Christian Putsch

Die Bäckerei, in der sich Sudans Zukunft entscheidet

Christian Putsch
Die Bäckerei, in der sich Sudans Zukunft entscheidet

Der Brotpreis spielt bei politischen Unruhen immer wieder eine Rolle. Im Sudan war er einer der Faktoren, der zum Sturz von Diktator al-Bashir führe. Der Kriegsverbrecher könnte am Samstag zu langjähriger Haft verurteilt werden – die Mitarbeiter einer Bäckerei in Khartum werden unter seiner Politik aber wohl ihr Leben lang leiden

Seit zwei Stunden steht Ahmed Mohamed nun am Ofen. Draußen, vor der Biryabi-Lamab-Bäckerei in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, nähern sich die Temperaturen den 40 Grad. In dem engen Raum sind es noch einmal zehn mehr. Der Schweiß hat das Barcelona-Fußballtrikot längst durchtränkt, er trägt es oft, weil es bei dieser Arbeit nicht ganz so schlimm am Körper klebt wie T-Shirts aus Baumwolle. 

Nur das Feuer des Ofens wirft ein wenig Licht auf das ausgemergelte Gesicht, der Strom funktioniert seit Wochen nicht. Mohamed sollte eigentlich gerade für sein Studium lernen, Wirtschaftswissenschaften. Seine Zukunft aufbauen. Doch wer denkt schon an die Zukunft, wenn es in der Gegenwart ums Überleben geht? Über 300 Brote sind an diesem Vormittag noch zu backen. Am Ende wird er mit 240 Sudanesischen Pfund nach Hause gehen, umgerechnet 2,50 Euro. Gerade genug bis morgen.

19 Jahre alt ist Mohamed, ziemlich genau das Durchschnittsalter im Sudan. Er hat sein ganzes Leben unter der Herrschaft von Omar al-Bashir verbracht, bis er wie Hunderttausende gegen den Diktator auf die Straße ging, todesmutig. Der Tyrann ist entmachtet und steht seit August vor Gericht, am Samstag wird das Urteil erwartet. 

Es geht um ein Bargeldgeschenk Saudi-Arabiens in Höhe von 25 Millionen Dollar, das er nach Gutdünken verwendet hatte. Eine Lappalie im Vergleich zu seinen anderen Verbrechen, so möchte man meinen, wenngleich al-Bashir einen Regimegegner einst für den illegalen Besitz von Devisen hinrichten ließ. Die tiefsten Wunden des Sudans werden vorerst nicht angefasst, wie etwa seine Gräueltaten beim Völkermord in Darfur, oder auch die blutige Niederschlagung der Proteste in den Monaten vor seinem Sturz. In einem separaten Verfahren wird immerhin sein Umsturz im Jahr 1989, als er sich an die Macht putschte, verhandelt. 

Es scheint, als kalkuliere die Justiz bei ihrer vorsichtig dosierten Aufarbeitung die angespannte Situation im Land mit ein. Schließlich sind das Militär und die sudanesische Administration noch immer mit al-Bashirs Leuten durchsetzt, im Gericht wurde er bei den Anhörungen von seinen Anhängern gar gefeiert. Man geht in dem live im Fernsehen übertragenen Prozess langsam, aber gerade noch entschieden genug gegen ihn vor, um die Bevölkerung zu besänftigen – ohne den frisch verhandelten und wenig belastbaren Frieden mit dem Militär zu gefährden.

Wie eine Lappalie wirkt sich die über Jahrzehnte katastrophale Wirtschaftspolitik freilich nicht gerade auf das Leben von Mohamed aus. Der „Internationale Währungsfonds“ erwartet, dass die sudanesische Wirtschaft in diesem Jahr um 2,6 Prozent schrumpfen wird, die Inflationsrate beträgt 50 Prozent, die Staatsverschuldung ist doppelt so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt. Die Arbeitslosigkeit beträgt 20 Prozent – und viele mit Arbeit verdingen sich weit unter ihrer Qualifikation. 

Wie Mohamed. Oder seine vier jungen Kollegen in der Bäckerei. Einer von ihnen hat vor fünf Jahren seinen Abschluss als Bauingenieur gemacht, aber nie einen entsprechenden Job gefunden. Die anderen sind an Hochschulen eingeschrieben, verbringen aber doch die meiste Zeit in dieser Bäckerei. Zum einen wegen des Umbruchs: Die Dekane waren von al-Bashir berufen wurden und mussten ihren Posten Räumen – einige der Institutionen blieben zur Jahresmitte lange geschlossen. Doch im Sudan, wo es immerhin 19 Universitäten gibt, zeigt sich auch das allgemeine Problem vieler Länder in Afrika und dem Nahen Osten in besonderer Ausprägung: Es gibt selbst für gut ausgebildete Menschen mit Universitätsbildung nicht genug Arbeit. Und für Studenten kaum Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Wohl wenige Orte des Sudans stehen dabei so stellvertretend für die Entwicklung des Landes wie die Bäckereien. Denn als im Dezember 2018 die ersten Proteste aufflackerten, die schließlich zum Umsturz führen sollten, da ging es zunächst um die Brotpreise. Die Regierung näherte sich Ende 2018 der Zahlungsunfähigkeit. Gespart wurde aber nicht am Sicherheitsapparat, der über die Hälfte des Staatsbudgets verschlingt – sondern an den landesweiten Subventionen für das Getreide. Die Brotpreise verdreifachten sich, auch das Benzin wurde teuer. Das trieb die ersten Demonstranten, vor allem Studenten, auf die Straßen. Schon bald waren eher Korruption, Diktatur und Unterdrückung Thema der Prostete, der Umsturz wurde zum Ziel. 

