Christian Putsch

Wenn der Vermieter die Coronapatientin rausschmeißen will

Christian Putsch
Wenn der Vermieter die Coronapatientin rausschmeißen will

Südafrika bekämpft neben der Ausbreitung des Coronavirus auch das Stigma der Krankheit. So mancher fühlt sich in den Armenvierteln an die Reaktion auf HIV-Infizierte während der neunziger Jahre erinnert. Ein Ortsbesuch

Die Bewohner des Hauses weigern sich zunächst, vor die Tür zu treten. Über Lautsprecher, die auf dem Dach eines Polizeiwagens befestigt sind, waren sie darum gebeten worden. Es gehe nur darum, über Covid-19 zu informieren, lautete die Durchsage in dem südafrikanischen Townships Mbekweni in der Stadt Paarl. Und ein paar Fragen zu beantworten.

Nach einigem Zögern tritt die Mutter der Familie dann doch heraus. Krankenpflegerin Wandisa Sopapaza redet ruhig auf sie ein. Es geht darum, Vorbehalte abzubauen. Denn die Tochter der Frau hat ein Video auf ihr Handy weitergeleitet bekommen. Ein Mann behauptet darin, die Teststäbchen für Covid-19 seien mit dem Virus kontaminiert. Man müsse sie meiden. Am gleichen Tag wird der Verfasser wegen Verbreitung von „Fake News“ verhaftet, verbringt die Nacht in der Zelle, wird schließlich von einem Richter mit einer Ermahnung laufengelassen. Der Schaden derartiger Nachrichten ist in Mbekweni offensichtlich.

Es dauert eine Weile, bis Sopapaza ihre Fragen stellen kann. Besteht Husten, Atemnot, Halsschmerzen. Gibt es, oder gab es zuletzt Fieber? Oder einen Kontakt zu einem Infizierten? Internationale Reisen? Alle Antworten lauten „Nein“ – wäre an einer Stelle ein „Ja“ gefallen, hätte sie zum Test auf das Coronavirus in die Klinik gebeten. Auf freiwilliger Basis. Aber doch mit Nachdruck.

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Über 2000 registrierte Erkrankungen mit Covid-19 gibt es in Südafrika, die meisten in Afrika, wo bislang knapp 14.000 Infizierte gemeldet wurden. Ende März verhängte die Regierung einen der strengsten Lockdowns weltweit, zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt der Ausbreitung. Das Gesundheitssystem gilt als das beste des Kontinents, aber auch am Kap ist es ein Kampf gegen die Zeit. Und das Stigma.

Von kleineren Anfeindungen berichteten aktuelle und genesene Patienten in vielen Ländern, darunter Industrienationen wie Südkorea. Doch besonders in strukturschwächeren Ländern gibt es inzwischen auch einige eklatante Beispiele. In Indien erhängte sich ein Mann, nachdem er trotz eines negativen Tests einen „sozialen Boykott“ erlebt hatte, berichtete die Nachrichtenagentur „PTI“. Die Regierung des Landes kritisierte zudem wiederholt öffentlich eine islamische Glaubensrichtung in Neu-Delhi, deren Anhänger überproportional oft positiv getestet wurden – und wurde dafür von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gerügt: „Das hilft nicht“, sagte WHO-Nothilfedirektor Mike Ryan, „es ist wichtig, dass wir Fälle nicht anhand von ethnischen und religiösen Kategorien klassifizieren.“

In Kenia trat Präsident Uhuru Kenyatta gemeinsam mit zwei genesenen Covid-19-Patienten zur Pressekonferenz, um Menschen mit Symptomen zu Tests zu bewegen. Er reagierte damit auch auf eigene Fehler. Die Polizei hatte den Lockdown in dem ostafrikanischen Land mit unverhältnismäßiger Gewalt durchgesetzt. Zudem hatte Kenyatta mehrfach von „Corona-Verdächtigen“ gesprochen und so das Stigma vergrößert, das womöglich zum Tod eines Mannes in der Stadt Kwale beigetragen hat. Lokale Medien berichteten, er sei von einer Gruppe Jugendlicher als Covid-19-Infizierter beschimpft und getötet worden, nachdem er geniest hatte.

