Christian Putsch

Die AU: Mit begrenzter Haftung

Christian Putsch
Die AU: Mit begrenzter Haftung

Sechs afrikanische Präsidenten wollen im Ukraine-Krieg vermitteln. Ein hehres Anliegen, allerdings drohte Südafrika das Terrain der Neutralität zuletzt zu verlassen. Und auch die Bilanz bei Friedensinitiativen auf dem eigenen Kontinent ist dürftig. Das liegt auch an den Strukturen der Afrikanischen Union

Das Protokoll hielt Cyril Ramaphosa gerade so ein, mehr aber auch nicht. Die Afrikanische Union (AU) sei von der Friedensinitiative „unterrichtet“ worden, die er mit den Präsidenten Senegals, Ägyptens, Uganda, der Republik Kongos und Sambias angestoßen habe, teilte Südafrikas Präsident mit. Die Herren wollen im Ukraine-Krieg vermitteln. Sobald wie möglich – ein Datum scheint noch nicht festzustehen – sind Reisen nach Moskau und Kiew geplant.

Man muss gelinde gesagt skeptisch sein, dass ausgerechnet diese Initiative ein Ende des Krieges herbeiführen kann. Mit Ausnahme Ägyptens haben sich alle beteiligten Länder bei den UN-Resolutionen gegen Russland enthalten. Sie mögen das als Neutralität und damit gewissermaßen als Voraussetzung für ihre Initiative darstellen. Repräsentativ für den Kontinent ist diese Auswahl aber nicht, wo die Mehrheit, wenn auch keine große, die Invasion des Imperialisten Russlands verurteilt.

Auch die Tatsache, dass der französische Rohstoffhändler Jean-Yves Ollivier offenbar daran beteiligt ist, die jeweiligen Gespräche mit Wolodimir Selenskyj und Wladimir Putin zu arrangieren, verleiht dem Vorstoß nicht unbedingt Glaubwürdigkeit. Ollivier trat in Afrika einst als Berater des russischen Energiekonzern Rosatom auf – und verschaffte seinem langjährigen Freund Denis Sassou-Nguesso, dem seit Jahrzehnten regierenden Autokraten des kleineren der beiden Kongos, einen Platz in der prestigeträchtigen Runde der Vermittler.

Ramaphosa verkündete die Initiative zudem nur wenige Tage, nachdem die USA Südafrika vorgeworfen hatten, Russland mit Waffen zu versorgen. Ende des Jahres beginnen die Verhandlungen der afrikanischen Länder für die Verlängerung des Agoa-Abkommens, das weitgehend zollfreien Zugang ihrer Waren zum US-Markt garantiert. Besonders Südafrika, dessen Wirtschaft davon so abhängig ist wie wenige andere des Kontinents, muss zittern – und erhofft sich aus dem Vorstoß wohl nicht zuletzt ein positives Signal in Richtung Washington.

Bemerkenswert ist aber auch, dass die Initiative ohne nennenswerte Beteiligung der Afrikanischen Union (AU) zustande kam, jener Organisation, die auf eine eher bescheidene Bilanz bei der Bewältigung von Konflikten auf dem eigenen Kontinent zurückblickt. Mehr als deutlich wird das gerade im Sudan, das derzeit den geopolitisch relevantesten Krieg in der Region seit Jahren erlebt. Die USA und Saudi-Arabien hatten in Jeddah einen humanitären Waffenstillstand ausgehandelt, der ab dem 22. Mai zumindest für einige Tage eine verbesserte Versorgung der Bevölkerung mit Nothilfe ermöglichte. In der Vereinbarung war von der AU keine Rede. Sie war schließlich nicht wirklich beteiligt.

Bis heute, fast zwei Monate nach Beginn der Kämpfe, gab es keinen Krisengipfel von Afrikas Präsidenten in der Angelegenheit. „Allerdings“, merkte der TV-Sender „Al Jazeera“ süffisant an, „hatten viele afrikanische Anführer die Zeit, der Krönung von Charles III. in London beizuwohnen“. Auch ein klarer Plan der AU für die Flüchtlingsströme in fragile Nachbarstaaten des Sudans, vor allem den Tschad, gibt es nicht.

