Die Landfrage
In Südafrika gehören die meisten kommerziellen Farmen den Weißen – noch immer, auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Apartheid. Vor den Wahlen am Mittwoch treibt der ANC nun Enteignungen voran. Eine Reise durch ein Land mit verhärteten Fronten
Von Christian Putsch, Fochville
Es ist der Tag, an dem es sieben Jahre her ist. Bernadette Hall zieht an ihrer Zigarette, am Abend werden es 60 sein, trinkt einen Schluck Pulverkaffee, am Abend werden es über zwei Liter sein. Sie ist nach dem Aufstehen an dem Tisch im Flur vorbeigegangen, auf dem fein säuberlich die gerahmten Fotos ihres Mannes angeordnet sind. Sie hat nicht allzu lange hingeschaut, trotz des Jahrestages. Die Vergangenheit soll in der Vergangenheit bleiben, sagt sie, sonst holt sie dich ein.
Links auf dem Flurtisch steht ein Bild ihrer Hochzeit im Jahr 1986. Dazu Aufnahmen vom Sohn, ein Regenbogen über der Farm. Familienidylle. In der Mitte ein Portraitfoto von David, breites Lächeln im unrasierten Gesicht, entstanden nur wenige Monate vor dem 20. Februar 2012, dem Tag, als ihn die tödlichen Schüsse trafen.
Es war schon am frühen Morgen ein heißer Tag damals in Fochville, einer kleinen Farmstadt 80 Kilometer südwestlich von Johannesburg. Bernadette Hall sah die fünf Männer zuerst, vielleicht 30 Meter entfernt, sie trugen ihre Schusswaffen offen. „David, sie haben Pistolen“, rief sie. Er stieß sie in das Molkereigebäude, rief, sie solle die Tür verbarrikadieren. Dann stellte sich der Hüne den Männern in den Weg, schrie sie an, startete ein Handgemenge. Vom Verschlag aus sah Bernadette, wie ihr Mann blutend im Dreck kniete. Dann hörte sie den Schuss. Nun lag er dort, bewegungslos. Tot.
Sekunden später hatten die Männer die Molkerei geöffnet, zerrten die Frau in das Farmhaus. „Wo ist der Safe?“ riefen sie, schlugen mit einem Stromkabel auf sie ein, durchwühlten den Safe, die Kleiderschränke. Sie nahmen die Kreditkarten aus den Portemonnaies. Am Ende fesselten sie die Frau und flohen mit ihrem Auto und 20 Rand – umgerechnet nicht einmal zwei Euro.
Hall, 53, kann sich noch immer gut an den tabakigen Atem des einen Täters erinnern, die Falten im Gesicht des ältesten, den Dreck an ihren Händen. Ihre Kinder reden noch immer auf sie ein, sie solle die Farm verlassen. Doch Hall bleibt. Sie ist seit über 30 Jahren Farmerin, auch der gewaltsame Tod ihres Mannes hat daran nichts geändert. Sie wird es für den Rest ihres Lebens sein. Egal, was die Politiker derzeit sagen, kurz vor den Wahlen am kommenden Mittwoch.
Denn die politische Debatte in Südafrika ist aufgeheizt wie selten in der demokratischen Geschichte des Landes. Ultrakonservative Interessenverbände der Weißen behaupten, dass die Regierung bewusst unzureichend auf die recht zahlreichen Verbrechen gegen die Farmer reagiere. Das macht das dominierende Wahlkampfthema noch brisanter, nämlich die Frage, wem die Agrarfläche gehören soll. Weiße Farmer wie Hall und ihr neuer Lebenspartner André van den Berg besitzen, so lässt die Regierung auf einer Informationsseite im Internet verlautbaren, 72 Prozent des unter privaten Eigentümern registrierten Agrar-Landes.
Wohl nicht ganz ohne politische Erwägungen wird verschwiegen, dass sich Zweidrittel Südafrikas im Besitz von Firmen, Regierung, Kirchen und traditionellen Autoritäten befindet. Doch die Ungleichverteilung ist unstrittig, schließlich stellen die Weißen nur acht Prozent der Bevölkerung. Tendenz sinkend.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Apartheid will der regierende „African National Congress“ (ANC) die Besitzverhältnisse nun mit radikalen Mitteln zugunsten der schwarzen Mehrheit im Land verändern. Im vergangenen Jahrzehnt machte die Partei, die einst unter der Führung von Nelson Mandela Hoffnungen auf eine florierende „Regenbogennation“ geweckt hatte, mit schamloser Korruption Schlagzeilen.
Für Südafrika sind diese Wahlen ein möglicher Wendepunkt. Der seit 15 Monaten amtierende Präsident Cyril Ramaphosa versucht, verloren gegangenes Vertrauen in den ANC zurückzugewinnen. Mit knapp 27 Prozent ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie selten zuvor, die Wirtschaft schlitterte im vergangenen Jahr gar kurzzeitig in die Rezession, einige große Ratingagenturen stuften Südafrikas Staatsanleihen auf Schrottstatus herab. Zwischenzeitlich bekam die Regierung nicht einmal die Auszahlungen an die 17 Millionen Sozialhilfeempfänger koordiniert.
