Irgendwie im Gespräch bleiben
Burkina Fasos Finanzminister Aboubakar Nacanabo verbarg erst gar nicht, wie egal es ihm ist, was Deutschland von der Hinwendung seines Landes zu Russland hält. Die Nato-Staaten hätten die Ukraine allein im Jahr 2022 mit 65 Milliarden Euro militärisch unterstützt, während die Sahelstaaten „über 20 Jahre lang“ trotz wachsender Terrorbedrohung weitgehend ignoriert worden seien, kaum Waffen geliefert worden, hielt er der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) recht schroff vor.
Schulze war als erste europäische Ministerin seit den beiden Putschen im Jahr 2022 in dem Sahelstaat gereist. Eine richtige Entscheidung angesichts der enormen geopolitischen Bedeutung der in Militärdiktaturen abgeglittenen Sahelstaaten. Es sei wichtig, dass man im Gespräch bleibe, hat Schulze zu Beginn und Ende ihrer Reise betont. Immerhin das ist gelungen. Aber mit klarer Botschaft: Eure Entwicklungshilfe ist weiter willkommen, auch wenn davon seit dem Putsch nichts mehr direkt an die Regierung, sondern ausschließlich direkt in Projektarbeit fließt. Das gleiche gilt für die neun Soldaten der Bundeswehrberatergruppe im Land. Aber ein Hebel für Einfluss ist beides nicht.
Das dürfte Schulze im Laufe ihrer Gespräche, in denen sie deutlich die deutsche Position gegen Russland zum Ausdruck brachte, klargeworden sein. Burkina Faso hat gerade zusammen mit Mali und Niger den Austritt aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft „Ecowas“ angekündigt – einem der letzten Hoffnungsschimmer auf demokratischen politischen Einfluss. „Der Austritt wird passieren“, bekräftigte Nacanabo. Aber ein erheblicher Teil der Entwicklungshilfe fließe ja über Ecowas-Strukturen, so Schulze, das falle dann ja weg für das Land. Nacanabo: „Dann ist das eben so.“ Und der Gast müsse dann jetzt doch sicher zu weiteren Terminen, sagte er kurz vor Ablauf der vorgesehenen Gesprächszeit. Ende der Audienz für die BMZ-Ministerin.
In ihren öffentlichen Statements konzentrierte sich Schulze entsprechend lieber auf ihre Begegnung mit Außenminister Karamoko Jean Marie Traoré, einem der wenigen in der Junta mit respektabler internationaler Reputation. Der Besuch sei „eine große Ehre“, hatte dieser höflich zu Protokoll gegeben, Deutschland und Burkina Faso würden „eher Nuancen als Meinungsverschiedenheiten“ trennen. Man werde Wahlen organisieren, „aber erst müssen wir die Sicherheit wieder herstellen“. Und zu Russland: „Das Angebot entspricht unseren Bedürfnissen.“
Schulze war auch als Präsidentin der Sahel-Allianz empfangen worden – einer westlichen Geber-Allianz zur Koordinierung milliardenschwerer Entwicklungshilfe in den fünf Sahelstaaten, das dort bisweilen als Initiative der verhassten Ex-Kolonialmacht Frankreich wahrgeworden war. Sie sei auch in dieser Funktion „freundlich“ empfangen worden, sagte Schulze, „und das finde ich auch sehr positiv für einen Staat, von dem ich erwartet habe, dass er sich aus allem rauszieht“. Sie habe mit deutlich mehr Reserviertheit gerechnet.
Das liegt im Auge des Betrachters. Ein Gespräch mit Junta-Chef Ibrahim Traoré war bis kurz vor ihrem Abflug in Aussicht gestellt worden und fand letztlich stillschweigend und ohne Angabe von Gründen nicht statt. Der plötzliche Kontaktabbruch ist im menschlichen Miteinander inzwischen so verbreitet, dass es das schöne Wort „Ghosting“ in den Duden geschafft hat. Schulze ist in Burkina Faso diplomatisch „geghostet“ worden.
Eine naheliegende Erklärung. Im Kreml, der 100 Soldaten zu Traorés persönlichem Schutz abgestellt hat und weitere Entsendung versprochen hat, hätten Bilder mit einer deutschen Ministerin vermutlich Eifersucht geweckt. „Ich fand den Empfang ernüchternd“, sagte jedenfalls der mitgereiste FDP-Abgeordnete Knut Gerschau, „Burkina Faso hat die Chance nicht genutzt, wieder wirklich in Kontakt zu kommen. Das ist bedauerlich, weil eine derartige Hinwendung zu Russland fast unumkehrbar ist.“
Dabei – und auch das ist eine der Erkenntnisse des Besuchs – hat Burkina Faso Entwicklungshilfe nötiger denn je. Und sie wirkt durchaus an richtigen Stellen. In der Bildung, der ländlichen Entwicklung und in der widerstandsfähigen, aber spürbar von der Junta eingeschüchterten Zivilgesellschaft. So traf Schulze die Faktenprüfer von „FasoCheck“, eine Kooperation mit der „Deutschen Welle“, die – nicht nur, aber natürlich auch – den gezielten russischen Desinformationskampagnen in Afrika entgegenwirkt.
