Im Visier der Wagner-Söldner
Mali setzt im Anti-Terrorkampf immer kompromissloser auf Russland, der Kreml feiert einen geopolitischen Erfolg. In kaum einem anderen afrikanischen Land stößt die anti-westliche Propaganda derzeit auf derart fruchtbaren Boden. Eine Spurensuche in Bamako
Sein Zimmer ist karg eingerichtet. Eine kaputte Klimaanlage, Teppiche und ein Stapel Bücher. In der Ecke noch eine dünne Matratze. Auf ihr liegt der Imam Ibrahim, ein stattlicher Fulani mit blauem Umhang. Den Blick am abblätternden Putz der Decke, die Gedanken bei den Schüssen, den vielen Toten. Und der Frage, warum er überlebt hat. Warum die Soldaten ihn verschont haben.
Ibrahim, 40, arbeitete als Koranlehrer in der lange von Islamisten besetzten Kleinstadt Moura im Zentrum des Landes. Er hat Angst. Vor Malis Militärjunta. Und den Terroristen, vor denen er in die Mietwohnung im 500 Kilometer entfernten Bamako geflüchtet ist. Sein richtiger Name darf deshalb nicht veröffentlicht werden. Aber er will erzählen, was er gesehen hat.
In Moura tötete Malis Armee im Verbund mit russischen Wagner-Söldnern im März rund 300 Menschen, darunter viele Zivilisten, berichteten Menschenrechtsorganisationen. Minusma, die UN-Friedenstruppe in Mali, wollte ermitteln. Malis Behörden lehnten das ab. Bei der Allianz mit dem Kreml verbittet man sich jede Einmischung.
Fast ein Jahrzehnt hatte Frankreich den Anti-Terror-Kampf der internationalen Gemeinschaft in Mali angeführt. Doch dann putschte sich das Militär an die Macht. Sowohl in Frankreich als auch in Mali wuchs Widerstand gegen den „Barkhane“-Kampfeinsatz. Seit Anfang des Jahres läuft der Abzug, in dieser Woche verließen die letzten französischen Soldaten die ehemalige Kolonie.
In das französische Vakuum ist der Kreml mit einer Vehemenz gestoßen, die nur auf den ersten Blick überrascht: Jede zweite nach Afrika gelieferte Waffe stammt aus Russland. 20 Militärabkommen hat Wladimir Putin seit dem Jahr 2015 mit afrikanischen Ländern abgeschlossen, das mit Mali ist am wichtigsten.
Der Kreml will sich dort als die bessere Alternative zum Westen präsentieren. Und seine nach dem Kalten Krieges verloren gegangene Geltung auf dem Kontinent wiederbeleben. Im Goldförderland Mali geht es aber auch um Rohstoffe, Kontrolle des malischen Luftraums und Einfluss in Nato-Nähe. Rund 1000 russische Kämpfer sollen hier laut Einschätzung westlicher Beobachter im Einsatz sein, die meisten davon Söldner der Wagner-Gruppe.
Die Schilderungen des Augenzeugens Ibrahim geben einen erschreckenden Einblick: in den Terror der erstarkenden Milizen, die Verbindungen zu al-Qaida und dem Islamischen Staat (IS) haben. Aber auch in das Vorgehen der Wagner-Söldner.
Ibrahim sitzt jetzt auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Er spricht leise, der Schmerz der Erinnerung dämpft die Stimme. Er habe eine gemäßigte Version des Sunnitentums gepredigt, sagt er, die Trennung von Religion und Staat unterstützt, neben dem Koran auch andere Fächer unterrichtet.
Im Jahr 2015 sei die Stadt dann von Islamisten der Al-Qaida-Miliz „Nusrat al-Islam“ besetzt worden. Sie hätten im Ort Scharia-Gesetze eingeführt: keine Musik, kein Fußball, Vollverschleierung für die Frauen. „Jeder, der sich ihnen widersetzt hat, wurde mindestens geschlagen“, sagt der Imam. Einen seiner Brüder hätten sie getötet.
Moura wurde zur wichtigen Logistikstation der Terroristen. Es musste etwas geschehen, sagt Ibrahim. Aber nicht das: Am 27. März, einem Sonntag, war er auf dem Marktplatz, als dort drei Armeehubschrauber zur Landung ansetzten. Die Islamisten hätten zuerst geschossen, erzählt er, ein Hubschrauber habe das Feuer „wahllos“ erwidert, zahlreiche Zivilisten seien getötet worden.
Nach der Landung sei das Dorf umzingelt worden, erzählt Ibrahim. Aus dem Helikopter seien einige malische Soldaten gestiegen, dazu deutlich mehr weiße Soldaten, sagt der Imam. „Sie haben weder Französisch noch Englisch gesprochen. Ich kannte ihre Sprache nicht, ich glaube, es war Russisch.“
Es begann eine Art Belagerung. Drei Tage später sollten alle Bewohner aus den Häusern kommen. Ausweiskontrolle. „Sie haben die Ausweise gar nicht angeschaut, sondern uns in Gruppen von jeweils fünf bis sieben Personen aufgeteilt“, sagt der Imam. Einige dieser Gruppen seien dann etwa 100 Meter weit weggeführt worden, die Soldaten hätten die Männer erschossen. Es sei pures Glück, dass er überlebt habe. Er sei schlicht in einer Gruppe gelandet, die nicht hingerichtet worden sei.