Die Frage ist, wie sehr die Wähler den ANC an den Urnen abstrafen. Beobachter gehen davon aus, dass die Partei im Vergleich zu den Wahlen 2014 (62 Prozent) mit Stimmverlusten rechnen muss. Die Denkfabrik „Institute for Race Relations“ (IRR) veröffentlichte sogar eine Umfrage, der zufolge der ANC mit 49,5 Prozent der Stimmen sogar die absolute Mehrheit verlieren könnte. Wahrscheinlicher erscheinen die 56,9 Prozent, die das Meinungsforschungsinstitut „Ipsos“ prognostiziert.
Linkspopulistische Pareien wie die „Economic Freedom Fighters“ (EFF) können sich deutlich mehr Hoffnungen auf die abtrünnigen ANC-Wähler machen als die Oppositionsführer der Democratic Alliance (DA). Sie wird trotz des schwarzen Spitzenkandidaten Mmusi Maimane als Partei der Weißen wahrgenommen, was eine deutliche Steigerung der zuletzt 22 Prozent der Stimmanteile nach wie vor blockiert. Immerhin hat die DA Chancen, auf Provinzebene nach dem Westkap auch die Gauteng zu gewinnen – sie würde dann zumindest in Teilen die beiden reichsten Gegenden Südafrikas kontrollieren. Es wäre eine Blamage für den ANC.
Dessen Parteistrategen setzten jedenfalls auf das für die Wirtschaft so gefährliche Thema der Landreform. Am 21. Dezember 2018 wurde ein Gesetzentwurf veröffentlicht, der Landenteignungen erleichtern soll – unter gewissen Umständen sogar ohne Entschädigung. Dazu zählen Umstände wie der Landbesitz „aus ausschließlich spekulativen Gründen“ oder brachliegende Flächen. Es wäre die mit Abstand bedeutendste Verfassungsänderung in der demokratischen Geschichte Südafrikas. Zweidrittel der Abgeordneten sind dafür nötig, in bisherigen Petitionen deutete sich an, dass die notwendige Mehrheit wohl zustande kommen wird.
So sollen endlich mehr schwarze Farmer in Lohn und Brot gebracht werden. Vor den ersten Wahlen nach Ende der Apartheid im Jahr 1994 hatte der ANC versprochen, innerhalb von fünf Jahren 30 Prozent des Farmlands der Weißen aufzukaufen und an überwiegend mittellose Schwarze zu geben. Das Vorhaben, bei dem die Weltbank konzeptionell mitgewirkt hatte, erwies sich in dieser Kurzfristigkeit als utopisch. Mehrfach wurde die Frist verschoben, doch auch jetzt, ein Vierteljahrhundert später, sind es nur rund zehn Prozent, die übertragen wurden. Zu wenig.
Ortswechsel. Diepsloot im Norden Johannesburg, ein Township, in dem die Not selbst im Vergleich zu anderen Armenvierteln Südafrikas enorm ist. Auf einem Plastikstuhl sitzt Victor Mokgobi, 36, athletischer Körper, weit auseinanderliegende Augen. Die Wut der gebrochenen Versprechen hat sich in ihm lange angestaut. Zu lange.
Die Wut muss raus. Vor 23 Jahren wurde seine Familie aus einem anderen Township hierher umgesiedelt. Eine „temporäre Unterkunft“ sei das, hieß es, außer Blechhütten dürfe man nichts bauen. „Wir sind alt genug, um eine Lüge zu erkennen“, sagt Mokgobi, „unsere Kinder sind in diesem Dreck geboren, aber die Stadt erzählt uns immer noch, es sei nur eine Übergangslösung.“
In Diepsloot, dieser dysfunktionalen Parallelwelt zu den nah gelegenen Einkaufszentren der Mittelschicht, wird deutlich, was Südafrika am dringendsten braucht: Arbeitsplätze und urbanes Land. Zweidrittel der Menschen leben in der Stadt, das ist die höchste Urbanisierungsrate Afrikas südlich der Sahara. Mokgobi sagt, er habe als Kind viel auf dem kleinen Grundstück der Großeltern über Landwirtschaft gelernt, natürlich könne er eine Farm bewirtschaften, wenn sie ihm zugesprochen werde.
Aber er ist auf eine Schule für Bauwesen gegangen, findet nur manchmal Arbeit, dreht auch Videos für kleine Firmen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Er hofft auf einen Abschnitt des dorfgroßen Grundstücks neben Diepsloot, das von seinem Besitzer seit Jahrzehnten nicht genutzt wird. Und einen Job. In Johannesburg, nicht auf dem Land.
Hier, in den großen Städten, werden die Wahlen entschieden. An einer einige Kilometern entfernten Straßenkreuzung steht ein Mann mit roter Mütze und bewacht ein garagengroßes Wahlplakat, das seine Partei auf einen PKW-Anhänger montiert hat. „OUR LAND & JOBS NOW“ steht darauf geschrieben, verbunden mit der Aufforderung, die „Economic Freedom Fighters“ (EFF) zu wählen. Sein Name sei Prince, sagt er, den Nachnamen will er nicht nennen. Er müsse beim Plakat bleiben, um aufzupassen. Sonst werde es von ANC-Aktivisten zerstört.
