Christian Putsch

Cash war King

Christian Putsch
Cash war King

In Afrikas größter Nation Nigeria gilt das Motto „Cash is King“. Doch nun gab es vor den Wahlen am Samstag wochenlang so gut wie kein Bargeld mehr – um Stimmenkauf zu vermeiden. Das macht den ohnehin chaotischen Alltag endgültig zur Tortur, wie eine Reise nach Lagos zeigt

Seit drei Stunden nun steht Kufre Udoh vor der Bank. Der Mittag naht, es wird langsam unruhig in der Menge, die sich am Eingangstor drängelt. Sicherheitsmänner halten den Zugang geschlossen, schauen misstrauisch auf die Kunden, deren Beschimpfungen den Straßenlärm übertönen. In anderen Filialen der Wirtschaftsmetropole Lagos hatten die Leute mit Steinen geworfen, Kreuzungen blockiert, sogar Angestellte verletzt. Bauunternehmer Udoh hat ein Konto und Geld. Aber er kann es nicht abheben, um seine Arbeiter zu bezahlen.

Denn in Nigeria, der größten Volkswirtschaft Afrikas, gibt es seit Wochen so gut wie kein Bargeld mehr – Resultat einer katastrophalen Währungsreform kurz vor den Wahlen an diesem Wochenende. Die alten Naira-Geldscheine sind seit Anfang Februar mit Ausnahme von wenigen 200-Naira-Banknoten (0,41 Euro) ungültig und dürfen nicht mehr umgetauscht werden. Die neuen sind kaum verfügbar.

Offiziell darf pro Tag ein Maximum von umgerechnet knapp 40 Euro abgehoben werden. Doch die Geldautomaten sind leer oder spucken nur die wertlosen alten Banknoten aus. Und die Filialen haben längst nicht genug, geben pro Kunde nur einen Bruchteil des Maximalbetrags raus – oder reichen die Scheine unter der Hand an sogenannte Point-Of-Sale-Händler weiter, die mit ihren Kartenlesegeräten dann ein Drittel mehr abbuchen. Udoh ist froh, wenn er heute an der Bank überhaupt etwas bekommt, „sonst kann ich die Baustelle dichtmachen.“

Lediglich gut die Hälfte der 220 Millionen Nigerianer hat ein Bankkonto. Mobile Bezahlsysteme verzeichnen enormes Wachstum, doch das Misstrauen gegenüber elektronischen Überweisungen bleibt. Nigerianer lieben Bares, wickeln so knapp Zweidrittel ihrer Käufe ab. Bei Hochzeiten bringt es Glück, das Brautpaar mit Geldscheinen zu bewerfen – die Eheschließungen der letzten Wochen stehen unter einem entsprechend schlechten Stern.

Verantwortlich für die Misere ist der scheidende Präsident, Muhammadu Buhari, 80, der die Maßnahme offen als „Grundlage für freie und faire Wahlen“ pries. Mit anderen Worten: ohne Bargeld kein Stimmenkauf, ein Vorwurf, der Wahlen in Nigeria traditionell begleitet. Bei den letzten vor vier Jahren zirkulierte ein Video mit einem Geldtransporter, der auf das Grundstück eines einflussreichen Politikberaters fuhr. Beim Urnengang am Samstag wurde ein Dreikampf zwischen Bola Tinubu von der Regierungspartei APC, Atiku Abubakar von der größten Oppositionspartei PDP und dem von der Jugend verehrten Peter Obi (Arbeitspartei) erwartet.

Buhari war schon einmal kurz in den 1980er Jahren Chef einer Militärregierung, auch damals ersetzte er innerhalb weniger Wochen alle Scheine. Wer massenhaft Bargeld zur Bank brachte und die Herkunft nicht erklären konnte, wurde verhaftet.

Mit mäßigem Erfolg: Die Denkfabrik „Transparency International“ zählt Nigeria trotz zuletzt leichter Verbesserungen heute zu den 30 korruptesten Ländern der Welt. Eines, das von Buhari mit dem politischen Vorschlaghammer regiert wurde. Im Rahmen von wenig durchdachten protektionistischen Gesetzen untersagte er den Import von Reis und anderen dringend benötigten Gütern. Absurde Finanzvorschriften lähmen den Handel mit dem siebtgrößten Land der Welt.

Und mit der Währungsreform ist der ohnehin schwierige Alltag in Nigeria endgültig zur Tortur geworden. Gegenüber der Bank befindet sich ein großer Markt, normalerweise ist er überfüllt, nun leer. Seit Tagen schläft Kleider-Händler Sam Oriakhi nachts auf dem Boden seines Ladens, der kaum größer als ein Bett ist. Geld sparen, zudem akzeptieren die meisten billigen Taxis nur Barzahlung. Er harrt aus, hofft auf ein Ende der Chaos nach der Wahl. „Manchmal zahlt jemand per Überweisung“, sagt Oriakhi, „aber mehr als ein oder zwei Kunden pro Tag kommen nicht.“ Früher waren es Dutzende.

