Sudans Frauen und die halbe Revolution
Der Sudan gehört zu den Ländern mit den geringsten Frauenrechten weltweit. Auch deshalb riskierten viele bei der Revolution ihr Leben. Nach dem Ende der Militärherrschaft gibt es auf den ersten Blick mehr Freiheit. Doch es macht sich auch Ernüchterung breit
Von Christian Putsch, Khartum
Das Hollandrad hatte bislang eher selten Symbolstatus bei einer Revolution. Für Enass Muzamel aber ist dieser Drahtesel genau das: ihr persönliches Symbol des Wandels im Sudan. Bis zu 70 Prozent der Demonstranten, die mit monatelangen Protesten das Ende der konservativ-islamischen Diktatur von Omar al-Bashir erzwungen haben, waren Frauen. Sie kämpften für die Einführung der Demokratie, aber auch für gleiche Rechte.
Und für Muzamel zählt dazu, ohne wütende Kommentare von Männern Fahrrad fahren zu können. Gesetzlich darf sie das, aber der Sport wird von vielen Imamen im Sudan als unislamisch angesehen – wegen der Notwendigkeit der geeigneten Kleidung, aber auch schlicht, weil Frauen in der Öffentlichkeit kein Aufsehen erregen sollen. Im Iran ist Frauen das Fahrradfahren ganz verboten, in Saudi-Arabien wurde ein ähnliches Dekret erst vor einigen Jahren aufgehoben.
Wie jeden Mittwochnachmittag stehen Muzamel, 31, und einige Freundinnen mit ihren Rädern in einem Park der Hauptstadt Khartum, das bis vor wenigen Monaten noch den Mitgliedern von al-Bashirs Partei vorbehalten war. Von hier aus brechen sie zu kurzen Touren auf. „Ich sage den Mädchen immer, sie sollen sich nicht aufreizend kleiden“, sagt Muzamel, „dass Frauen Fahrrad fahren, soll erst einmal das einzige Ungewöhnliche sein, was den Leuten auffällt.“ Der Wandel in der Gesellschaft brauche Zeit, sagt die Gründerin der Gruppe vorsichtig. Es helfe ja nicht, respektlos zu erscheinen.
Seit der Revolution im Sudan fordern viele Frauen des arabisch geprägten Landes mit Nachdruck Gleichberechtigung. Schließlich waren viele Gesichter des friedlichen Aufstands weiblich. So wurde die 22 Jahre alte Architekturstudentin Alaa Salah, wenngleich in der Zivilgesellschaft wenig aktiv, zur Ikone der Proteste. Auf einem weltweit über die sozialen Netzwerke verbreiteten Foto ist zu sehen, wie Salah auf einem Autodach steht, gekleidet im „Thawb“, einem traditionellen weißen Gewand. Den rechten Zeigefinger mahnend gen Himmel gereckt liest die Studentin vor Hunderten Demonstranten ein „Revolutionsgedicht“. Frauen waren bei den Protesten oft in vorderster Reihe, auch in der Hoffnung, dass dies die regimenahen Milizen davon abhalten würde, die Revolution blutig zu zerschlagen. Nicht immer erfüllte sich diese Erwartung. „Brecht den Widerstand der Mädchen“, wies einer der Generäle seine Soldaten an, „damit brecht ihr auch die Männer.“ Unter den Hunderten Getöteten waren am Ende auch einige Frauen.
Der Sudan ist eines der Länder mit den restriktivsten Frauenrechten weltweit. Jedes dritte Mädchen heiratet vor dem 18. Lebensjahr, rechtlich ist das sogar ab zehn Jahren möglich. Will eine Frau arbeiten, ist dafür die Erlaubnis des Mannes nötig. Will sie sich scheiden lassen, ist dafür vor Gericht ein aufwändiges Verfahren nötig. Der Mann muss es dagegen einfach nur sagen, und die Trennung ist vollzogen. Stirbt er, kann sie maximal ein Viertel seines Besitzes erben. Der Rest geht an seine Familie.
