Land des Durstes
Die UN haben die Dürre im Südlichen Afrika als die schlimmste seit Jahrzehnten bezeichnet, mehrere Millionen sind von Hunger bedroht. In Sutherland, einem kleinen Farmdorf am südafrikanischen Nordkap, gibt es kaum Regierungshilfe. Wie die Landwirte sich untereinander helfen – und warum es trotzdem zuletzt vermehrt Selbstmorde gab
Neulich hat wieder ein Farmer angerufen. Mitten in der Nacht, völlig aufgelöst. Die Banken wollten ihm an den Kragen, es gebe keine neuen Kredite. „Ich kann nicht mehr“, sagte der Mann, „ich weiß nicht weiter.“
Sybil Visagie hörte zu, redete lange auf den Landwirt an, weckte den letzten Rest Hoffnung. Man kennt die groß gewachsene 52-Jährige hier in der südafrikanischen Nordkap-Provinz als Fels in der Brandung. Wer ein Problem hat, der ruft die Landwirtin an – niemand organisiert besser, niemand hat stabilere Nerven in diesem Teil der Karoo-Halbwüste irgendwo in der Mitte zwischen Kapstadt und Namibia.
80 Kilometer sind es von ihrer Farm bis zur nächsten asphaltierten Straße in der Ortschaft Sutherland, zweimal hat Visagie Frauen in der Nachbarschaft bei der Geburt ihrer Kinder geholfen, weil die Wehen zu früh einsetzten. Einmal davon auf der Ladefläche eines Geländewagens. Seit vielen Generationen, schon rund 200 Jahre lang, betreibt die Familie Landwirtschaft in dieser Einöde. Panik gehört da nicht zum Erbgut.
Diese Dürre aber bringt auch sie an ihre Grenzen. Viel regnen tut es in der Gegend selten, das Wort Karoo leitet sich von einem Ausdruck der Khoisan-Ureinwohner ab: Es bedeutet so viel wie „Land des Durstes“. Doch seit fünf Jahren hat es nicht mehr ordentlich geregnet, in den vergangenen beiden Jahren gab es weniger als zehn Prozent der üblichen Niederschläge. Ein Ausnahmezustand – hoffentlich.
So geht es derzeit Regionen in neun Ländern des südlichen Afrikas, die derzeit die schlimmste Dürre seit 35 Jahren erleben. Die Vereinten Nationen bereiten Lebensmittellieferungen für elf Millionen Menschen vor. Bei Fortsetzung der extremen Wetterausprägungen könnten sogar 45 Millionen auf Hilfe angewiesen sein. In Sambia, wo 2,3 Millionen betroffen sind, wurden Exporte von Landwirtschaftsprodukten verboten. In einigen Ländern sind voraussichtlich Anfang des Jahres 2020 über die Hälfte der Haushalte in ländlichen Gegenden bedroht. Wer in diesen Tagen das berühmte Okavangodelta in Botswana oder die Viktoriafälle in Simbabwe bereist, der sieht ausgedörrte Landschaften. Simbabwes Behörden teilten mit, dass 105 Elefanten in den Nationalparks wegen des Mangels an Wasser und Vegetation gestorben seien.
Die Temperatur im Süden Afrikas steigt derzeit doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. „Obwohl wir Entwicklungsländer am wenigstens dazu beigetragen haben, sind wir von der Erderwärmung am schlimmsten betroffen“, beklagte Edgar Lungu, der Präsident von Sambia. Und Südafrikas Wasserministerin Lindiwe Sisulu geht künftig von „längeren und intensiveren Trockenzeiten aus“.
Am Nordkap haben sie die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass es sich zumindest in der aktuellen Ausprägung um eine vorübergehende Erscheinung handeln könnte. Farmerin Visagie sitzt auf einem alten Sofa, im Hintergrund tickt eine mannshohe Stehuhr – sie hat gelernt, die Ruhe zu bewahren. „Wir haben Aufzeichnungen, dass es zwischen den Jahren 1790 und 1810 eine ähnlich lange Phase gab. Ich ziehe es vor zu glauben, dass es nur eine Dürre-Zyklus ist.“ Neben ihr ist ihr Mann Jan skeptischer: „Was, wenn das die neue Normalität ist?“
Diese Frage treibt hier viele um. In den vergangenen drei Jahren habe es fünf Selbstmorde von Farmern am Nordkap und der ebenfalls stark betroffenen Ostkap-Region gegeben, sagt Visagie – „so viele waren es noch nie.“ Das Stressniveau und das damit verbundene Gesundheitsrisiko seien enorm, zumal das Durchschnittsalter der Farmer 63 Jahre beträgt. Nur noch wenige ihrer Kinder wollen die Farm angesichts der schwierigen Bedingungen übernehmen. Allein in der Sutherland-Gegend, wo rund 3000 Menschen leben, habe es seit Oktober vier Herzinfarkte gegeben, einer davon mit Todesfolge.
In Südafrika, der trotz Stagnation mit Abstand wirtschaftsstärksten unter den betroffenen Nationen, ist eine Hungersnot deutlich unwahrscheinlicher als in anderen Ländern. 17 Millionen beziehen Sozialhilfe, das ist fast jeder Dritte Bürger. Einige Farmarbeiter, die ihren Job verloren haben, zahlen ihre Lebensmittel irgendwie mit Hilfe der kleinen Pensionszahlungen von Großeltern oder dem Kindergeld. Andere haben Gelegenheitsjobs beim Bau von Windkraftanlagen gefunden. Zum Leben zu wenig, aber zum Sterben zu viel.
