Zoff ums Wasser
Am Dienstag wird Äthiopiens Regierungschef Ahmed Abiy der Friedensnobelpreis übergeben. Doch mit Ägypten gibt es Konfliktpotenzial, weil Abiy beim Bau des größten Wasserkraftwerk Afrikas wenig kompromissbereit ist – in Kairo fürchten sie, dass nicht mehr ausreichend Wasser des Nils ankommt. In der hitzigen Rhetorik werden sogar militärische Szenarien durchgespielt. Und auch in anderen Teilen der Welt könnte es Konflikte um Flüsse geben
Vor ein paar Wochen stand Siddig Musa in seiner Hütte bis zu den Knöcheln im Wasser. Der Fluss Nil war in Sudans Hauptstadt Khartum wieder einmal über die Ufer getreten, Musas Feld ein See aus Schlamm. Seit ein paar Tagen ist Musa zurück, der Pegel ist gesunken. Klar gehe ihm durch derartige Überschwemmungen und ungleichmäßige Pegelstände so manche Ernte verloren, sagt der Farmer, „aber so war es schon immer“.
Er will den Versprechungen aus dem Nachbarland Äthiopien nicht so recht trauen. Dort bauen sie an der Grenze derzeit den „Grand Ethiopian Renaissance Dam“, kurz GERD. Der imposante Stausee soll schon Ende 2020 den Betrieb aufnehmen und ab Erlangung der vollen Kapazität im Jahr 2022 mit 6000 Megawatt Afrikas größtes Wasserkraftwerk werden. Für den Sudan soll das nur Vorteile haben, behaupten sie in Addis Ababa, billiger Strom und besser regulierte Strömungen des Nils zum Beispiel.
Doch Musa, 40, hat mit Sorge auch die Gerüchte gehört, die aus Ägypten gestreut werden, durch den der Nil bekanntlich ebenfalls fließt. Der Damm könne kollabieren und Teile des Sudans überschwemmen, behaupteten Politiker. Ägypten fordert vehement Einfluss auf den Betrieb des Staudamms, schließlich könnte er während der Füllung in Äthiopien jahrelang zu deutlich geringeren Pegelständen flussabwärts führen – also im eigenen, überaus trockenen Land, für das der Nil seit Jahrtausenden die Lebensader ist.
Während Äthiopiens Ministerpräsident Ahmed Abiy am Dienstag in Oslo in erster Linie für seine eher wackligen Aussöhnungsversuche mit Eritrea sowie regierungskritischen ethnischen Gruppen im eigenen Land mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, gibt es vor allem mit Ägypten Konfliktpotenzial wegen des Staudamms.
Beide Länder stehen unter enormem Druck. Für die äthiopische Regierung ist der Damm mehr als ein Prestigeobjekt, es gilt als Voraussetzung für den anvisierten Wirtschaftsaufschwung. Länder wie China investieren eifrig, kritisieren aber den mangelnden Zugang zu Strom. Dreiviertel der Bevölkerung lebt ohne Elektrizität.
„Für Äthiopien geht es um Entwicklung, für Ägypten um die Existenz“, sagt der ehemalige ägyptische Minister für Wasser, Mohamed Allam, am Telefon. Das betreffe nicht nur die Farmer seines Landes, die rund die Hälfte der Arbeitnehmer und damit eine wichtige Wählergruppe ausmachen. Auch die Trinkwasserversorgung sei betroffen, zudem Sektoren wie die Fischerei und der Tourismus. Hinzu kommt die geringere Energieproduktion der eigenen Wasserkraftwerke am Nil, wenn der Pegel sinken sollte.
„Das Land leidet ohnehin unter politischer Instabilität“, sagt Allam, der inzwischen als Professor an der Universität Kairo lehrt, „dieser Damm kann für die Sicherheit in Ägypten zum ernsthaften Problem werden.“ Er glaube, dass es „reichlich friedliche Möglichkeiten“ gebe, um den Interessenkonflikt zu lösen, „aber unter großem Druck kann viel passieren.“
Trinkwasser ist in Ägypten notorisch knapp, die Vereinten Nationen prognostizieren bereits ab dem Jahr 2025 Wasserknappheit. Die Regierung hat angekündigt, bis zum Jahr 2037 umgerechnet rund 50 Milliarden Euro im Kampf gegen „Wasserarmut“ ausgeben zu wollen. 88 Prozent des in Ägypten verwendeten Wassers stammt aus dem Nil – und das fließt zuvor überwiegend durch Äthiopien.
Allam glaubt, dass eine bilaterale Lösung unmöglich ist. Ein internationaler Vermittler müsse her, die USA zum Beispiel, doch dagegen verwehre sich Äthiopien. „Sie wollen eine Lösung überwiegend mit Technikern der beteiligten Länder erarbeiten“, sagt Allam, „aber das geht natürlich nur politisch.“
Hauptstreitpunkt ist der Befüllungszeitraum des Dammes. Äthiopien hatte dafür zunächst zwei bis drei Jahre anvisiert, inzwischen wurde eine rund doppelt so lange Dauer zugestanden. Ägypten aber verlangt, dass jährlich mindestens 40 Milliarden Kubikmeter freigesetzt werden müssen. Das würde bei geringen Regenfällen bedeuten, dass Äthiopien im Extremfall jahrelang nur wenig Wasser stauen darf. Diese Zeit hat das Land mit seinen 100 Millionen Einwohnern nicht.
