Christian PutschComment

Krieg um die Minibusse

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Krieg um die Minibusse

In Südafrika ist die Mehrheit der Bevölkerung für den Weg zur Arbeit auf informelle Minibusse angewiesen. Sie transportieren täglich 15 Millionen Menschen. Doch der Kampf um die lukrativsten Routen endet immer wieder blutig

Von Christian Putsch

An einem Montagvormittag im März, es war 5.30 Uhr, wachen die Bewohner des idyllischen Kapstädter Vororts Hout Bay von Schüssen auf. Rund 30 seien es gewesen, teilt die Polizei später mit, nachdem die Leichen von vier Berufsfahrern gefunden wurden. Vorläufiger Höhepunkt eines Kriegs mit Mafia-Elementen.

Es geht um ein vom Staat kaum zu kontrollierendes Milliardengeschäft. 60 Prozent des öffentlichen Nahverkehrs wird in Südafrika von Minibussen dominiert. 200.000 gibt es in dem Land, so die Dachorganisation „South African National Taxi Council“, sie sind tägliches und oft einzig verfügbares Transportmittel für 15 Millionen Menschen. Die weißen Toyota-Fahrzeuge mit ihren 16 Sitzen bestimmen in vielen Städten des Kontinents das Straßenbild und liefern mit ihrem Gehupe den Soundtrack gleich mit dazu.

Wer die lukrativsten Strecken kontrolliert, der kann es innerhalb weniger Jahre zu Wohlstand bringen. Für Bewohner aus den Armenvierteln mit geringem Bildungsgrad gilt die Transportbranche als Ausweg aus der Armut. In Südafrika ist dieses Geschäft einer der wenigen verbliebenen Erwerbszweige des informellen Sektors. Während in strukturschwachen Ländern wie Nigeria oder Benin nach Angaben des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) über die Hälfte der Wirtschaft weitgehend unreglementiert ist, ist es im deutlich weiter entwickelten Schwellenland Südafrika gerade einmal ein Viertel. Tendenz sinkend.

Schüsse um 5.30 Uhr: Tatort in Hout Bay, Südafrika (2019)

Schüsse um 5.30 Uhr: Tatort in Hout Bay, Südafrika (2019)

Einige Wochen nach den Morden steht der Besitzer eines Minibusses an der größten Haltestelle von Hout Bay am Rande des örtlichen Townships und hat Angst um sein Leben. Seinen Namen will er ohne die Genehmigung der „Cape Amalgamated Taxi Association” (Cata) nicht veröffentlichen. Der Mann gehört wie alle Minibusbesitzer in Hout Bay dem Verband an, der mit den Behörden um Lizenzen für Routen feilscht und die Konkurrenz fernhält. Der Vorort ist traditionelles Cata-Territorium, doch seit Jahren versucht der konkurrierende Verband „Congress of Democratic Taxi Association“ (Codeta) die Routen ins Stadtzentrum zu übernehmen. Mit Gewalt.

Jedes fremde Auto, das hier parkt, wird mit Misstrauen beobachtet. Es könnte sich schließlich um den nächsten Angriff handeln. 42 Prozent aller Auftragsmorde, so hat es die Universität Kapstadt berechnet, werden in der Taxi-Branche verübt. „Wir rechnen hier jeden Tag mit dem schlimmsten“, sagt der Mann, „besonders am frühen Morgen werden unsere Leute angegriffen. Man weiß ja nicht, wer da einsteigt.“

Mehrere informelle Haltestellen wurden von den Behörden zuletzt geschlossen, die Polizei überwacht die Einhaltung der Routen mit erhöhten Ressourcen. „Viele von uns können seit Wochen kaum fahren“, sagt der Besitzer, „das bedroht unsere Existenz.“ Am Vortag seien Mitarbeiter einer Bank gekommen und hätten einen auf Kredit finanzierten Bus mitgenommen. Die Raten waren seit der Eskalation des Taxi-Krieges nicht mehr bezahlt worden. Die Stadt sei schuld, so der Unternehmer, „sie hat die Codeta-Leute viel zu lang ihr Unwesen treiben lassen“.