Am Nordkap verlieren auch Hunderte kommerzielle Farmer ihre Existenzgrundlage. Die meisten haben Zweidrittel ihrer Ziegen und Schafe, die mit Abstand wichtigste Erwerbsquelle, verkaufen müssen. Nur noch wenige können sich eine Krankenversicherung leisten, der einzige Doktor der Gegend ist deshalb weggezogen. Der Schuldenstand ist bei vielen so hoch, dass sie sich auch nach dem Ende der Dürre die nötigen Investitionen in die Herde nicht leisten können. „Es ist, als würdest Du jeden Morgen mit zwei Sack Beton auf der Brust aufwachen“, berichtet einer der Nachbarn der Visagies. Wenn es in einem Jahr nicht besser wird, will er versuchen, mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Australien auszuwandern – etwas, dass er trotz aller Probleme in Südafrika immer kategorisch ausgeschlossen hatte.
Die Regierung hat jedem Farmer umgerechnet rund 250 Euro für die Fütterung der Ziegen und Schafe zur Verfügung gestellt. Doch das deckt nicht einmal zehn Prozent der monatlichen Kosten. Die Preise für die Tiere sind wegen der Massenverkäufe enorm gesunken, teilweise beträgt der Profit pro Tier nur noch wenige Euro. „Es ist zu wenig passiert – und das zu spät“, sagt Sybil Visagie.
Gerade hier am Nordkap, wo 90 Prozent der Farmer weiß sind, gibt es doch genug Rücklagen, so die vorherrschende Meinung in Südafrika. Visagie widerspricht: „Es kann doch niemand fünf Jahre ohne Einkommen überleben“, sagt sie, „Dürre kennt keine Hautfarbe.“
Unter der mangelnden Regierungsunterstützung leiden die wenigen farbigen Farmer der Gegend allerdings besonders. In dieser Krise offenbaren sich die eklatanten Schwächen der bisherigen südafrikanischen Landreform. Frikkie van Wyk, 52, ein zäher Bauer mit Halbglatze, bekam vor 17 Jahren einen Abschnitt einer Farm in der Nähe von Sutherland zugesprochen, die von der Regierung aufgekauft worden war. Gehören tut ihm das Areal allerdings entgegen der damaligen Zusagen noch immer nicht, er zahlt monatlich rund 70 Euro Miete. „Ich kann so keine Kredite aufnehmen, weil ich das Gelände bei der Bank nicht als Sicherheit hinterlegen kann“, sagt er, „lange halte ich nicht mehr durch.“
Künftig will Südafrika sogar die Enteignung weißer Farmer ohne Entschädigung vorantreiben und per Leasing-Vertrag schwarzen Farmern übergeben. Hier am Nordkap offenbart sich unabhängig der verheerenden Signalwirkung dieses Eingriffs in die Eigentumsrechte die strukturelle Schwäche dieses Vorhabens – die neuen Nutzer sind ohne Zugriff auf Kapital zum Scheitern verurteilt.
Dutzende Ziegen hat van Wyk zuletzt verkauft, es bleiben 200. Werden es noch weniger, muss er wohl bald aufgeben. Mitte November hatte er einen Schlaganfall. Nach ein paar Tagen war er dennoch wieder auf dem Feld, zur Fütterung der Ziegen, die auf den ausgedörrten Feldern keine Nahrung mehr finden. Sie sprechen mit einem, sagen die Farmer hier, sie schauen einem in die Augen. Während sich van Wyk erholte, hatte es sich für ihn so angefühlt, als würde er sie im Stich lassen.
Sybil Visagie will nicht aufgeben. Sie gehört zu den Gründerinnen der lokalen Initiative „Save the Sheep“. Durch Spenden haben sie Dutzende Tonnen Viehfutter organisiert, das sie um 60 Prozent verbilligt an die umliegenden Farmer weitergeben. Für 203 neue Bohrlöcher ist die Initiative zusammen mit der Hilfsorganisation „Gift of the Givers“ verantwortlich. Tausende Lebensmittelpakete wurden kostenlos verteilt. Und sie schaffen alternative Erwerbsquellen. Auf den Farmen werden massenhaft Stofftiere hergestellt und Kekse gebacken, für über 20.000 Kisten gibt es Vorbestellungen.
Im Dorf Sutherland ist Visagie in ihrem Element, ununterbrochen klingelt das Handy, ihr wichtigstes Instrument des Krisenmanagements. Ein kurzer Besuch in einem Gemeindezentrum, wo die nächsten Lebensmittelpakete gepackt werden. Eine Frau legt Kekse zur Qualitätskontrolle vor. Dann schnell zur Verteilung des Viehfutters.
Erst am Nachmittag, nach einigen Stunden, hält Visagie für einen Moment inne. „Ich werde dieser Dürre nicht erlauben, dass sie uns besiegt“, sagt sie, „wir Farmer sterben lieber, als dass wir davonlaufen.“ Sie ist bereit zu kämpfen. So lange es irgendwie geht.