Die Insel mit der härtesten Impfpflicht der Welt
Moroni – Als Marna Issa in das Taxi stieg, dachte sie, sie würde zum Markt fahren. Kurz Windeln für das Baby kaufen, etwas Gemüse noch, dann zurück nach Hause. Stattdessen sitzt sie nun in Tränen aufgelöst und von zwei Polizisten flankiert in einer Polizeiwache in Moroni, der Hauptstadt der ostafrikanischen Inselgruppe Komoren. Die Frau in dem rosafarbenen Kleid wird das Zimmer erst verlassen dürfen, wenn sie sich gegen das Coronavirus hat impfen lassen.
Sie war in eine Straßensperre der Polizei im Zentrum von Moroni geraten. Impfkontrolle in dem winzigen Staat. Issa hatte keinen Nachweis. Bei der letzten Kontrolle war sie noch schwanger gewesen. Das gilt allgemein nicht als Grund, auf eine Impfung zu verzichten. Doch ihr Arzt hatte ihr eine Bescheinigung ausgestellt, die sie vorübergehend von der Impfpflicht befreite, die auf den Komoren so streng wie nirgends gehandhabt wird. Nun ist das Baby da. „Ich habe Asthma“, protestierte die junge Mutter noch, aber die Befreiung ist nichtig. Die Polizisten begleiteten sie mit anderen Ungeimpften auf das Revier.
So sitzen drei Uniformierte im Medizinraum der Wache und stellen sicher, dass das Versäumnis nachgeholt wird. Durchaus höflich reden sie auf die weinende Frau ein, rufen noch einmal den Arzt an, der die Impfeignung bestätigt, während die Krankenschwester bereits eine Dosis des chinesischen Impfstoffs Sinopharm aus einer Styroporbox nimmt. Es gebe keinen Anlass zur Sorge, sagt der Chef der Polizeiwache Zakaria Abdallah und zeigt ihr seinen eigenen Impfnachweis. „Alles ganz freiwillig“, beteuert er, als Issa, 33, schließlich den Arm freimacht. Die sagt nur: „Ich habe keine Wahl.“
Nicht einmal eine Million Menschen wohnen auf den Komoren – einst wurde das Land berühmt, weil hier das Militär über 20 Mal versucht hat, sich an die Macht zu putschen. Der letzte erfolgreiche Staatsstreich ist allerdings über zwei Jahrzehnte her, in diesen Tagen versucht man sich als vorbildliche Impfnation einen Namen zu machen. 67 Prozent der Erwachsenen sind laut Regierungsstatistik geimpft, das entspricht 36 Prozent der Bevölkerung. Damit zählt man in Afrika zur absoluten Spitzengruppe. Auf dem Kontinent liegt die Impfquote durchschnittlich bei elf Prozent, weltweit sind 55 Prozent aller Menschen geimpft.
Für die Regierung der Komoren gilt dabei: Der Zweck heiligt die Mittel. Mit den polizeilichen Maßnahmen geht das Land weiter als andere Staaten, die beim Thema Impfungen einem harten Kurs folgen. Länder wie Ecuador, Turkmenistan und Tadschikistan setzen mit empfindlichen Geldstrafen auf die Durchsetzung von Impfpflicht – ein Unterfangen, von dem Österreich bekanntlich gerade Abstand genommen hat. In Afrika, wo es in vielen Ländern weiterhin an Impfstoffen mangelt, stechen die Vorschriften in den Komoren noch eklatanter hervor. Während es durchaus Impfpflicht für Staatsbedienstete gibt, in Ghana und Simbabwe etwa, legte Kenia Pläne für eine umfassendere Impfpflicht zu den Akten. Zeitweise hatte man den Zutritt zu Regierungsgebäuden und öffentlichen Verkehrsmitteln vom Impfstatus abhängig machen wollen.
Ein Kühlraum im Zentrum von Moroni. Die Geräte sind frisch installiert anlässlich des Besuchs der US-Botschafterin Amy J. Hyatt, die eine Spende der USA über 160.000 Impfdosen zu verkünden hat. Die Regierung der Komoren hatte darum gebeten, um auch die Kinder über 12 Jahre impfen zu können – das bislang überwiegend verwendete Sinopharm ist dafür nicht zugelassen. Eine wichtige Maßnahme, um die Gesamtimpfquote weiter zu heben. Das Durchschnittsalter auf den Komoren beträgt schließlich gerade einmal gut 20 Jahre.
