Leben ohne Strom
In Deutschland sorgen sich viele Menschen vor möglichen Blackouts im Winter. Ein vertrautes Problem aus der Sicht unseres Korrespondenten in Südafrika. Er lebt in einem Land, in dem Stromausfälle zum Alltag gehören – und erzählt, wie die Menschen gelernt haben, mit der Blackout-Realität zu leben.
Meinen einprägsamsten Stromausfall-Moment erlebte ich an einem Geldautomaten. Die übliche Routine: Geheimzahl eintippen, den Betrag, bestätigen, dieses Rattern, wenn das Geld ins Fach gezogen wird. Und dann: Stille statt Scheine. Maschine aus. Ade, du schnöder Mammon.
Das war vor ein paar Jahren, als man nie so genau wusste, wann in Südafrika der Strom ausgestellt wird. Immerhin dieses Zeitmanagement hat sich in Südafrika gebessert, inzwischen weiß ich, wann in meinem Wohnviertel der Strom ausgeschaltet wird. Eine Handy-App schickt dann eine Push-Nachricht. Oft werden mir gut zwei Stunden angekündigt, an manchen Tagen auch schon mal sechs bis acht. Allein in diesem Jahr gab es rund 120 Tage mit „Loadshedding“. Dieses stundenweise Abstellen des überstrapazierten Stromnetzes kann man mit „Lastabwurf“ übersetzen, heißt aber schlicht, dass Eskom, diese Karikatur eines staatlichen Stromkonzerns, kaputt ist. Hoffnungslos veraltet, kollabierend, sabotiert, von schamloser Korruption ausgehöhlt.
So geht das mit zunehmender Häufigkeit seit dem Jahr 2008, also ungefähr, seitdem ich als WELT-Korrespondent im Land bin – wobei ich einen kausalen Zusammenhang (fast) so vehement bestreite wie Südafrikas verurteilter Ex-Präsident Jacob Zuma eine Beteiligung an dem Milliardendiebstahl unter seiner Ägide. Das Schreckensszenario des Blackouts, das in Deutschland wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs trotz Beschwichtigungen der Regierung aufwabert, ist für mich und meine Familie jedenfalls Normalität.
Und wird es laut einer aktuellen Studie wohl noch mindestens zehn Jahre bleiben. Natürlich gehören die Stromausfälle zu den wichtigsten Themen der Opposition – und könnten dazu beitragen, dass der regierende African National Congress (ANC) bei den Wahlen im Jahr 2024 erstmals unter 50 Prozent fällt. Die Partei streubt sich, von wenigen Zugeständnissen abgesehen, gegen die überfällige Privatisierung des Stromsektors.
Dieser Situation begegnet man dann irgendwann wie so manchem, was man nicht ändern kann: mit etwas Wut, einer ordentlichen Prise Zynismus und – bloß nicht zu knapp dosieren – Pragmatismus. Nun muss ich vorwegschicken, dass ich längst nicht so stark betroffen bin wie viele andere in Südafrika. Ich brauche keinen Generator, wie die unzähligen kleinen und großen Unternehmen des Landes, die kleinere bis größere Vermögen für Diesel berappen müssen – im vergangenen Jahr kosteten die Stromausfälle 350.000 Arbeitsplätze und bis zu drei Prozentpunkte Wachstum.
Das mobile Internet funktioniert, wenn auch meist langsamer, in der Regel bei „Loadshedding“, so dass ich am Laptop arbeiten kann. In unserer Wohngegend gibt es auch nicht spürbar mehr Einbrüche, elektrischer Zaun und Alarmanlage haben eine Batterie, anders als die für die Sicherheit wichtigen Straßenbeleuchtungen in den Armenvierteln. Die privaten Krankenhäuser in der Nähe haben ebenfalls ihre Notversorgung gesichert oder werden von Loadshedding verschont – was längst nicht überall in Südafrika der Fall ist.
Aber Lästern tun natürlich alle über diese einzig auf politisches Versagen zurückzuführende Energiekrise. „Eish“-kom nennen wir den überwiegend auf Kohle angewiesenen Stromriesen Eskom hier, weil Eish ein inflationär verwendetes Schimpfwort in Südafrika ist, eigentlich bedeutungsfrei, aber mit befreiender Wirkung. Mal ein Knaller-Gag gefällig? Was hatte Südafrika vor den Kerzen? Strom. Solche Brüller funktionieren hierzulande, schon alleine, weil Elektrizität trotz allem jedes Jahr um 15 Prozent teurer wird.
