Die Baumflüsterin
In Afrika soll eine 8000 Kilometer lange Mauer aus Bäumen und Pflanzen die Sahelzone vor Klimawandel und Überweidung schützen. Die Initiative hinkt den ambitionierten Zielen weit hinterher. Im Norden des Senegals aber hat eine junge Mutter 50.000 Bäume gepflanzt. Und will erst aufhören, wenn ihre Heimat gerettet ist
Koyli Alpha – Kumba Ba ist 23 Jahre alt. Und sie hat über 50.000 Bäume gepflanzt. Im von Fulani-Nomadenhirten bewohnten Dorf Koyli Alpha im Norden Senegals, ist das Rekord. Einen, den sie Tag für Tag ausbaut, seit nunmehr einem Jahrzehnt schon. Baum für Baum.
Ba sitzt im staubigen Vorhofes einer Baumschule, 44 Grad, und wieder schaufelt sie Erde und Akaziensetzlinge in kleine schwarze Plastiktüten. Hunderte sind hinter ihr aufgereiht, bis sie die ersten zarten Wurzeln geschlagen haben und einige Kilometer weiter in den ausgetrockneten Boden der Sahelzone eingepflanzt werden. Bäume werden ihr Leben verändern, sagt sie. Und das ihrer beiden Kinder. „Diese Hoffnung werde ich immer haben.“
Diese hohen Erwartungen teilt sie mit erheblichen Teilen des Kontinents. Ba’s Dorf ist Teil von Afrikas „Großer Grünen Mauer“, einem äußerst ambitionierten Projekt der Afrikanischen Union (AU). Vom Senegal im Westen aus werde sich ein knapp 8000 Kilometer langer und mindestens 15 Kilometer breiter Streifen aus Bäumen und Bepflanzungen ziehen, quer durch die Sahelzone, bis hin zur Ostküste in Dschibuti. 100 Millionen Hektar Land. Die dreifache Fläche Deutschlands.
Das Ziel: Die Ausbreitung der Sahara-Wüste stoppen und die Qualität des Bodens verbessern, der durch Klimawandel, Überweidung und hohes Bevölkerungswachstum erschöpft ist. Die Vereinten Nationen schätzen das aktuelle Ausmaß der dortigen Bodendegradation auf das „30 bis 35-fache der historischen Rate“.
Ein derart wohlklingendes Konzept wie das einer kontinentalen grünen Mauer, soviel ist inzwischen jedoch klar, lässt sich leichter formulieren als umsetzen. Erstmals wurde die Idee vor 70 Jahren durch den britischen Umweltaktivisten Richard St. Barbe Baker aktenkundig. Unter dem Eindruck außergewöhnlicher Dürreperioden der 1970er und 1980er Jahre forcierte die AU das Projekt, das im Jahr 2007 mit Hilfe der UN und der Europäischen Union aus der Taufe wurde.
Doch 15 Jahre später ist nur ein Bruchteil fertiggestellt. Mal ist von vier, mal 15 Prozent die Rede – der für das Jahr 2030 anvisierte Abschluss der Initiative ist jedenfalls utopisch. Pandemie, Terrorismus und politische Instabilität in der Sahelzone lassen die Anpflanzung in Ländern wie Burkina Faso, Mali, Sudan und Niger weitgehend zum Erliegen kommen.
Und es fehlt nicht zuletzt am nötigen Geld. Dabei versprach im Jahr 2015 der Pariser Klimagipfel COP21 stolze vier Milliarden Dollar. Davon sind nach Angaben der Weltbank gerade einmal 870 Millionen geflossen – die mit der Umsetzung beauftragte Agentur spricht sogar von gerade einmal 200 Millionen Dollar. Die UN bemängelte die „unklaren Zuständigkeiten“.
Doch besonders für die Außenpolitik von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist das Projekt elementar, die ehemalige Kolonialmacht versucht damit seinen ramponierten Ruf in Westafrika aufzupolieren. Zusammen mit der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel gab Macron im vergangenen Jahr eine Finanzspritze zahlreicher Industrienationen bekannt. Drei Milliarden Euro sollen pro Jahr zur Verfügung gestellt werden. Mit guten Argumenten: 250 Millionen Tonnen Kohlenstoff sollen gebunden und zehn Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden – wichtige Beiträge für die in Europa vielzitierte Bekämpfung von Fluchtursachen und Klimawandel. Knapp 90 Millionen Menschen leben in der Sahelzone, ihre Zahl wird sich bis zum Jahr 2050 voraussichtlich verdoppeln.
Doch positive Schlagzeilen bleiben rar. Äthiopien vermeldet Fortschritt, 15 Millionen Hektar verödeter Boden seien wiederhergestellt worden. Der ein oder andere Baum von Premierminister wurde von Premierminister Abiy Ahmed persönlich PR-wirksam angebaut. Auch das politisch stabile Senegal gilt als Vorzeigeland der „Grünen Mauer“, offiziell wurden elf Millionen Bäume gepflanzt und 25.000 Hektar Boden wieder fruchtbar gemacht.
Doch die Situation in Koyli Alpha ist ernüchternd, trotz unermüdlicher Mitarbeiter wie Kumba Ba. Der Gemeindeanführer Samba Sall nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Setzlinge würden in fünf abgetrennten Arealen angepflanzt, doch davon seien derzeit in vier die Zäune kaputt. „Der Abstand zwischen den Pfeilern ist viel zu gering, und der Zaun hat keine gute Qualität“, sagt er.