Prince Chef heißt Julius Malema, 38, der nach einigen Jahren als aggressiver Einpeitscher beim ANC in Ungnade fiel und die linksradikale EFF gründete. Regierung und Opposition unterschätzten ihn lange, doch der selbst ernannte Marxist hat die Kunst des Populismus perfektioniert. Seine kleine Fraktion tritt meist im roten Bergarbeiter-Outfit auf – eine Referenz auf die sozialistische Agenda, aber auch auf das Blut, das schwarze Bergmänner für den Profit von Konzernen vergossen.
Bis vor einem Jahr profilierte sich die EFF vor allem als ANC-Kritiker, schrie im Parlament konsequent den korrupten Ex-Präsidenten Jacob Zuma nieder. Mehrfach gab es Handgemenge, seine Reden zur Lage der Nation gingen im Chaos nieder. Nachdem Zuma vor einem Jahr dann vom ANC zum Rücktritt gezwungen wurde, setzte Malema auf den zweiten großen Pfeiler seiner Politik: die Wut auf historische Benachteiligungen der schwarzen Mehrheit. Malema befeuert sie mit rassistischen Parolen.
Noch im Jahr 2017 hatte die Regierung Enteignungen ohne Entschädigungen kategorisch abgelehnt. Doch als nach Zumas Rücktritt die EFF eine entsprechende Petition ins Parlament einbrachte, stimmte auch der ANC dafür – getrieben von der berechtigen Furcht, wichtige Stimmanteile an die EFF zu verlieren.
Auftritt von Südafrikas Präsident Ramaphosa bei der „Mining Indaba“ in Kapstadt. Die weltgrößte Konferenz der Bergbaukonzerne ist ein geeigneter Gradmesser für den Zustand von Afrikas Rohstoffindustrie. Im Vorjahr war der Besuch mäßig, diesmal verzeichnet die Branche vorsichtigen Optimismus. 38 afrikanische Minister sind da, konkurrierend um internationale Investoren.
Im grüngelben Scheinwerferlicht umgarnt Ramaphosa die Entscheidungsträger. Dort gab es zuletzt einige Unruhe: Die angestrebte Verfassungsänderung betrifft schließlich den Paragraphen, der die Eigentumsrechte als Ganzes regelt. Es sei der Regierung gegenüber Sorge angesichts der Vorschläge zu entschädigungsloser Enteignung ausgedrückt worden, sagt Ramaphosa, und räumt ein: „Verständlicherweise.“
Das Land müsse sich aber „mit der Erbsünde auseinandersetzen, die während Kolonialismus und Apartheid gegenüber schwarzen Südafrikanern begangen wurde“. Die Maßnahmen würden ausschließlich auf Land angewendet, und das nur bei klar definierten Umständen. Gebetsmühlenartig hat er in den vergangenen Monaten das Versprechen wiederholt, Lebensmittelsicherheit, Produktivität und wirtschaftliches Wachstum des Agrarsektors dürften nicht gefährdet werden. Die Gesetzesänderung werde Eigentumsrechte „stärken, anstatt sie zu untergraben“, sagt der Politiker.
An seinem Stand in der benachbarten Messehalle kann das René Zarske nur begrenzt beruhigen. Er steht als Bergbaubeauftragter der deutschen Auslandshandelskammer in Johannesburg täglich Kontakt mit Unternehmen. „Die aktuell diskutierte Landreform in Südafrika geht auch an dem deutschen Investoreninteresse nicht spurlos vorbei“, sagt Zarske, „Anfragen, was denn genau in Südafrika in Bezug auf die Landreform los sei, kamen in den vergangenen Monaten vermehrt vor.“ Rund 700 deutsche Firmen sind in Südafrika aktiv, das noch immer als wichtiger Ausgangspunkt für Aktivitäten in anderen afrikanischen Ländern gilt.
Vor einigen Wochen war eine Veranstaltung der Kammer zu dem Thema gut besucht. Sie trug den Titel „Where do we go from here?“ Frei übersetzt – was jetzt? Zarskes Botschaft dort: Die ganz große Aufregung hat sich etwas gelegt, die Zuversicht, dass die Angelegenheit anders als im Nachbarland Simbabwe in geordneten Bahnen verlaufen werde, habe zugenommen.
Dafür spricht auch, dass die ausländischen Direktinvestitionen in Südafrika im Jahr 2018 trotz der Landreformdebatte wieder zunahmen. Das ist ein Verdienst von Ramaphosa, trotz der aktuellen Debatte und der Krise des maroden staatlichen Stromkonzerns „Eskom“, der Südafrikas Haushalten immer mal wieder stundenlang den Strom abdreht. Ramaphosa ist im Vergleich zu Zuma der unbestritten integrere und fähigere Präsident. Für Transparenz steht seine Partei aber auch unter seiner Führung nicht: Der für Landreform-Auskünfte autorisierte ANC-Mann Ronald Lamola ließ unsere Interviewanfrage jedenfalls unbeantwortet.
