Christian Putsch

Afrikas Tüftler für den Umweltschutz

Christian Putsch
Afrikas Tüftler für den Umweltschutz

Große afrikanische Metropolen suchen nach Lösungen für die immer größeren Plastikmüllberge. Junge Erfinder in Kenia präsentieren Lösungen – nicht nur für den eigenen Kontinent

Nairobi – Wenn ihr die Motivation auszugehen droht, dann denkt Nzambi Matee an die Narbe der Umweltschützerin. Im Fernsehen hatte sie einst als Schülerin die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Aktivistin Wangari Maathai gesehen, für deren Einsatz gegen die Abholzung des Karura Waldes. Die Kamera war auf die schlecht verheilte Wunde der Frau geschwenkt, die aus einem Angriff von Sicherheitspersonal der Holzverarbeitungsfirma resultierte.

15 Jahre ist das her. Und es ist kaum ein Tag vergangen, an dem Matee nicht an diese Narbe dachte. Während des Ingenieurstudiums, den ersten Karrierejahren in der Ölindustrie. Und mit jedem Tag nahm das Unbehagen zu, dieses flaue Gefühl im Magen, auf dem falschen Weg zu sein. Diese Frau hatte ihr Leben riskiert für die Umwelt, für eine bessere Zukunft. Stand sie da nicht in der Pflicht, zumindest ihre Fähigkeiten einzusetzen? Und alle Kraft?

Die Antwort findet man jeden Morgen ab sechs Uhr in einem schmucklosen Industriegebiet von Kenias Hauptstadt Nairobi. Hier wirbelt Matee, 30, im Blaumann in ihrer kleinen Fabrik, in der sie Kenias enormes Plastikmüllproblem lösen möchte. Oder wenigstens mindern. Ein behördlich organisiertes Recycling findet in dem ostafrikanischen Land nur bedingt statt, nur die Hälfte des Mülls in Nairobi wird von den Behörden überhaupt offiziell eingesammelt, nur ein Bruchteil davon wiederverwertet. In Dandora, einer Müllkippe in Nairobi mit der Größe einer Müllkippe, türmt sich der Abfall 30 Meter hoch.

Man möchte also meinen, dass Kenia genug mit den eigenen Abfällen zu tun hat. Doch in den vergangenen Jahren wurde zudem vermehrt Plastikschrott der USA importiert. Die Weltmacht hatte über Jahrzehnte hinweg den Großteil seines Plastikmülls nach China verschifft. Dort wurde das dreckige Geschäft im Jahr 2017 verboten. Seitdem gehen die Abfälle nach Indonesien, Malaysia – und in afrikanische Länder wie Kenia. Das widerspricht den dortigen Umweltgesetzen. Doch US-Lobbyisten setzen Verhandlungen zu bilateralen Freihandelsabkommen als Druckmittel ein.

Selbst ohne den Müll aus den USA wären die rasant wachsenden Städte in Kenia mit dem Problem überfordert. Zwar ist in Kenia Einweg-Plastik weitgehend verboten, doch durchgesetzt wird das Gesetz kaum. Matee hatte irgendwann genug davon, sich über derartige Missstände zu echauffieren. Vor einigen Jahren kündigte sie trotz einer verlockenden Gehaltserhöhung ihren Job und gründete mit den Ersparnissen, umgerechnet gerade einmal 200 Euro, „Gjenge Pavers“. Mit ihren elf Mitarbeitern hat die quirlige Unternehmerin ein Verfahren entwickelt, mit dem Plastikmüll zu Ziegelsteinen verarbeitet wird. Nächtelang schweißte sie an den Maschinen, in denen sie Teile ausrangierter Baumaschinen verwendete.

Mit erstaunlichem Erfolg: Die mit Sand angereicherten Steine sind doppelt so bruchfest wie herkömmliche Ziegelsteine, wiegen nur die Hälfte und sind auch noch etwas billiger. Die ersten Vorhöfe sind gepflastert, bald soll das erste Haus entstehen, die Idee für die Massenproduktion patentiert werden. An die Wand hat Matee die Erfüllung des Produktionsziels der Vorwoche gekritzelt: 6000 Steine. Viermal so viele wie noch vor zwei Jahren.

Die Idee könnte zumindest im Niedrigpreis-Segment den Häuserbau in Afrika revolutionieren. An dieses Potenzial glauben offenbar zumindest die Vereinten Nationen, die Matee mit einem ihrer wichtigsten Förderpreise ausgezeichnet haben. Und zahlreiche Unternehmer in anderen Entwicklungsländern, die mit der Kenianerin Kontakt aufgenommen haben. Matee findet, dass man im Leben große Ziele braucht. Aber sie ist auch voller Ehrfurcht angesichts der enormen Herausforderung: „Ich bin nur ein Tropfen im Ozean – viele kleine Taten entwickeln eine große Wirkung.“

Und davon gibt es auf dem Kontinent derzeit viele. Weniger von den Regierungen, die dem von rasanter Urbanisierung und Bevölkerungswachstum verschärften Plastikproblem oft mit mäßigem Erfolg begegnen. Sondern von einer Generation junger Existenzgründer, die diese Lücke zu schließen versuchen. Sie stammen vom Kontinent, wie Matee. Oder auch aus Industrienationen, wie etwa der ehemalige St.-Pauli-Fußballprofi Benny Adrion. Der 41-Jährige verkauft mit seiner Organisation „Viva con Agua“ in Deutschland Klopapier und Mineralwasser, betreibt in Südafrika ein Hostel – und finanziert mit den Einnahmen Wasserprojekte in Afrika und Asien. Und das mit erstaunlichem Erfolg.

