Christian Putsch

Wie Kenia mit Comic-Helden Wahlgewalt verhindern will

Christian Putsch
Wie Kenia mit Comic-Helden Wahlgewalt verhindern will

Nervös schaut die internationale Gemeinschaft auf Wahlen in Kenia, seit dort im Jahr 2007 über 1000 Menschen starben. Eine Gruppe Zeichner hat einen Comic entwickelt, der beim Urnengang am Dienstag Gewalt verhindern soll. Und längst als Stimme der kenianischen Jugend gilt

Eine von Kenias bekanntesten Prominenten ist eine Comic-Figur: „Malkia“, eine junge Frau mit modischem Kurzhaarschnitt, die sich selbstbewusst durch den Alltag in dem ostafrikanischen Land manövriert. Sie gehört zu den beliebtesten Protagonisten von „Shujaaz“, einem landesweit gratis verteilten Heft, mit dem die Erfinder der Jugend des ostafrikanischen Landes eine Stimme geben wollen. Malkia hat allein auf Facebook rund 160.000 Fans.

In der aktuellen Ausgabe geht es wenig überraschend um die Wahlen, die am Dienstag (9. August) in Kenia anstehen. Milka und ein Freund kehren dafür aus der Stadt in ihr Heimatdorf zurück und werden von einer Gruppe junger Männer eingeschüchtert: Sie hätten gefälligst deren Kandidaten zu wählen. Entschlossen, aber doch deeskalierend, stellt sich Malkia den Männern entgegen. Und zieht schließlich unbeeindruckt weiter.

Wahrlich nicht der spektakulärste aller Comics. Aber hochgradig relevant ist er allemal. Noch immer schaut die internationale Gemeinschaft bei Wahlen in Kenia, einem der geopolitisch und wirtschaftlich wichtigsten Länder Afrikas, mit einer gewissen Nervosität zu. Denn nach dem Urnengang im Jahr 2007 gab es Gewalt, die eine erschreckende ethnische Dimension annahmen. Über 1000 Menschen wurden getötet, 600.000 mussten flüchten.

Auch deshalb gibt es „Shujaaz“, Kenias berühmteste Comichelden. Sie entstehen in einem unscheinbaren  Bürogebäude inmitten Nairobis. An einem Konferenztisch sitzen ein Dutzend Autoren an ihren Laptops, diskutieren lebhaft Ideen, berichten von ihren Gesprächen und Recherchen. Die Geschichten im Heft basieren auf Hunderten Interviews mit Lesern, Online-Diskussionen, Nachrichten auf den sozialen Medien. 

Mal mehr, mal weniger subtil wollen sie zu friedlicher politischer Teilhabe motivieren. 120 Millionen Exemplare des Comics wurden im vergangenen Jahrzehnt verteilt, meist finanziert von Partnern der Entwicklungshilfe. In Kenia und Tansania haben die Shujaaz-Seiten in den sozialen Medien mehr als vier Millionen Fans.

Der Gründer Rob Burnet erkannte im Jahr 2010 die Lücke in der kenianischen Medienszene. Und Zivilgesellschaft, irgendwo dazwischen ist das Unternehmen wohl anzusiedeln. „Die Jugendlichen verlassen die Schule und haben von dort an eine Informationslücke“, sagt Burnet, ein großgewachsener Bartträger mit glitzernden Augen hinter der runden Brille, „nur wenige schauen Nachrichten oder lesen die Zeitung. Sie finden sich dort nicht wieder.“

Shujaaz ist Slang für „Helden“. Als solche sehen die Macher die Jugend. Burnet sieht sie als „die Lösung, die Zukunft unserer Wirtschaft“. Ein dringend erforderlicher Perspektivenwechsel in einem Land, wo diese Generation oft als Unruhestifter abgetan wird. Mal retten die fiktiven Charaktere Freunde vor Gewalt, mal decken sie Korruption auf, überzeugen ausdauernd Politiker - oder unterhalten sich schlicht über die Gefahren früher Schwangerschaften. Mal illustriert mit Comics, mal mit Fotos. 