Unter den Getöteten seien einige Terroristen gewesen, aber deutlich mehr Zivilisten, so der Mann. Am Folgetag habe er elf Menschen begraben, einige davon seien Freunde gewesen. „Das waren keine Islamisten“, sagt er. Ähnlich äußerten sich zahlreiche weitere Augenzeugen, die in einem Bericht der Vereinten Nationen erwähnt werden.
In Mali bekommt man davon wenig mit. Den meisten Journalisten wurde die Akkreditierung entzogen, französische Nachrichtenseiten gesperrt. Stattdessen werden Kreml-freundliche Botschaften verbreitet. Anfang August lieferte Russland PR-wirksam fünf Kampfjets an Malis Armee. Einer der Jets landete vor einigen Tagen in Gao, wo die meisten der 1000 deutschen Bundeswehrsoldaten im Rahmen des Minusma-Einsatzes stationiert sind.
Die Deutschen vermeldeten laut „Spiegel Online“ die Sichtung von „20 bis 30 Personen in militärischen Uniformen“ auf dem Flughafen Gao. Es seien „nahezu sicher“ Angehörige der russischen Sicherheitskräfte. Wegen des Zusammenhangs mit der Lieferung einige Tage zuvor ist es wahrscheinlich, dass es sich diesmal um offizielle russische Soldaten und nicht Söldner handelt. Die Bundeswehr hat Teile ihres Einsatzes wegen immer neuer Schikanen der Militärjunta derzeit ausgesetzt.
Zuletzt war es auch in der Nähe der Hauptstadt Bamako zu Anschlägen gekommen. Junta-Chef Assimi Goïta spielt das als Todeszuckungen der Terrorgruppen herunter. Dabei resümieren die Datensammler der Organisation „Armed Conflict Location & Event Data Project“ (ACLED): „2022 ist auf dem Weg, sowohl für Burkina Faso als auch für Mali das tödlichste Jahr seit Beginn der Sahel-Krise vor mehr als einem Jahrzehnt zu werden.“
In Bamako bittet einer der einflussreichsten Aktivisten des Landes zum Gespräch in sein Wohnzimmer. Siriki Kouyate, 39, ist ein Mann mit Vorliebe für knallige Farben – das Hemd ist gelb, die Zimmerdecke rosa – und einer der wichtigsten Fürsprecher des Kremls in Mali. Vor gut zwei Jahren gehörte er zu den Gründern der pro-russischen Organisation „Yerewolo“, die mit Kundgebungen gegen Frankreich mobilisierte. Und die nun immer vehementer auch den Abzug der UN-Blauhelme fordert. Diese seien weder in der Lage, die Bevölkerung zu schützen – noch sich selbst. Absurde Behauptungen, erst Anfang August wurden 22 malische Soldaten nach einem Anschlag von der Bundeswehr evakuiert.
Doch Kouyate will Yerewolo bei den Wahlen im Jahr 2024 zur Regierungspartei machen und setzt weiter auf anti-westliche Parolen. Seine Organisation sei weder von der Militärjunta noch Russland finanziert, behauptet er, räumt aber ein, dass sich auch zahlreiche Militärs der Bewegung angeschlossen hätten. Entsprechend verkauft der ehemalige Radio-Moderator die russisch-malische Allianz als Erfolgsgeschichte: „Zuvor hat der Islamische Staat ganze Dörfer eingenommen, jetzt gibt es keine Gruppe mehr, die sich der Armee widersetzen könne.“
Malis Generäle fahren derweil schwere rhetorische Geschütze in Richtung Frankreich auf, ganz im Sinne des Kremls, dessen Afrika-Politik von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt stark kritisiert wurde. Frankreich habe Malis Luftraum Dutzende Male verletzt und „Informationen gesammelt, von denen terroristischer Gruppen profitierten“, behauptete Malis Außenminister Abdoulaye Diop in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat.
Der Kontrast zu Frankreichs gefeierter Ankunft in Mali im Jahr 2013 könnte nicht größer sein. Damals drängten französische Truppen Islamisten und Rebellen zurück, die sich Bamako genähert hatten. „Der Vorname Francois gehörte plötzlich zu den populärsten Vornamen für neugeborene Babies“, erzählt ein malischer Journalist – zu Ehren des damaligen französischen Präsidenten Hollande. Ihm jubelten die Menschen seinerzeit bei einer Mali-Reise auf den Straßen zu.
Die Zeiten haben sich wahrlich geändert. Heute wehen dort russische Flaggen. Sie gehören zu den Verkaufsschlagern der Straßenhändler.