Nun hat das Land den Vorteil, dass es im Winter nicht so kalt wird wie in Deutschland. Doch das ist zumindest in Johannesburg ein Vorurteil. Dort habe ich während der ersten beiden Jahre gelebt, in einer sehr zugigen, zum Minihaus erweiterten ehemaligen Garage. Dass es ein Fehler war, ausschließlich elektronische Heizgeräte zu kaufen, merkte ich, als bei Minusgraden regelmäßig der Strom ausfiel. Eish.
Ein Berliner Freund war im Juli, inmitten des südafrikanischen Winters, zu Besuch und war am ersten Abend noch deutlich länger und trinkfreudiger als ich durch die Bars meiner Nachbarschaft gezogen. Ich blieb damals – der Strom war mal wieder weg – wie ein Helikopter-Papa wach, bis er zurückgekehrt und mit reichlich Decken versorgt war. Weil ich die ernsthafte Sorge hatte, dass er in meiner Hütte erfriert, wenn er sturzbesoffen auf der Couch einschläft. Schließlich war er nur im T-Shirt unterwegs. Und drinnen war es so kalt wie draußen. Florian lebt.
Inzwischen wohne ich in Kapstadt, wo meine Frau und ich unser Haus einigermaßen loadsheddingfest gemacht. Nicht nur mit Dutzenden Kerzen. In der Küchenlampe ist eine Glühbirne, die sich automatisch auflädt und dann bei Stromausfall ein paar Stunden Licht spendet. Dazu haben wir starke Taschenlampen. Haushaltsgeräte und Computer sind an Überspannungsschutzsteckern (was für ein Wort) angeschlossen – im Bekanntenkreis sind reichlich Fernseher kaputtgegangen, wenn der Strom wieder angestellt wird und mit zu viel Spannung zurückkehrt.
Ab vier Stunden Stromausfall am Tag verzichten wir auf Fleisch und Fisch im Kühlschrank. Es könnte schließlich verderben. Wir sparen auch, wie so manche Familie der Mittelschicht, auf Solarmodule, um die Abhängigkeit vom staatlichen Stromnetz zu reduzieren – was bei Eskom gar nicht mal so gerne gesehen wird. Ein Entwurf für eine neue Tarifstruktur sieht in diesem Fall höhere Gebühren für Niedrigverbraucher vor. Verstehen muss man das nicht.
Von 18 bis 20 Uhr ist die ärgerlichste Zeit. Zumindest mit einem Kleinkind. Da ist es im Winter schon dunkel, die Küchengeräte fehlen und der Aus-Knopf für Kinder – das Fernsehen – noch mehr. Normalerweise darf unser Sohn um die Zeit 30 Minuten lang schauen. Und die Eltern durchatmen. Für Kaffee-Süchtige wie mich nervt auch 14 bis 16 Uhr, ein Zeitfenster, in dem ich mit der ein oder anderen Tasse ins Büro schlurfe. Man lernt dann, dass Espresso-Maschinen so viel Strom ziehen, dass in meinem Stadtteil lange Zeit nur ein Café einen Generator hatte, der stark genug war, um ordentliche Wachmacher zu produzieren. Inzwischen sind es mehr, alternativ bleibt auch die Fahrt ins Nachbarviertel, wo es dann meistens Strom gibt. Für jeden Ort gibt es einen eigenen Zeitplan.
Von der Elite der Loadshedding-Vorbereiter sind wir allerdings weit entfernt. Vor ein paar Tagen belächelte mich eine Freundin, weil wir noch keinen „DC PoE UPS“ hätten, ein Gerät, das den Wifi-Router auch bei Stromausfall betreibt: „Amateur.“ „Hast Du einen Induktionsherd?“ entgegnete ich. „Ja“, sagte sie mit dem Stolz einer Induktionsherd-Besitzerin. „Ha“, triumphierte ich, „wir kochen mit Gas.“ Auf einem Herd, der zwar älter als die schrottigste Eskom-Infrastruktur ist, aber wenigstens rund um die Uhr funktioniert.
Dieses Router-Dings habe ich natürlich trotzdem bestellt.