Die Diplomatin richtet sich mit anerkennenden Worten an Jugendminister Takiddine Youssouf. „Ich möchte der Regierung meinen Respekt für ihre Führungsleistung aussprechen, die es so vielen ermöglicht hat, sich impfen zu lassen“, sagt sie. Sie habe ihre drei Kinder alle impfen lassen, erzählt Hyatt. „Ich hoffe, dass viele Eltern ihre Eltern ebenfalls impfen lassen möchten.“
Mit Zwang? Der Minister weicht der Frage aus, man setze auf Informationskampagnen. Aber insgesamt würden die Resultate das bisherige Vorgehen ja rechtfertigen. 160 Patienten mit Covid sind im Laufe der Pandemie auf den Komoren gestorben, nur einer war geimpft. Anwesende Repräsentanten des Kinderhilfswerks Unicef teilen nach der Pressekonferenz eilig mit, dass man natürlich gegen Impfungen als Voraussetzung etwa für den Schulbesuch sei. Schließlich würde das Bildungsziele gefährden.
Doch genau dazu könnte es kommen. Nur ein paar Kilometer vom Kühlraum entfernt hat Verteidigungsminister Youssoufa Mohamed Ali
sein Büro. Ein freundlich auftretender Mann, der seinen Besuchern schon mal anbietet, im Dienstwagen mitzufahren, wenn kein Taxi verfügbar ist. Man habe das mit den Impfungen für die Jugendlichen schon im Kabinett besprochen, sagt er. „Wir ermutigen am Anfang in erster Linie, aber die Impfungen werden auch für Kinder über zwölf verpflichtend sein“, sagt Ali. Nicht per Zwangsimpfung im Revier, sondern durch indirekten Druck. „Wir werden mit den Schulleitern reden, dass nur geimpfte Kinder die Schulen betreten dürfen. Und für Prüfungen wird man den Impfnachweis vorlegen müssen.“ Durchsetzbar ist das, die Impfstoff-Spende der USA ist an keine Bedingungen gekoppelt.
Der Politiker weiß, dass die Strategie umstritten ist. Der bekannteste Menschenrechtsanwalt des Landes, Abdoulbastoi Moudjahidi, bezeichnet die Methoden als „schlicht falsch“. Die Regeln seien von der Regierung erlassen worden, ohne dem Parlament ein entsprechendes Gesetz zur Abstimmung vorzulegen – angesichts des polizeilichen Zwangs sei das ein Unding. „Der Zwang von Minderjährigen ist noch schlimmer, weil sie nicht ihre eigene Entscheidung treffen können.“ Es gebe viele Kritiker, aber niemand ziehe damit vor Gericht, „weil sie wissen, dass dort nur die Regierung gewinnen kann – das wäre eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie.“
An Minister Ali perlt derartige Kritik ab. Seine Regierung ist stolz auf die hohe Impfquote, während viele andere Länder der Region mindestens so viel mit Impfskepsis wie mit Zugang zu Impfdosen und der notwendigen Infrastruktur kämpfen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden nur rund die Hälfte der empfangenen Impfdosen auch verwendet – in der Hälfte aller afrikanischer Länder seien Impfstoffe abgelaufen. „Die geringe Impfquote scheint die Folge unzureichender Impfstoffnachfrage und begrenzten Kapazität zur Einführung des Impfprogramms zu sein“, heißt es in einer aktuellen WHO-Mitteilung. Es bedürfe „technischer und finanzieller Unterstützung“, um wie geplant bis Mitte des Jahres 70 Prozent der Bevölkerung impfen zu können – ein Ziel, das unter jedem denkbaren Szenario utopisch bleiben wird.
Politiker Ali ist dagegen ein Mann der einfacheren Lösungen: „Andere Länder üben einfach nicht genug Druck auf ihre Bevölkerung aus“, sagt er, „wir hatten von Beginn der Pandemie an ein Komitee, an dem auch die Sicherheitskräfte beteiligt sind. Davon können andere lernen.“ Das Argument mit den verletzten Menschenrechten lässt er nicht gelten. „Man schützt mit der Impfung doch auch andere“, sagt er, „wer das verweigert, ist kein Patriot.“
Auf dem Polizeirevier ist die junge Mutter Issa gerade nicht in der Verfassung, um sich über Fragen der Vaterlandsliebe Gedanken zu machen. Auch auf den Komoren kursieren Fake News zum Coronavirus, in einer WhatsApp-Nachricht hatte sie gelesen, dass sich Asthma-Patienten wie sie keinesfalls impfen lassen sollten. Die Impfung ist jetzt ein paar Minuten her, sie sackt auf ihrem Stuhl zusammen. „Der psychische Effekt“, sagt einer der Polizisten nur, ohne groß aufzublicken, während ein anderer den Arm stützend um die Frau legt.
Kurz darauf steht Issa auf, sie wirkt jetzt gefasster. Noch immer stehen die Polizisten in der Nähe, sie will das Ganze nicht kritisieren. „So sind nun einmal die Vorschriften“, flüstert sie. Die Krankenpflegerin blättert derweil in einem Listenverzeichnis. Eigentlich hätten heute über 30 Patienten für ihre zweite Impfdosis kommen sollten.
Bis zum Nachmittag waren es ganze vier. So mancher lässt es weiter auf die nächste Kontrolle ankommen.