Bernadette Hall hat sich auf ihrer Farm den nächsten Kaffee eingeschenkt. Es ist bemerkenswert, dass sie trotz des unvorstellbaren Leids, das sie erfahren hat, nicht unreflektiert in den Tenor teilweise rassistisch orientierte Organisationen einfällt. Die „Suidlanders“ etwa verbreiten in den sozialen Medien und bei Lobbyismus-Reisen, die weiße Minderheit in Südafrika werde gezielt verfolgt und getötet – besonders die Farmer. Sogar von Völkermord ist in den sozialen Netzwerken die Rede.
Hall glaubt nicht, dass weiße Farmer gezielt wegen ihrer Abstammung getötet werden. „Es war ein Verbrechen. Die Wahrnehmung ist, dass die Besitzer des Betriebs viel Geld zu Hause haben, aber das ist bei kaum einem Hof so.“ In ländlichen Gegenden sei der Schutz vor Kriminalität zudem schwierig. Die Polizei decke einen riesigen Bereich ab und sei unterfinanziert, erzählt Halls Verlobter van den Berg, auch Sicherheitsfirmen seien nicht so schnell wie in der Stadt zur Stelle. „Die Angriffe sind oft sehr brutal und sorgfältig geplant, auch weil sie wissen, dass sie mit Gegenwehr rechnen müssen – die meisten Farmer haben eine Schusswaffe zur Selbstverteidigung.“
Aber natürlich gebe es ein massives Versagen von Politik und Staat in der Angelegenheit, sagt Hall. Das Problem werde kleingeredet, es flössen nicht genügend öffentliche Mittel in den Schutz von Farmgemeinden. Polizei und Richter würden bei kleineren Vergehen auf Farmen, wie Diebstählen, auffällig oft beide Augen zudrücken. Das bereite den Boden für ernstere Vergehen.
Auch die Mörder von David Hall wurden nie gefasst. Zwei Männer aus einem nahe gelegenen Township waren zwischenzeitlich verhaftet worden, kamen aber aus Mangel an Beweisen wieder frei. Kein Wunder, sagt Bernadette Hall, die Polizei habe am Tatort kaum Fingerabdrücke sichergestellt. Zudem gebe es kaum gerichtliche und psychologische Unterstützung für Opfer von ernsten Verbrechen auf den Farmen, kritisiert die Witwe. Sie ist dabei, dafür eine Hilfsorganisation zu gründen: „Farmers Friends“, Freunde der Farmer.
International entsteht vielerorts der Eindruck, als seien die Weißen in Südafrika die am meisten gefährdete ethnische Gruppe Südafrikas. Die Suidlanders bezeichneten es als Resultat von Gesprächen ihrer Mitglieder in den USA, dass US-Präsident Donald Trump zu dem Thema einen seiner wenigen Tweets zu Afrika verfasste. Er habe seinen Außenminister angewiesen, „sich mit den Beschlagnahmungen der Farmen und den weit verbreiteten Morden an den Farmern auseinanderzusetzen“, teilte der mächtigste Mann der Welt mit.
Auch die Chefs des gemäßigteren Sprachrohrs der Buren, „AfriForum“, waren in die USA gereist, wo sie sich mit Trumps Sicherheitsberater John Robert Bolton trafen. In Australien forderte Innenminister Peter Dutton eine bevorzugte Bearbeitung von Asylanträgen weißer Farmer aus Südafrika wegen der „schrecklichen Umstände“ von Landenteignungen und Gewalt. Und in Deutschland behauptete Anton Friesen, ein Abgeordneter der „Alternative für Deutschland“ (AfD), in Südafrika fände „eine gezielte Verfolgung einer ethnischen Minderheit“ statt. Weiße Südafrikaner würden „diskriminiert, vertrieben und getötet“.
Was ist dran an diesen Behauptungen? Südafrika ist das neuntgefährlichste Land der Welt außerhalb von Kriegsgebieten, täglich sterben 57 Menschen durch Mord oder Totschlag, in der letzten Kriminalitätsstatistik stieg die Mordrate um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Statistik differenziert nicht nach ethnischen Gruppen, aber es ist auffällig, dass viele Gegenden, in denen vorwiegend Weiße leben, die niedrigsten Mordraten haben.
Auch die These der Massenmorde auf den Farmen lässt sich nicht belegen. 62 Verbrechen mit tödlichem Ausgang ereigneten sich in dieser Kategorie im Jahr 2017 – das sind 62 zu viel, aber letztlich doch nur 0,3 Prozent aller Morde. Zudem ist auch hier nicht klar, welche Hautfarbe die Opfer haben, Morde an Farmarbeitern werden in der Rubrik ebenfalls berücksichtigt. Seit dem Jahr 1998, als 153 Morde registriert wurden, sank die Zahl entgegen des derzeit gepflegten Narrativs kontinuierlich.
