Christian Putsch

Drei Schwestern gegen Militär und Patriarchat

Christian Putsch
Drei Schwestern gegen Militär und Patriarchat

Während in der Sahelzone ein Putsch nach dem anderen vom Volk durchgewunken wird, erlebt der Sudan einen in der Geschichte fast beispiellos ausdauernden Widerstand gegen die Militärführung. An vorderster Front: drei geschiedene Schwestern. Sie träumen von mehr als Demokratie - von einem selbstbestimmten Leben

Lina Elfakis schärfste Waffe für die Revolution der Frauen ist das Handy. Genauer gesagt ihre WhatsApp-Gruppen. Darin organisiert sie den Widerstand gegen Ungerechtigkeit jeder Art. Gegen die Militärführer. Und gegen das Patriarchat.

In Sudans Hauptstadt Khartum hat Elfaki, 40, einige Berühmtheit erlangt, als sie sich in die Gesetze des konservativen islamischen Landes einarbeitete und die Scheidung von ihrem gewalttätigen Mann innerhalb von zwei Jahren durchsetzte. Das ist Rekord. Über ihr Handy berät Elfaki über 400 Frauen, die sich trennen wollen. Dafür ist meist vor Gericht ein aufwändiges Verfahren nötig, oft dauert es zehn Jahre. Der Mann muss die Trennung laut örtlicher Scharia-Gesetzen einfach nur aussprechen. Dann ist sie vollzogen.

Die Mutter von drei Kindern sitzt auf dem opulenten Sofa ihres Elternhauses in einer der wohlhabenderen Gegenden der Stadt. Neben ihr sitzen ihre jüngeren Schwestern, die Architektin Hatoon, 36, und die Anwältin Hamsa, 30. Alle drei sind geschieden. Und alle drei kämpfen seit Jahren gegen die Militärherrschaft im Sudan, trotzen dem Tränengas der Polizei, sahen Freunde sterben – und gehen weiter auf die Straße. Sie kämpfen für mehr als Demokratie und politischen Wandel. Sie wollen die Trennung von Staat und Religion, das Ende der Scharia-Gesetze. Gleichberechtigung.

Wohl in keinem Land sind politische Umwälzungen so eng mit Frauenrechten verbunden wie im Sudan seit der Revolution im Jahr 2019. Damals waren Frauen bei vielen Protesten gegen das Regime von Umar Al-Baschir in der Mehrheit. Nach dem Sturz des Diktators im Jahr 2019 wurden diese Hoffnungen enttäuscht, als eine Übergangsregierung den Weg zur Demokratie ebnen sollte. Zuerst die auf eine nachhaltige Stärkung der Frauen – das Thema fand kaum Beachtung. Dann die auf politischen Wandel.

Im vergangenen Oktober löste die Armee die Übergangsregierung auf, bei Protesten kamen seitdem nach Angaben einer sudanesischen Ärztevereinigung 94 Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt, Tausende verhaftet. In den vergangenen Wochen war es UN und Afrikanischer Union (AU) gelungen, nach Monaten des Stillstands Zivilisten und Militär zu neuen Verhandlungen zu überreden. Sie sollten am 10. Mai stattfinden, im Vorfeld ließ die Junta sogar Dutzende Häftlinge – darunter hochrangige Politiker – frei, um ihre Verhandlungsposition zu verbessern. Dann aber wurden die Gespräche wieder auf unbestimmte Zeit vertagt.

Die drei Schwestern wollen sich mit dieser schleppenden Entwicklung nicht abfinden. Weder politisch, noch in der eigenen Familie. Sie sind nach ihrer Trennung wieder bei den Eltern eingezogen. Den Vater beschreiben sie als „relativ progressiv“. In der Jugend waren westliche Filme erlaubt, er förderte ihre Karrieren. Aber eine unverheiratete Frau, die alleine lebt? Im Sudan undenkbar.

Lina Elfaki hat wieder geheiratet, sie trägt ein weit geschnittenes islamisches Kleid und Hidschab. Ihre Schwestern aber ziehen meistens Jeans an – schon das gilt im Sudan weiterhin als Akt des sozialen Ungehorsams. Hatoon trägt die Haare manchmal offen. „Dafür wird man als loses Mädchen bestimmt, oder als Kommunistin.“ Immerhin die Peitschenhiebe, die es dafür lange von Ordnungspolizisten gab, werden seit der Revolution nicht mehr vollzogen. Zumindest nicht im urbanen Khartum. Formell sind die Moralgesetze abgeschafft worden, die zuständige Polizeieinheit wurde allerdings nie aufgelöst – und agiert weiterhin ohne Rechenschaft.

Zwei Tage davor im Wohnzimmer von Lina Elfaki. Treff des Widerstandskomitees, in dem die Schwestern aktiv sind. Im Sudan gibt es über 5000 dieser Nachbarschaftsvereinigungen, die seit Jahren die Demonstrationen gegen das Militär organisieren. Und die von vielen Demonstranten als die einzige legitime Vertretung des Volks wahrgenommen werden, nachdem sich die zivile Seite – Parteien, Gewerkschaften und Verbände – oft völlig gespalten präsentieren.

Sieben Frauen nehmen teil, bei Tee und Plätzchen werden erschütternde Erlebnisse geschildert. Hatoon Elfaki erzählt, wie Soldaten bei einer Demonstration im Dezember 13 Frauen vergewaltigten. „Sie wollen die Frauen so dazu zwingen, zu Hause zu bleiben”, sagt sie. Der Geheimdienst verbreitet gezielt Fotos von „unislamisch gekleideten“ Frauen bei Kundgebungen und brandmarkt sie als Schande.

