Zündstoff Getreide
Die Folgen des Ukraine-Krieges zeigen sich inzwischen auch deutlich in Afrika – in den Bäckereien. Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit wichtigsten Getreideexporteuren. Die nun steigenden Brotpreise sind sozialer Sprengstoff. Nicht nur hier
Omdurman – Ein schmuckloser Bau an einer belebten Straße der sudanesischen Großstadt Omdurman, durch ein Fenster in einem Stahltor reicht der Bäcker Mohamed Aziz sein Brot an die Kundschaft. Eigentlich müsse er den Laden dichtmachen, sagt der 43-Jährige. Sein Brot verkaufe er quasi zum Produktionspreis.
Schon im Jahr vor dem Krieg in der Ukraine hatten sich die Brotpreise im Sudan verdoppelt. Die Inflation, zudem strich die Militärregierung die Subventionen. Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine muss Aziz in einigen Tagen die Preise um weitere 20 Prozent anheben. In seinem Land stammen zwei Drittel des Getreides aus Russland und der Ukraine. Die Krise am Schwarzen Meer sorgt international für massiv steigende Preise – schon alleine, weil viele Versicherungen keine Transporte mehr aus der Kriegsregion absichern.
Seit Generationen betreibt Aziz’ Familie die kleine Bäckerei. Die Menschen stehen geduldig an. Der Bäcker sagt, er verkaufe seine Waren deutlich billiger als die Konkurrenz. „Wir wissen ja, wie knapp das Geld ist“, sagt er. Sein Handwerk sei auch ein wenig patriotische Pflicht. An der geplanten Preiserhöhung aber führe kein Weg vorbei.
Den Sudan trifft der höhere Getreidepreis besonders hart. Er verstärkt die Wut der Menschen, die sich mutig mehrmals wöchentlich zu Massendemonstrationen versammeln, seit das Militär im vergangenen Oktober die Übergangsregierung und damit die ersehnte Transition zur Demokratie eingerissen hat. 87 Menschen wurden seitdem von den Sicherheitskräften getötet.
Brotverkäufer Aziz hat miterlebt, wie steigende Brotpreise schon im Jahr 2018 Proteste angekurbelt hatten, die letztlich den Langzeitdiktator Umar al-Baschir zu Fall brachten. Brot ist hier mehr als Grundnahrungsmittel, es ist Teil der nationalen Identität. So mancher Bürger behauptet gar, dass es einst im Sudan erfunden wurde – und nicht wie allgemein angenommen im benachbarten Ägypten.
Die gestiegenen Kosten waren nicht die Ursache für die Revolution, zählten aber doch zu den Auslösern. Wie so oft in der Geschichte. Auch der Arabische Frühling begann im Jahr 2010 in Tunesien mit Protesten gegen die Brotpreise, die sich innerhalb eines Jahres verdoppelt hatten. Schon damals spielten Lieferengpässe aus Russland eine Rolle. Bei Großfeuern waren dort erhebliche Teile der Ernte zerstört worden, Moskau reagierte mit einem teilweisen Exportverbot.
Wissenschaftler haben berechnet, dass schon ein zehnprozentiger Anstieg der Nahrungsmittelpreise die Wahrscheinlichkeit für politische Unruhen in Afrika um 39 Prozent erhöht. Auf keinem anderen Kontinent müssen die Menschen einen so hohen Prozentsatz ihres Einkommens dafür ausgeben – in einigen Ländern ist es fast die Hälfte. Und ein Großteil des Nahrungsmittelbedarfs in Afrika wird durch Getreide abgedeckt. Zudem bezog das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr rund 900.000 Tonnen Getreide aus der Ukraine und Russland und muss bei der Bewältigung humanitärer Krisen verstärkt mit Engpässen rechnen.
