Keine Regenbogennation für Migranten
Nicht nur in Europa wird ein schärferer Kurs gegen Migranten diskutiert. Südafrika ist als meistindustrialisierte Nation Afrikas Ziel Hunderttausender Migranten und Flüchtlinge – und reagiert mit umstrittenen Methoden gegen den wachsenden Druck aus der Bevölkerung
Als Hafiz Muhammed vor 18 Jahren die Entscheidung traf, Bangladesch zu verlassen, war für ihn schnell klar, dass er nach Südafrika gehen würde. In seinem Heimatland konnte er wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Oppositionspartei nicht bleiben, auch wirtschaftlich sah er wenig Perspektiven. In Südafrika betrieben Freunde ein Lebensmittelgeschäft, in dem er arbeiten konnte. Das Land galt unter der Präsidentschaft des damaligen Präsidenten Thabo Mbeki als äußerst freundlich gegenüber Flüchtlingen, Muhammed bekam schnell Flüchtlingsstatus und das Recht zu arbeiten. „Das Leben war friedlich und gut“, sagt Muhammed.
Jetzt lebt Muhammed, 36, in einem improvisierten Flüchtlingslager in Kapstadt. Vor sieben Jahren wurde sein Laden in der Free State Provinz, im Zentrum Südafrika, während einer der wiederholten Gewaltwellen gegen Flüchtlinge und Migranten geplündert. Er zog nach Kapstadt, wo es nur wenig xenophobische Übergriffe gibt. Doch für Muhammed steht fest: „Ich will hier nur noch weg. Die Politiker machen in Wahlkämpfen gegen uns Stimmung, schieben alle Probleme auf uns, selbst wenn es Probleme bei der Infrastruktur von Wasser und Strom gibt.“
Während in Europa die Migrationskrise diskutiert wird, Deutschland über die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels streitet, schränkt das meistindustrialisierte Land Afrikas die Möglichkeiten für Migranten zunehmend ein – und erschwert mit bürokratischen und rechtlichen Hürden den Zugang zu Asyl. Südafrikas Gesetze sichern die Rechte von Flüchtlingen ab wie nur wenige in der Welt. Flüchtlinge wie Muhammed aber berichten, dass ihre Realität eine andere ist. Für das Camp, in dem er und 500 andere lebten, gebe es keine staatliche Unterstützung. Selbst die Zelte seien von Firmen gespendet worden. Seit Jahren fordert er vom UN-Flüchtlingshilfswerk eine Umsiedlung in ein anderes Land: vergeblich.
Als asiatischer Flüchtling ist er eine kleine Minderheit in Südafrika. Das Land ist trotz anhaltender Wirtschaftskrise und kollabierender Stromversorgung weiterhin wichtigstes Zielland für Migranten und Flüchtlinge aus Afrika, wo 85 Prozent aller Migration innerhalb des Kontinents stattfindet. Besonders aus weniger entwickelten Ländern im Süden des Kontinents zieht es Arbeitssuchende traditionell nach Südafrika.
Zuletzt galt das auch vermehrt für den Osten. Seit Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren 500.000 äthiopische Migranten abgeschoben hat, mehren sich die Meldungen über Schleppernetzwerke, die aus Äthiopien in Richtung Süden operieren.
Darauf deutet gleich eine ganze Reihe von Katastrophen hin. Im Jahr 2020 wurden in einem Lastwagen rund 60 Tote gefunden, die Behörden gehen davon aus, dass es sich um Migranten aus Äthiopien auf dem Weg nach Südafrika handelte. Im vergangenen Dezember gab es einen ähnlichen Fall in Sambia mit 27 Toten, im Oktober waren es 30 Tote, die in einem Wald in Malawi gefunden wurden. Auch hier gingen die Behörden von Migranten aus Äthiopien aus.
