Sudans junge Ehrenamtler der Demokratie
Erstmals seit dem Jahr 1985 reist ein deutscher Bundespräsident in den Sudan. Frank-Walter Steinmeier wird dort die neuen Mächtigen treffen – und junge Freiwillige, ohne die Sudans Ministerien kaum funktionsfähig wären. Sie arbeiten für die erfolgreiche Einführung der Demokratie. Unentgeltlich.
Eigentlich hatte Samah Jamous, 29, jahrelang auf ein Auto gespart. Bis in die Abendstunden hatte die Zahnärztin in einer privaten Praxis der sudanesischen Hauptstadt Khartum gearbeitet, umgerechnet bis zu 900 Euro monatlich verdient. Ein sehr gutes Gehalt. Dann aber kam im vergangenen Jahr die Revolution, die Entmachtung von Diktator Omar al-Baschir. Später das Einverständnis des Militärs, die Zivilbevölkerung an der Regierung zu beteiligen und binnen drei Jahren die Macht ganz abzugeben. Da wusste Jamous: Jetzt gibt es Wichtigeres zu reparieren als Zähne. Jetzt entscheidet sich die Zukunft meiner Heimat.
Schon während der monatelangen Proteste war sie eine der auffälligsten Stimmen des Volks gewesen. Fast täglich ging sie auf die Straßen, organisierte über die sozialen Netzwerke Proteste. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan fördert sie in seinem „Young Leadership Programme“, mit dem junge Aktivisten die nötigen Fähigkeiten für künftige Führungsrollen in Politik und Zivilgesellschaft lernen. Das „Time“-Magazin berichtete über sie, im Oktober 2019 erzählte Jamous vor den Vereinten Nationen in New York von den Fortschritten und Problemen in ihrem Land.
In dieser Woche ist nun auch ein Treffen mit dem obersten Repräsentanten Deutschlands vorgesehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird am Donnerstag im Sudan erwartet, es ist nach Kenia die zweite Station seiner Afrika-Reise. Er wolle sich „einen Eindruck von dem politischen und gesellschaftlichen Neuanfang nach den Jahrzehnten der Diktatur verschaffen“, teilte sein Büro im Vorfeld des ersten Besuchs eines deutschen Bundespräsidenten im Sudan seit 1985 mit.
Das ist ein weiteres wichtiges Signal der Annäherung. Erst Mitte Februar hatte der Bundestag nach über 30 Jahren die Wiederaufnahme der bilateralen Zusammenarbeit mit dem Sudan beschlossen. 80 Millionen Euro sollen in Ausbildung, Landwirtschaft, Energie sowie die Förderung von Jugend und Frauen fließen. „Wir sind vorbereitet, und wir starten sofort“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) der „Deutschen Presse-Agentur“ im Vorfeld der Steinmeier-Reise.
Das für die Stabilität Ostafrikas so wichtige Sudan hat Hilfe dringend nötig. Noch immer gibt es blutige Zwischenfälle mit Teilen des Militärs, das von al-Baschir einst bewusst fragmentiert worden war, um die Gefahr eines Umsturzes zu minimieren. Auch das Volk wird ungeduldig angesichts des als langsam wahrgenommenen Wandels. Der Sudan kämpft zudem seit Jahren vehement dafür, von der US-Liste der Terror unterstützenden Länder gestrichen zu werden – die Voraussetzung für Hilfspakete des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.
Seit den neunziger Jahren, als Al-Qaida-Gründer Osama bin Laden zweitweise im Sudan lebte, wird die Nation auf dieser Liste geführt. Die zuletzt signalisierte Bereitschaft der Regierung, den entmachteten al-Baschir an das Weltstrafgericht in Den Haag auszuliefern sowie die Ankündigung, Familien von US-amerikanischen Terroropfern zu entschädigen, sollen für eine Streichung den Weg ebnen. Zuletzt hatte UN-Generalsekretär Antonio Guterres an Washington appelliert, dem Gesuch aus Khartum nachzukommen. Die USA „erwägen“ das nach Angaben von Verteidigungsminister Mike Pompeo.
Steinmeier wird die neuen Mächtigen des Sudans treffen, darunter den Premierminister Abdalla Hamdok, in den die internationale Gemeinschaft große Hoffnung setzt. Dazu den General Abdel Fattah Abdelrahman Burhan, der dem mächtigsten Organ des Landes, dem Souveränitätsrat vorsteht und dort die Interessen des mächtigen Militärs vertritt. Und eben junge Leute wie Jamous, die auch nach der Revolution das Rückgrat des sudanesischen Aufbruchs bilden.
Seit über vier Monaten arbeitet die junge Frau nun ehrenamtlich im Jugend- und Sportministerium, lebt wie viele andere junge Freiwillige in der neuen Administration von ihren Ersparnissen. Täglich arbeitet sie an neuen Programmen für die Schüler, versucht als Bindeglied zu Hilfsorganisationen und Parteien die Strukturen für eine bessere Zukunft aufzubauen. Derzeit konzipiert sie eine siebenwöchige „Friedenstour“ durch das Land, um auch die Menschen in den entlegensten Regionen an den Reformen zu beteiligen.
In allen Ministerien des hochverschuldeten Sudans findet man bis in hohe Ebenen gut qualifizierte Freiwillige wie die studierte Zahnärztin. Kostenlos, in dem festen Bestreben, diese fragile Transformation zu einem Erfolg zu machen. Eine enorme Aufgabe: Die Inflation wirkt erdrückend, es mangelt an Benzin, Devisen und kostengünstigem Brot. Selbst Minister verdienen weniger als 300 Euro. Unterkunft und Auto kommen obendrauf, doch vom Prinzip können es sich nur Menschen aus wohlhabenden Familien leisten, sich für ein solches Amt in Position zu bringen. Ein Problem für die Vielfalt an der Spitze des Staates.
Irgendwie würden die Ministerien wohl auch ohne die Freiwilligen funktionieren. „Aber längst nicht so gut “, sagt die junge Aktivistin im Telefon-Interview, „und es würde der Elan der Jugend fehlen.“ Alleine in ihrem Ministerium gibt es 30 junge Helfer ohne Gehalt. Derzeit wird ein Konzept erarbeitet, das für einige von ihnen immerhin knapp 30 Euro Monatsgehalt vorsieht. Mittelfristig wird der Sudan von kostenlosen Helfern wie ihr abhängen.
Jamous kann nur deshalb in diesem Umfang mithelfen, weil sie noch keine Kinder zu ernähren hat. „Es war eine große und schwierige Entscheidung“, sagt Jamous zu ihrer Kündigung als Zahnärztin. Die Mutter unterstützte sie sofort, doch der Vater diskutierte lange mit ihr. Fünf Jahre hatte sie studiert, wollte sie jetzt wirklich umsonst arbeiten? Ohnehin gab es seit Beginn der Revolution so manche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Jamous nennt ihren Vater einen „gemäßigten Islamist“. Er will, dass der Islam auch in Zukunft Grundlage der Gesetzgebung bleibt. Sie pocht, wie viele junge Revolutionäre, auf eine weitgehende Trennung von Staat und Religion. „Du bist eine Kommunistin“, vermutete der Vater. „Ich will das Sudan, von dem ich träume“, entgegnete die Tochter.
Auch ihr Vater unterstützte sie schließlich. Jamous findet, dass ihr Weg kaum der Rede wert sei. Was habe sie schon geleistet? Ein Freund wurde im vergangenen Juni erschossen, viele weitere verletzt. „Im Vergleich zu ihnen“, sagt die junge Frau, „bringe ich ein sehr geringes Opfer.“