Kampf um Afrikas Raucher
Weltweit sinkt die Zahl der Raucher, doch in vielen afrikanischen Ländern steigt sie. Die Tabak-Industrie nutzt bei der Erschließung des Wachstumsmarkt Gesetzeslücken und schwache staatliche Strukturen aus – mit verheerenden gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung
Lesothos wichtigster Wirtschaftspolitiker sitzt im Garten eines Hotels und fürchtet um seine Wiederwahl. Nervös rutscht Mahooana Khati auf einem weißen Plastikstuhl hin und her. Den ganzen Vormittag über hat der Parlamentarier im Gebäude nebenan mit anderen Parlamentariern über ein Gesetz debattiert, das er eigentlich vermeiden wollte. Die Tabaksteuer soll kommen. Endlich – Lesotho ist eines der letzten Länder Afrikas, in denen Zigaretten ohne gesonderte Tabak-Steuer und damit ungewöhnlich preiswert verkauft wird.
In seinem Land gebe es eine einfache Regel, sagt Khati, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Parlament. „Wer die Zigaretten teurer macht, der wird nicht gewählt.“ So einfach sei das. Im Moment kostet das Päckchen umgerechnet rund 1,50 Euro, über kriminelle Kanäle werden sie auf den Straßen oft sogar nur für die Hälfte des Preises angeboten.
Am Ende aber blieb Lesothos Gesetzgebern keine Wahl. Etwas musste geschehen. Das Land hat während der Pandemie wie so viele afrikanische Nationen den Internationalen Währungsfond (IMF) um finanzielle Unterstützung gebeten. Dessen Experten fiel auf, dass Lesotho Sondersteuern auf Tabak als wichtiges Instrument zur Haushaltsfinanzierung weitgehend ungenutzt lässt – und erklärte die Einführung kurzerhand zur Auflage.
30 Prozent Tabaksteuer hatten in einem ersten Entwurf der Regierung gestanden, der auf Empfehlungen von IMF und Weltbank basierte. Dann aber ging man auf sechs Prozent runter. Warum? Khati räumt ein, dass es in den vergangenen Monaten fünf Treffen des Ausschusses mit Vertretern der Tabaklobby gegeben habe. Details will er nicht preisgeben. Beratungen mit Vertretern von Gesundheitsorganisationen habe es dagegen nicht gegeben, obwohl diese vehement darum gebeten hatten.
Der Vorfall zeigt, dass große Tabakkonzerne selbst in winzigen Ländern die Basis für möglichst große Kundschaft legen – Lesotho hat gerade einmal zwei Millionen Einwohner. Diese sind aber mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren jung. Die Bevölkerung des Kontinents wächst zudem jährlich um 2,4 Prozent, sie wird sich voraussichtlich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Und wird damit, weil der Markt in den Industrienationen schrumpft, zum immer wichtigeren Zukunftsmarkt für die Industrie.
Während zwischen den Jahren 2000 und 2018 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die weltweite Zahl der Raucher von 1,397 Milliarden auf 1,337 Milliarden sank, stieg sie im gleichen Zeitraum in Afrika von 64 Millionen auf 73 Millionen. Noch wird hier weniger geraucht als auf anderen Kontinenten. Allerdings bietet das Umfeld beste Wachstumsbedingungen. Zwar wurden in den meisten Ländern WHO-konforme Nichtrauchergesetze verabschiedet, allzu oft hapert es aber an der Umsetzung.
WELT hat neben Lesotho in Malawi recherchiert, das traditionell zu den wichtigsten Anbauländern gehört und immer mehr Patienten mit Schäden durch Tabak registriert. Sowie in Südafrika, dem wichtigsten Markt Subsahara-Afrikas. Für die legale, wie auch die illegale Industrie.
In einem verfallenen Gebäude in Lesothos Hauptstadt Maseru hat Mphonyane Mofokeng ihr Büro. Als ihr Vater, ein Kettenraucher, an Krebs verstarb, gründete sie die „Anti Drug Abuse Association of Lesotho“ (ADAAL). Sie hatte alles versucht, ihm sogar heimlich die Pfeifen versteckt. Er rauchte weiter. Den Vater konnte die 60-Jährige nicht retten können. Aber, so hoffte sie, möglichst viele andere.
