Christian Putsch

Die teuerste Party Afrikas

Christian Putsch
Die teuerste Party Afrikas

Vor 10 Jahren begann die erste Weltmeisterschaft in Südafrika. Die enormen volkswirtschaftlichen Kosten rechtfertigte man damals mit der Schaffung langfristiger Strukturen. Viel ist nicht entstanden. Ein Fehler war sie dennoch nicht.

Wohl keine Fußball-Weltmeisterschaft ist rhetorisch so überhöht worden wie die in Südafrika im Jahr 2010. Die Menschen hätten „in ihrem langem Kampf für Freiheit“ Geduld und Ausdauer gelernt, ließ sich vor Turnierbeginn Nelson Mandela, der ehemalige Präsident des Landes, vom Weltverband Fifa zitieren. Nun solle die WM zeigen, dass sich auch das lange Warten auf die erste WM in Afrika gelohnt habe. Und Fifa-Präsident Sepp Blatter würdigte das Turnier als „eine Feier der Menschlichkeit“ – ein Beleg, dass Fußball nicht nur ein Spiel sei, „sondern Leben bewegt“.

Am 11. Juni ist der Anpfiff des Turniers ein Jahrzehnt lang her. Damals gab es ein 1:1 zwischen Mexiko und Südafrika, das wenig später als erster WM-Gastgeber in der Vorrunde ausscheiden sollte und diesem Fußballmärchen schnell ein Stück seiner Romantik raubte. Der Jahrestag am Donnerstag wird einigermaßen unauffällig vorbeiziehen, nicht nur wegen der zunehmend dramatischen Covid-19-Pandemie, die das Land seit Monaten fest im Griff hat. Denn ein Ausgangspunkt für eine glorreiche Fußball-Zukunft, wie es von der Fifa damals beschrieben wurde, war das 3.8 Milliarden Dollar teure, überwiegend vom Staat finanzierte Turnier mit seinem um das Zehnfache überzogenen Ursprungsbudgets nicht. 

Anruf bei Joe Carrim, dem federführenden Verwalter des „2010 Fifa World Cup Legacy Trust“. Die Stiftung wurde einige Monate nach der WM eingerichtet, dotiert mit 65 Millionen Dollar aus den üppigen Fifa-Einnahmen. Der Start war holprig, gibt Carrim zu, bis es wirklich losging vergingen fast zwei Jahre – „da haben wir das Momentum des erfolgreichen Turniers ein Stück weit verloren“. Die Jahre nach dem Turnier hätte man weit früher klarer strukturieren müssen, so der Funktionär.

Ein Großteil der Mittel sei in die Entwicklung des Jugendfußballs des Fußballverbands „South African Football Association“ (Safa) geflossen – vor allem in die Organisation von Ligen auf lokaler Ebene, sagt der Manager. Jeweils über 7000 Trainer und Schiedsrichter seien weitergebildet worden, dazu rund 2400 Funktionäre. „Die Qualität ist erheblich gestiegen“, sagt Carrim. Zudem habe man landesweit 27 Kunstrasenplätze gebaut und in der Nähe von Johannesburg auf dem Gelände eines Erholungsresorts ein nationales Leistungszentrum errichtet, das vor allem für die Auswahlteams des Landes „beste Bedingungen“ liefere, sagt Carrim. Auch in Pretoria sei ein Leistungszentrum ausgebaut worden. 

Die Früchte dieser neuen Strukturen wirken nicht gerade imposant. Über die Nationalmannschaft Südafrikas spricht Carrim wenig, schließlich hat die sich weder für die Weltmeisterschaften 2014 noch 2018 qualifiziert, selbst zwei Afrika-Cups wurde verpasst. Dafür verweist er darauf, dass sich die südafrikanischen Nachwuchsteams für die Weltmeisterschaften qualifiziert hätten. Und die Frauennationalmannschaft habe sich nach Einrichtung der Stiftung erstmals für die Olympischen Spiele und eine WM qualifiziert. „Insgesamt haben wir ganz gute Arbeit geleistet“, sagt Carrim. 

