Baerbocks Werben um Putins Freunde
Während die USA enormen Druck auf Südafrika ausüben, versucht die deutsche Außenministerin das wichtigste Land des Kontinents mit subtileren Tönen aus dem Dunstkreis Russlands zu lösen. Eine wirkliche Kehrtwende der ANC-Regierung aber ist auch nach dem Baerbock-Besuch nicht in Sicht
Für ihre Botschaft an Südafrika zum Ukraine-Krieg wählte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den Exkurs zu einem eher unrühmlichen Kapitel deutscher Geschichte. Weit deutlicher als ihre Vorgänger bei vergleichbaren Anlässen thematisierte sie nach einem Gespräch mit ihrer Amtskollegin Naledi Pandor in Pretoria die historische Rolle Deutschlands während des Anti-Apartheid-Kampfes.
Damals wurden noch nach einem UN-Waffenembargo im Jahr 1977 deutsche Waffen nach Südafrika geliefert – und so mancher Konzern baute trotz Sanktionen noch bis Ende der 1980er Jahre den Handel in einigen Branchen aus. „Westdeutschland stand nicht klar auf der richtigen Seite der Geschichte“, sagte Baerbock. Aus heutiger sei das „unverständlich, sehr unglaublich“.
Zwischen den Zeilen des berechtigten Eingeständnisses schwang mit: Überlegt Euch gut, auf welcher Seite der Geschichte ihr in diesen Tagen stehen wollt. Südafrika hatte aus Sicht des Westens zuletzt sein angebliches Terrain der Neutralität im Ukraine-Krieg verlassen, und das nicht nur mit zahlreichen pro-russischen Äußerungen hochrangiger Politiker des regierenden „African National Congress“ (ANC).
Die USA hatten ihre strategische Partnerschaft mit Südafrika zuletzt offen infrage gestellt, nachdem es gemeinsame Militärübungen von Russland und Südafrika gab, hochrangige Generäle und ANC-Politiker Moskau besuchten, und Südafrika trotz eines Haftbefehls des Weltstrafgerichts (ICC) an seiner Einladung von Wladimir Putin für den Gipfel der BRICS-Staaten Ende August festhielt.
Wohl ganz bewusst provozierten die USA zudem mit dem unbelegten Vorwurf von südafrikanischen Waffenlieferungen an Russland einen diplomatischen Eklat. Ein letzter Warnschuss: Im Jahr 2025 läuft der „African Growth and Opportunity Act” (AGOA) aus, der vielen südafrikanischen Produkten zollfreien Zugang zum US-Markt gewährt. Im US-Kongress werden die Rufe immer lauter, mit Südafrika nicht zu verlängern, was auch Auswirkungen für die deutschen Autohersteller im Land hätte.
Baerbocks Diplomatie mit Südafrika kommt weniger mit dem Vorschlaghammer daher. Derzeit bemühen sich eine ganze Reihe europäischer Länder darum, die Beziehungen mit Südafrika wieder etwas aufzupolieren. Die haben nicht nur wegen Russland gelitten. In Pretoria hat man das unmoralische Horten von Impfstoffen durch die Industrienationen während der Pandemie nicht vergessen. Man fordert auch, durchaus nachvollziehbar, Reformen der UN, einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat, die G20-Mitgliedschaft für die Afrikanische Union.
Baerbock sicherte Unterstützung zu. Aber natürlich ging es ihr vorrangig darum, den Kreml-freundlichen Kurs des Landes aufzuweichen. In den vergangenen zehn Tagen waren bereits die Premierminister Dänemarks und der Niederlande vorstellig geworden, dazu die Außenministerin Frankreichs. Man gibt sich fast die Klinke in die Hand.
Konsequent duzte Baerbock die „liebe Naledi“, die „oft erfolgreichen“ südafrikanische Friedensinitiativen auf dem Kontinent – wie zuletzt im äthiopischen Tigray-Konflikt, wo man als Vermittler zahlreiche Menschenleben gerettet habe. Südafrika sei in dieser Hinsicht regelrecht ein „leuchtendes Vorbild“, mit gemeinsamen Werten mit Deutschland, das für den Ausbau grüner Energie 1,2 Milliarden Euro versprochen hat (geflossen sind erst 300 Millionen Euro) und dessen Unternehmen über 100.000 Arbeitsplätze in Südafrika geschaffen hätten. „Eine derartige Partnerschaft zwischen Demokratien ist verlässlicher als es eine Partnerschaft mit Autokraten je sein kann, deren Macht auf Eigennutz und Gewalt basiert“, sagte Baerbock. Klar, wer gemeint war.
