Christian Putsch

Russische Fassaden in Mali

Christian Putsch
Russische Fassaden in Mali

Malis Militärjunta versucht, den gemeinsamen Anti-Terrorkampf mit Russland als Erfolgsgeschichte zu präsentieren. Und sägt an den Fundamenten der UN-Friedensmission. Nun wird bekannt, dass die Bundeswehr 22 verwundete malische Soldaten nach einem Terroranschlag rettete – ohne den Vorfall offiziell publik zu machen. An diesem Schweigen gibt es massive Kritik

Bamako – Der Angriff war ungewöhnlich gut koordiniert. Am 7. August attackierten Islamisten in der Stadt Tessit mit Drohnen, Sprengstoff, Autobomben und Artillerie die malische Armee. Die Truppen hätten „entschieden reagiert“, beteuerte später das Staatsfernsehen. Doch es war einer der brutalsten Anschläge auf die Streitkräfte seit Jahren, 42 Soldaten kamen ums Leben, getötet von dem erstarkenden IS-Ableger „Islamic State in the Greater Sahara“ (ISGS).

Ein Detail des Massakers kommunizierten derweil weder die malischen noch die deutschen Behörden. Der Angriff ereignete sich in der Nähe der Stadt Gao, wo die meisten der insgesamt 1000 Bundeswehr-Soldaten im Rahmen der UN-Friedensmission „Minusma“ stationiert sind. Per Helikopter evakuierten die Deutschen am 8. August insgesamt 22 verwundete malische Soldaten und rettete ihnen damit wahrscheinlich das Leben.

Der unter Verschluss gehaltene Vorgang der deutschen Hilfe hätte nicht so recht in das jüngste Narrativ der Militärjunta in Mali gepasst, die inzwischen im Kampf gegen den islamistischen Terror vorrangig auf Russland setzt. Denn nur zwei Tage nach dem Anschlag wurde am Flughafen der Hauptstadt Bamako die Lieferung von fünf russischen Militärjets gefeiert.

Während sich Russen und malische Generäle ihrer Freundschaft versicherten, setzte die Bundeswehr ihren Minusma-Einsatz im Bereich der Materialflüge und Patrouillen-Aufklärungsfahrten vorläufig aus. Die Militärjunta hatte immer neue Hürden aufgestellt. Personalrotation wurde blockiert, Überfluggenehmigungen gestrichen. Am Mittwoch vermeldete das deutsche Verteidigungsministerium nun die „Grundsatzeinigung über die Wiederaufnahme der Rotation“ zwischen Malis Regierung und der Minusma-Mission. Immerhin etwas Fortschritt.

Die Rede ist aber weiter von einem „neuen, bürokratischen und aufwändigeren System“ und einer weiter „nicht zufriedenstellenden Situation“. Am Donnerstag kamen jedenfalls rund 90 deutsche Soldaten in Mali an. Der damit endlich mögliche Abflug Dutzender Soldaten, deren turnusmäßige Abreise wegen der malischen Vorgaben wochenlang unmöglich war, erfolgte noch am gleichen Abend. Eine Wiederaufnahme der Materialflüge und Aufklärungsfahrten ist derweil noch nicht in Sicht.

Die Rettung der 22 verwundeten malischen Soldaten wurde am Dienstag erst durch den Mali-Repräsentanten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung Ulf Laessing in einem Interview mit dem Sender „n-tv“ öffentlich. Er hält die deutsche Zurückhaltung für falsch. „Wir sollten angesichts russischer Trollkampagnen offensiver die Mission der Bundeswehr verkaufen“, sagte er im Gespräch mit der WELT, „es war ein Fehler, dass die Bundeswehr die Rettung von 22 malischen Soldaten nicht publik gemacht hat.“ Seine Vermutung: „Hier wollte man sich wohl zurücknehmen, um nicht die Regierung zu verärgern. Aber so erfährt die malische Bevölkerung eben nichts von den Leistungen der Bundeswehr.“

Nun ist es generell so, dass das Kontingent der Bundeswehr in Mali Teil des Minusma-Einsatzes ist. Bei derart delikaten Angelegenheiten ist es üblich, dass die Führung der UN-Blauhelme die offizielle Kommunikation verantwortet. Dort will man offenbar Malis Generäle nicht gegen sich aufbringen.

Derweil feuerte Mali schwere rhetorische Geschütze in Richtung Frankreich – jenes Land also, das erst vor wenigen Tagen die letzten Soldaten aus Mali abgezogen hat, nachdem es ein Jahrzehnt lang den internationalen Kampf gegen den Terror in der Sahelzone angeführt hatte. Frankreich habe Malis Luftraum Dutzende Male verletzt, Spionage betrieben und „Informationen gesammelt, von denen terroristischer Gruppen profitierten“, behauptete Malis Außenminister Abdoulaye Diop in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat. Ziel sei es, das Land zu destabilisieren.

Der Kontrast zu Frankreichs Ankunft in Mali im Jahr 2013 könnte nicht größer sein. Damals drängten französische Truppen Islamisten und Rebellen zurück, die sich bedrohlich Bamako genähert hatten. „Der Vorname Francois gehörte plötzlich zu den populärsten Vornamen für neugeborene Babies, weil die Leute dem damaligen französischen Präsident Hollande dankbar waren“, erzählt ein malischer Journalist.