In einer Studie der „Thomson Reuters Stiftung“ von November 2018 zu Frauenrechten landete der Sudan auf Rang 17 der 22 untersuchten arabischen Nationen. Schlagartig kann die Missstände auch ein politischer Umsturz nicht verändern. „Aber die neue Regierung wird viele Einschränkungen aus der Al-Bashir-Ära aufheben“, sagt der Menschenrechtsanwalt Ahmed el-Mofty. Sudan sei derzeit einer von nur sechs Staaten weltweit, der die „UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ nicht unterzeichnet habe. „Ich denke, das wird nun sehr bald nachgeholt“, so der Anwalt.
Unter einer Brücke stehen die beiden Kunststudentinnen Safa al-Jail und Islam Hassbsido und malen ihre Freiheit an die Wand – bunte Gemälde, so divers und zukunftsgewandt, wie sie sich ihre Heimat künftig vorstellen. Botschaften, die den Druck auf die neuen Mächtigen, den demokratischen Wandel voranzutreiben, aufrechterhalten sollen. Seit einigen Monaten haben sie das Kopftuch abgelegt, trauen sich auch, recht enge Hosen zu tragen. „Darüber will nur ich entscheiden“, sagt al-Jail, „und niemand wird uns davon abhalten.“
Die Gesetze der öffentlichen Ordnung, die dafür hohe Geldstrafen und sogar Auspeitschen vorsahen, werden seit dem Umsturz in der Praxis nicht mehr durchgesetzt. Auch die Vorschrift, die Frauen das Reisen ohne Erlaubnis des Ehemannes verbietet, wird derzeit von der Polizei nicht kontrolliert.
Ein paar Meter weiter offenbart sich, dass der gesellschaftliche Wandel ein wenig länger dauern wird als der politische. Dort malt al-Jails Kommilitone Mazin Salih, ein Straßenkünstler der ersten Stunde, an einem Kunstwerk – ein Arm des Volkes, der Ketten der Unterdrückung zersprengt. Autofahrer hupen zustimmend, einige halten an und spenden für den Kauf der Farben. Die Kunst war wichtig für den Umsturz, besonders, als das Militärregime wochenlang das Internet ausgestellt hatte.
„Natürlich sollen Frauen selbst entscheiden, wie sie ihre Religion ausüben“, sagt der 26-Jährige zunächst. Wie es denn um die eigene Freundin bestellt sei? Salih zögert. „Ich habe im Moment keine, aber wenn ich eine hätte, würde ich von ihr erwarten, dass sie ihre Haare bedeckt.“ Was wenn sie sich weigert? „Ich würde mit ihr reden.“ Was wenn sie sich immer noch weigert? „Ich würde weiter mit ihr reden, bis sie ihre Meinung ändert.“
Auf einem Kunstrasenplatz bereiten sich 20 junge Frauen in trockener Nachmittagshitze auf ein Fußballturnier vor, dessen beste Spielerinnen erstmals seit Jahrzehnten ein Nationalteam formen sollen. Viele von ihnen sind Vorreiterinnen der Frauenbewegung, die sich schon unter al-Bashir schrittweise zumindest einige Freiheiten erkämpft hat. Vor ein paar Jahren hörten die Verhaftungen durch die Polizei auf. Dann bekamen sie ihren eigenen Platz zugeordnet, mussten nicht mehr heimlich auf abgelegenen Dörfern spielen. Zuletzt setzten sie sogar durch, dass die größten Fußballvereine Frauenmannschaften aufbauen. „Mit der Revolution ist es für uns ein wenig leichter geworden“, sagt Teamleiterin Duriya Tagi Khamees, „aber es ist ein langsamer Prozess.“
Euphorie klingt anders. Sie ist vor allem auf politischer Ebene gewichen. Seit Anfang September lenkt nun die neue zivile Übergangsregierung die Geschicke des Landes bis zu den Wahlen in drei Jahren. Der Premierminister Abdalla Hamdok berief nur vier Frauen in sein 18-köpfiges Kabinett. Im obersten Staatsorgan, dem Souveränen Rat, sind es nur zwei von elf. Auch in der „Sudanese Professionals Association“ (SPA), die sowohl bei den Protesten als auch bei den Verhandlungen zur anstehenden demokratischen Transformation die Strippen zog, findet man kaum Frauen an der Spitze.