Im Rathaus von Kapstadt versucht sich der für Sicherheitsfragen zuständige Stadtrat Jean Pierre Smith in seinem Büro an der Kunst des Möglichen. Der 47-Jährige gilt als unermüdlicher Workaholic und Krisenmanager, ununterbrochen klingelt das Telefon, Mitarbeiter bitten um Rat. Doch die Taxiindustrie bringt auch ihn regelmäßig an seine Grenzen. Vor einiger Zeit hatte er ein dreistündiges Treffen mit den Bossen der rivalisierenden Verbände. „Einer hat mehr oder weniger geradeheraus zugegeben, dass Gewalt angeordnet wird“, sagt Smith, „wir wissen, dass Minibus-Besitzer bei Treffen schon den Hut rumgehen ließen, um Geld für einen Auftragsmörder gegen den rivalisierenden Verband zu sammeln.“

Taxi-Gewalt gebe es im ganzen Land, davon sei nicht nur Kapstadt betroffen. Dort aber seien die Bedingungen bisweilen besonders kompliziert. Über Polizeikontingente wird in Südafrika überwiegend auf nationaler Ebene entschieden, erzählt Smith. Dort regiert der „African National Congress“ (ANC), der auch acht der neun Provinzregierungen dominiert – nur in der Westkap-Provinz hat die Partei „Democratic Alliance“ (DA) das Sagen. Die DA sieht es als politisch motiviert an, dass im Großraum Kapstadt auf jeden Polizisten über 500 Einwohner kommen. Der Landesdurchschnitt liegt mit 375 Bürgern pro Polizist deutlich näher am international empfohlenen Standard von 220. In den vergangenen fünf Jahren seien 4500 Polizisten aus der Provinz abgezogen worden, sagt Smith.

Polizist Enrico Pillay dokumentiert einen illegal operierenden Bus (2019)

Polizist Enrico Pillay dokumentiert einen illegal operierenden Bus (2019)

Um die Taxi-Morde aufzuklären, bedürfe es zudem funktionsfähiger Spezialeinheiten innerhalb der Polizei – „die gibt es aber seit über einem Jahrzehnt nicht mehr“. Da überrascht es nicht, dass die Morde an den Fahrern in Hout Bay bislang nicht aufgeklärt sind. Immerhin berichtet Smith einige Wochen später, dass sich die Situation beruhigt habe. Die Verhandlungen mit den Taxi-Verbänden zeigen Wirkung. Vorerst.

Die ANC-Regierung hat die Taxi-Industrie auch aus historischen Gründen lange gewähren lassen. Während der Apartheid war sie für die meisten Südafrikaner das einzige Transportmittel. Bis 1977 war auch diese Industrie in der Hand der Weißen. Schwarzen wurden kaum Lizenzen zugeteilt, schreibt der Direktor der Bürgerrechtsorganisation „Global Initiative Against Transnational Organized Crime”, Mark Shaw, in seinem bemerkenswerten Buch „Hitmen for Hire“ (Auftragsmörder zu vermieten).

Angesichts der wachsenden Proteste in den Armenvierteln und dem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften habe man die Branche damals zunehmend dereguliert, so Shaw. In den 1980er Jahren seien dann zahlreiche Lizenzen ohne jegliche Auflagen vergeben worden. Inzwischen gebe es wieder deutlich mehr Regularien, doch noch immer würden viel zu viele Fahrzeuge auf den ohnehin umkämpften Markt drängen. Schon in den neunziger Jahren habe es 1300 Assoziationen gegeben. Größere, wie Cata und Codeta, kassieren für die Vergabe einer Mitgliedschaft umgerechnet Tausende Euro.

Viele der Verbände hätten zudem enge Verbindungen zum ANC aufgebaut. „Im von ANC kontrollierten Gegenden wurden die Minibus-Verbände nicht nur als Verbündete der Partei angesehen, sie wurden auch zum Transport der ANC-Anhänger aus den Townships zu den Kundgebungen gebucht“, schreibt Shaw. Ihr gesellschaftlicher Einfluss ist gewaltig, bei den Wahlen im Mai trat die Branche sogar mit einer eigenen Partei an.

In den Großstädten behindern sie aber immer wieder Infrastrukturverbesserungen. Als vor der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Johannesburg ein Schnellbussystem eingeführt wurde, gab es mehrfach Schüsse auf die neue Konkurrenz – obwohl große Minibus-Unternehmer Entschädigungen bekamen und fast ausschließlich Fahrer der Kleinbusse eingestellt wurden.

