Vom Anker der EU zu Moskaus Einfallstor
Auf dem Weg zu Russlands emsigstem Mann im Niger klopft ein Straßenverkäufer an die Autoscheibe. In der Hand trägt er einen Strauß kleiner Plastikflaggen zu 500 CFA (0,76 Euro) das Stück. Ob er auch Russland im Angebot hat? Der junge Händler, der sich als Issaka Chebou vorstellt, zupft ein wenig in seinem Strauß herum und zieht schließlich die russische Fahne hervor.
Ende Juli, als Präsident Mohamed Bazoum im Niger gestürzt und Russlands Flagge zum Symbol der Wut gegen die frühere Kolonialmacht Frankreich wurde, habe er noch fast 100 am Tag verkauft, erzählt Chebou. Letztmals sei er die russische Fahne aber vor über einer Woche losgeworden. Dabei bleibt es auch: Der Fahrer kauft ihm ein Fähnlein des Nigers ab, befestigt sie an der Windschutzscheibe.
Kurz darauf steigt der Mann ins Auto, mit dem sich der Reporter verabredet hat. Einer, der die Flagge Russlands in seinem Land buchstäblich hochhält. Ahmed Issoufou Bello, 37, ein Mann mit Glatze und gelb-gemustertem Hemd, hat angeboten, ihn zu seinem Schneider zu begleiten. Er will russische Fahnen ausbessern lassen, zwei hat er in seiner Tasche, jeweils weit über einen Meter lang. „Russland verdankt mir viel“, prahlt er. Über 1000 Fahnen hätten seine Leute im Juli und August an die Bevölkerung verteilt.
Es war ein beispielloser PR-Erfolg für den Kreml. Bellos Flaggen schafften es auf die Titelseiten, etwa, als Fotos von gewaltsamen Protesten vor der französischen Botschaft um die Welt gingen.
Pro-Russland-Aktivist Ahmed Issoufou Bello (l.) mit seinem Schneider Abdoul Moumouni (r.)
Quelle: Christian Putsch
Der Westen war schockiert über den überraschenden Umsturz im Niger, dessen Regierung als letzter Partner im Kampf gegen den Terror in der Sahelzone galt. Ohne Zögern bot die Wagner-Gruppe ihre Dienste an, ein nigrischer General reiste zu einem Treffen mit Malis Junta nach Bamako, bei dem offenbar auch ein Anführer der Söldnertruppe im Raum war. Es sah ganz danach aus, als ziehe der Kreml auch im Niger die Fäden.
Doch anders als in Mali, wo bekanntlich Wagner-Söldner die französischen Truppen der Operation Barkhane abgelöst haben, hat Russland im Niger weiterhin kaum Strukturen. Während so manche malischen Generäle in der Sowjetunion und später in Russland ausgebildet wurden, gab es zum Niger bislang kaum Verbindungen, nicht einmal eine Botschaft in der Hauptstadt Niamey. Im Gegensatz zu Mali und Burkina Faso gehört der Niger auch nicht zur Gruppe der „loyalen“ Afrika-Länder, die derzeit mit kostenlosen Getreidelieferungen bedacht werden.
Bruch mit der EU
Doch am Sonntag gab es plötzlich Bewegung. Eine kleine russische Militärdelegation landete in Niamey, das nigrische Staatsfernsehen zeigte von melodischer Musik hinterlegte Bilder der Landung und von Russen in Uniform, die, mit der Junta in tiefen Ledersesseln sitzend, grimmig in die Kameras blickten.
Man einigte sich auf eine Militärkooperation, die Details wurden nicht bekannt. Klar ist aber wohl, dass die Militärkooperationen mit der Europäischen Union – EUCAP und EUMPM – endgültig vor dem Aus stehen: Sie wurden von der Junta aufgekündigt.
„Das Ende der EU-Missionen zeigt, dass die Generäle sich eher dazu entschlossen haben, mit der EU zu brechen“, schrieb Ulf Laessing, Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung auf X. „Es ist schwer vorstellbar, wie diese Missionen und die allgemeine Zusammenarbeit nach der formellen Beendigung der Abkommen wieder aufgenommen werden können.“
Die neuen Herrscher seien lange unentschlossen gewesen, ob sie mit Europa brechen und sich Russland zuwenden sollten, so Laessing weiter, „aber die EU verlor wie die Ecowas die Wette, dass die Junta nicht überleben würde“. Sie habe alle Zahlungen eingestellt – und die Sanktionen des westafrikanischen Staatenbundes Ecowas unterstützt.
