Christian Putsch

Südafrikas Streit ums Land erreicht die Kirchen

Christian Putsch
Südafrikas Streit ums Land erreicht die Kirchen

Das Land in Südafrika ist ungerecht verteilt. Doch nicht nur die Weißen besitzen zu viel, so der Tenor – ein kleines Dorf will sich nun gerichtlich das Land einer von deutschen Missionaren gegründeten Kirche erstreiten. Ein Besuch

Bevor der große Streit begann, ging Amanda Cloete jeden Sonntag in die Kirche. Ihr ganzes Leben schon. Wie man es eben macht im südafrikanischen Dorf Elim, das vor knapp zwei Jahrhunderten von deutschen Missionaren gegründet wurde und noch heute komplett im Besitz der Moravian Church ist. Sie ist Elimer durch und durch, 10. Familiengeneration, ihr halbes Leben hat sie mit dem Zusammentragen historischer Dokumente zum Ort verbracht.

Ein Ort der Zuflucht mit idyllischen Reetdächern, hier wurden einst entlaufene Sklaven und Buschleute aufgenommen. Cloetes Familie lebte auch während der Apartheid geschützt vor Zwangsumsiedlungen, die zahlreiche gemischtfarbige Menschen überstehen mussten. Von Kirchenland ließ selbst das Apartheid-Regime meist die Finger. 

Dieses hehre Bild gilt so nicht mehr, sagen Cloete und viele andere der 2000 Bewohner. Sie werfen der Kirchenführung Profitsucht vor. Als die resolute Frau einem Pfarrer vorwarf, dass von den Pachteinnahmen aus dem beachtlichen Agrarbesitz in Höhe von angeblich 470.000 Euro jährlich nichts in die Entwicklung der Gemeinde fließe, wurde sie für sechs Monate aus der Glaubensgemeinschaft verbannt, erzählt sie. Ihren Glauben werde sie nie verlieren. Bei ihrer Kirche ist sie sich da nicht mehr so sicher.

Längst ist die Frage, wie mit südafrikanischem Kirchenland umzugehen ist, zum Politikum geworden. Die Moravian Church fordert von den Anwohnern in einem Prozess ausstehende Pachtzahlungen in Höhe von umgerechnet rund 100.000 Euro. Die Bürger verweigern das – und pochen darauf, dass ihnen das Kirchenland gleich ganz überschrieben wird. Schließlich seien sie seit Generationen für Anbau und Entwicklung der Felder verantwortlich. 

Der Prozess wird von den Kirchen mit Sorge verfolgt, er lenkt die Aufmerksamkeit auf ihre Rolle bei Südafrikas umstrittener Landreform. Seit einigen Jahren werden Gesetze zur entschädigungslosen Enteignung von Farmland vorangetrieben, die Reform soll in diesem Jahr umgesetzt werden, betonte Präsident Cyril Ramaphosa Anfang Februar. Der fundamentale Eingriff in die Eigentumsrechte macht auch die rund 600 deutschen Firmen im Land nervös, trotz der Zusicherungen, dass lediglich ungenutzte Agrarfläche betroffen sein soll.

Das Thema begleitet die Nation seit dem Ende der Apartheid, schließlich gehört der weißen Minderheit noch immer ein deutlich überproportionaler Anteil des Landes. 72 Prozent, behaupten Politiker der Regierungspartei „African National Congress“ (ANC) mit Verweis auf die letzten Erhebungen zu den Landbesitzverhältnissen. Der Prozentsatz ist freilich irreführend, bezieht er sich doch auf das Land in individuellem Privatbesitz – gerade einmal ein Drittel Südafrikas. 

Der Rest aber lässt sich ethnischen Gruppen nicht klar zuordnen, sie gehören Firmen oder Treuhandgesellschaften – allein die der Königsfamilie der Zulus verwaltet ein Drittel der Provinz KwaZulu-Natal. Die Kirchen werden unter „Gemeindebasierte Organisationen“ mit vier Prozent angeführt, ein beachtlicher Anteil, allerdings werden in der Kategorie auch Grundstücke in Gemeinschaftsbesitz geführt. Wieviel Land die Kirchen genau besitzen, ist alles andere transparent. Anfragen der WELT beim für Landfragen zuständigen Agrarministerium und dem Grundbuchregisteramt blieben unbeantwortet.