Diesen Glauben droht sie in diesen Tagen zu verlieren. Vergeblich bat sie das Komitee in Lesotho um einen Gesprächstermin, hoffte auf höhere Preise, höhere Hürden für den Zugang zu Zigaretten. Sie wollte von dem Jungen erzählen, der mit acht Jahren ins Krankenhaus kam. Lungenkrebs, die Eltern hatten im Haus geraucht. Den unzähligen Hirtenjungen, für die das Rauchen auf den Feldern noch immer zum Alltag gehört. Vergeblich: „Die Lobby hat die Muskeln“, sagt sie.
Irgendwann lud sie sich selbst ein und ging zu einem der Meetings. Es wurde abgebrochen. „Wir steuern auf eine tödliche Pandemie der Raucher zu, wenn der Tabak nicht teurer wird“, so die Aktivisten. Zudem müsse man die bestehenden Gesetze auch endlich durchsetzen, wie zum Beispiel Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden oder Verkaufsverbote in Schulnähe. Auch das passiere kaum.
Als sie hörte, dass die Politiker nur ein Fünftel der empfohlenen Tabaksteuer einführen wollen, da dachte sie sofort an Korruption. „Immer, wenn so etwas passiert, steckt etwas dahinter“, sagt sie. Es gebe in Lesotho einen bestimmten Weg, wie die Tabak-Lobby das handhabe. Da werde mitunter auch schon mal ein Grundstück für einen Politiker gekauft.
Belege hat sie dafür nicht. Aber es sind keine neuen Vorwürfe gegen die Zigaretten-Industrie in Afrika. Im Jahr 2015 veröffentlichte die „BBC“ Aussagen von Paul Hopkins, einem ehemaligen Mitarbeiter des Tabakkonzerns „British American Tobacco“ (BAT) in Kenia. „BAT besticht Leute, und ich organisiere das“, zitierte ihn der Sender, „wenn sie die Regeln brechen müssen, dann brechen sie die Regeln.“
Hopkins präsentierte Dokumente, die nach Einschätzung der “BBC” belegen, dass der Konzern über ihn illegale Zahlungen an Länderrepräsentanten einer Anti-Tabak-Kampagne der WHO machte. In Burundi wurde dem Bericht zufolge ein hochrangiger Beamter bestochen, von dem man sich offenbar Änderungen eines Antiraucher-Gesetzes erhoffte. Der Sender veröffentlichte eine heimlich aufgenommene Ton-Aufnahme, auf der angeblich zu hören ist, wie ein BAT-Anwalt Zahlungen an Informanten absegnete. BAT bestritt die Vorwürfe, im vergangenen Jahr befand die britische „Strafverfolgungsbehörde für schwere Betrugsdelikte“ SFO (Serious Fraud Office) nach langer Untersuchung, es gebe nicht genug Beweise für eine Strafverfolgung.
Die Folgen des Tabakkonsums lassen sich jedenfalls in Lesotho im Mafeteng Krankenhaus beobachten, 80 Kilometer südlich von Maseru. Dort hat es die Ärztin Waheeba Madani mal wieder mit Patienten mit Lungenproblemen zu tun. Gerade hat sie Moshao Setlaba behandelt, 71 Jahre alt, knapp 50 Jahre rauchte er täglich. Nicht viel, wie er sagt, täglich fünf bis zehn Zigaretten. Auch als der Bergarbeiter zweimal an Tuberkulose erkrankte, hörte er nicht auf – in den Minen gehörte der Tabak zum Alltag. Vor einiger Zeit hat er sie dann doch weggelegt. „Ich huste die ganze Nacht und habe Schmerzen in der Brust“, klagt der abgemagerte Rentner.
80 Prozent von Madanis männlichen Patienten sind aktuelle oder ehemalige Raucher – bei den Frauen sind es wie in den meisten Ländern weltweit deutlich weniger. Insgesamt beziffert Lesothos Regierung den Anteil der Raucher auf enorme 47,9 Prozent der Erwachsenen. Zum Vergleich: In Deutschland rauchen 23,8 Prozent, in der Schweiz 27 Prozent. „Wir haben immer mehr Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen“, sagt Madani, „die Leute beginnen in einem jungen Kindesalter, und oft verschlimmert das andere Erkrankungen wie Tuberkulose, HIV oder Folgen von Mangelernährung.“
Früher hätten die Ärzte in Lesotho Lungenerkrankungen bei Bergarbeitern wie Setlaba automatisch auf die Bedingungen unter Tage zurückgeführt. „Inzwischen ist klar, dass bei den meisten Patienten Rauchen der wichtigste Faktor ist“, sagt Madani. Für die Bevölkerung sei das eines der größten Gesundheitsrisiken – weit mehr als Herzkreislauferkrankungen, die in Industrienationen bei den Todesursachen dominieren. Entsprechend hilflos fühlt sie sich. In ihrem Krankenhaus gibt es kaum Diagnostik, sie wird Setlaba in das Stunden entfernte Maseru schicken. Auch dort sind die Möglichkeiten beschränkt, wahrscheinlich muss er auf einen Termin in einem staatlichen Krankenhaus im weiter entwickelten Nachbarland Südafrika hoffen, das hin und wieder Patienten aus Lesotho aufnimmt. Bis zur Diagnose werden Wochen vergehen. Mindestens.