Mohamed gehörte zu den Wütenden, erlebte den Zorn des Volkes aber auch aus nächster Nähe. Zeitweise gab es kaum Getreide im Land. Schon vor dem Morgengrauen warteten die Leute in Scharen vor der Bäckerei, das Brot war oft bereits nach Minuten ausverkauft. Wenn es überhaupt welches gab. „Das war Chaos“, sagt der Bäcker, „die meisten haben der Regierung die Schuld gegeben, einige aber auch uns.“

Täglich nahm der Ärger zu, täglich formierte sich mehr Widerstand gegen das Regime. Besonders auf den Straßen rund um die Biryabi-Lamab-Bäckerei, hier im Burri-Viertel leben überwiegend Anhänger der Opposition. Die Nation exportierte Fleisch und Früchte an Länder wie Saudi-Arabien, am Ende waren aber nicht einmal mehr Grundnahrungsmittel für das eigene Volk verfügbar. 

Der renommierte Analyst und ehemalige Banker Ismail Hafiz wirft al-Bashir katastrophale wirtschaftspolitische Fehler vor. Anstatt die für den sudanesischen Öl-Sektor sehr einträglichen Jahre 1999 bis 2010 zu nutzen, um andere Wirtschaftssektoren wie die Landwirtschaft und das verarbeitende Gewerbe zu modernisieren, habe man das Geld in den Sicherheitsapparat und die 450 Staatsunternehmen gesteckt, sagt er. Das System sei deshalb nach den durch die Abspaltung des Südsudans verlorenen Öl-Einnahmen zusammengebrochen. 

„Die neue Führung muss jetzt harte Entscheidungen treffen, Staatsfirmen privatisieren und den Sicherheitsapparat abbauen“, sagt Hafiz im Gespräch mit der WELT, „für die Militärausgaben gibt es in dieser Form ohnehin keine Berechtigung. Unser letzter Krieg gegen eine ausländische Macht liegt über 70 Jahre zurück.“ Der Wille für diese Einsparungen sei da. Ob das auch auf die Kraft zutrifft, daran hat Hafiz seine Zweifel.

Gleiches gilt für das Land: Der Wille zur Veränderung ist da, aber die Umsetzung erweist sich als kompliziert. Kaum eine Mauer in der Nähe der Bäckerei, auf der nicht die kunstvollen Graffitis und Malereien der Revolution verewigt sind. Auf einer ist die Flagge des Sudans mit leuchtenden Blumen und einem blühenden Baum verziert – Bilder des unerschütterlichen Optimismus, der in diesem Jahr ein nicht durchgehend anwesender, aber doch stets wiederkehrender Begleiter des Sudans war.

Im Nebenraum sitzt Mohameds Kollege Mo Saiid, 20, auf einem Stapel Getreidesäcke. Sie seien aus Australien und Russland importiert, erzählt er, ein Wahnsinn sei das doch angesichts des riesigen Agrarpotenzials des Sudans. Über eine Tonne lagert hier, derzeit gibt es keinen Mangel. Die Übergangsregierung will trotz ihrer Sparzwänge die längst wieder eingeführten Subventionen unter allen Umständen fortführen. Auch wenn das wegen der Inflation immer teurer wird. Ein Laib Brot kostet einen Sudanesischen Pfund. Da die Währung beständig an Wert verliert, bekommt man für einen Euro inzwischen 96 Brote.

Akademiker Mo Saiid

Akademiker Mo Saiid

Nachhaltig ist das natürlich nicht, schließlich benötigt der eifrige neue Premierminister Abdalla Hamdok alleine für das nächste Finanzjahr fünf Milliarden Dollar Hilfe von den Geberländern. An die Subventionen für Getreide, den weltweit vielleicht politischsten Rohstoff, wird er sich aber wohl kaum trauen. Schon im England und Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts gab es nach von Ernteausfällen verursachten Preissteigerungen zahlreiche Ausschreitungen, Brotmangel spielte zu Beginn der Russischen Revolution im Jahr 1917 eine Rolle. Auch vor dem Arabischen Frühling, der Ende 2010 begann, gab es in 48 Ländern Proteste wegen der rekordverdächtigen Lebensmittelpreise. Fast 97 Prozent der weltweiten Lebensmittelproteste fanden zuletzt in Afrika und Asien statt.

Der Effekt des Brotpreises auf die Stabilität eines Landes kann erheblich sein. Der amerikanische Publizist Lester Brown hat jahrzehntelang Bücher über den Zusammenhang von Politik und Lebensmittelknappheit geschrieben. „Wenn ich einen einzelnen Indikator – wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich – herauspicken soll, der größeren Einfluss als jeder andere hat, dann wäre es der Preis von Getreide“, sagte er im Jahr 2014 dem Online-Magazin „Slate.com“. 

In der Bäckerei in Khartum geht Student Mohamed zurück zum Ofen. 30 Säcke Weizen verarbeiten die Männer derzeit pro Tag, über eine halbe Tonne. Er wird weiterbacken, Brot für Brot. Für seine Nachbarschaft, die in diesem Jahr so viel Mut gezeigt hat. Und den eigenen Rest Hoffnung, eines Tages nicht mehr vom Brot abhängig zu sein.