Spiel mit der Angst
Weltweit bereiten sich „Preppers“ auf Katastrophen jeglicher Art vor. In Südafrika ist die Szene so politisiert wie nirgends sonst. Die Suidlanders glauben fest an die Anarchie und die Bedrohung der weißen Bevölkerung. Ein Besuch
Von Christian Putsch
Kapstadt – Das Haus liegt in einer ruhigen Straße eines Kapstädter Vororts. Die Gastgeber reichen Kekse und Tee. 18 Besucher sind diesmal gekommen, eine Frau hat ihre Tochter im Grundschulalter mitgebracht. Ein wenig Smalltalk, dann setzt man sich auf Plastikstühle und Sessel im riesigen Wohnzimmer, betet zusammen – und bespricht die Anarchie.
Sie wird kommen, in Form eines Bürgerkrieges, nach dem Zusammenbruch von Währung und Infrastruktur, da ist sich André Goosen ganz sicher. Der pensionierte Soldat steht ganz vorne, im grünen Safari-Outfit, in der einen Hand ein Funkgerät, die andere zeigt auf ein auf eine Karte, die ein Gebiet 300 Kilometer östlich von Kapstadt zeigt. Dort will er Sicherheitszonen für „seine Leute“ einrichten. In den vergangenen zwölf Jahren, in denen er sich auf dieses Szenario vorbereitet hat, passierte nichts. Aber bald ist es so weit, vielleicht schon in einigen Monaten, referiert Goosen, da gebe es keine Zweifel.
Goosen ist einer der Anführer der „Suidlanders“. Sie zählen sich zur Prepper-Bewegung, also zu jenen Menschen, die sich in allen Teilen der Welt auf Katastrophen jeglicher Art und den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung vorbereiten – sei es durch die Hortung von Lebensmitteln oder der Errichtung von Schutzbauten. In den USA betrachten sich mindestens drei bis vier Millionen als Preppers, in Deutschland wird die Zahl auf 150.000 geschätzt. Unterwanderungsversuche durch rechtsextreme Gruppen beschäftigen den Verfassungsschutz.
In Südafrika ist die Politisierung der Prepper-Szene ungleich deutlicher. Die Suidlanders warnen offen vor einem Rassenkrieg. Steigende Arbeitslosigkeit und höhere Lebenshaltungskosten würden unweigerlich zu Wut bei der schwarzen Bevölkerung führen, die sich auch wegen aufhetzenden Kommentaren von Politikern gegen die weiße Minderheit im Land richten werde.
In Deutschland machten die Suidlanders im Dezember 2018 Schlagzeilen. Wie das ARD-Magazin „Report Mainz“ berichtet, nahm der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron am Rande einer steuerfinanzierten Dienstreise nach Südafrika an paramilitärischen Übungen der Organisation teil, dabei habe er auch selbst geschossen. Dem Bericht zufolge bestätigte Bystron, der AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist, das Treffen mit den „Suidlanders“. Der Vizepräsident des Bundestags, Thomas Oppermann (SPD), forderte via Twitter eine Untersuchung des Vorfalls durch den Verfassungsschutz.
Den Suidlanders gehören überwiegend weiße Buren an, Nachfahren von niederländischen Calvinisten und französischen Hugenotten, die sich ab dem 17. Jahrhundert am Kap angesiedelt haben. Rund drei Millionen leben in Südafrika. Die Gruppe, die während der Apartheid die Regierung dominierte, stellt also nicht einmal fünf Prozent der Bevölkerung.
Doch auch unter den Buren teilt nur eine Minderheit die sonderlichen und oft unbelegten Ansichten der Suidlanders, die über internationale rechte Netzwerke die Botschaft von einem Genozid gegen die weiße Bevölkerung verbreiten. „Die große Mehrheit der weißen Südafrikaner unterstützt dieses Narrativ nicht und fühlen sich von den Suidlanders nicht repräsentiert“, sagt Gareth Newham von der renommierten Denkfabrik „Institute for Security Studies“ (ISS). Die Mordrate in Südafrika sei hoch, „aber Schwarze und Gemischtfarbige werden deutlich öfter Opfer von Gewaltverbrechen als Weiße“. Die Behauptung eines Genozids sei nicht haltbar.
Doch in dem Suidlanders-Wohnzimmer in Kapstadt fallen die Botschaften auf fruchtbaren Boden, die Verunsicherung ist zu spüren. In Südafrika ist im Jahr 2018 die Mordrate um fast sieben Prozent auf ein Neunjahreshoch gestiegen, sie ist mit 35,2 Prozent pro 100.000 Einwohnern sechs Mal höher als in den USA. Da beruhigt es wenig, dass sie in den neunziger Jahren schon einmal fast doppelt so hoch war. 57 Menschen werden derzeit täglich in Südafrika getötet. Private Sicherheitsfirmen haben in Südafrika Hochkonjunktur. Dass vor drei Jahren der Strom und vor einigen Monaten das Wasser in der Gegend knapp wurde unterstützt das Narrativ der Prepper weiter, auch wenn diese beiden Krisen vorerst bewältigt sind.
Zulauf erhalten die Suidlanders nach eigenen Angaben besonders seit rund einem Jahr. Auf ihrer Homepage veröffentlichen sie Bilder von Dutzenden Treffen, sie beziffern ihre Unterstützerzahl auf rund 130.000. Nachprüfen lässt sich das nicht, in der Organisation gibt es keine Registrierungsregister. Die Regierungspartei African National Congress (ANC) gab bekannt, per Verfassungsänderung die entschädigungslose Enteignung von weißen Farmern zu ermöglichen, denen auch 24 Jahre nach Ende der Apartheid 72 Prozent der Agrarfläche gehört. Der Vorstoß ist noch in der Anhörungsphase, zudem hat der ANC klar kommuniziert, dass man es – im Gegensatz zur chaotischen Landreform im Nachbarland Simbabwe – allein auf ungenutztes Land abgesehen habe.