Vor der Bäckerei sind die Auswirkungen des Krieges Gesprächsthema. Der Marktverkäufer Mohamed Salih verdient 3000 Sudanesische Pfund am Tag, umgerechnet fünf Euro. Ein kleines Brot kostet inzwischen 30 Sudanesische Pfund (sechs Euro-Cent), für seine Großfamilie kauft er oft ein Dutzend am Tag. Vor einigen Jahren habe er nur ein Fünftel des aktuellen Preises bezahlt, erzählt er. „Wir kämpfen seit Jahren mit aller Kraft gegen die Regierung, aber das Leben wird immer schwieriger“, sagt der 21-Jährige, „ich hoffe, dass es wegen der Situation in der Ukraine nicht noch schlimmer wird.“
Auch Mahadi Youssif ist voller Sorge. Der 63-Jährige arbeitet in der Immobilienbranche, verdient gut. „Ich persönlich werde mir das Brot weiter leisten können, aber ich habe Angst, dass die Sicherheitslage außer Kontrolle gerät“, sagt er. Noch gehe es, aber bei einer erneuten Verdoppelung des Brotpreises gehe es „für 80 Prozent der Leute um die Existenz“. Das werde einen „destruktiven Effekt“ auf das ganze Land haben – und natürlich auch auf ihn.
Bei Demonstrationen gegen die sudanesischen Militärherrscher in der Hauptstadt Khartoum werden in diesen Tagen auch zahlreiche Solidaritätsplakate für die Ukraine gezeigt. Ein deutlicher Kontrast zur Haltung der Generäle. Der Sudan zählte zu den Ländern, die sich Anfang März bei der UN-Resolution gegen Russland enthielten. Kein Wunder: Das Militär treibt Verhandlungen mit Russland voran, das seit Jahren eine Militärbasis in der strategisch wichtigen Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer errichten will.
Und der zweitmächtigste Militärführer des Sudans, der ehemalige Kriegsfürst Muhammad Hamdan Daglo, plündert seit Jahren im Verbund mit russischen Wagner-Söldner die lukrativen Goldminen des Landes. Nur einen Tag vor der russischen Invasion in die Ukraine war Daglo, genannt Hemeti, in Moskau von hochrangigen Kreml-Mitarbeitern empfangen worden. Wirtschaftsbeziehungen, hieß es offiziell. Tatsächlich aber halten sich in Khartoum die Gerüchte, dass er die Ablösung des Militärchefs Abdel Fattah Burhan an der Staatsspitze anstrebt. Und sich dafür die Genehmigung aus Moskau einholen wollte.
Besuch bei Professor Siddig Tawer Kafi. Er gehörte zu den elf Mitgliedern des im Oktober vom Militär aufgelösten „Souveränen Rates“, der die Übergangsphase zur Demokratie leiten sollte. Seit Jahren, erzählt er bei Kaffee und Plätzchen, versuche Russland die Politik des Sudans zu kontrollieren. So habe Moskau Al-Baschir in seinen letzten Tagen an der Macht um finanzielle Hilfe gebeten, um die landesweiten Proteste unterdrücken zu können. Sein Diktatorenkollege Wladimir Putin stimmte zu – und bekam im Gegenzug die Militärbasis sowie einen großzügigen Anteil an Sudans Gold, das ihm derzeit bei der Finanzierung seines Krieges hilft.
„Nach Baschirs Sturz hat das Militär Anfang des Jahres 2021 diese Verträge neu eingesetzt, obwohl das nur mit Zustimmung der zivilen Seite hätte geschehen dürfen“, sagt Kafi. Den „Vereinigten Arabischen Emirate“ habe das Militär 1,5 Millionen Hektar Agrarfläche für 100 Jahre verpachtet, „die haben quasi unser Land verscherbelt“. Die Zivilisten im „Souveränen Rat“ hätten laut Zeitplan im November die Mehrheit vom Militär übernommen – und diesem Treiben wohl ein Ende bereitet. „Das Militär hat kurz davor geputscht, um das zu verhindern“, sagt Kafi, „sie konnten unsere Existenz nicht ertragen.“ Wie es weitergehe? Der studierte Physiker zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass die Menschen nicht aufgeben.“
Das gilt auch für Bäcker Aziz. „Das könnte alles in einer Katastrophe enden, aber wir dürfen nicht aufgeben“, sagt er. Einige seiner Kollegen haben angefangen, heimlich das Gewicht des Brotes zu reduzieren und die Preise mehr als nötig erhöht. Für ihn kommt das nicht in Frage. Brot wird im Sudan „Aish“ genannt, was auch Leben bedeutet. Und das, sagt Aziz, gelte es zu respektieren.