Gefährliche Schönheit

Gefährliche Schönheit

Die Südafrikanerin Thando Hopa arbeitet als Model und Staatsanwältin – und hat Albinismus. Mit ihrer pigmentlosen Haut ist sie ein wenig unfreiwillig zur Vorzeigeaktivistin einer von Mythen begleiteten Krankheit geworden, wegen der in Teilen Afrikas sogar getötet wird 

Von Christian Putsch

Johannesburg – Die Stöckelschuhe sind das größte Problem. Thando Hopa hat sie nur widerwillig bei ihrer ersten Modenschau angezogen. Ihre Augen sind extrem kurzsichtig, wie bei vielen Menschen mit Albinismus, sie hat Probleme, Gegenstände zu fixieren. Das verträgt sich nicht gut mit den Treppen der Laufstege. Und das Ganze auf High Heels, die sie ihr Leben lang gemieden hat? Von wegen seltene Schönheit, schoss es Hopa durch den Kopf. Die Fotografen bekommen gleich eine Lachnummer geliefert. Hätte ich bloß nicht auf meine Schwester gehört.

Die Schwester, sie ist wohl verantwortlich an der Karriere von Südafrikas erfolgreichstem Model mit Albinismus. Lachend hatte Hopa ihr vor drei Jahren erzählt, dass sie in einem Johannesburger Einkaufszentrum von dem jungen Mode-Designer Gert-Johan Coetzee angesprochen worden sei. „Der will, dass ich für ihn modele. Was für ein Blödsinn.“ Sie und dieser Lifestyle? Niemals. Die Schwester aber lachte nicht mit: „Mach’ es“, antwortete sie. „Sei nicht so konservativ. Sehe es nicht als Model-Job, sondern als Chance, das Albinismus-Stigma zu brechen.“ Davon war schließlich nicht nur sie, sondern auch ihr kleiner Bruder betroffen.

In Industrienationen waren damals Models mit Albinismus wie Stephen Thompson, Shaun Ross und Diandra Forrest bereits etabliert. Besonders der italienische Madonna-Kostümdesigner Riccardo Tisci setzte schon vor Coetzee auf das Spiel mit der überraschenden Optik. Aber in Afrika, wo Albinismus mancherorts zu lebensgefährlichen Hetzjagden führen kann, kam Hopas Modelkarriere einer Revolution gleich. Das „Forbes Life Africa“-Magazin zeigte sie in ihrer ersten Ausgabe, ihr Gesicht ist international in Modemagazinen gefragt. Viele Leute in Johannesburg erkennen sie. Fremde Kinder umarmten sie vor einigen Tagen auf einem Parkplatz und riefen ihren Namen. Einfach so.

Längst ist Hopa eine Art Sprecherin von Afrikanern mit Albinismus geworden. Weltweit hat durchschnittlich nur einer von 17.000 Menschen diesen Gendefekt. In Afrika ist der Anteil jedoch deutlich höher. In Südafrika geht man von etwa jedem 4000. Bürger aus, in Tansania wird Studien zufolge sogar jedes 300. Baby mit Albinismus geboren. Als ein Grund für besonders hohe Raten gilt häufiges Einheiraten unter Blutsverwandten, das auch Generationen zurückliegen kann.

Oft ist es ein Bild der Verfolgten, das mit der Krankheit verbunden wird. Erst vor wenigen Wochen wurden in Tansania vier Männer zum Tode verurteilt, die einen jungen Mann mit Albinismus getötet hatten, um dessen Körperteile an Hexendoktoren zu verkaufen. Wunderheiler versprechen mit zermalmten Knochen Heilung von Aids, einige Fischer nehmen die hellen Haare mit an Bord – das soll in dem ostafrikanischen Land Glück bringen. 151 Menschen mit Albinismus sind dort nach Angaben der Vereinten Nationen seit dem Jahr 2000 angegriffen und verstümmelt worden, beinahe jeder Zweite starb. So weit die offiziellen Zahlen, viele Fälle werden jedoch gar nicht erst registriert. Die Krankheit bedeutet nicht allein wegen der Sonnenempfindlichkeit von Haut und Augen oft ein Leben und Sterben im Schatten.