Schon im Jahr 1996 hatte die Moravian Church ein Abkommen mit der Regierung abgeschlossen, mit dem die Landreform an den Missionsstationen vorangetrieben werden sollte – der „Genadendal Accord“. Passiert ist seitdem wenig. Kirchenvertreter schieben die Schuld auf die Bürger, die kein vernünftiges Konzept für die künftige Eigentümerstruktur vorgelegt hätten, wenn das Land überschrieben werde. Die Anwohner bestreiten das. Die Kirche ist offiziell bereit, die Wohngegenden zu übergeben, die Abgabe des profitablen Agrarlandes lehnt man dagegen kategorisch ab.

Im Gemeindehaus sitzen zwei Pfarrer und reden sich in Rage. Martinus October, 75, spricht von „dreisten Lügen“, die in seiner Gemeinde verbreitet würden. Die Kirche verwalte den Ort und den anderen sieben Missionsstationen des Landes im Sinne der Gemeinde. So helfe man beispielsweise aus, wenn ein Haus beschädigt wurde, zahle zudem die teure Brandschutzversicherung. 

October ist eigentlich seit drei Jahren pensioniert, seinen Nachfolger aber lässt er kaum zu Wort kommen. Er sei einst zusammen mit Desmond Tutu verhaftet worden, als er für die Rechte der Leute protestiert habe. Während der Apartheid seien sie hier sicher gewesen. Und überhaupt sei der „Overseers Council“, der vor Gericht gezogen ist, zwar die offizielle Bürgervertretung – aber dessen Mitglieder seien nicht rechtmäßig gewählt worden, ihr Mandat sei ausgelaufen. „Aus unserer Sicht ist das eine Minderheit.“ 

Lange hatte die Kirche das Land weit unter Marktwert an die Bewohner Elims verpachtet. Davon hätten „einige wenige aus der Gemeinde mit großen Feldern“ sehr profitiert, sagt October, die Kirche sei dagegen kaum liquide gewesen. Vor einigen habe man deshalb eine Firma zur Verwaltung der Grundstücke gegründet, nun würden angemessene Preise für die größeren Felder berechnet. Von dem äußerst fruchtbaren Agrarland in Elim würden auch andere Missionsstationen mitfinanziert, räumt er ein. 

Den Farmer Karl Richter, 51, macht genau das wütend. Er lehnt an seinem Zaun, hinter ihm wachsen Kartoffeln und Bohnen – in ihm die Sorgen um Existenz und Dorf. Klar habe die aktuelle Debatte zur Landreform in Südafrika zur Eskalation in Elim beigetragen. Aber man hätte ohnehin handeln müssen, die Konstellation sei schlicht nicht zeitgemäß, sagt er. Es gehe nicht nur um die mangelnde Unterstützung der Kirche. Ohne Grundbucheintragung sei es auch unmöglich, Kredite oder Regierungssubventionen für den Farmbetrieb zu beantragen, sagt Richter. „Sie halten uns auf unserem eigenen Land in Geiselhaft.” Aber natürlich liebe er die Kirche, ja er sorge sich sogar um die hohen Anwaltskosten, falls der Fall vor das Verfassungsgericht gehen sollte. Die Anwohner werden von Anwälten pro bono vertreten. Die Kirche nicht.

Am Sonntag wird Richter wie immer wieder zum Gottesdienst gehen – noch immer eine Selbstverständlichkeit, die Kirche erwartet von allen Bewohnern, dass sie den Glauben praktizieren. Auch Cloete wird kommen, ihre Verbannung liegt über ein Jahr zurück. Sie werden wie jede Woche auf Pfarrer October treffen, versuchen, den Rechtsstreit für einige Stunden zu vergessen.

Das ist natürlich unmöglich, sagt der Kirchenmann, er werde als „Teil des Systems“ gesehen. Klar, die Situation schmerze. Aber die Spannungen im Ort nimmt er in Kauf. Und auch die Kritik, dass sich die Kirche nicht auf die Religion beschränke. Die Kirche müsse die Mittel haben, um Gemeindemitgliedern in Not auch materiell helfen zu können. Ihn stört es nicht, wenn Kritiker das als altmodisches Rollenverständnis der Institution sehen. „Den Gospel“, sagt October, „kann man doch nicht vom alltäglichen Leben trennen.“