Schon vor dem Krieg hatte die Organisation im Sudan umstritten agiert. Als der ehemalige Diktator Omar al-Bashir vom Weltstrafgericht gesucht wurde, empfahl sie ihren Mitgliedern mit Verweis auf angebliche Afrika-Feindlichkeit, den Haftbefehl zu ignorieren. Bashir holte sich dann auch noch den AU-Segen für die gefälschten Wahlen des Jahres 2015 ab und stärkte zeitgleich mit staatlichen Mitteln die RSF-Miliz, was deren Aufstieg zur Parallelarmee und Kriegspartei erst ermöglichte.

An Resolutionen mangelte es dagegen seit Kriegsbeginn nicht. Natürlich nicht, über 1500 verabschiedete die AU im Laufe der Jahre. Einzig an der Implementierung mangelt es. Die AU, seit 21 Jahren Nachfolgerorganisation der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) und bald womöglich Mitglied der G20, scheitert nicht nur im Sudan an ihren hehren Ansprüchen.

Afrika erlebte zwischen den Jahren 2000 und 2010 sein friedlichstes Jahrzehnt seit Ende der Kolonialzeit. Dann aber kam der Libyen-Krieg, und seit dem Jahr 2016 steigt die Zahl der Toten besonders wegen der Krise in der Sahelzone noch rasanter an. Die AU änderte bei ihrem Vorzeigeprojekt „Silencing the guns by 2020“ kurzerhand das Datum: die Waffen zum Schweigen bringen – bis zum Jahr 2030.

Der jüngsten Welle an Putschs in Westafrika begegnete die AU deutlich weniger entschieden als noch in ihren Anfangsjahren – und wenig einheitlich. Während die Mitgliedschaft von Mali und Burkina Faso suspendiert wurde, kam der Tschad nach der verfassungswidrigen Machtübernahme von Mahamat Déby ohne jegliche Sanktionen davon. Wenig vertrauensfördernd wirkt da die Tatsache, dass der wichtigste AU-Mann, der Kommissionsvorsitzende Moussa Faki Mahamat, aus dem Tschad stammt.

Stolz feierte die Organisation im vergangenen November ihre Rolle beim Tigray-Friedensabkommen in Äthiopien, wobei in Vergessenheit geriet, dass ihren Vermittlern lange der Zugang zu Tigray verweigert worden war – und dass es ein Jahr dauerte, bis der AU-Sicherheitsrat ein explizites Treffen für die tödliche Krise in der Region einberufen hatte. Der AU-Vorsitzende Faki klagt, dass afrikanische Länder den Verweis auf ihre staatliche Souveränität bisweilen wie eine „eiserne Mauer“ verwenden würden. Äthiopien ist dazu als ostafrikanisches Machtzentrum mit besonderer Effektivität in der Lage. Schließlich kann es unliebsame AU-Diplomaten jederzeit ausweisen: Der AU-Sitz ist in der äthiopischen Hauptstadt Addis Ababa.

Auch die Abschaffung von Amtszeitbeschränkungen für Präsidenten in Ländern wie Uganda, Burundi oder Ruanda begleitete die Kommission weitgehend schweigend – und stemmte sich damit zumindest nicht gerade gegen die zuletzt messbaren Demokratierückschritte auf dem Kontinent.

Die seit zwei Jahrzehnten anvisierte schnelle AU-Eingreiftruppe gibt es derweil noch immer nicht. Erfolgreiche militärische Zusammenschlüsse wie der von fünf westafrikanischer Länder gegen Boko Haram entstanden ohne großes Zutun der AU. Auch der Einsatz von Ländern des südlichen Afrikas gegen Terroristen in Mosambik wurde von der AU erst nach seinem Beginn offiziell befürwortet.