Auch Hopa meidet die Sonne, verstecken aber kam nie in Frage. Sie sitzt in einem hippen Restaurant der Johannesburger Innenstadt, schaut mit breitem Grinsen auf und sagt: „Ihr Deutschen seid ja wirklich pünktlich.“ Auf der anderen Straßenseite ist ihr eigentlicher Arbeitsplatz. Ein Gericht. Sie sei in allererster Linie Staatsanwältin, sagt die 25-Jährige, und das soll auch so bleiben. Sie klappt ihren Laptop zu, auf dem Akten ihres aktuellen Falles gespeichert sind. Eine Massenvergewaltigung. Es scheint, als kämpfe diese junge Frau gegen alles Unheil dieser Welt an.

Genau diesen Eindruck will Hopa vermeiden, das macht sie schon nach wenigen Minuten deutlich. Die katastrophale Situation in Tansania sei mit der in Südafrika nicht zu vergleichen. „Ich musste nie Angst vor körperlichen Übergriffen wegen meiner Krankheit haben“, sagt sie, „das mit den Schicksalen in Ostafrika gleichzusetzen, macht mich größer, als ich es je verdienen würde.“ Hin und wieder würden Leute behaupten, sie habe doch Glück, am Leben zu sein. „Blödsinn“, entgegnet sie dann. Ihr werde ein Kampf aufgedrängt, der nicht der ihre sei.

Doch mit Diskriminierungen ist auch sie aufgewachsen. Nachbarskinder nannten sie „Isimawa“ (die Verfluchte), und mieden Berührungen mit ihr. Erwachsene spuckten vor Hopa aus – ein Aberglaube, der Unglück fernhalten soll. Eine Frau schmiss sich auf der Straße vor ihr nieder und schrie: „Sie ist vom Teufel besessen.“ Nichts hatte Thando, damals gerade einmal sieben Jahre alt, in ihrem kurzen Leben so sehr verstört. Nichts hatte sie so einsam fühlen lassen. 

Schockiert ging sie zum Vater, einem Ingenieur. Der sagte ihr, er habe noch nie ein so schönes Mädchen wie sie gesehen. Immer wieder, jeden Tag. Bis sie es glaubte. Und die Mutter kaufte ihr die schönsten Kleider, auch wenn das Geld gerade einmal knapp war. „So wie es das schönste Mädchen verdient“, sagte sie.

Vor ein paar Monaten stellte sie ein Radio-Moderator als „Leswafe“ vor, was so viel heißt wie: „die Bleiche“. Hopa protestierte empört. Der Mann entschuldigte sich verzweifelt. „Wir haben in der Setswana-Sprache keine andere Bezeichnung.“ In vielen der über 3000 afrikanischen Sprachen gibt es noch immer lediglich verächtliche Ausdrücke für die Krankheit. Auch auf Deutsch oder Englisch ist meist von „Albino“ die Rede, was aber genau genommen ein Tier mit Albinismus beschreibt. „Am liebsten wäre es, wenn ich einfach nur Thando sein könnte“, sagt Hopa, „aber es ist auch erst einmal in Ordnung, dass ich gerade das Model und die Staatsanwältin mit Albinismus bin.“

Thando Hopa (credit: M. van der Merwe)

Thando Hopa (credit: M. van der Merwe)

Hopa will kein Synonym für eine Krankheit sein. Sie will Normalität vorleben. Den Führerschein darf sie nicht machen, aber ist das in einer Stadt voller Taxis und guter Freunde wirklich ein Problem? Für die Gerichtsakten braucht sie eine Lupe, aber wo ist das Problem? Dann dauert es halt ein wenig länger, dafür denkt sie schneller als andere. Am Ende, sagt die Südafrikanerin, ist alles eine Frage der Perspektive.

So war es schon immer. Einen Ball fangen konnte sie wegen ihrer eingeschränkten Augen noch nie, aber kaum ein Kind in der Nachbarschaft des Johannesburger Townships Lenasia kletterte die Bäume schneller hoch. Sie spielte mit den anderen Kindern, auch in der Sonne, bis ihre heute so makellos weiße Haut tiefrot verbrannt war. „Meine Mutter hat mich endlich zur Vernunft gebracht“, sagt Hopa, „aber es dauerte Jahre, bis sich meine Haut wieder vollständig erholt hatte.“ In der Tasche liegt Sonnencreme griffbereit, neben ihr der Sonnenschirm. Ständige Begleiter.

Die Mutter, eine der ersten pan-afrikanischen Dokumentarfilmerinnen, mäkelt manchmal angesichts der immer gleichen Albinismus-Fragen in den Interviews. „Wissen die Leute auch über deine politischen Ideen Bescheid?“, hat sie neulich gefragt. Doch die Tochter versteht, dass der Weg zur kollektiven Hautfarbenblindheit nur über Vorbilder wie sie funktioniert, „auch wenn ich kämpfen muss, diese Rolle zu akzeptieren“. Noch immer.