Eigentlich sollen hier gegen Ende der Trockenzeit Hirten kontrollierten Zugang mit ihren Herden bekommen – gegen eine stattliche Tagesgebühr von rund 1,50 Euro pro Tag und Tier. So soll das Projekt eines Tages selbsttragend gemacht werden. Doch oft reißen die Tiere die Barrieren zu dem fruchtbaren Boden ein. Manchmal sind es auch Viehhirten, die den Zaun zerstören. Für eine flächendeckende Überwachung fehlt das Geld. Als doch mal einer erwischt wurde, sorgte sich ein einflussreicher Politiker um den Frieden in der Region. Er befahl dem Richter, den Festgenommenen straffrei ziehen zu lassen.
In Koyli Alpha zeigt sich immer deutlicher, dass ein derart auf Jahrzehnte ausgelegtes Projekt nur dann Erfolg haben kann, wenn die lokale Bevölkerung einen unmittelbaren Nutzen darin erkennt. Die Dauer des Projektes ist schließlich offen, und entsprechend unsicher sind auch die 120 Euro Monatsgehalt, die einige Bewohner für die Anpflanzungen ausgezahlt bekommen.
Und mit dem die Position von Frauen wie der im Alter von elf Jahren verheirateten Ba in der zutiefst patriarchalen Fulani-Kultur zumindest etwas gestärkt wird. Entsprechend richteten die Projektverantwortlichen einen gigantischen Gemüsegarten ein. Der „Toulou Keur“ (Rundgarten) sollte 250 Frauen einen dauerhaften Verdienst sichern – und Modelcharakter für andere Projektgebiete in der Sahelzone haben.
Der Weg dorthin führt über kaum erkennbare Wege, vorbei an vereinzelten Viehherden und abgegrasten Einöden hin zu dem Garten, der ganz offensichtlich seit Langem kein Garten mehr ist. Gemeindesprecher Samba Sall zeigt auf die zerdörrten Mangobäume. „Die Wasserpumpe geht alle paar Monate kaputt, wir warten mal wieder seit Ewigkeiten auf die Reparatur“, sagt er. Die von der UN beauftragte Agentur aber stelle lediglich den Diesel für die Pumpe bereit. Bei Reparaturarbeiten aber klappe die Koordinierung mit den lokalen Behörden nicht, zumal der Projektverantwortliche im Senegal schwer erkrankt ist und der Nachfolger noch in der Einarbeitung ist. Wiederholt bat das Dorf darum, auf weniger wartungsintensive Solarpumpen umzustellen. Ohne Erfolg.
Der ehemalige deutsche Bundestagsabgeordnete Charles M. Huber sieht dringenden Handlungsbedarf. Seit einigen Jahren arbeitet er als Berater von Senegals Präsident Macky Sall, auch er registriert den schleppenden Fortschritt des Projekts. „Der Senegal ist im Vergleich zu den anderen Ländern noch recht weit, aber die Abstimmungsprobleme gerade im Bereich der Wasserversorgung sind offensichtlich und müssen behoben werden“, sagt Huber.
Es bedürfe deutlich höherer Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft: „Die Menschen in der Sahelzone haben weltweit am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, sie sind aber am meisten davon betroffen“, sagt der entwicklungspolitische Experte. Für die Entwicklung der Region und die gesellschaftliche Stärkung von Frauen seien Initiativen wie die „Große Grüne Mauer“ enorm wichtig.
Bei den Vereinten Nationen räumt man derweil ein, dass man den Zielen weit hinterherhängt. „Wir müssen Kosten berücksichtigen, die anfangs nicht geplant waren“, sagt Christophe Besacier von der federführenden „Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen“ (FAO). Zusätzlich zu jedem investierten Euro für die Begrünung seien jeweils ein weiterer Euro für den Kapazitätsaufbau und für die Überwachung notwendig.
Längst haben sich die Entscheider von dem ursprünglichen Plan einer durchgehenden Mauer aus Bäumen und Pflanzen verabschiedet – man redet lieber bevorzugt von einem „Mosaik“. Es geht um die Unterstützung von vielen kleinen Projekten in Dörfern sowie den Erhalt existierender Baumbestände, indem Alternativen für Brennholz verfügbar gemacht werden. Und die Einsicht, dass es Gegenden gibt, „wo Bäume wieder absterben, auch wenn man sie jedes Jahr neu anpflanzen würde“, wie es Besacier formuliert.
Das bezieht sich auf geografisch kaum zugängliche Orte, aber auch auf Gegenden an der Grenze zwischen Niger und Burkina Faso, die von den Anwohnern wegen der wachsenden Bedrohung durch Terroristen inzwischen weitgehend verlassen worden seien. Nicht zuletzt Landkonflikte zwischen Bauern und Viehhirten haben sich deutlich verschlechtert und die Initiative erschwert.
Das Projekt könne aber nur Erfolg haben, wenn es neben langfristiger Visionen auch zur aktuellen Lebensmittelsicherheit beitrage. „Wir müssen gleichzeitig global und lokal denken“, sagt Besacier, „nur dann können wir bis 2030 versuchen, ein Maximum des Ziels zu erreichen.“ Weniger verklausuliert ausgedrückt: Die in sieben Jahren geplante Fertigstellung ist trotz der jüngsten Finanzierungsversprechen ausgeschlossen.
Kumba Ba wird weiterpflanzen, so viel sie eben kann. Mindestens weitere 50.000 Bäume, sagt sie. So manchem Zaun und Brunnen in der Sahelzone mag es an Stabilität fehlen. Ihren Träumen nicht.