„Natürlich gab es große Enttäuschung von feministischen Gruppen, Frauen hatten schließlich großen Anteil an der Revolution“, sagt Mohammed Naji al-Assam, einer der SPA-Anführer, „aber sie hatten lange nur begrenzten Zugang zum politischen Leben und der Möglichkeit, in Führungspositionen Erfahrungen zu sammeln.“ Man könne das alles nicht von einem Tag auf den anderen rückgängig machen, indem man die Posten zu gleichen Teilen aufteile. Allerdings würden Frauen 40 Prozent der Sitze im derzeit geformten Parlament bekommen.
Weam Shawgi, eine der prominentesten Frauenrechtlerinnen des Sudans, kann daran nicht so recht glauben. „Schon unter al-Bashir wurde uns mehr Posten im Parlament versprochen, am Ende ist nichts passiert“, sagt die 28-jährige Gründerin eines Cafés für Unternehmerinnen, „ich habe Sorge, dass es wieder so kommt. Uns werden im politischen Raum die Möglichkeiten verweigert, Erfahrung zu sammeln.“
Männer würden ihre Vormachtstellung in Familie und Gesellschaft gefährdet sehen – und noch immer gebe es zu viele Frauen, die vor klarer Kritik zurückschrecken würden. Immerhin habe es erstmals im größeren Stil Frauen in Khartum gegeben, die sich nach Vergewaltigungen trauten, zum Arzt zu gehen. Die Krankenhäuser registrierten 75 Fälle. Ein Tabubruch. Normalerweise wird über dieses Verbrechen nicht gesprochen.
Auch Philipp Jahn, der Leiter der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan, ist skeptisch. Zwar habe die Revolution Frauen aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft vereint, viele Töchter hätten sich zudem vom Einfluss ihrer teilweise islamistischen Väter gelöst. Doch emanzipierte Frauen seien vorwiegend in der Mittelschicht zu finden. Weniger Bewegung beobachtet Jahn in ärmeren Bevölkerungsschichten: „Traditionelle Rollenbilder in der Periphere des Landes werden sich nicht ändern, nur weil ein Gesetz geändert wird.“
Das zeigt sich bei den „Tea Ladies“. Als Afaf Ibrahim vor fünf Jahren von ihrem Mann verlassen wurde, ließ er sie und die gemeinsamen vier Kinder mittellos zurück. Die 45-Jährige verkauft Tee am Straßenrand, wie Zehntausende Frauen. Das alte Regime diskreditierte diese Berufsgruppe als Prostituierte, schikanierte sie mit immer neuen Verboten. Besonders während der Revolution, als Ibrahims Stand direkt am Nil war Treffpunkt von Drahtziehern der Revolution war. Sie ließ sich auch nicht abschrecken, als andere Tea Ladies vergewaltigt und getötet wurden. Oder als die Polizei ihre komplette Ausrüstung stahl.
Von gleichen Rechten wie für Männer will sie gar nicht erst träumen. Erst einmal geht es einfach ums Überleben. Sie erwartet nicht viel von der neuen Regierung. Vielleicht einen Ersatz für die 24 zerstörten Plastikstühle. Genug Stabilität, um ungestört zu arbeiten in ihrem Land, das sie trotz allem so sehr liebt. Vor allem aber eines – Respekt: „Ich will nicht mehr wie Müll behandelt werden.“