Weiße Farmer bezeichnen derartige Statistiken regelmäßig als gefälscht. Doch im Januar räumte das konservative „AfriForum“ ein, dass die eigenen Recherchen für das Jahr 2018 eine weitere Reduzierung der Farmmorde auf 54 ergeben hätten. Man führe das auf die besseren Eigenschutzmaßnahmen der Farmer zurück.
Denn das Vertrauen der Landwirte in den Staat ist auf dem Tiefpunkt. Im Laufe der Ermittlungen nach Davids Tod seien zwei Männer verhaftet worden. Hall glaubt, dass es sich um die Täter handelte, gab bei einer Gegenüberstellung an, sie zu erkennen. Am Ende wurden sie dennoch freigelassen. Mangel an Beweisen. Kein Wunder, am Tatort wurden viele Spuren erst mit tagelanger Verzögerung gesichert. Und das sehr schlampig, sagt Hall. Aber auch das ist ein Problem, das auch schwarze Opfer von Kriminalität trifft.
Hall will nicht wie im Gefängnis leben, sich nicht verbarrikadieren. Nach dem Tod ihres Mannes installierte sie zwar einen elektrischen Zaun um ihr Haus, „aber es ist wahrscheinlicher, dass sie dich draußen überraschen“. Auch ihre beiden riesigen Hunde geben keine endgültige Sicherheit. Schon beim Angriff hatten sie einen großen Hund, aber gegen fünf Täter war auch er machtlos. Sie drohten ihn zu erschießen. Hall hielt ihn damals in der Molkerei zurück, darauf hoffend, dass ihr Mann die Situation deeskalieren könne.
Am Abend, es ist nach 22 Uhr, bereiten sich Hall und van den Berg auf ihre allabendliche Patrouille vor. Van den Berg zieht eine kugelsichere Weste über sein Hemd, holt seine Pistole aus dem Safe und steigt in den Geländewagen. Hall kommt mit, allerdings ohne Waffe. „Ich besitze eine, wäre im Ernstfall aber nicht imstande abzudrücken“, sagt sie.
Die ganz große Gefahr erwarten sie nicht. Zuletzt hatte es vermehrt Viehdiebstähle in der Gegend gegeben. Es gilt Präsenz zu zeigen, auch auf kleine Gesetzesüberschreitungen wie gestohlene Kabel oder zerstörte Zäune zu reagieren. „Kennst Du die Broken-Windows-Theorie?“ fragt van den Berg. Gemeint ist der Zusammenhang zwischen dem Verfall von Stadtgebieten und Kriminalität – illustriert wird die berühmte These mit dem Beispiel, dass eine zerbrochene Fensterscheibe schnell repariert werden müsse, um weitere Zerstörungen zu vermeiden.
In der Dunkelheit schreibt Hall auf ihrem Handy Nachrichten an zwei WhatsApp-Gruppen, in denen sich die Farmer der Gegend organisieren: „Bernadette und André, Fochville, Hall-Farm und Umgebung, Patrouille bis 23 Uhr“, schreibt sie. Wenn sie sich um 23 Uhr nicht melden, werden sich Dutzende Farmer der Gegend auf die Suche machen. Und wenn sie Verdächtige anfinden sollten, dann ebenfalls.
Die Patrouillen helfen dabei, die Gegend sicherer zu machen. Doch es birgt immer Gefahren, wenn Bürger das Recht in die eigene Hand nehmen. Erst vor ein paar Monaten erwischten Farmer zwei Diebe, die einige Kühe gestohlen hatten – während sie auf die Polizei warteten, trat ein Bauer einen der Täter. Er steht nun ebenfalls vor Gericht, wegen Körperverletzung.
„Dem ist das Adrenalin zu Kopf gestiegen, das darf nicht passieren“, sagt van den Berg. „wir müssen uns weiter organisieren, aber das geht nur mit großer Disziplin.“ Zu Zeiten der Apartheid waren weiße Bürgerwehren, die so genannten „Commando“-Einheiten, formell der Armee unterstellt und mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Allzu oft wurde das Schutzmandat überschritten – entsprechend war die Entwaffnung und die Abschaffung dieses Systems im Jahr 2003 überfällig. Patrouillen wie die der Farmer in Fochville bewegen sich auf einem schmalen Grad.
Viel passiert nicht. Eine Stunde fährt van den Berg die Straßen der Gegend ab. Er hält, als er ein verdächtiges Licht sieht – doch Bernadette Hall fällt ein, dass es sich um die Leuchte der Solaranlage eines Nachbarn handeln muss, er hat sie ihr gezeigt. Einen Kilometer weiter steht das Gatter zu einer Weidefläche offen. Ein Anruf beim Besitzer offenbart – alles okay. Es sind keine Tiere auf dem Gelände, er hatte es lediglich vergessen.
Zurück zu Hause setzt sich Hall an den Küchentisch und zündet die nächste Zigarette an. Der Zeiger der Küchenuhr nähert sich der Mitternacht. Die Farmerin hat es nicht eilig, ins Bett zu gehen. Sie weiß, dass sie sich wieder von einer Seite auf die andere Seite wälzen, schließlich den langen Flur auf- und abgehen wird. So geht das nächtelang. Seit Tagen hat sie nicht mehr als ein paar Minuten am Stück geschlafen. Alles an ihr fühlt sich müde an. Die Augen aber, diese allgegenwärtigen Alarmanlagen des Kopfes, verweigern die Pause.