Das Südliche Afrika entwickelt sich erst langsam zum relevanten Tabak-Absatzmarkt – seine Geschichte als Anbaustandort reicht dagegen Jahrhunderte zurück. Und auch in diesem Bereich ist der Ruf der Branche gelinde gesagt zweifelhaft. Vor einigen Monat veröffentlichte die BBC Dokumente, die eine BAT-Beteiligung in Verhandlungen mit Simbabwes Regierungspartei Zanu-PF zu Bestechungsgeldern in Höhe von mindestens 300.000 Dollar nahelegen, damit Fabriken von Wettbewerbern geschlossen werden. Zudem habe eine Firma auf BAT-Auftrag andere Hersteller ausspioniert.
Johann van Loggerenberg überrascht das nicht. Der 52-Jährige ermittelte lange für die südafrikanische Steuerbehörde gegen Schmuggler und Tabakkonzerne, die Steuern vermeiden. „Das wird keine Konsequenzen haben, das kann ich Ihnen versichern“, sagt der 52-Jährige, „derartige Skandale und die Negativ-PR sind im Geschäftsmodell dieser Konzerne einkalkuliert. Ein schlechter Arbeitstag eben, dann geht es weiter.“
Schon in den Industrienationen würden hochrangige Manager nicht persönlich zur Rechenschaft gezogen, sagt van Loggerenberg. Da schlimmste, das passieren könne, seien Strafzahlungen für den Konzern – „dann geht das Leben weiter“. Wenn es so in den Industrienationen funktioniere, dann könne man sich vorstellen, wie es in Entwicklungsländern ablaufe. „Sie sind zu mächtig, zu groß, zu gut verknüpft.“
Weniger Schlagzeilen machen dagegen die Schäden des Anbaus für Umwelt und Gesundheit. In Malawi zum Beispiel. Dort sind ganze Landstriche abgeholzt worden. Teilweise für die Produktion von Holzkohle, aber auch für den florierenden Tabak-Anbau. Wer auf den Plantagen arbeitet, leidet zudem häufig unter enormen Gesundheitsproblemen, berichtet die WHO. So kämen in vielen Entwicklungsländern Chemikalien zum Einsatz, die in den Industrienationen längst verboten seien. Auch die Aufnahme des Nikotins durch die Haut sorge für schwere Erkrankungen.
„Wir sehen hier jeden Tag neue Patienten von den Plantagen“, sagt Alice Koloko vom Nationalen Krebszentrum in Lilongwe. Fünf Farmer seien hier allein in der vergangenen Woche gestorben, das sei auffällig viel. Es gebe kaum Bewusstsein über die Gefahr des Anbaus, aber auch des Rauchens. Oft weisen ihre Patienten beide Risikofaktoren auf.
Ihr Patient Noel Kachingwe zum Beispiel. Schon als Kind rauchte der 38-jährige Tabakfarmer. „Wenn auf der Farm etwas Tabak rumlag, habe ich es mir genommen.“ Vor einigen Jahren begann der Kiefer zu schmerzen. Die Zähne, dachte er zuerst. Doch dann weitete sich die Schwellung immer weiter aus. Die kleine Klinik im Dorf konnte nicht helfen, ein traditioneller Heiler auch nicht. Drei Monate wartete er, die Nachbarn hielten ihn für verhext. Schließlich zahlte Kachingwe 4000 Malawische Kwacha, umgerechnet knapp fünf Euro, für die 120 Kilometer weite Reise nach Lilongwe – für Kleinbauern wie ihn ein Vermögen. Die Diagnose: Ein Sarkom-Tumor, der in die Lunge gestreut hatte.
Krankenschwester Koloko sagt, sie halte den Tabak für die Ursache. Immerhin, die Behandlung hat angeschlagen – in einigen Wochen wird ihr Patient wieder auf seinem Feld stehen. Und neuen Tabak anbauen.
„Diese Recherche wurde vom „European Journalism Centre“ (EJC) über das „Global Health Journalism Grant Program for Germany“ (http://health-de.journalismgrants.org) finanziert.“