Das sieht so mancher südafrikanische Branchenkenner anders. Ashley Rasool zum Beispiel, Spielerberater und Mitbegründer der privaten Nachwuchsakademie „Cape Umoya“. „Der nationale Fußballverband ist besonders auf regionaler Ebene in einem völlig dysfunktionalen Zustand“, sagt er. In den neunziger Jahren hätten die Verbandsstrukturen noch Spieler wie Mark Fish, Shaun Bartlett oder Delron Buckley hervorgebracht, die sich später in großen europäischen Ligen etablieren konnten. Auch wegen der guten Verbandsarbeit habe Südafrika 1996 „mit einer goldenen Generation“ sensationell den Afrika-Cup gewonnen, sagt Rasool.

Zuletzt seien trotz der Fifa-Stiftung von den Safa-Geldern immer weniger Gelder an der Basis angekommen. „Die Wettbewerbsdichte der Vereine in den lokalen Verbänden ist viel zu niedrig, um Profifußballer hervorzubringen“, sagt Rasool, „viele Plätze sind weiter in desolatem Zustand. Mittel fließen wenn überhaupt nur in die großen Städte. In ländlichen Gegenden gibt es für Talente kaum Entwicklungschancen.“ Der Fußball in Südafrika habe seit der WM eher einen Rückschritt gemacht. Damals habe es mit Spielern wie Steven Pienaar oder Aaron Mokoena noch Spieler in der englischen Premier League gegeben, Benni McCarthy gewann mit dem FC Porto sogar die Champions League. Inzwischen finde man südafrikanische Spieler nur in kleineren Ligen. Und das sehr selten.

Rasools Nachwuchsakademie Cape Umoya schloss sich vor zwei Jahren mit fünf anderen ambitionierten Vereinen im Großraum Kapstadt zu einer eigenen Jugendliga zusammen, um öfters Spiele auf höherem Niveau organisieren zu können. Es ist bezeichnend, dass zu diesen leistungsstärksten Teams auch die Hilfsorganisation „Young Bafana“ gehört, die erst nach der WM von dem Deutsch-Südafrikaner Bernd Steinhage gegründet wurde. 

Der Betriebswirtschaftler kann kicken, er hat einst in Berlin in den höchsten Amateurligen gespielt. Nach der WM entwickelte sich aus gelegentlichem Fußballunterricht an einer Schule bald eine gemeinnützige Akademie, die zum Magneten für einige der größten Talente aus den Townships wurde. Sechs seiner rund 200 Jugendspieler sind in den Nachwuchsteams von Profivereinen untergekommen, einer lebt vom Sport.

Manchmal kann es Steinhage selbst nicht fassen, wie schnell er mit wenigen Mitarbeitern und bescheidenen Mitteln in die Elite der südafrikanischen Nachwuchsförderung vorstoßen konnte. „Es hapert an der Trainerausbildung“, sagt er, „zu viele an der Basis arbeiten ohne Lizenz. Das sind oft hochmotivierte Menschen, aber ohne das nötige Fachwissen macht man manchmal mehr kaputt, als dass man hilft.“ 

Zudem gebe es vom Verband beim Übergang von der Jugend zu den Profis keine Unterstützung. In dieser Phase würden Vereine den 18-jährigen Talenten umgerechnet teilweise kaum mehr als 100 Franken im Monat zahlen, das reicht bisweilen nicht einmal für das Benzin zum Training. Wer den Sprung nicht bald den Sprung in die heimische Profiliga „Premier Soccer League“ (PSL) schafft, der fällt nicht selten ins Bodenlose.