Noch eine Zigarette zur Beruhigung. Und zum Nachdenken. Sie erzählt von skandalösen Sätzen des Oppositionspolitikers Malema. Der einst vor Anhängern sagte, er habe nicht zum Töten der Weißen aufgerufen – versehen mit dem unfassbaren Zusatz: „Zumindest bisher nicht.“ Hall weiß, dass bei den letzten nationalen Wahlen nur sechs Prozent für Malemas Partei, die EFF gestimmt haben – die wenigsten nehmen ihn oder die Rhetorik anderer Linkspopulisten wörtlich.
Doch es bereitet ihr Sorge, dass der ANC sich nicht deutlich genug gegen derartige Äußerungen ausspricht. Und dass die „Südafrikanische Menschenrechtskommission“ (SAHRC) sein Statement nicht als zur Gewalt aufrufenden, illegale „Hassrede“ einstufen wollte: „Wenn sich Weiße rassistisch äußern, können sie ins Gefängnis wandern – und bei so etwas passiert dann nichts?“
Das zuletzt wieder rassistischer aufgeladene politische Klima hat durchaus Konsequenzen. In vielen Provinzen wird seit Beginn der Landreformdebatte im vergangenen Jahr ein starker Anstieg von Landinvasionen vermeldet. Darunter wird der ungenehmigte Bau von Hütten auf öffentlichem oder privatem Grund verstanden.
In Kapstadt berichtet eine Stadträtin, dass sich die Zahl derartiger Landinvasionen im ersten Halbjahr 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verachtfacht habe. Die Stadt hat eine Einheit, die auf Hinweise zu derartigen Invasionen reagiert und den Bau unterbricht. Details zu dieser heiklen Arbeit werden nicht bekannt gegeben, die Größe und Informationsbeschaffung dieser Abteilung ist weitgehend geheim.
Oft entscheiden Stunden, die Bauteile würden vorgefertigt auf Anhängern und LKWs angekarrt, um möglichst schnell eine wohnfähige Einheit zu errichten. Ab dann greifen die Rechte für illegale Siedler, die in Südafrika aus historischen Gründen umfangreich sind.
Die Invasionen sind illegal, doch sobald eine solche Struktur steht, können die Bewohner nur unter gerichtlicher Anordnung vom Grundstück entfernt werden – und das dauert oft Monate, manchmal sogar Jahre. Malema rief lange sogar öffentlich dazu auf, bis ihm das gerichtlich untersagt wurde.
Eine halbe Stunde Autofahrt von Halls Farm entfernt sitzt ein Mann in seinem Büro, der weiß, wie es sich anfühlt, Opfer von Rassismus zu sein. Und dass es keine einfachen Antworten auf die Landfrage gibt. Noch zu Zeiten der Apartheid bekam Amos Njoro ein Stipendium bei einer großen Firma für Saatgut – das Management stellte ihn ein, als sie erfuhren, dass er für das Interview 600 Kilometer weit gereist war. Der Grundstein für Njoros Karriere, die ihm zu einem der ersten dunkelhäutigen Experten von Südafrikas Agrarindustrie machte.
Er erinnert sich gut an weiße Farmer, die sich weigerten, ihm die Hand zu geben. Die seinen fachlich fundierten Rat zu Saatgut und Maschinen schlicht wegen seiner Hautfarbe ignorierten. Die das Gespräch auch dann noch verweigerten, nachdem er nächtelang Afrikaans gelernt hatte – ihre Sprache. Die ihm nur zuhörten, wenn er sie an ihre oft gewaltigen Schulden gegenüber der Firma erinnerte. Deren Vertrauen er manchmal doch gewann, nach vielen Jahren.
Vor ein paar Jahren bekam er seine eigene Farm zugesprochen. Südafrikas Regierung hatte das Land, das es nach Ende der Apartheid von Weißen aufkaufte, zunächst mit einem fünfjährigen Nutzungsrecht überwiegend an verarmte schwarze Bevölkerungsschichten verteilt. Doch nur einem Bruchteil gelang die Bewirtschaftung, nicht zuletzt, weil die staatlichen Agrar-Beratungsdienste aus Zeiten der Apartheid weitgehend abgebaut worden waren. Zunehmend wurden daraufhin Schwarze in der Branche identifiziert, die Erfahrung mit kommerzieller Landwirtschaft haben. Wie Njoro.
Seine Farm ist profitabel, er baut erfolgreich Mais an und züchtet Rinder. Sein Nutzungsrecht ist auf 30 Jahre verlängert worden. Dazu pachtet er die benachbarte Farm von einem anderen schwarzen Profiteur der Landreform. „Er hatte Probleme, das Land alleine zu bewirtschaften“, sagt Njoro, „ich bewirtschafte es nun und zeige ihm dabei, was er tun muss.“ Nach und nach werde sein Nachbar das Land alleine bewirtschaften.
