Christian Putsch

Das Ende der Townshiptouren

Christian Putsch
Das Ende der Townshiptouren

Kapstadt – Wieder fährt einer der roten Touristenbus direkt an ihrem kleinen Haus am Rande des Townships vorbei. Und wieder schaut Thobeka Mdlalo wehmütig hinterher. Normalerweise hielt er nur wenige Meter weiter, direkt vor der Polizeistation. Dort wartete dann Mldalo und nahm bis zu 30 Touristen am Tag in Empfang – ihre Touren durch ihren Kapstädter Township Imizamo Yethu gehörten zu den beliebtesten Stationen des Hop-on-hop-off-Bussystems.

Wegen der Covid-19-Pandemie hat der Anbieter diesen Programmpunkt aber gestrichen. Zu groß das Risiko für beide Seiten, auch in Südafrika sind die Infektionszahlen in den vergangenen Wochen wieder stark gestiegen. In den riesigen Bussen sitzen oft ohnehin nur eine Hand voll Touristen. Internationale Besucher gibt es in diesem Jahr kaum, wenngleich etwa die Lufthansa zuletzt die stark reduzierten Verbindungen aus Deutschland wieder etwas erhöht hat. Es sind in erster Linie die Weihnachtsferien-Reisenden aus Johannesburg, die Mdlalo gerne in Empfang nehmen würde. „Die fallen jetzt auch weg“, sagt sie, „die letzte Tour hatte ich vor zwei Wochen.“

Für die 42-Jährige sind es harte Zeiten. Seit fast einem Jahrzehnt führt Mdlalo nun Touristen durch ihren Township, zu Fuß selbstverständlich, die einzige authentische Erfahrung. In den Boom-Monaten Dezember bis März verdiente sie oft umgerechnet über 50 Euro am Tag – das machte sie zu einer der Top-Verdienerinnen in Imizamo Yethu. Diese Einnahmen sind schlagartig weggefallen, zudem erkrankte sie im April selbst mit heftigen Symptomen am Corona-Virus und erholte sich nur langsam. „Die Situation macht mich sehr traurig, es wäre sonst um die Zeit so viel Leben hier“, sagt sie, „ich bin auch irgendwie wütend, weil ich meiner Tochter nicht einmal eine neue Jeans kaufen kann.“ 

In Imizamo Yethu kennen die meisten die umtriebige Frau. Ihre Touren waren in dem Armenviertel akzeptiert, schließlich kauften die Touristen nicht selten für Dutzende Euro Kunst im Gemeindezentrum. Und Getränke und Essen von Familien, die kochen. Und Snacks in den „Spaza-Shops“, wie kleine Läden in Südafrika genannt werden. Einen Teil ihrer Einnahmen teilte Mdlalo zudem mit den Menschen, die sie mit den Touristen besucht.

Sie kennt die Kritik von Leuten, die Township-Touren als Armuts-Voyeurismus brandmarken. Es gebe Situationen, in denen sie aufpasse, dass keine Fotos gemacht würden, sagt sie. Aber viel öfters würden die Bewohner der Blechhütten sogar zu gemeinsamen Fotos einladen. Mdlalo will beide Welten wenigstens etwas annähern. „Die große Mehrheit der Bewohner freut sich über die Besuche und die wirtschaftlichen Möglichkeiten“, sagt die Fremdenführerin, die wie so viele einst zur Arbeitssuche aus dem strukturschwachen Ostkap nach Kapstadt kam, „unsere Besucher sehen die Armut, aber sie sind auch sehr beeindruckt von der Menschlichkeit und der Gemeinschaft, die sie hier erleben.“

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Und dem Willen, das eigene Leben zu verbessern. Zuletzt organisierten sich Dutzende in der Nachbarschaft, um den Müll auf den Straßen regelmäßig selbst einzusammeln, nachdem die Stadt diese Aufgabe jahrelang vernachlässigt hatte. Mdlalo selbst baute ein beeindruckendes Blumenbeet am Rande einer belebten Straße an, renovierte ihr Haus. Darauf hatte sie jahrelang gespart, das wollte sie sich nicht auch noch nehmen lassen.

Als in Südafrika im April einer der strengsten Lockdowns der Welt verhängt wurde, setzte sie sich an die Nähmaschine und nähte Masken. Und Kleider. Manchmal verkauft sie auch Dinge, von Second-Hand-Kleidung über selbstgemachte Muffins bis hin zu Würstchen. Sie verdient damit nur einen Bruchteil ihres bisherigen Einkommens. Aber immerhin.

Doch Mdlalo vermisst den täglichen Austausch, die Energie neuer Begegnungen, auch mit den Touristen. Sie kann einfach nicht stillsitzen. Das weiß jeder hier, sie sagt es selbst über sich. „Ich hasse es aufzuwachen und nichts zu tun“, sagt sie, „also tue ich etwas.“