Das Leiden der jungen Mutter Namazzi
Nirgends blieben die Schulen wegen der Covid-Pandemie länger geschlossen als in Uganda. Seit ein paar Tagen haben sie wieder geöffnet. Doch fast jeder dritte Schüler, so fürchtet selbst die Regierung, wird nicht zurückkehren
Die junge Mutter Oli Namazzi kuschelt ihren neun Monate alten Sohn Vincent an sich. Ihre kleine Hütte im Dorf Mairikiti ist völlig überfüllt, auf wenigen Quadratmetern wird gekocht, gegessen, geschlafen – und gewickelt. Das Geld ist knapp, das Einkommen ihres Mannes, ein Motorradtaxi-Fahrer, reicht gerade so für das Nötigste.
Die schüchterne Frau ist regelrecht ins Erwachsenen-Leben katapultiert worden. Die Schülerin war 17 Jahre alt, als die Covid-Pandemie begann – und die Schulen in Uganda schlossen. Und zublieben, länger als in jedem anderen Land. 83 Wochen, nur wenige Schulen waren zwischen Oktober 2020 und Juni 2021 zwischenzeitlich geöffnet. Als der Unterricht landesweit am 10. Januar, vor wenigen Tagen also, wieder begann, blieb Namazzi zu Hause. Sie war jetzt Mutter, frisch verheiratet, keine Schülerin mehr. Beides zusammen lässt sich in dem ostafrikanischen Land nur schwierig vereinbaren.
Lange hatte sich die Regierung von Langzeitpräsident Yoweri Museveni gegen eine Öffnung gesträubt – ungeachtet der Tatsache, dass die Bevölkerung Ugandas mit einem Durchschnittsalter von nicht einmal 17 Jahren zu den jüngsten der Welt gehört. Und dass Uganda mit 158.000 Infektionen und 3411 vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. Experten gehen angesichts von Studien zur Übersterblichkeit durchschnittlich von einem dreimal so hohen Wert in afrikanischen Ländern aus. Doch auch 10.000 Tote wären im Vergleich etwa zu Südafrika (offiziell 93.000 Tote) ein sehr niedriger Wert.
Namazzis Fall illustriert die katastrophalen Folgen derart langer Schulschließungen. Lieblingsfächer Geographie und Biologie, Berufsziel Krankenschwester. Dann kam der kleine Vincent, wie in den meisten Ländern stieg auch in Uganda während der Pandemie die Zahl der Teenageschwangerschaften. Die 47.000 Schulen werden teilweise von erzkonservativen Kirchengruppen betrieben, die sich entschieden gegen den Schuleintritt von Müttern oder Schwangeren wehren. Oft legt auch schlicht die Familie ihr Veto ein.
„Wenn ich eine Chance zur Rückkehr hätte, würde ich das tun“, sagt Namazzi. Doch dagegen spricht nicht zuletzt das Geld. Gebühren und Unterrichtsmaterialien summieren sich in weiterführenden Schulen in Uganda auf über 400 Euro jährlich. Das war vorher schon schwierig. Jetzt ist es völlig unmöglich für sie.
Die finanzielle Belastung ist für viele der 16 Millionen Schüler des Landes ein existenzielles Problem. Davon geht auch die Regierung aus. Im August 2021 kalkulierte die Regierungsagentur „National Planning Authority“, dass „30 Prozent der Lernenden wahrscheinlich nie zur Schule zurückkehren werden“. Trotzdem wurden die meisten Schüler in Uganda schlicht eine Klasse nach oben gestuft, in der Erwartung, dass sie den verpassten Stoff schon aufholen werden. Doch weder dafür, noch die finanzielle Belastung hat der Staat nennenswerte Unterstützungsmaßnahmen bereitgestellt.
Dabei gehören fast alle ugandischen Schüler zu den 500 Millionen Minderjährigen weltweit, die während der Covid-bedingten Schulschließungen keinen Zugang zu Fernunterricht hatten. Zudem haben viele Ugander ihren Arbeitsplatz verloren – und planen ihre Kinder verstärkt für Aufgaben im Haushalt ein. Oder sie erwarten, dass sie Geld verdienen.
Das andere Problem sind die Lehrer. Offiziell wurde die Öffnung mit der Impfung dieser Berufsgruppe begründet. Doch von den 550.000 Lehrern ist nur jeder sechste vollständig geimpft, jeder zweite bekam immerhin die erste Impfdosis – auch hier offenbart sich neben Problemen beim Zugang auch erhebliche Impfskepsis. Wie in den meisten Entwicklungsländern mangelt es auch in Uganda an Informationskampagnen.
Hinzu kommt, dass das Lehrergehalt in Uganda umgerechnet gerade einmal rund 100 Euro im Monat beträgt. Während der Pandemie hat so mancher Pauker erfolgreich umgesattelt. Vincent Orono zum Beispiel, er verdingt sich inzwischen als Taxi-Fahrer. Sein Gehalt ist nun höher, der 26-Jährige begann sogar mit dem Bau eines Hauses. „Ich denke, ich werde nie wieder zum Unterrichten zurückkehren“, sagt er. Es zahle sich einfach nicht aus.
„Ugandas Bildungssystem steckt nach der Wiedereröffnung in echten Schwierigkeiten“, sagt Stephen Epajjar Ojulu, Direktor der Hilfsorganisation „Growth Netzwerk Uganda“. Einige Kinder seien Eltern geworden, andere müssten arbeiten – besonders die Mädchen, von denen Familien laut internationaler Studien während der Schulschließungen erwarteten, deutlich mehr Zeit als Jungs mit Haushaltsarbeiten zu verbringen.
Die junge Mutter Namazzi hat alle Hoffnung auf einen Schulabschluss verloren. Den Traum von der Eigenständigkeit will sie dagegen noch nicht aufgeben: „Irgendwann würde ich gerne eine Ausbildung zur Friseurin machen.“
(mit Henry Wasswa. Foto: Henry Wasswa)