Aber das Wort Russland vermeiden die Journalisten bewusst, schließlich droht Kritikern der Junta der Einzug an die Front gegen den Terrorismus. Oder, bei unliebsamer Berichterstattung über militärische Operationen, bis zu zehn Jahre Haft. Und so erzählen sie lieber über den angeblichen Druck von Banknoten einer neuen Gemeinschaftswährung der drei Kreml-hörigen Sahelstaaten oder neu entdeckten Diamanten und Erdöl-Vorkommen. Mit derartigen Fake News soll die Isolation der Putsch-Staaten heruntergespielt werden.
Deren Wagenburg-Mentalität zeigt sich auf den Straßen der Hauptstadt Ouagadougou. An fast jeder Kreuzung hängen die Fahnen der Ecowas-Aussteiger Burkina Faso, Niger und Mali – und die von Russland. Keineswegs die Mehrheit davon wurde von der Junta aufgehängt. So haben Künstler im vergangenen Jahr aufwändige Graffiti von Putin und Junta-Chef Traoré an einer Mauer angefertigt. Beide sind im Volk populärer, als es der Westen wahrhaben will. So mancher Beobachter glaubt, dass Traoré bei Wahlen gute Chancen hätte. Die Adresse der Mauer lautet: „Avenue de la Révolution.“ An ihr ist auch der sozialistische Nationalheld Thomas Sankara verewigt.
Gerade einmal 80 Minuten Flug sind es von Burkina Faso nach Benin, und der Ortswechsel offenbart, wie groß die Kontraste in Westafrika derzeit sind. Die Nation gilt als loyal gegenüber Frankreich, als trotz klarer Defizite stabile Demokratie mit robustem Wirtschaftswachstum. Aber auch mit aus Burkina Faso und Niger einsickerndem islamistischen Terror im Norden. Und anderen Quellen der Gewalt, die damit oft gleichgesetzt werden.
So sprach Schulze mit Frauen aus bedrohten Dörfern, die auch mit BMZ-Mitteln die in vielen afrikanischen Ländern eskalierenden Konflikte zwischen Hirten und Landwirten reduziert haben. Über bessere Wasserversorgung, der Mangel ist eine der häufigsten Ursachen für Eskalation. Oder gemeinsame Agrarprojekte, Anreize für die geordnete Niederlassung von Hirten. Aber auch schlicht aufwändige Verhandlungen, bis klare Korridore für das Treiben von Vieh-Herden vereinbart werden.
Im Gegensatz zu Burkina Fasos Junta zeigte sich Benins Regierung derart emsig, dass die deutschen Entwicklungshelfer vor Ort Mühe hatten, Schulze ihre wichtigsten Projekte zu zeigen. Präsident Patrice Talon empfing sie – und drängte darauf, dass die Ministerin die neue Sonderwirtschaftszone des Landes anschaute, wo die Regierung gerade zusammen mit von Steuererleichterungen und Bürokratieabbau angelockten Firmen Tausende Arbeitsplätze für die Verarbeitung Baumwolle und Cashewkernen aus dem Boden stampft.
Und so musste die mit der deutschen Wirtschaft fremdelnden Ministerin für Fotos mit indischen Unternehmern herhalten – Wasser auf die Mühlen des „Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft“, der sich aufgeregt hatte, dass keine Firmenvertreter für die Reise eingeladen worden waren. In diesem Fall eine doch etwas merkwürdige Kritik, weil es kaum vermittelbar gewesen wäre, beim ersten Stopp in Burkina Faso für Investitionen zu werben.
Schulze beruft sich generell darauf, dass ihre Arbeit die Rahmenbedingungen für Investitionen schaffe und die Außenwirtschaftsförderung in erster Linie beim Wirtschaftsministerium angesiedelt sei. Da ist was dran. Aber nach dem Besuch des beeindruckenden Industrieparks in Benin kann schon der Gedanke aufkommen, ob derartige Reisen vielleicht etwas weniger auf die Präsentation von Projekten von Implementierungsorganisationen wie der „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) ausgerichtet sein sollten. Und ob man sich nicht vielleicht öfter als bisher Impulse abseits der eigenen Strategie und Strukturen suchen könnte. Im Sinne der immer wieder geforderten neuen Impulse für die Entwicklungshilfe.
So manche Anregungen kommen manchmal auch im Kleinen. In Burkina Faso besuchte Schulze ein von der Weltbank mitfinanziertes naturwissenschaftliches Gymnasium, ließ sich an modernen Geräten von den Schülern komplexe physikalische Experimente erklären – und hörte danach von dem Schüler Saba Isaac Brice, 17, dass es dennoch an Elementarem fehlt.
„Wir haben keine Internet-Verbindung im Unterricht“, sagte er, „und nach dem Abitur gibt es kaum Stipendien für das Studium.“ Das sei ein großes Hindernis auf der Jobsuche. Sie endet für die meisten im Land im informellen Sektor und damit im Hungerlohn.
„Wir nehmen das auf jeden Fall mit“, sagte Schulze und ließ einen ausgesprochen eloquenten Jugendlichen zurück, der hofft, bei diesem Versprechen nicht geghostet zu werden.