Immerhin die PSL gilt als Profiteur der Weltmeisterschaft. Das sagt zumindest Mark Gleeson, einer der erfahrensten Fußballkommentatoren des Landes. „Die Leute vergessen manchmal, wie schlecht die Infrastruktur der Plätze und Stadien vor der WM war“, sagt Gleeson, „die WM hat dem Land einen massiven Schub gegeben und den Sport für Fernsehen und Sponsoren viel interessanter gemacht.“

Gleeson ist der dienstälteste Reporter des Senders „Supersport“, dem wichtigsten Verkaufsargument des vor der Coronavirus-Pandemie florierenden Bezahlfernsehangebots „DStv“. „Viele Township-Hütten haben inzwischen eine Satellitenschüssel“, sagt der Experte, das Abonnement mit der lokalen Liga koste umgerechnet 8 Franken und verkaufe sich „wie warme Semmeln“. Ohne den Rahmen der für die WM neu gebauten oder kernsanierten Stadien, davon ist Gleeson überzeugt, wäre das nicht möglich gewesen. Eine kleine Rolle könnte auch gespielt haben, dass die lärmenden Vuvuzela-Tröten in Südafrikas Stadien an Popularität verloren haben – sie hatten bei der WM 2010 so manchem Fernseh-Zuschauer die Ohren dröhnen lassen.

Nicht zuletzt der kommerzielle Erfolg der Liga ist einer der Gründe, warum südafrikanische Fußballspieler in Europa zur Rarität geworden sind. Zwar ist der Zuschauerschnitt der Liga in Südafrika mit rund 8000 Zuschauern seit der WM stagniert, doch Spielergehälter von umgerechnet über 15.000 Franken im Monat sind trotzdem keine Seltenheit mehr. In den vergangenen Jahren konnte man also auch im heimischen Fußballer zum gesellschaftlichen Spitzenverdiener werden – eine Entwicklung, die sich mit der aktuellen Covid-19-Pandemie umkehren könnte. Weit mehr als die meisten europäischen Spitzenvereine droht südafrikanischen Profivereinen angesichts der plötzlichen Einstellung des Spielbetriebs der Konkurs, die Rücklagen sind gering. Gut möglich, dass es bald wieder mehr südafrikanische Spieler gibt, die es schon in der Jugend nach Europa zieht.

Natürlich gebe es Grund zur Kritik, sagt Gleeson. Die Nationalmannschaft habe schwache Jahre hinter sich. Aber, so merkt er an, „das war vor der WM auch nicht viel besser“. Und ja, mit wenigen Ausnahmen seien die Stadien unausgelastet und defizitär. „Aber eine Touristenmetropole wie Kapstadt braucht einfach ein Weltklassestadion.“ Selbst wenn es ein Zuschussgeschäft sei. Die WM habe Südafrika von seiner besten Seite gezeigt. Und sie sei gut für die Psyche der Leute gewesen. Wirtschaftlich habe das Land schwierige Jahre hinter sich. Das liege aber keineswegs an dem überwiegend von Steuergeldern finanzierten Turnier, sondern an den dann folgenden, von Korruption geprägten Jahren unter dem ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma.

Längst nicht jeder Journalist blickt so wohlwollend auf die Folgen der WM zurück wie Gleeson. So zieht der Fußballchef der Johannesburger Zeitung „The Citizen“, Jonty Mark, eine überwiegend negative Bilanz. „Kurzfristig sind durch die WM einige Jobs entstanden, langfristig erkenne ich nicht viele positive Folgen des Turniers“, sagt Mark. Besonders die Bilanz der Fifa-Millionen hält er für katastrophal.

„Die Schiedsrichter haben sich zumindest in der PSL nicht verbessert, auch auf Trainerebene sehe ich in Südafrika wenige Fortschritte“, sagt der Journalist, „die Jugendmannschaften haben sich zwar für große Turniere qualifiziert, aber das gegen afrikanische Mannschaften mit äußerst geringen Mitteln.“ Die Administration des Verbandes sehe sich immer wieder Korruptionsanschuldigungen ausgesetzt, und das neue Leistungszentrum sei bis zuletzt kaum im Einsatz gewesen. 

War das Turnier ein Fehler? Soweit möchte Mark dann doch nicht gehen. Denn so alleine stehe Südafrika mit seiner mäßigen Bilanz nicht da, in Japan und Südkorea habe es beispielsweise nach der WM 2002 auch leerstehende Stadien gegeben. „Wir haben der Welt damals gezeigt, dass wir in Südafrika ein Weltklasse-Turnier stemmen können“, sagt er. Das sei durchaus etwas wert.