Christian Putsch

Südafrikas Warteschlange des Wahnsinns

Christian Putsch
Südafrikas Warteschlange des Wahnsinns

In ganz Südafrika gibt es nur eine Maschine für den Druck von Führerscheinen. Die müssen aber alle fünf Jahre erneuert werden, in diesen Tagen auch von unserem Autor. Was aber, wenn die Maschine kaputt ist?

Wohl nichts knüpft das Band der Freundschaft schneller als ein Besuch beim südafrikanischen Straßenverkehrsamt. Alle fünf Jahre steht die Verlängerung des Führerscheins an, inklusive Sehtest, vier Passbildern (schwarz-weiß) und Dutzenden Formularen. In der Schlange, die rund 50 Meter vor dem Kapstädter Gebäude beginnt, reihe ich mich an einem brüllend heißen Mittwochmorgen im Januar hinter einem jungen Südafrikaner ein, der das Trikot des beliebten Fußballvereins „Bloemfontein Celtic“ trägt. 

In zwei Stunden müssten wir doch fertig sein, sage ich mit möglichst wenig Zweifel in der Stimme. Da bin ich zum Mittagessen verabredet. Der Mann lacht nur angesichts meiner lächerlichen Bemerkung: „Niemals.“ Es wird eine Stunde vergehen, bis ich das Gebäude betreten kann. Drei weitere, bis ich es wieder verlasse. Über 100 Mal verrücken wir von Stuhl zu Stuhl, eine Sitzschlange sozusagen, die in Südafrikas Verwaltung Wartemarken meist vorgezogen wird. Stühlerücken zuerst an der Anmeldung, dann beim Sehtest und schließlich beim Bezahlschalter. Genug Zeit, um alles über die bewegte Vereinsgeschichte der Celtics zu lernen, der – wie es weltweit bei Traditionsvereinen schon mal üblich ist – gerade mehr oder weniger insolvent und in der dritten Liga ist.

Warum ich das erzähle? Weil bei mir, wie auch Hunderttausenden anderen Führerscheinbesitzern in Südafrika, äußerst fraglich ist, ob sich die Tortur gelohnt hat. Denn die einzige Druckmaschine für Führerscheine des Landes, so erzählt es mir der Mitarbeiter beim Sehtest, ist kaputt. Die sei gerade in Deutschland – zur Reparatur. Das könne dauern. Monate. Auch er trägt ein Fußball-Trikot, Liverpool, was ich als subtilen Ausdruck der Sehnsucht interpretiere, Teil eines funktionsfähigeren Teams als dieser Amtsstube zu sein.

Die Geschichte war mir entgangen. Noch auf dem Handy lese ich die entsprechenden Nachrichten. Die auserkorene Maschine war im Jahr 1998 in Deutschland erworben worden. Sie hatte ein knappes Vierteljahrhundert durchgehalten, südafrikanischen Medien zufolge länger als in den meisten anderen Ländern. Bis zum November, da ging dann nichts mehr. „Die Maschine ist alt“, gab Transportminister Fikile Mbalula zu Protokoll. Weltweit gebe es nur noch 13 Länder, die sie einsetzen würden.

Rund 500.000 Führerscheinausdrucke haben sich inzwischen angestaut, denn ein Ersatz stand nicht bereit. Ein Sprecher des Automobilclubs Südafrika erklärte dieses Versäumnis in einem Interview wohlwollend mit Antikorruptionskampf. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Im Jahr 2007 fanden Ermittler 42.000 gefälschte Führerscheine im Computersystem, es gab Hunderte Verhaftungen. Je weniger Maschinen, so die fragwürdige Logik, umso weniger Fälschungsmöglichkeiten.

Gut möglich aber auch, dass man die Angelegenheit schlicht nicht ganz durchdacht hatte. Das würde ins aktuelle Bild der Behörden passen. Die südafrikanische Bahn stellte gerade fest, dass sie 3000 Leute auf dem Lohnzettel haben, die gar nicht für sie arbeiten. Und erst Anfang Januar brannte das Parlament in Kapstadt in Teilen ab. Ein Obdachloser war unbehelligt in das unversicherte Gebäude gestiegen, weil niemand im Dienst war, um die Sicherheitskameras zu überwachen. Man wollte den Wochenendzuschlag sparen. Dazu über Jahre hinweg offenbar auch Wartungsarbeiten: Wassersprinkler und der Feueralarm versagten ebenfalls. 

Bei der Vergabe von Führerscheinen gab es derweil immer wieder absurde Probleme. Im vergangenen Jahr demonstrierten Hunderte Fahrlehrer in Johannesburg, weil Termine plötzlich nur noch online vergeben wurden. Betrüger hatten sämtliche Termine geblockt und sie an verzweifelte Antragssteller verkauft. Da sei „ein hoch organisiertes Verbrechersyndikat“ am Werk, gab die zuständige Provinzregierung erschrocken zu Protokoll. Hier werde mit einem „ineffizienten und extrem korrupten System viel Geld gemacht“, heißt es weiter. Eine Beschreibung, die man durchaus als Selbstkritik verstehen kann. Seitdem wird wieder angestanden.

Ende Januar verkündete Minister Mbalula dann doch noch ein vermeintliches Happy End. Die Maschine sei repariert und wieder im Einsatz, „das Team arbeitet Tag und Nacht“. Eigentlich war die kaputte Maschine erst im März zurückerwartet worden. Doch Mbalula nennt sich auf Twitter „Mr Fix“, und Nomen est omen: „Hier sind eure Führerscheine“, schreit er in einem auf dem sozialen Netzwerk geposteten Video mit einem Stapel in der Hand, „sie sind auf dem Weg zu euch.“

Beziehungsweise umgekehrt. Per SMS kann man angeblich den Status der Bearbeitung abfragen. Es kommt auch tatsächlich eine Antwort. Man solle doch bitte bei der Behörde vorbeischauen und dort nachfragen, heißt es schlicht. Den Weg werde ich dann wohl noch einige Male antreten. Zurück in die Warteschlange des Wahnsinns. Freundeskreis erweitern.