Die Geschichten rund um die Wahlen spielen oft im unmittelbaren Umfeld der „Shujaaz“-Figuren. „Besonders das Interesse an dem, was in der eigenen Nachbarschaft schief läuft, ist bei den Lesern groß“, so Burnet, „und hier können sie wirklich etwas bewegen.“

Eine Katastrophe wie im Jahr 2007 hat sich bei den seitdem folgenden Wahlen nicht wiederholt, doch gerade die letzte im Jahr 2017 war umstritten. Ein Gericht ordnete eine Wiederholung an, der damalige Herausforderer von Präsident Uhuru Kenyatta, Raila Odinga, boykottierte diese Neuauflage wegen angeblicher Manipulationen. Über Monate hinweg gab es Spannungen, bis Kenyatta und sein vermeintlicher Erzrivale öffentlich die Hände schüttelten und der Präsident dem bisherigen Oppositionsführer Unterstützung für seine Nachfolge zusicherte. 

Kenyatta selbst darf laut Verfassung nach seinen zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Und so wurde aus Odinga, der sich während seiner politischen Karriere immer wieder als Kandidat des Anti-Establishments inszeniert hat, im stolzen Alter von 77 Jahren der Kandidat des Establishments. Er verspricht Industrialisierung im großen Stil. 

Und der bisherige Vize-Präsident William Ruto, lange treuer Wegbegleiter Kenyattas, macht Kampagne mit dem Slogan „Hustler Nation“ - Land der hart Arbeitenden, egal unter welchen Umständen. Das Versprechen des 55-Jährigen auf eine „Politik für die Armen“ klingt dabei wenig glaubwürdig, schließlich hat er es als langjähriger zweiter Mann der Regierung nicht erfüllt, die versprochenen Milliardensubventionen sind für das Land mit der rasant steigenden Staatsverschuldung kaum zu finanzieren. Zwar stammt der ehemalige Geflügelverkäufer anders als Odinga und Kenyatta nicht aus wohlhabenden Familien. Doch auch er ist inzwischen steinreich.

Angesichts der Wirrungen und ständigen Allianzwechsel in Kenias Politik, Abgeordnetengehältern in Rekordhöhe und Massenarbeitslosigkeit ist ein gehöriges Maß an Politikverdrossenheit der kenianischen Jugend nicht überraschend, nur jeder fünfte wahlberechtigte Erstwähler stimmte bei den letzten Wahlen ab. Die schwierige wirtschaftliche Lage bietet den idealen Nährboden für Frustration und Fake News. In den vergangenen Wochen kursierten Bilder auf den sozialen Netzwerken, die vermeintlich belegten, dass Odinga nicht wie von ihm behauptet einen Universitätsabschluss der Universität Magdeburg vorweisen kann. Eine weitreichende Anschuldigung, schließlich können in Kenia nur Kandidaten mit Universitätsabschluss zum Staatsoberhaupt gewählt werden. Die Posts erwiesen sich als gefälscht.

Für die schnelle Prüfung solch aufwiegelnder Posts gibt es inzwischen in den großen afrikanischen Ländern mehrere Webseiten, die entsprechende Behauptungen einem Faktencheck unterziehen und ihre unabhängigen Ergebnisse möglichst schnell ebenfalls über die sozialen Netzwerke verbreiten. 

Die Redaktion von „Shujaaz“ sieht ihre Aufgabe dagegen vorrangigg darin, Realitäten zu spiegeln, für die Kenias Politik so wenig Gespür hat. Der rigorose Covid-Lockdown 2020 etwa, von der Polizei teils mit tödlicher Gewalt umgesetzt. „Die Regierung sagte, alle müssen zu Hause bleiben, ihre Geschäfte schließen“, sagt Burnet, „aber die Politiker hatten keine Idee, was das für die Menschen bedeutet, die sich im täglichen Überlebenskampf befinden.“ 

Kenias Politik konzentriere sich abseits von Wahlen vor allem auf den formellen Sektor, sagt Burnet - und ignoriere, dass dort von den ein Millionen Jugendlichen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen, nur jeder Zehnte landet. „82 Prozent fühlen sich als Außenseiter in diesem westlich geprägten System“, berichtet Burnet von den zahlreichen Umfragen, die er über das Shujaaz-Netzwerk in allen Teilen des Landes ermittelt.  Die Improvisationskraft, die es für den Alltag in diesem ungleichen System bedürfe, werde schlicht nicht ausreichend gewürdigt.

Diese Haltung wird sich unabhängig vom Ausgang der Wahlen nicht allzu schnell ändern, befürchtet der Macher. Die Planungen für die nächsten Hefte haben längst begonnen.