Jahrelang hat Njoro die Regierung bei der Umsetzung der Landreform beraten. „Viele Südafrikaner wachsen mit Landwirtschaft auf. Aber es ist ein Unterschied, ob man der Großmutter beim Ernten hilft oder eine kommerzielle Farm betreibt“, sagt er. Nur jedem fünften, dem Agrarland zugesprochen bekommt, gelinge auch der Betrieb: „Das sind die falschen Leute am richtigen Ort.“ Er hat dazu offizielle Berichte verfassen müssen, eine sehr deprimierende Angelegenheit, wie Njoro sagt.
Auf seine Anregung hin wurden die Interviewkonzepte überarbeitet, mit denen neue Betreiber der Farmen ausgewählt werden. Eine der Standardfragen lautet, wie der Staat helfen könne. „Wer dort als erstes den Bau oder die Renovierung des Farmhauses nennt, ist in meinen Augen ungeeignet“, sagt Njoro. Da müsse als Antwort sofort die Finanzierung von Maschinen und Saatgut kommen, oder technische Beratung. Viele Gegenden Südafrikas gelten als semiarid, also recht trocken – Landwirtschaft ist nur mit großem Geschick möglich. Und mit einem finanziellen Polster, das auch mal eine schlechte Ernte verkraften lässt. Auch dazu fehlt die staatliche Struktur.
Njoro macht sich große Sorgen um den Sektor. Um die Lebensmittelsicherheit, schließlich wächst die südafrikanische Bevölkerung um fast eine Millionen Einwohner jährlich. Aber auch den Bankensektor – viele Farmen sind mit Krediten belastet. Wer übernimmt die im Falle einer Enteignung? Wieso versucht man nicht zunächst, das jetzige System zu verbessern? 26.000 Anträge von Schwarzen, die Entschädigung für während der Apartheid enteignetes Land fordern, haben sich beim zuständigen Ministerium für ländliche Entwicklung angestaut – die meisten übrigens für städtische Grundstücke. Beim jetzigen Tempo würde es 35 Jahre dauern, bis dieser Stapel abgearbeitet ist.
Und dann ist da noch die Frage der Gerechtigkeit. Es wäre in Njoros Augen falsch, Weiße zu enteignen, die ihr Land vor einigen Jahrzehnten zu Marktpreisen gekauft und Hunderte Arbeitsplätze geschaffen haben. Wer aber entscheidet, ab welchem Punkt weiße Familien zu viel von Kolonialismus und Apartheid-System profitiert haben?
Immer wieder bemüht die Oppositionspartei „Democratic Alliance“ (DA) in diesen Tagen den abschreckenden Vergleich mit Simbabwe, der wie ein Mahnmal in der Debatte wirkt. Dort endeten die entschädigungslosen Enteignungen fast aller weißen Farmer vor knapp zwanzig Jahren bekanntlich in Massenarbeitslosigkeit, Staatsbankrott und Hyperinflation – ein Schaden, von dem sich das Land noch immer nicht erholt hat.
Der Vergleich hinkt allerdings. Die bisherigen Gesetzentwürfe sehen anders als damals in Simbabwe eine starke Rolle für die Gerichte vor, die verhindern sollen, dass Ministerien nach Gutdünken über Enteignungen entscheiden. Die Justiz gilt in Südafrika als funktionsfähige Kontrollinstanz. Überhaupt steht volkswirtschaftlich nicht so viel auf dem Spiel wie in der Agrarnation Simbabwe. Die Landwirtschaft macht nur 2,3 Prozent des südafrikanischen Bruttoinlandsprodukts aus.
Dafür aber ist der Sektor einer der wichtigsten Arbeitgeber mit rund zehn Prozent der Beschäftigten. Die EFF argumentiert, dass die Zersplitterung großer Agrarflächen in kleinere Parzellen mit anschließender Verpachtung Arbeitslose der schnellste Weg zu mehr Beschäftigung sei. In China sei dies schließlich auch gelungen.
Gegner der Reform aber weisen auf die Gefahr hin, dass eine uneffektive Landreform am Ende mehr Beschäftigung zerstören als schaffen könnte. Das Resultat wären dann wohl auch höhere Preise für Lebensmittel, die bei den ärmeren Südafrikanern ein Drittel der Haushaltsausgaben ausmachen.
Doch es geht um mehr als allein wirtschaftliche Abwägungen. In Europa fehlt manchmal die Vorstellungskraft zur kulturellen Bedeutung von Land in Afrika. Vielen Menschen gilt die Idee von Land als individuelles Besitzgut als von Kolonialisten importiertes Konzept. Traditionell wird es als Gut der Gemeinschaft gesehen, zu dem jeder Zugriff haben muss.
Dieses Denken zeigt sich auch in den Landbesitzstrukturen in den ehemaligen Homelands Südafrikas, die von den Architekten der Apartheid einst für die einzelnen ethnischen Gruppen geschaffen wurden. Hier hat auch nach Einführung der Demokratie vielerorts der Chief noch das letzte Wort. So verwaltet der König der Zulus, Goodwill Zwelithini kaBhekuzulu, über eine Treuhandgesellschaft ein Gebiet der Fläche Belgiens. Formell gehört es dem Staat, doch der König verbittet sich jede Einmischung. Auch von den Medien. Die Treuhandgesellschaft des Zulu-Königs reagierte nicht auf unsere schriftlich gestellten Fragen.