Ausnahmsweise stockt ihr Redefluss: „Vielleicht ist das ein Stück weit Zeichen meiner eigenen Unsicherheit“, sagt sie, „ich lerne noch immer, was Albinismus für mich bedeutet.“ Doch dann wirft sie einem wieder ihr ansteckendes Grinsen mit der winzigen Lücke zwischen den Schneidezähnen entgegen. „Wir streiten hier in Südafrika noch immer so viel über die Hautfarbe“, sagt sie, „ich bin eine Schwarze mit weißer Haut. Das kann doch nur Gottes Art sein, uns für unsere Oberflächlichkeit auszulachen.“ Für diesen Zweck ist sie gerne die Protagonisten.

Und es bereitet ihr Freude, anderen Hoffnung zu bereiten. Betroffene aus Tansania, Nigeria, Kenia, den USA und den Niederlanden hätten ihr geschrieben. Sie antwortet dann mit ein paar Grußzeilen, schickt manchmal ein Foto von sich. Gerade die Kinder seien begeistert. „Albinismus“, sagt Thando, „ist eine seltene Form der Schönheit.“ Damit kennt sie sich aus, mehr als mit den wissenschaftlichen Details, von denen so mancher inzwischen erwartet, dass Hopa sie ausnahmslos erklären kann. Sie sei doch keine Ärztin, sagt das Model.

Manchmal erwischt sich die Juristin dabei, dass auch sie von der Aura von Kindern mit Albinismus fasziniert ist. Vor Kurzem kam eine Freundin mit einem Kleinkind vorbei. Sie passte nur ein wenig auf sie auf, die leibliche Mutter des zwei Jahre alten Mädchens kümmerte sich kaum. Die Sonne hatte schwarze Punkte in die pigmentlose Haut gebrannt. „Die größte Gefahr ist mangelnde Bildung“, sagt Hopa. Dass sie selbst studieren konnte und eine normale Lebenserwartung hat, verdankt Hopa ihren Eltern, die sich früh mit der Krankheit auseinandergesetzt haben. Die Familie zählte früh zum weiterhin kleinen Bildungsbürgertum Südafrikas.

Inzwischen fühlt sich Hopa so wohl in ihrer Haut, dass sie die Zeit vor der Kamera genießt. Es ist nicht zuletzt eine Abwechslung von ihrem Hauptberuf, in dem sie die hässlichsten Seiten der menschlichen Natur erlebt. „Deshalb liebe ich das Modeln“, sagt sie, „das hat eine andere Energie. Ich finde es wunderschön, wenn Künstler ihrer Kreativität Ausdruck verleihen. Das hat schon fast einen therapeutischen Effekt für mich.“

Die Karriere läuft bestens, obwohl sie viele Aufträge ablehnt. Bikini-Fotos kommen wegen der Laufbahn in der konservativen Justiz nicht in Frage. Inzwischen ist sie Markenbotschafterin für eine französische Kosmetik-Firma und Coetzee inszeniert sie spektakulär in seiner flamboyanten Haute Couture. Galerien verkaufen ihre Fotos mit dem geheimnisvollen Lächeln, das manchmal an eine Porzellanpuppe erinnert. Und doch so außerordentlich lebendig ist.

Wie lange sie das alles noch machen möchte, weiß Hopa nicht. „So viel ist in den vergangenen fünf Jahren passiert“, sagt sie, „ich kann mir gerade nicht vorstellen, was in zehn Jahren sein wird.“ Vielleicht eine eigene Hilfsorganisation zur Vorbeugung sexueller Gewalt. Bei vielen Straftätern im Gericht fragt sie sich, ob ihre Taten nicht hätten verhindert werden können. Sie will etwas bewegen, die Gesellschaft verbessern. Mit Taten, nicht nur ihrem Äußeren.

Zunächst aber wird sie weiterhin für die Fotografen die Stilettos anziehen. Ganz hat sie noch nicht gelernt, wie man damit läuft. Im Gericht trägt sie ja nur flache Schuhe. Bei der ersten Modenschau wäre sie fast hingefallen, die Erinnerung an das Raunen im Publikum ist noch frisch. Hopa aber ging ohne Zögern weiter. Aufrecht und lächelnd. Als wäre es die normalste Sache der Welt