Besonders in Nairobi aber findet sich so mancher kreative Unternehmer, die Umweltschutz profitabel machen wollen. Dennis Juma aus dem ausufernden Kibera-Slum zum Beispiel. Nach der Schule fand er keinen Job, so wie die große Mehrheit der eine Millionen Kenianer, die jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen. Der 25-Jährige galt einst als großes Fußballtalent, sein Verein zahlte ihm ein paar Schilling. Aber das reichte kaum zum Überleben. Ein Leben voller großer Fragezeichen. Juma beantwortet sie mit dem, was vor ihm liegt. Den Müll in seiner Straße.

Er macht ihn zu Geld. Für sich - und für seine Nachbarn. Deren Müll ist zu Hunderten Plastikkörben geworden. Jeden Sonntag sammeln er und seine Freunde den Müll von über 7500 Bewohnern Kiberas ein. Der ist bereits sauber getrennt, was dort nicht die Regel ist. „Wer nichts zu essen hat, der denkt nicht den ganzen Tag über Mülltrennung nach“, sagt er. Wer dafür aber Geld bekommt sehr wohl. 15 Kenia Schilling, umgerechnet 0,12 Euro, zahlt Juma pro Kilogramm Plastik, das er von einer Firma zu stabilen Körben und Schalen pressen lässt. Sein Motto: „Waste is Wealth.“ Müll ist Wohlstand.

Das ist gutes Marketing, in der Realität aber ist der Kampf gegen die Müllberge vor allem harte Arbeit. Gegen Widerstände auf allen Ebenen. Unternehmerin Matee ging auf der Suche nach Startkapital zu jeder einzelnen Bank mit ihrem Geschäftsplan. Die winkten ab, zu riskant – vertraute Worte für die Existenzgründer des Kontinents. Selbst wer Erfolg hat, erstickt oft unter exorbitanten Zinssätzen jenseits der 15 Prozent. Privatkredite von Verwandten sind oft der einzige Weg. 

Auch die Eltern von Matee halfen so gut sie konnten. Und sie drängten nicht auf eine frühe Familiengründung - keine Selbstverständlichkeit in Kenia. Zehn Jahre werde sie restlos alles für ihre Firma geben, auch die Familienplanung zurückstellen. Dann, mit Mitte 30, dürften sie wieder nach Enkeln fragen. Die Eltern halten sich bislang dran. Nur die Oma mäkelt etwas: „Sind zehn Jahre nicht zu lang?“

Bei derart dezenten Einwänden hört Matee nicht so genau hin. So wie sie auch so manchen chauvinistischen Kommentar von Männern in der Maschinenbaubranche abperlen lässt. Sie lässt sie Stück für Stück verstummen, mit jedem neuen Auftrag, neuen Auszeichnungen. Und mit harter Arbeit. Vor ein paar Tagen arbeitete sie 36 Stunden am Stück. Oft schläft sie nur ein paar Stunden auf einem braunen Sofa im Büro neben der Fabrikhalle. Wie bei der Feuerwehr sei das – irgendein brennendes Problem gebe es schließlich immer zu löschen. In Nairobi, Kenia, auf der ganzen Welt.

In diesen großen Dimensionen denkt Matee, schließlich bedürfe es für das Plastikproblem einer „globalen Lösung“. Entsprechend will sie ihr technisches und logistisches Wissen über das Internet Existenzgründern frei verfügbar machen – erst wenn sie Profit machen, sollen sie für die bereitgestellte Expertise zahlen. Schon jetzt tauscht sie sich wöchentlich per Zoom-Schaltung mit anderen kreativen Recycling-Unternehmern des Kontinents aus.

Aber ob das reicht? Matee macht sich angesichts der Dimension der Herausforderung keine Illusionen. „Klar kann ich alleine wenig ausrichten. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass ich die Bewältigung des Plastikproblems nicht erleben werde“, sagt sie, „aber selbst wenn das noch sieben Generationen dauern sollte, setzt du dich dann hin und machst nichts?“

Matee fällt da ein Vergleich ein. Mit großen Problemen ist es so wie mit dem Maisbrei Ugali, ein kenianisches Nationalgericht. Es wird oft kreisförmig und heiß serviert. Man fängt dann am Rand an und denkt erst einmal gar nicht an den Kern, der noch viel zu heiß ist. Doch da, sagt die Unternehmerin, ist man weit schneller angekommen als gedacht. Wenn viele mit am Tisch sitzen zumindest.