So wirklich ließ sich die erfahrene Pandor, die schon vor knapp 30 Jahren während der Präsidentschaft Nelson Mandelas Abgeordnete war, aber dann doch nicht umgarnen. Es gebe keine Verlautbarung ihrer Regierung, die auf eine Parteinahme für Russland schließen lasse, behauptete sie – die neutrale südafrikanische Haltung sei vielmehr die Voraussetzung für die jüngsten Vermittlungsversuche afrikanischer Präsidenten in der Ukraine und Russland. Denn: „Es ist nicht leicht, mit Feinden zu verhandeln.“ Sie hat Russland in den vergangenen Monaten wiederholt als „Freund“ bezeichnet.
Ob Südafrika trotz des ICC-Haftbefehls an der Einladung Putins zum BRICS-Gipfel festhalte, wurde Pandor gefragt. Südafrikanische Medien hatten berichtet, der Despot habe einer Bitte von Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa zugestimmt, doch bitte fernzubleiben und seinen Außenminister Sergej Lawrow zu schicken. „Ich habe noch keine Antwort von Putin auf unsere Einladung gesehen“, sagte Pandor. Ihr könnte in die Karten spielen, dass sich Putin angesichts der jüngsten Turbulenzen womöglich gar nicht 9000 Kilometer aus Moskau entfernen will.
Was sie zum Wagner-Aufstand sage? „Ich glaube nicht, dass das ein Aufstand war, wenn man großzügig ist, dann ein versuchter Aufstand, vielleicht orchestriert“, schwadronierte Pandor, „ich bezweifle, dass es ein paar Wagner-Leute mit den Streitkräften aufnehmen können.“ Kreml-distanzierte Aussagen klingen anders – die alten Sowjetbanden aus der Zeit des Kampfs gegen die Apartheid und so manche aktuellere Parteispende an den ANC durch russische Oligarchen zahlen sich für Putin weiter aus.
Es ist unklar, welche Auswirkungen die geschwächte innenpolitische Position von Wladimir Putin auf seine Beziehungen mit Afrika haben wird. Die größte regionale Gruppe innerhalb der Vereinten Nationen zeigte sich bei UN-Resolutionen gegen Russland bislang gespalten. Rund die Hälfte der Länder Afrikas enthält sich, wie Südafrika. Mali und Eritrea stimmen gar an der Seite Russlands. Und Ende Juli hat Putin zu einem großen Afrika-Gipfel nach St. Petersburg eingeladen.
Pandor hat sich jedenfalls offenbar gut von dem Schock erholt, als sie Ramaphosa und andere afrikanische Präsidenten Mitte Juni auf ihre Friedensmission in die Ukraine und nach Russland begleitet hatte. In Kiew musste die hochrangige Delegation in Deckung gehen, weil Russlands Diktator Wladimir Putin zeitgleich Kiew bombardieren ließ. Warum die Afrikaner danach noch weiter nach St. Petersburg reisten, verstehe er nicht, sagte Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj ddamals. Ramaphosa stand schweigend am Pult nebenan.
Immerhin ein bisschen hatte sich die südafrikanische Regierung zuletzt wieder als Unterstützer des Völkerrechts positioniert. Ramaphosa hatte beim Treffen der afrikanischen Delegation mit Putin seine Unterstützung der internationalen Friedensordnung gemäß der UN-Charta klargemacht, wofür Baerbock ihm am Dienstag ihren Dank aussprach. Ramaphosa sagte zudem spontan ein kurzes Treffen mit der deutschen Außenministerin in seinem Privathaus zu, das am Dienstagnachmittag stattfinden sollte. Ein Kontrast zu Baerbocks Besuch zuletzt in Brasilien, ebenfalls ein BRICS-Staat, wo nicht einmal ihr Amtskollege Mauro Vieira Zeit für ein Gespräch hatte.
Ramaphosa war auch der erste afrikanische Politiker, der offen gegenüber Putin eine Rückkehr der verschleppten Kinder aus der Ukraine forderte, wegen der das ICC den Haftbefehl gegen Putin erteilt hat. Und sowohl der Präsident als auch Pandor sprechen inzwischen von einem Krieg in der Ukraine – sie benutzen nicht länger das von Russland inspirierte Vokabular des „Konflikts“.
Nur kleine Fortschritte. Aber immerhin.