Inzwischen sind die Beziehungen am Tiefpunkt. Zum einen, weil Frankreich nicht den erhofften Erfolg im Anti-Terrorkampf aufweisen konnte, in seinen Ex-Kolonien bisweilen mit einiger Arroganz auftritt. Aber auch, weil Malis Junta mit Hilfe russischer Propaganda-Firmen die Kreml-Strategie adaptiert hat und externe Feindbilder aufbaut.

Man kann davon ausgehen, dass Russland im UN-Sicherheitsrat Malis Behauptungen unterstützen wird. Schließlich hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Russlands Afrika-Politik bei einer Westafrika-Reise Ende Juli massiv kritisiert: „Russland ist eine der letzten kolonialen, imperialistischen Mächte.“

Das geopolitische Ringen um Einfluss in der Sahelzone spielt einem Aktivisten in die Hände, der am Tag nach dem Tessit-Anschlag in seinem Wohnzimmer in der Hauptstadt Bamako zum Gespräch bittet. Siriki Kouyate ist ein Mann mit Vorliebe für knallige Farben – das Hemd ist gelb, die Zimmerdecke rosa – und einer der wichtigsten Fürsprecher Russlands in Mali. Kouyate gehörte vor gut zwei Jahren zu den Gründern der pro-russischen Organisation „Yerewolo“, die mit Kundgebungen massiv gegen Frankreich mobilisierte. Und die nun immer vehementer den Abzug der UN-Blauhelme fordert. Und damit auch der Bundeswehr.

„Deutschland wird von Frankreich manipuliert“, sagt der Sprecher der Bewegung, „es agiert unter dem Namen von Minusma, ohne eigene Stimme.“ Die UN-Blauhelme seien weder in der Lage, die Bevölkerung zu schützen – noch sich selbst. Es sei nach dem Abschied der französischen Kampftruppe die Armee Malis, die für den Minusma-Schutz dringend woanders benötigte Ressourcen bereitstellen müsse. Behauptungen, die angesichts der Ereignisse von Tessit am Tag zuvor besonders absurd klingen.

Kouyate will Yerewolo bei den Wahlen 2024, der angeblichen Rückkehr zur Demokratie, zur Regierungspartei machen. Sie sei weder von der Militärjunta noch Russland finanziert, behauptet er, räumt aber ein, dass sich auch zahlreiche Militärs der Bewegung angeschlossen hätten. Entsprechend verkauft der ehemalige Radio-Moderator die russisch-malische Allianz als Erfolgsgeschichte: „Zuvor hat der Islamische Staat ganze Dörfer eingenommen, jetzt gibt es keine Gruppe mehr, die sich der Armee widersetzen könne.“ Der Krieg sei nun asymmetrisch, die Terroristen hätten sich aus vielen Gegenden weitgehend zurückziehen müssen.

Mit Zahlen lässt sich das nicht belegen. Zuletzt gab es erstmals seit Jahren verstärkt Terroranschläge auf malische Militärstützpunkte in der Nähe von Bamako, sowohl Ableger des IS als auch von Al-Qaida bedrohen ganze Landstriche im Zentrum und Norden des Landes. Das Datenprojekt „Armed Conflict Location & Event Data Project“ (ACLED), das Anschläge in der Sahelzone dokumentiert, resümierte erst vor wenigen Wochen: „2022 ist auf dem Weg, sowohl für Burkina Faso als auch für Mali das tödlichste Jahr seit Beginn der Sahel-Krise vor mehr als einem Jahrzehnt zu werden.“

Auch zu den Massakern an Zivilisten, mit denen Malis Armee und russische Wagner-Söldner von Menschenrechtsorganisationen und UN in Verbindung gebracht wurden, hat Kouyate eine klare Meinung. „Wir glauben den Berichten nicht“, sagt Kouyate. Die Vereinten Nationen würden behaupten, Terroristen und Zivilisten unterscheiden zu können. „Aber wir haben die Kontakte zu den Imamen und Chiefs der Gegend“, so der Aktivist, „wir wissen, was dort passiert.“ Er wittert eine „Agenda“ bei den Blauhelmen – und damit stehe für ihn fest: „Minusma muss gehen.“

Und Russland soll bleiben. Rund 20 Militärabkommen hat der Kreml seit dem Jahr 2015 mit afrikanischen Ländern abgeschlossen. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass bei Personalentsendungen überwiegend Söldner der Kreml-nahen Wagner-Gruppe zum Einsatz kommen. In Mali sollen rund 1000 russische Kämpfer sein.

„Die Entsendung von Wagner-Söldnern wie etwa in Mali erfolgt im Rahmen von Militärabkommen“, sagt Mali-Experte Laessing, „die Militärjunta in Mali kann so behaupten, ausschließlich offizielle Soldaten ins Land zu lassen. Das macht es sehr schwer, zu unterscheiden, wer Wagner und wer Soldat ist.“

Vor einigen Tagen zitierte „Spiegel Online“ dann aus einem Schreiben der Bundeswehr an deutsche Bundestagsabgeordnete, in denen von der Ankunft von „20 bis 30 Personen in militärischen Uniformen“ auf dem Flughafen Gao. Es handle sich „nahezu sicher“ um Angehörige der russischen Sicherheitskräfte, zudem sei ein Kampfjet vom Typ L-39 Albatros gesichtet worden. Derartige Flugzeuge wurden Anfang August von Russland an Malis Armee geliefert. Laessing hält es deshalb für gut möglich, dass es sich in Goa um offizielle russische Soldaten handelt.

Den Flughafen nutzen bekanntlich auch die deutschen Soldaten. Von denen fragt sich in diesen Tagen so mancher, wie dieses Nachbarschaftsverhältnis funktionieren soll.