Doch die Angelegenheit wird landesweit kontrovers diskutiert, zumal er den durchaus möglichen Wirtschaftsaufschwung unter dem neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa im Keim erstickt hat. 700.000 offizielle Meinungseinreichungen aus der Bevölkerung gingen im Parlament ein, mehr als bei jeder Gesetzesänderung zuvor. Es ist noch unklar, ob es zur Verfassungsänderung kommen wird, die Suidlanders im Wohnzimmer sehen ihr Untergangsszenario aber bereits bestätigt.
Es werden allerlei Tipps für die Vorbereitung ausgetauscht. Die Funkgeräte müssten immer aufgeladen sein, dazu seien ausreichende Vorräte an Benzin, Medizin und Nahrung nötig. Einer der Gastgeber führt vor, wie man Klopapier möglichst platzsparend neu zusammenrollt. Die wichtigste Botschaft aber: Die Organisation bereite die Sicherheitszone weit abseits der angeblich bald brennenden Städte vor.
Nur anschauen könne man die nicht, erklärt Goosen. Allerdings habe man die volle Unterstützung von einigen Farmern der Gegend, auf deren Gelände man Zuflucht suchen werde. Man sei dabei, die nötige Infrastruktur zusammenzustellen. Dafür sei man auf Spenden angewiesen. Weitere Fragen darf aber keiner der Teilnehmer beantworten, dies obliege alleine der landesweiten Führung der Organisation.
Diese Aufgabe übernimmt telefonisch der Suidlanders-Sprecher Simon Roche. Im Jahr 2017 bereiste er ein halbes Jahr lang die USA und traf zahlreiche Organisationen des rechten Spektrums, viele davon bezeichnen sich wie die Suidlanders als streng religiös. Roche glaubt, dass seine Lobby-Arbeit vor Ort Einfluss auf einen Tweet von US-Präsident Donald Trump hatte. Dieser hatte im August über die „massenhaften Morde an Farmern“ in Südafrika getwittert. „Wir würden sagen, dass unsere Reise etwas damit zu tun hatte“, sagte Roche, der von der Zeitung „Guardian“ als „eine Schlüsselfigur“ der Bemühungen weißer Rassisten gegen die Landreform bezeichnet wurde.
Roche sieht sich derweil lediglich als jemand, der Maßnahmen zum Schutz des eigenen Lebens vorbereitet. Minutenlang zitiert er – oft unvollständig und aus dem Zusammenhang gerissene – Zitate von Politikern, die vermeintlich zum Mord gegen Weiße aufrufen, auch offizielle Statistiken zweifelt er an. „Ich sehe großes Potenzial für weitverbreitete Anarchie“, sagt er. Auswandern käme nicht in Frage: „Viele unserer Mitglieder können sich das nicht finanziell leisten. Und es ist das Land unserer Vorväter. Wir wollen nicht weglaufen.“
Die Suidlanders-Aktivitäten seien nicht illegal, betont er, die regelmäßigen Schießübungen der Organisation seien mit registrierten Waffen und unter Einhaltung der Gesetze organisiert worden: „Wir rauben niemanden aus, wir zahlen weiter unsere Steuern“, sagt Roche, „wir sind schlicht gottesfürchtige Menschen aus der Mittelschicht, die ihr Recht auf Selbstverteidigung ausüben.“ Er geht davon aus, dass der südafrikanische Geheimdienst Spione zu den Veranstaltungen schicke. „Wir nehmen alles auf Video auf, damit wir beweisen können, dass wir nichts Verbotenes tun oder sagen.“
Für Analyst Newham machen die Suidlanders wohl nicht zuletzt aus finanziellen Gründen viel Lärm im Ausland. „Sie versuchen, Mittel von rechten Organisationen im Ausland zu generieren“, sagt er, „und diese transportieren die Nachricht gerne weiter, weil sie rassistische Feindbilder unterstützen, mit denen sie gegen eine liberale Flüchtlingspolitik vorgehen.“
Roche wirbt tatsächlich offen um Spenden. Er habe bei seiner USA-Reise gehofft, „einen reichen Milliardär für unsere Sache“ zu gewinnen – ohne Erfolg. Manchmal würden nur fünf Dollar pro Woche aus den USA gespendet. Auch die eigenen Mitglieder seien finanziell oft klamm, wenngleich die Organisation für ihren WhatsApp-Sicherheitsservice immerhin 69 Rand (4,27 Euro) im Monat berechnet. „Wir rechnen damit, dass wir Zuflucht für bis zu einer Millionen Menschen organisieren müssen“, behauptet er. Für die Vorbereitung seien 60 Millionen Euro nötig. Berichte in einer südafrikanischen Zeitung über Schulden des Suidlanders-Chef Gustav Muller bezeichnet er als „Lügen der kontrollierten Opposition“.
In Kapstadt lässt derweil Organisator Goosen das Registrierungsverfahren für neu ankommende Flüchtlinge in der „Sicherheitszone“ einüben. Es sind bizarre Szenen. Die Teilnehmer ziehen Warnwesten an, lesen per Funkgerät einen Ausdruck mit einem Dialog vor. „Tango Two, sind Ihnen auf dem Weg hierher Revolutionsaktivitäten begegnet?“ fragt ein junger Mann aufgeregt. Ein anderer, mit dem Funkvokabular wenig vertraut, antwortet aufgeregt: „Romeo Zero Two, ja, da war ein brennender Bus und zwei brennende Autos.“
Aus der Küche hört man das Krächzen des Papageis der Familie.