Wie viele unregistrierte Migranten es in Südafrika gibt ist unklar.Im Jahr 2018 veröffentlichte die Weltbank Daten, denen zufolge 15,3 Millionen Menschen in Südafrika keine Identifikationsdokumente haben. Die Zahl, so bemerkte die Denkfabrik „Africa Check“ bezog sich keineswegs ausschließlich auf Ausländer schaffte es in Statements und Tweets hochrangiger Politiker, in denen meist von 15 Millionen illegalen Migranten die Rede ist.
Umstritten ist auch die Basis für die Weltbank-Erhebung, die südafrikanische Statistikbehörde vermeldet knapp vier Millionen im Ausland geborene Bürger – mit weniger als zehn Prozent der Bevölkerung wäre das ein eher geringer Anteil. Im Jahr 2015 gab es nach Angaben der Behörde zwischen 1,2 Millionen und 1,5 Millionen undokumentierte Migranten.
Klar ist, dass es in Südafrika mehrfach xenophobische Gewaltwellen gab, die beiden schlimmsten in den Jahren 2008 und 2015 mit jeweils Dutzenden Toten. Und auch in den vergangenen Jahren nahmen die Übergriffe wieder zu. Im vergangenen Jahr mobilisierte die radikale Gruppe „Operation Dudula“ (Zulu: Zurückdrängen) in Townships gegen Ausländer, machte sie für den Anstieg der Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe (je nach Definition zwischen 34 und 43 Prozent) verantwortlich, nur jeder vierte unter 24 Jahren hat eine formelle Beschäftigung.
„Wir haben gesehen, wie Menschen auf der Straße angehalten und gezwungen wurden, einen Ausweis vorzulegen, um ihren Einwanderungsstatus zu überprüfen“, sagte Präsident Cyril Ramaphosa damals schockiert. „So sind die Unterdrücker der Apartheid vorgegangen.“ Einige Aktivisten verjagten Straßenhändler von einer Bushaltestelle in Soweto – darunter waren auch Südafrikaner.
Doch das Thema bestimmt längst die Politik. Die linkspopulistischen „Economic Freedom Fighters” (EFF), immerhin zweitgrößte Oppositionspartei, offenbarte die Scheinheiligkeit ihres pan-afrikanischen Geschwafels von offenen Grenzen auf dem Kontinent – stattdessen tauchte ihr Anführer Julius Malema von Kameras begleitet in Restaurants auf, in denen er den Ausländeranteil der Angestellten kontrollierte.
In Afrika kommt schon die Schaffung er kontinentalen Freihandelszone AfCFTA nicht in Schwung, die eigentlich seit Anfang 2021 weitgehend zollfreien Warenverkehr ermöglichen soll – der Ausbau des bislang kaum stattfindenden Binnenhandels ist überfällig und eine wichtige Voraussetzung für Investitionen, auch aus Europa. Tatsächlich aber gilt AfCFTA, obwohl fast alle afrikanischen Nationen unterschrieben haben, noch immer erst in einer Hand voll Länder, und das nur für wenige Produkte.
Das Zusatzprotokoll des Abkommens zu freiem Personenverkehr auf dem Kontinent, ein seit Jahrzehnten propagiertes Unterfangen, liegt in noch weiterer Ferne. Das offenbart die Entwicklung in Südafrika, wo auch die Regierungspartei, der „African National Congress“ (ANC) reagiert hat. Im Jahr 2020 wurden Flüchtlingsgesetze deutlich verschärft. Seit dem Jahr 2010 geltende Sonder-Arbeitsgenehmigungen für derzeit 178.000 Simbabwer werden ab Juni nicht erneuert. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Land zunehmend für den Umgang mit Asylbewerbern und Migranten, das Thema beschäftigt auch die Gerichte immer wieder.
Und plötzlich nahmen die Kontrollen für Arbeitserlaubnisse rasant zu. Zuletzt häuften sich Mitteilungen wie die eines populären Kapstädter Restaurants, das im März seine vorläufige Schließung wie folgt begründete: „Arbeitsinspektoren haben uns besucht und die Einsichtnahme aller Personalausweise und Arbeitserlaubnisse verlangt. Leider verfügten circa acht unserer ausländischen Mitarbeiter nicht über die erforderlichen Unterlagen.“