Die Brutalität, mit der das Militär gegen Frauen vorgeht, zeigt Wirkung. Auch auf die Eltern der Elfakis. Besonders den Vater, der sich um die Töchter sorgt und sie oft nur zu den Demonstrationen lässt, weil sie behaupten, sie müssten Einkäufe erledigen. Aber auch innerhalb der Widerstandskomitees.  „Einige der Männer sagen uns, wir sollen in die hinteren Reihen zurücktreten“, sagt Hatoon Elfaki. Eine Forderung, die sie empört ablehnt.

Die Elfaki-Schwestern gehören zu den aktivsten Mitgliedern. Sie organisieren Kundgebungen in „inaktiven Nachbarschaften“, von denen bekannt ist, dass sich ihre Bewohner nicht gegen das Regime auflehnen. Es setzt dabei Beschimpfungen, vor allem im traditioneller geprägten Norden Khartums. Auch Verhaftungen drohen, die Aktivistinnen haben Dutzende Demonstranten durch Checkpoints geschmuggelt, Soldaten zerstachen dabei die Reifen von Linas Auto. Früher konnte man das umgehen, irgendeiner kannte den örtlichen Polizisten.

Für die Elfakis sind die Widerstandskomitees die größte Hoffnung, dass sich etwas ändert. In der Gesellschaft. In ihrem Leben. Besonders Lina Elfaki hat während ihrer Scheidung erfahren, wie sehr das Gesetz auf der Seite der Männer ist. Zweimal hatte sie Anträge ihres Ex-Mannes abgelehnt, bis der ihr nach Hause folgte, auf den Vater einredete. Vater und Tochter willigten schließlich in die Ehe ein, aus der drei Kinder und einige Gewalt hervorgingen. Als er auch die Hand gegen den dreijährigen Sohn hob, war das Maß des Erträglichen für die Mutter erreicht. Sie packte seine Sachen, schmiss ihn raus. Eine Strafverfolgung? Aussichtslos, Gewalt in der Familie kommt im Sudan fast nie zur Verhandlung.

Auch bei Scheidungen sind die Gesetze einseitig. Töchter von Geschiedenen bleiben automatisch bis zum neunten Lebensjahr bei der Mutter, Söhne bis zum siebten. Doch wenn sie eine neue Beziehung eingeht, kann der Ex-Mann die Vormundschaft einklagen – ein Mädchen darf nicht bei einem fremden Mann aufwachsen.

Lina Elfaki kann nicht einmal Dokumente für ihre Kinder beantragen. Ihr Ex hat die Geburtsurkunden und Pässe einbehalten, neue können nur von ihm beantragt werden. Diese sind aber schon für die Kindergartenregistrierung nötig – der Familie blieb keine Wahl, sie löste das Problem mit Bestechung der zuständigen Mitarbeiter.

Die Scheidungen ihrer Schwestern liefen glimpflicher ab. Die von Hatoon scheiterte, als die Ehedokumente zwischen den beiden Familien zwar schon unterschrieben waren, aber die finale Zeremonie noch ausstand – das erleichterte die Trennung. Hamsa war für ihren Mann, ein Cousin, nach Katar gezogen, bekam ein Kind. Ihr Partner aber hatte Probleme, die versprochene Treue einzuhalten. Und willigte nach einigem Zögern in die Scheidung ein.

Hamsas Mutter drängt bis heute ihre Tochter darauf, dass sie an der Ehe festhalten soll. Doch Hamsa kam in den Sudan zurück, fast zeitgleich mit Beginn der Revolution im Jahr 2019 – Monate voller Blut, aber auch der Hoffnung. Für das Land, für sie persönlich. Doch die Stigmatisierung, der im Sudan fast alle getrennten Frauen ausgesetzt sind, erleben sie weiter. Als Frauen seien sie Bürger zweiter Klasse.

Die Feministin Hala Alkarib, Direktorin des Aktivistinnen-Netzwerks „Strategic Initiative for Women in the Horn of Africa“ (SIHA) glaubt, dass sich an dieser Frage die Zukunft des Sudans entscheiden wird. „Die Übergangsregierung sah keinen Wert darin, den rechtlichen Rahmen für Frauen zu ändern“, sagt sie, „auch deshalb hat sie das Vertrauen der Gesellschaft, der Frauen verloren.“ Es sei viel geredet worden – implementiert habe man aber nur wenig.

Die sudanesischen Generäle bemühen sich in diesen Tagen redlich, die Fortschritte der Revolution einzureißen. Das Erbrecht sieht weiter vor, dass Frauen beim Tod ihres Mannes maximal ein Viertel des Besitzes erben können. Islamisten aus der Baschir-Ära werden wieder in einflussreiche Posten gehievt, von einem Abbau der Scharia-Gesetzgebung ist keine Rede mehr. Alkarib aber glaubt nicht, dass sich die immerhin allmähliche Entwicklung der vergangenen Jahre rückgängig machen lässt. „Frauen sehen diesen Kampf als existenziell an“, sagt sie, „und das macht mir Hoffnung.“

Für die Schwestern ist er das wirklich. Neulich zogen sie wieder auf die Straße. In Hosen, in der ersten Reihe der Demonstranten. Wie immer. Die Polizei schoss einmal mehr mit scharfer Munition, zwei Menschen starben. Nicht genug für einen internationalen Aufschrei, aber womöglich ausreichend zur Einschüchterung.

Das Kalkül geht nicht auf. „Wir machen weiter“, sagt Hatoon, „bis dieser Kampf gewonnen ist.“ Egal, was passiere.