Das sind extreme Ausnahmefälle, keine Frage. Im Mbekweni-Township kooperiert die Mehrheit, Anwohner erzählen, die Gerüchte in den Sozialen Medien konsequent zu ignorieren. Aber das gilt eben nicht für alle, es zeigt sich auch hier die Gefahr von Gewalt. „Die Leute haben Angst“, sagt Sopapaza, „die Stigmatisierung ist ein großes Problem, und es wird dauern, bis wir das in den Griff bekommen werden.“ 

Das Armenviertel gehört zu den ersten in Südafrika, in denen seit Anfang April Krankenpfleger wie sie von Tür zu Tür gehen, weil es hier einen Infizierten gab. Der Mann wurde umgehend von der Gemeinde getrennt und in einem Krankenhaus in Paarl isoliert. Dennoch gab es am vergangenen Freitag (3. April) einen Anruf in der Klinik, berichtet Sopapaza, eine Gruppe hatte vor, das Haus des Patienten niederzubrennen. Die Polizei musste eingreifen, verhinderte Beschädigungen.

In Mbekweni ist nun auch Nomafrench Mbombo angekommen, an der Jacke der Gesundheitsministerin des Westkaps baumelt ein Fläschchen Desinfektionsspray, das sie an einem Knopf befestigt hat. Die Politikerin will sich ein Bild von dem „Screening-Programm“ machen, mit dem landesweit 10.000 Gemeindearbeiter und Krankenpfleger beauftragt sind. Sie weiß, wie wichtig jetzt derartige Informationsmaßnahmen sind. 

Nomafrench Mbombo

Nomafrench Mbombo

Die Medizinerin fühlt sich ein wenig an die 1990er-Jahre erinnert, als sie als Ärztin die Stigmatisierung von HIV-Patienten an der Basis erlebte. „Damals zwangen viele Leute Infizierte dazu, die Nachbarschaft zu verlassen“, sagt Mbombo, „es gab die Ansicht, HIV sei Resultat von sündigem Verhalten und müsse bestraft werden.“ Bei dem Programm in diesen Straßen gehe es nicht nur um das Finden von Bürgern mit Corona-typischen Symptomen. Aufklärung sei genauso wichtig: „Covid-19 kann jeden treffen.“

Im Kapstädter Township Khayelitsha berichtete ein Verwandter der ersten Infizierten, dass ihr Vermieter die Patientin nun rauswerfen wolle, obwohl auch sie isoliert in einem Krankenhaus behandelt wird. Selbst zwei infizierte Ärztinnen in der Limpopo, die nach den ersten Symptomen sich sofort isoliert hatten, mussten sich von der Gesundheitsministerin der Provinz den Vorwurf anhören, sie hätten „das Virus in meine Provinz gebracht, um meine Leute auf dem Land zu infizieren“, berichtete die Online-Nachrichtenseite „Daily Maverick“.

Noch gibt es die Kapazitäten in Südafrika, Patienten wie die aus Mbekweni oder Khayelitsha in Krankenhäusern aufzunehmen, selbst wenn sie keine schweren Symptome aufweisen, aber eine Isolierung zu Hause angesichts der prekären Lebensumstände unmöglich ist. Vieles hängt aber nun von den kommenden zwei bis drei Wochen ab. Die Sorge ist groß, dass das ohnehin von der hohen Zahl an HIV- und Tuberkulose-Patienten strapazierte Gesundheitssystem überlastet werden könnte.

In Südafrika wurden bis Anfang April erst 50.000 Tests gemacht, so viele wie in Deutschland an einem halben Tag. 80 Prozent davon zudem in privaten Labors, sie wurden überwiegend von Patienten mit vergleichsweise gutem Einkommen in Auftrag gegeben.

Ein realistisches Bild von der Situation in den Townships liegt also noch nicht vor. Bis zum 2. April war hohes Fieber oder ein Kontakt zu Infizierten Voraussetzung für Tests. Erst seitdem sind die Ärzte nun angewiesen, schon bei leichten Symptomen vermehrt Tests anzuordnen.

Auf der Straße in Mbekweni ziehen die Gemeindearbeiter weiter, verteilen Flugblätter, diskutieren. 30.000 Menschen wohnen in dem Township. „Es wird über einen Monat dauern, bis wir in allen Straßen waren“, glaubt Sopapaza. 

Die Frage ist, ob so viel Zeit bleibt.