban Deep. Doch so etwas geben Zama Zamas nur selten zu. Und nur gegenüber Menschen, denen sie vertrauen.

Mohai und sein Onkel merken, dass sie nicht willkommen sind. Also weiter in die Tiefe, bis der Lichtkegel wieder verschwunden ist.

Ein letzter Versuch, Mohai zwingt seinen Körper in einen Spalt. Vorsicht, sagt er und zeigt auf eine braune Substanz, halb von Stoffsäcken bedeckt. "Scheiße." Sie sind offenkundig nicht die Ersten hier.

Etwas tiefer im Gang sieht das Gestein aus wie so viele andere Stellen, die sie geprüft haben. Dort treffen sie einen jungen Mann, der mit einem Hammer einen Meißel in den Stein treibt, der Schweiß tropft ihm vom Gesicht. Klick, klick, klick, ein metallisch klingender Endlostakt.

Der Mann keucht, splitternde Felsstücke fliegen ihm ums Gesicht. Das Quecksilber hat seine Hände so gegerbt, die Haut so fest gemacht, dass sie keine Blasen mehr bilden. Aber der Schmerz, ein gnadenloser Begleiter, kommt trotzdem verlässlich. Klick, klick, klick.

Der junge Mann füllt nach und nach seinen einen Getreidesack mit münzgroßen Felsstücken. Am Ende wird der Sack mehr als 30 Kilogramm schwer sein, die er kriechend aus der Erde bringen muss. Einige Kilogramm wird die Gang gleich am Eingang kassieren, die zweite Rate ihres Schutzgeldes. Den Rest werden sie an Freunde geben, die neben einer Blechhütte das Gestein mit gewaltigen Stahlstäben zertrümmern und das Gold herauslösen.

Etwa 170 Kilometer südwestlich von Durban Deep hat Shawn "Paps" Lethoko im Bergbaustädtchen Klerksdorp die Nachwehen des südafrikanischen Goldrausches seit seiner Kindheit erlebt. Er ist 41. Er sah, wie die ertraglos gewordenen Minen schlossen. Wie zumeist weiße Manager zum nächsten gut bezahlten Job weiterzogen. Und wie aus den entlassenen Arbeitern "unabhängige <<Goldgräber>>" wurden, wie Lethoko die Illegalen nennt. Männer wie er selbst.

Lethoko sagt, die Mehrheit der <<Goldgräber>> in den Schächten seien Verzweifelte, für die in der Wirtschaft über Tage kein Platz mehr ist. Also will er ihnen einen Platz verschaffen. Dafür hat er eine Vereinigung gegründet, die National Association of Independent Miners. Tausende haben sich angeschlossen. Sie wollen die Legalisierung, besseren Schutz vor Gangs, vor Unfällen. Und vor allem Zugang zu den Märkten.

Das zuständige Ministerium hat Anfang dieses Jahres neue Regularien zur Formalisierung des lebensgefährlichen Gewerbes in der Tiefe veröffentlicht. Die Gesetze sind bisher aber nicht geändert.

"Da ist Widerstand, die großen Konzerne arbeiten gegen uns", sagt Lethoko. So hätten während der Pandemie beispielsweise wichtige Beratungen im Internet stattgefunden. Und <<Goldgräber>> hätten sich in Videokonferenzen einwählen sollen, obwohl sie nicht einmal lesen oder schreiben könnten. Lethoko sieht darin die Absicht, sie auszuschließen, ohne es zu sagen.

Am Ende eines langen Tages, nach zwölf Stunden in der Mine von Durban Deep, zerren Teboho Mohai und sein Onkel abwechselnd einen Sack, an dem ihre Hoffnungen hängen. Es wird ein schier endloser Aufstieg, mal gebückt, meist kriechend. Die beiden Männer sprechen schon lange nicht mehr über die Gefahr, die losen Felsen über ihren Köpfen, wie noch am Morgen. Irgendwann wird ein Licht sichtbar, größer als die nervös zuckenden Kopfleuchten. Von oben tastet sich warme Abendluft zu den beiden Männern vor. Ein paar Meter noch, hochgezogen an einem zerfransten Seil, das die Gang an einen Pfeiler gebunden hat. Schließlich Sonnenlicht, das blendet.

Mohai zündet sich eine Zigarette an.

"Und?", fragt einer.

"Nicht so gut", sagt Mohai.

Wahrscheinlich stimmt es, und das Gold ist tatsächlich nicht mehr als 30 Euro wert. Aber Mohai würde dasselbe sagen, wenn er Tausende Euro in dem zerschlissenen Sack hätte.

Einige Wochen später steht er vor einer Hütte in Residensia, einem Dorf, das 70 Kilometer entfernt von Durban Deep liegt. Zwei Gangs haben zwischenzeitlich um die Kontrolle über das Bergwerk gekämpft. Am Eingang zur Mine wurden sechs Zama Zamas erschossen, da entschied sich Mohai zu fliehen. Anfangs jobbte er als Bauarbeiter, nun pflanzt er Gemüse an und versucht, Haarprodukte zu verscherbeln. Aber das Geld reicht nicht. Sein Onkel hat ihm eine SMS geschrieben. Seit ein paar Tagen habe es keine Schüsse mehr gegeben, es sei jetzt wieder etwas ruhiger.

Mohai zögert noch. Er sagt, er wolle eigentlich nicht zurück. Irgendwann aber, das spürt er, wird es ihn wohl zurück in die Tiefe ziehen.