Der Nil ist weltweit längst nicht der einzige umkämpfte Fluss. Schon eine Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2007 kam zu dem Schluss, dass die Folgen von Klimawandel und Bevölkerungswachstum zu zunehmendem Wettbewerb um Wasser und damit regionaler Instabilität führen könnten. Neben dem Nil wurden in diesem Zusammenhang besonders die Flüsse Ganges-Brahmaputra, Indus, Tigris-Euphrates und Colorado Rivers erwähnt.
Im Fall des Nils waren die Töne allerdings zeitweise extrem. In Ägypten beruft man sich auf Vetorechte aus teilweise über 100 Jahre alte Abkommen zur Verteilung des Nilwassers. Es herrscht die Meinung vor, Äthiopien habe den Bau des Dammes bewusst im Jahr 2011 in Auftrag gegeben wurde, als Ägypten vollends mit dem Arabischen Frühling beschäftigt war. Einige Politiker in Kairo riefen sogar dazu auf, den Damm zu sabotieren. Zeitungen in beiden Ländern verglichen bereits die Militärkontingente.
Auf höchster Ebene gibt man sich diplomatischer. Abiy schwor Ägyptens Abdul Fattah al-Sisi „bei Gott“, dass er seinem Land niemals Schaden zufügen werde. Dieser gab im Gegenzug zu Protokoll, dass der Disput keine militärische Lösung habe.
Im November schaltete sich sogar das „Weiße Haus“ ein und organisierte ein Treffen der Außenminister der drei Länder – bis zum 15. Januar, so das Ziel, soll es eine Einigung geben. Ein ambitioniertes Ziel, schließlich bezeichnete Ägypten noch im Oktober die Verhandlungen als „in der Sackgasse“. Abiy erwiderte damals, dass nur Verhandlungen das Problem lösen könnten, nicht ohne hinzuzufügen, dass sein Land im Falle eines Krieges mehrere Millionen Menschen mobilisieren könne. Beide Seiten wissen, dass es politischer Selbstmord wäre, in dieser Angelegenheit Schwäche zu zeigen. Der Staudamm hat rund vier Milliarden Euro gekostet, teilweise finanziert von einer Zwangssteuer für äthiopische Staatsbedienstete.
Gerade wurden die nächsten Verhandlungsrunden beschlossen. Kenneth Strzepek, Professor an der Technischen Hochschule in Massachusetts (USA) und einer der führenden Experten zum Staudamm, hält nun innovative Ideen für nötig. „Eine Lösung könnte eine Versicherung durch die internationale Gemeinschaft sein, die einen finanziellen Ausgleich garantiert, sollte der Pegel des Nils unter einem bestimmten Level sein“, sagt Strzepek am Telefon – schließlich könne niemand ausreichende Regenfälle garantieren. Ein ungewöhnlicher Ansatz, aber der Wissenschaftler gibt zu bedenken, dass diese Kosten geringer seien als die Konsequenzen eines bewaffneten Konflikts in der Region. Zudem gebe es Versicherungsmodelle für andere Wasserkraftwerke in Afrika, die bei unzureichenden Einnahmen während Dürren die Kreditrückzahlung übernehmen.
Ein Abkommen könne es dabei nur mit einer Beteiligung des Sudans geben, sagt Strzepek. Schließlich fließt der Nil zunächst hierher, bevor er Ägypten erreicht – und das landwirtschaftlich so vielversprechende Land könnte bei dauerhafter politischer Stabilität diesen Wirtschaftssektor deutlich ausbauen und entsprechend mehr Wasser verbrauchen. Dabei könnte der Damm eine wichtige Rolle spielen, glaubt Strzepek: „Während des Füllens wird der Effekt auf den Sudan negativ sein, aber langfristig wird der stabilisierte Flusspegel zu größerer Agrarproduktion führen.“
Im Sudan aber sind sie nach dem Sturz von Diktator Omar al-Bashir noch mitten im Umbruch. Eine klare Parteinahme gibt es derzeit nicht. „Die Übergangsregierung sieht die Eskalation zwischen Ägypten und Äthiopien als Gefahr für die eigene fragile Transformation“, sagt Philipp Jahn, der Leiter der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan. Dort gebe es das Bestreben, bei Vermittlungsversuchen zwischen beiden Ländern mitzuwirken – man sehe sich vorerst in einer eher neutralen Position.
Am Nilufer in Khartum hofft Farmer Musa, dass seine Regierung bei den Verhandlungen schnell eine aktivere Rolle einnehmen wird. Langfristige Verbesserungen für Farmer wie ihn seien natürlich positiv, er glaube auch, dass nach Fertigstellung des Damms mehr Elektrizität im Sudan verfügbar sein wird. Aber jahrelang niedrige Pegel, die ein schnelles Befüllen des Damms auslösen könnte, könnte auch ihm die Existenzgrundlage entziehen, glaubt Musa. „Das darf nicht passieren“, sagt er, „meine Familie war immer in der Landwirtschaft. Ich kann mir kein anderes Leben vorstellen.“