Darauf hat Bello, der die prorussische Bürgerorganisation „Développons Le Niger“ (DLN) gegründet hat, lange hingearbeitet. Eine Aufforderung an Russland: Lasst uns den Niger weiterentwickeln.
Inzwischen ist er bei dem Schneider angekommen, der beim Putsch vor vier Monaten oft bis tief in die Nacht alles zusammennähte, was einigermaßen Weiß, Blau und Rot war, sich heute aber schon über den kleinen Ausbesserungswunsch freut. Die Ecowas-Sanktionen treiben ihn an den Rand des Bankrotts. Wie so viele andere.
Waren kommen wegen der sanktionsbedingt geschlossenen Grenzen nicht wie bislang über Benin, sondern über Togo und Burkina Faso, das ebenfalls von Ecowas suspendiert ist. Der Umweg und die Kosten für die Sicherheitseskorten auf den von Terroristen bedrohten Straßen treiben die Preise in die Höhe.
Das Grundnahrungsmittel Reis ist um rund ein Drittel teurer geworden. Einzig die Tatsache, dass der Niger Öl produziert und über Raffinerien für die eigene Benzinproduktion verfügt, bewahrt das Land vor dem völligen Kollaps.
In der Schneiderstube tut sich nichts, es ist dunkel, der Strom mal wieder weg. Als Teil der Sanktionen hat das benachbarte Nigeria die Stromexporte in den Niger ausgesetzt. Zwar ist der angedrohte Einmarsch von Ecowas-Truppen vom Tisch, die USA vermittelten hinter den Kulissen – um, so ist zu hören, das Land nicht noch weiter in Richtung Russland zu treiben.
Sowohl Ecowas als auch der Westen würden inzwischen wohl auch eine Übergangsphase zur Demokratie von 18 Monaten akzeptieren. Doch die Generäle beharren auf mindestens der doppelten Zeit – und zeigten zuletzt mit der Aufhebung des für Europa so wichtigen „Gesetzes 36“ zur Kriminalisierung des Schlepperhandwerks, dass sie sich um die Beziehungen mit der EU wenig scheren.
Die Sanktionen sind insgesamt weitreichender und lang anhaltender als bei den vorangegangenen Putschen in Burkina Faso, Mali und Guinea, auch im Finanzsektor, die Banken haben nur wenig Bargeld. Doch die Hoffnung, dass die Generäle einlenken würden, hat sich nicht erfüllt.
Zeit, um in dunkler Mittagshitze über Russland zu reden. „Seit drei Jahren schreibe ich auf Facebook, dass Putin unsere Probleme am besten versteht, dass er sich für Afrikaner einsetzt“, sagt Bello. Als im Juli die Präsidentenleibgarde gegen Bazoum revoltierte, habe er Fahnen verteilt, so schnell er konnte. „Anfangs habe ich das aus eigener Tasche bezahlt, dann kamen Spenden aus der Bevölkerung hinzu“, sagt er. Umgerechnet seien mehr als 3000 Euro ausgegeben worden.
Von Russland habe er keine Unterstützung bekommen, so Bello, „aber ich bin mit der russischen Botschaft in Mali in Kontakt“. Er hofft nun auf Gesten der Dankbarkeit: Der Aktivist, der Russland im Niger zum Scheinriesen machte, hat die Finanzierung „humanitärer Projekte“ angefragt. Bislang ohne Erfolg.
Klar ist, dass Russland seinen Einfluss in Afrika auch nach dem Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zumindest halten möchte. Deshalb war der stellvertretende Verteidigungsminister Yunus-Bek Jewkurow in Mali und Burkina Faso. Ein Wagner-Engagement lehnte Burkina Faso bislang ab, man strebt eine offizielle Militärkooperation an. Und die Frage, ob Wagner-Truppen bereit sind, Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium zu unterzeichnen, ist nach dem Tod ihres Anführers ungeklärt.
Im Niger fiel es Russland angesichts des anhaltenden amerikanischen Einflusses bislang schwer, Fuß zu fassen. Bei einer Pressekonferenz mit dem von der Junta ernannten Ministerpräsidenten, Ali Lamine Zeine, fragte ein Journalist von „Russia Today“, ob das Land eine Partnerschaft mit Moskau anstrebe. Der Politiker lächelte und schüttelte den Kopf. Seit der Landung der russischen Militärmaschine jedoch ist klar, dass sich diese Haltung zu ändern beginnt.