Es gehöre zu den Aspekten der Landreform, dass nun auch ihre Privilegien aktiver hinterfragt werde, sagt Ben Cousins, Agrar-Professor an der Universität des Westkaps. Derzeit laufe ein Gerichtsverfahren gegen den Zulu-König, weil er den Nutzern des von ihm verwalteten Landes gesetzeswidrig Mieten berechnet.
Der bisherige Gesetzesentwurf zur Landreform ermögliche Enteignungen, die sich auch gegen traditionelle Führer richten. „Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass das in absehbarer Zeit passieren wird“, sagt Cousins, „die Regierung hat die gesellschaftliche Stellung der Chiefs zuletzt eher gestärkt als geschwächt.“
15 Millionen Südafrikaner leben in Gebieten, in denen kein privater Landbesitz möglich ist. Die DA hält das für einen Kerngrund für die Strukturschwäche der Gegend, schließlich sei angesichts der mangelnden Kreditsicherheiten der Zugang zu den für die kommerzielle Landwirtschaft unverzichtbaren Darlehen fast unmöglich. Wissenschaftler Cousins hält dagegen Grundbesitz für nicht unverzichtbar. Eine gesetzliche Stärkung der Nutzungsrechte für die Kleinfarmer sowie ein Ausbau der öffentlichen Infrastruktur seien die wichtigeren Faktoren.
Auch Enteignungen von Weißen wird es noch nicht in absehbarer Zeit geben, vermutet der Forscher. „Ramaphosa spielt auf Zeit und versucht die Reform mit der Gründung von Beratungsgremien in die Länge zu ziehen, wohl auch Furcht vor wirtschaftlichen Konsequenzen“, sagt Cousins.
Die Regierung habe bislang keine umsetzbaren Details präsentiert, vor den Wahlen werde die Verfassung keinesfalls mehr geändert. „Ein Zurück aber kann es nicht geben, dafür ist der Druck von der Jugend zu groß“, sagt der Wissenschaftler, „und dieser Druck wird sich weiter aufbauen, wenn sich an den Besitzverhältnissen nichts tut.“
Zu dieser Einsicht seien inzwischen auch viele weiße Landbesitzer gelangt. „Das Drohszenario des enteigneten Landes hat die Weißen dazu veranlasst, eigene Vorschläge zu präsentieren“, sagt Cousins. Es seien vermehrt freiwillig Farmanteile an schwarze Mitarbeiter überschrieben worden, einige Großfarmer hätten auch brachliegende Flächen zur Verfügung gestellt.
Cousins ist überzeugt, dass eine gut konzipierte Landreform „ohne große Probleme“ die Existenzgrundlage für 200.000 bis 300.000 neue Farmer schaffen könne. Dafür sei allerdings eine Erhöhung des Regierungsbudgets nötig, das für den Kauf von Land und die Unterstützung der neuen Farmer gerade einmal 0,4 Prozent der Steuereinnahmen vorsieht. „Denkbar sind Gesetze, die weiße Farmer dazu zwingen, unter Marktwert zu verkaufen“, sagt Cousins, „angemessen wären rund 20 Prozent weniger, eine Enteignung ohne Entschädigung geht zu weit.“
Derart differenzierte Töne gehen im aktuellen Wahlgetöse der Populisten auf beiden Seiten freilich unter. Auf dem Rückweg zu Bernadette Halls Farm hängen Plakate der bei weißen Farmern populären Partei „Freedom Front Plus“ neben der Straße. „Kämpft zurück“, steht dort, „jetzt oder nie.“ Von Land ist nicht die Rede, aber jeder weiß, was gemeint ist.
Hall würde gegen die Enteignung kämpfen. Nicht mit Gewalt, aber allen juristischen Mitteln. Sie habe ein Recht auf diese Farm, sagt sie. David hatte sie im Jahr 1990 gekauft, da war Nelson Mandela bereits aus der Gefangenschaft entlassen und ein Ende der Apartheid in Sicht.
Es ist die nackte Angst um die Existenz, die sie treibt. Nicht nur im Kampf gegen die Enteignung, sondern auch bei jeder Ernte. Seit ein paar Jahren lebt ihr weitgehend mittelloser Vater auf der Farm, dazu die Schwester. Es geht auch um ihre wirtschaftliche Zukunft.
Und sie hat das Gefühl, dass sie es David, der ein leidenschaftlicher Naturmensch war, schuldig ist. An der Molkerei hängt noch immer das alte Firmenschild „David & Bernadette Hall“, die Möbel im Haus sind nahezu unverändert. Die Wiese, auf der er erschossen wurde, hat sie eingezäunt – niemand soll achtlos darauf rumtreten.
Sie wird bleiben. Zigarette für Zigarette, Kaffee für Kaffee.