Wer als ausländischer Besucher nach Nigeria kommt, steht ebenfalls vor so mancher Herausforderung. Visas, besonders für Journalisten, werden oft über Monate hinweg verzögert oder gar nicht ausgestellt. Vor Ort funktionieren die örtlichen Bezahl-Apps dann nur mit nigerianischer Kreditkarte, Buchungen von Inlandsflügen auch. Hotels akzeptieren Dollar, Straßenhändler ebenfalls, aber wer vor der Ankunft keine kleinen Scheine auftreiben konnte, ist schnell pleite – es gibt schließlich kein Wechselgeld.

Selbst in Zeiten der Hyperinflation in Simbabwe vor 16 Jahren gab es Wege, Dollar auf der Straße in Simbabwe-Dollar umzutauschen, die man dann in Tüten ausgehändigt bekam. Die Inflationsrate in Nigeria von 21 Prozent ist davon weit entfernt, aber der bestverknüpfte Schwarzmarkthändler am Flughafen von Lagos winkt ab. „Ich laufe seit Tagen durch die Stadt, ich kriege einfach keine Naira“, sagt er. Die informelle Wirtschaft kollabiert. Und damit Nigeria.

Ein lokaler Journalistenkollege treibt schließlich doch noch ein paar Scheine auf, seine Nachbarin hat eine Tankstelle. Das Benzin ist knapp, die Autoschlange ist Hunderte Meter lang. Hier geben viele ihr weniges Bargeld aus, die Besitzerin verkauft es dann gewinnbringend. Der nigerianische Kollege bekommt einen großzügigen Rabatt. Er kennt Leute. Nirgends ist das wichtiger als in Nigeria.

Besonders jetzt. Der bekannte Dichter Samuel Osaze sitzt im Büro der Bürgerrechtsorganisation „Unchained Vibes Africa“ und kämpft gegen die Resignation. „Das ist wie das Jüngste Gericht, das aber nur über Nigeria hereinbricht“, sagt er, „Handel ist fast zu einem unmöglichen Unterfangen geworden.“ Gerade auf dem Land, wo das Handysignal schwach ist. Dort seien die Menschen zum System des Tauschhandels zurückgekehrt. „Die Schmerzen“, sagt Osaze, „sind unerträglich.“

Das sind sie für viele Nigerianer seit Jahren. Fast jeder zweite lebt in Armut. Während es im Kampf gegen den Terrorismus im Nordosten dank eines umfangreichen Amnestie-Programms Fortschritte gab, eskalieren Landkämpfe zwischen Hirten und Farmern im Zentrum des Landes. Im vergangenen Jahr starben rund 10.000 Menschen bei Konflikten. Früher taten viele Nigerianer das als Probleme in fernen Regionen ab. Inzwischen betrifft die Unsicherheit alle Landesteile. Denn auch die „normale“ Kriminalität steigt rasant, das klarste Zeugnis des Staatsversagens.

Das weiß niemand besser als Bishop Ameh, ein Angestellter einer Bergbaufirma. Seine Mutter gehört zu den Tausenden Entführungsopfern der letzten Jahre, in kaum einem Land ist das Risiko so hoch wie hier. Die Täter sind Verbrecherbanden und haben nur selten islamistischen Hintergrund. Gefordert werden mal wenige Hundert Euro Lösegeld, mal viele Tausend. „Eine Seuche“, sagt Ameh.

Seine Mutter war auf dem Weg zu einer Familienfeier, als die Entführer am hellichten Tag zuschlugen, das Auto anhielten. Die Männer verbanden ihr die Augen, sperrten sie im Wald mit anderen Opfern in eine Hütte. Vier Tage lang dauerte das Martyrium. Von dem Handy der Mutter aus kontaktierten die Täter die Familie, forderten zuerst umgerechnet 26.000 Euro, ließen sich auf 9000 Euro runterhandeln. Die Familie legte alle Ersparnisse zusammen. Nachdem Ameh das Geld zum vereinbarten Ort brachte, bekam er eine WhatsApp mit einer Ortsmarkierung.

Mitten im Wald fand er die Mutter. Die alte Frau wirkte unversehrt, wurde schnell aus dem Krankenhaus entlassen. „Sie behauptet, dass alles ok ist“, sagt Ameh, „wir fragen nicht nach Details. Sie will nicht darüber reden.“ Fahrten außerhalb der Stadt vermeidet sie seitdem. Wer es sich leisten kann, bucht selbst für Entfernungen von 200 Kilometern Flüge.

Über Entführungen sprach in Nigeria in den Tagen vor den Wahlen kaum noch jemand – das fehlende Bargeld überlagert alles. Selbst die evangelikalen Megakirchen sind verzweifelt. Deren Klingelbeutel waren auch zu den schlimmsten Zeiten immer gut gefüllt. Nun sind sie leer. Über die gigantischen Flachbildschirme flimmern anstelle von Wunderheilungen derzeit wenig religiös anmutende Zahlen. Bankverbindungen. Für die Kollekte.