Auch in Burkina Faso kam der Kreml bislang eher langsam voran, aber auch dort gab es zuletzt Bewegung: In einem der großen Hotels der Hauptstadt Ouagadougou, so ist zu hören, buchten sich Mitte November mindestens 50 russische Soldaten ein. Es wird gemunkelt, sie seien für eine Fortbildung der Präsidialgarde da.
Vorangegangen war eine Absichtserklärung über den Bau eines Atomkraftwerkes durch den russischen Konzern Rosatom, sowie über die Intensivierung der kulturellen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Das klingt spektakulär, bleibt angesichts der unrealistischen Finanzierung aber vage – ein Problem, das Wagner in Mali ebenfalls hat. An den öffentlichen Plätzen Ouagadougous weht neben den Fahnen von Burkina Faso, Mali und Niger nun jedenfalls auch die russische.
In Nigers Bevölkerung sieht nicht jeder die russische Einflussnahme so gerne wie Bello. In einem geschützten Hinterhof bittet Dana Ibrahim, 49, zum Gespräch. Im Niger nennen sie den Aktivisten den „General der Straße“, weil er über die sozialen Medien Zehntausende mobilisieren kann. 21 Mal ist er während der Präsidentschaft von Bazoum und dessen Vorgänger Mohammadou Issoufou wegen der Organisation von Demonstrationen verhaftet worden. Er erzählt das nicht ohne Stolz.
Schon wenige Tage nach dem Coup habe ihn die Armee um Hilfe gebeten. Massenkundgebungen sollten der internationalen Gemeinschaft signalisieren, dass das Volk aufseiten des Militärs sei – und ein Eingreifen von Ecowas-Soldaten entsprechend riskant. Man dürfe den Hass gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich nicht mit Unterstützung für Russland verwechseln, sagt Ibrahim.
Denn darum sei es gegangen: Frankreich, das er bezichtigt, die Bedingungen zur nigrischen Uran-Förderung diktiert zu haben, aus dem Land zu werfen. Andere im Niger sehen dieses Narrativ eher als Deckmantel für politische Machtkämpfe. Viele glauben, dass das Netzwerk von Ex-Präsident Issoufou den Putsch initiierte, weil es um die wachsenden Erdöl-Einnahmen bangte.
Die ausgeprägte antifranzösische Stimmung im Land bot dem Putsch ohne Zweifel einen vorzüglichen Nährboden. Und die Ressentiments scheinen stärker zu sein als die Sorge vor den zunehmenden Terroranschlägen, die zuletzt nur noch 50 Kilometer von der Hauptstadt Niamey entfernt waren.
Dieses Problem könne man allein lösen, behauptet Bello. „Ohne Frankreich haben wir die Terroristen in sechs Monaten besiegt.“ Eine vollmundige Prognose angesichts von gerade einmal 20.000 Soldaten und leerer Kassen. Seit dem Putsch ging fast die Hälfte der Staatseinnahmen verloren, was die Zahlung der Gehälter in der Armee schon in einigen Monaten gefährden könnte.
Beim Rauswurf der mehr als 1500 französischen Soldaten im Oktober wendeten Bello und seine Leute rigorose Methoden an: Zerstörungen an der französischen Botschaft und eine regelrechte Einkesselung der Soldaten. „Wir haben die Lieferungen von Lebensmitteln an die Militärbasen der Franzosen blockiert, auch den Abtransport der Abwassertanks“, sagt Bello.
Mit den anderen westlichen Militärkontingenten habe die Bevölkerung im Niger dagegen keine Probleme, so der Aktivist. Nur mit den Amerikanern habe man Stress gehabt. „Ihre Zugangskarten wurden benutzt, um die französischen Soldaten mit Nahrung zu beliefern.“ Man habe der US-Botschaft zu verstehen gegeben, dass damit ihr Stützpunkt in Agadez gefährdet sei. Kurz darauf gaben die Franzosen auf, begannen ihren Abzug.
Glaubt man Bello, dann wird auch der Kreml im Niger nicht wirklich Fuß fassen können. Die russischen Flaggen habe man vor allem eingesetzt, um Druck für einen französischen Abzug aufzubauen. „Niemand wird an die Stelle Frankreichs treten, auch Russland nicht“, sagt auch Ibrahim, „wir brauchen keinen neuen Kolonialherren“. Bleibt abzuwarten, ob Moskau das auch so sieht.