Die Organisation aber trägt in vielen Fällen nur indirekte Schuld. Besonders bei der Implementierung ihres bislang wichtigsten wirtschaftlichen Projekts, dem kontinentalen Freihandelsabkommen „AfCFTA“ lassen die Mitgliedstaaten die AU im Stich. Unterzeichnet haben es alle, ratifiziert fast alle. Ein überfälliger Schritt, um Investitionen anzukurbeln und den Handel zwischen afrikanischen Ländern auszubauen. Aktuell macht dieser gerade einmal 16 Prozent ihres Handelsvolumens aus – in der EU beträgt der binnenkontinentale Handelsanteil 68 Prozent.

AfCFTA wurde zurecht als Erfolg gefeiert. Doch anstatt der anvisierten 4500 Produkte werden bislang nur einige Dutzend unter AfCFTA gehandelt – und nur in wenigen Ländern. Das seit über zwei Jahre geltende Abkommen erweist sich bislang als praxisuntauglich. Wegen protektionistischer Tendenzen in den Mitgliedsstaaten. Und weil bis zu ein Viertel des Regierungsbudgets in wirtschaftsschwächeren Ländern von Zolleinnahmen getragen wird.

Derartige Sorgen werden unzureichend von der AU moderiert. Deren Strukturen haben nicht den Unterbau, der für die Implementierung einer derart umfangreichen wirtschaftlichen Verzahnung nötig wäre – schon an der Kommunikation mit den regionalen Staatenbündnissen im Westen, Osten und Süden des Kontinents hapert es oft. Das liegt auch an den finanziellen Möglichkeiten. Sie zeigen, wie unfair der oft zitierte Vergleich mit der Europäischen Union ist, die von ihren Mitgliedsstaaten ungleich mehr Kompetenzen übertragen bekommen hat. Die EU agiert unter grundverschiedenen Faktoren. Dazu zähl ein 200 Mal höheres Budget – bei gerade einmal einem Drittel der Menschen.

Als problematisch erweist es sich auch, dass das AfCFTA-Büro in Ghana ist und mit dem Handelskommissariat im AU-Hauptquartier in Äthiopien um Kompetenzen rangelt. Zumindest reden könnte man über die schleppende AfCFTA-Implementierung, aber die letzte große AU-Konferenz zu Handelsfragen ist drei Jahre her. Auch auf eine Führungsrolle bei einer Bewältigung der aktuellen Schuldenkrise, wie etwa eine teilweise Umstrukturierung der Schuldenlast zwischen den Mitgliedsstaaten, wartet man bei der AU vergeblich.

Das ist zu wenig, wenn die Organisation mehr als ein – ohne Frage bedeutsames – Forum sein will. Doch sinnvolle Reformbemühungen, wie von Ruandas Präsident Paul Kagame, werden meist mit mehr Skepsis als Unterstützung goutiert.

Und während Afrika völlig zurecht auf mehr Mitspracherecht in multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen pocht, so wirkt es doch unglücklich, wenn es der AU nicht gelingt, einvernehmliche Positionen des Kontinents zu präsentieren – wie beim Streit zwischen Kenia und Dschibuti im Streit um den nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat vor drei Jahren. Oder bei der Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten für die Position des Direktors der Welthandelsorganisation.

Wie überschaubar abseits panafrikanischer Rhetorik die Unterstützung für die AU auf dem Kontinent ist, zeigt sich bei ihrer Finanzierung. Das Hauptquartier wurde von China spendiert. Eine deutliche Mehrheit des AU-Budgets kommt vom Westen, die EU ist der größte Finanzierer.

Neulich, als es um die Finanzierung von Sicherheitsprogrammen in Somalia in Höhe von 85 Millionen Dollar ging, platzte Kenias Präsidenten William Ruto dazu der Kragen. Wie es sein könne, dass 54 Länder, die meisten davon über 60 Jahre nach Ende des Kolonialismus, diesen überschaubaren Betrag nicht aufbringen können? „Wir warten dafür auf die EU“, sagte er, und forderte eine „ernsthafte Untersuchung“ der AU-Strukturen. Dort sei man freilich machtlos, „weil wir Staatsoberhäupter uns an alle Entscheidungsgewalt klammern“.

So deutlich haben das bislang wenige ausgesprochen. Immerhin das macht Hoffnung.