Auch in Kapstadt gibt es seitdem ein modernes Bussystem namens „MyCiTi“ – unter anderem auf der umkämpften Strecke zwischen Hout Bay und Kapstadt. Die Lizenz-Inhaber bekamen teilweise enorme Summen ausgezahlt, damit sie dem formalisierten „MyCiti“-Bussen keine Konkurrenz machen und von der Straße verschwinden. Das neue System ist sicherer als die oft klapprigen Minibusse, die oft unvermittelt auf der Straße stehenbleiben, um Fahrgäste ein- oder aussteigen zu lassen. Und sie generieren mit einem Chipkartensystem ein Einkommen für die Stadt, während sich über das bargeldbasierte Geschäft der Minibusse kaum Steuereinnahmen generieren lassen.

Ein Freitagmorgen um sechs Uhr, Versammlungsraum der Verkehrsbehörde im Kapstädter Stadtteil Greenpoint. Dienstbeginn der so genannten „Taxi Unit“ der Verkehrspolizei, die anders als die Bundespolizei SARS von der Stadtverwaltung kontrolliert wird. 35 Polizisten sind in Kapstadt für die Kontrolle der Minibusse zuständig. In der Nacht sei es ruhig geblieben, sagt der Einsatzleiter Andre Norman, zudem hätten Cata und Codeta ein vorläufiges Friedensabkommen geschlossen. „Wir müssen trotzdem in Hout Bay Präsenz zeigen“, gibt er die Marschroute für den Tag vor, „wir müssen die Situation weiter stabilisieren.“

Die Beamten Themba Runeli und Enrico Pillay machen sich auf die 20 Kilometer weite Fahrt. Sie und ihre Kollegen haben zuletzt 16 Busse beschlagnahmt, die ohne Lizenz gefahren sind, dazu eine Schusswaffe, erzählt Pillay. Dann unterbricht er mitten im Satz, wendet abrupt, schaltet das Blaulicht ein und rast mit 100 Stundenkilometern mitten in der Stadt einem der Minibusse nach. „Für diese Straße gibt es keine einzige Lizenz“, erklärt er, „der ist illegal unterwegs. Eindeutig.“



Bus ohne Papiere - für die Fahrgäste heißt das Umsteigen nach der Beschlagnahmung (2019)

Bus ohne Papiere - für die Fahrgäste heißt das Umsteigen nach der Beschlagnahmung (2019)

Der Fahrer hält bereitwillig an. Er kennt das Prozedere, erst vor zwei Tagen hat er den beschlagnahmten Bus für umgerechnet 700 Euro ausgelöst. „Der Boss zahlt, ich folge nur den Anweisungen“, sagt er. 800 Rand, umgerechnet 48 Euro, muss der Freiberufler dem Besitzer am Tag zahlen, dazu das Benzin. Nur das, was er darüber hinaus verdient, darf er behalten – der Druck ist entsprechend groß, manchmal endet sein Tag mit einem Minus. Auch das ist ein Grund, warum die Fahrer immer wieder die Regeln brechen.

Diesmal werden es umgerechnet knapp 1000 Euro sein. Polizist Runeli übernimmt das Steuer, bringt die sechs Fahrgäste noch zum Zugbahnhof, dann bringen die Polizisten das Fahrzeug unter Geleitschutz von zwei Polizeiwagen zum zentralen Depot für beschlagnahmte Minibusse. „So will es das Sicherheitsprotokoll“, sagt Runeli, „manchmal versuchen die Besitzer, ihre Busse zurückzuholen.“ Bis zu 300 konfiszierte Minibusse werden allein in Kapstadt monatlich zu dem von Polizisten bewachten Parkplatz in einem unscheinbaren Industriegebiet gebracht.

Hunderte der weißen Toyota-Busse warten auf der „Maitland Area Impound Facility“ auf ihre Abholung, für die neben der bezahlten Strafe auch ein richterlicher Bescheid erforderlich ist. Das kann dauern. Vor ein paar Monaten forderten rund Hundert Fahrer und von Bodyguards beschützte Besitzer die Herausgabe der Fahrzeuge. Sie brachten einen Sarg mit – angeblich um den Status der Einrichtung als „Fahrzeuggrab“ zu illustrieren.

Der Protest verlief friedlich. So mancher Mitarbeiter aber dachte insgeheim, dass man die Aktion durchaus auch als persönliche Drohung interpretieren konnte.