Simbabwes verlorene Generation
Die katastrophale Wirtschaftspolitik von Diktator Robert Mugabe zwang Millionen junge Simbabwer zur Flucht ins Ausland. In Südafrika arbeiten viele als Parkwächter. Sie glauben auch nach Mugabes Tod nicht so recht an einen Aufschwung in der Heimat.
Von Christian Putsch, Kapstadt
Sein typischer Arbeitstag ist 14 Stunden lang. Pausen macht der Simbabwer Dunbar Tafirennyika nicht. Er hat während seiner sechs Jahre als Parkwächter auf einem Supermarktparkplatz im Kapstädter Vorort Hout Bay keinen Unfall zugelassen. Auch keinen Diebstahl. Darauf ist er stolz, die Ablenkung eines Mittagessens könnte diese Bilanz riskieren. Und ihn den Job kosten.
Jetzt stellt er sich doch kurz in den Schatten einer Wand. Einige Stunden zuvor machte die Meldung die Runde, dass Zimbabwes ehemaliger Diktator Robert Mugabe im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Jener Mann, wegen dessen katastrophaler Wirtschaftspolitik Tafirennyika, 30, ins Ausland ziehen musste, wie seine vier Geschwister und die meisten seiner Generation in Zimbabwe. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch die Mehrheit zieht nach Südafrika. In dem Nachbarland leben offiziell 574.000 simbabwische Wirtschaftsflüchtlinge, die tatsächliche Zahl dürfte aber bei „mehreren Millionen“ liegen, wie neulich eine Ministerin sagte. Einige Schätzungen gehen von 3,4 Millionen Simbabwern aus, die ihr Land verlassen haben – ein Viertel der Bevölkerung.
Tafirennyika hätte gerne die Möglichkeit gehabt, Mugabe die Meinung zu sagen: „Ich hätte ihn gefragt, ob er überhaupt weiß, unter welchen Umständen wir leben?“, sagt er, „ob er weiß, wie schwierig das Leben in Zimbabwe und Südafrika für uns ist?“ Mugabes Witwe Grace nennen sie in der Hauptstadt Harare hinter vorgehaltener Hand wegen ihrer ausgiebiger Einkaufstouren in europäischen und asiatischen Metropolen „Gucci Grace“. Und auch der einstige Befreiungsheld war nicht gerade für einen sparsamen Lebensstil bekannt. Es ist symptomatisch, dass er nach monatelanger Krebsbehandlung in einem teuren Krankenhaus in Singapur starb. Das Gesundheitssystem des eigenen Landes liegt brach.
Auf dem Parkplatz in Kapstadt überlegt Tafirennyika, was er fühlt, wenn er den Namen des Politikers hört. Der junge Mann zögert, offene Kritik kann auch in der Diaspora Konsequenzen haben. „Ich bin nicht glücklich mit dem, was er getan hat“, sagt er schließlich, „aber er hat nicht alleine Schuld, die Politik in Zimbabwe ist eine Katastrophe. Sein Nachfolger ist nicht besser.“ Und Mugabes Tod? „Der Tod gehört zum Leben“, sagt Tafirennyika nur.
Seine Ausbildung als Elektriker musste er 2013 abbrechen. Die Firma konnte ihn nicht mehr bezahlen, er wurde arbeitslos, so wie 90 Prozent der Bevölkerung. „Es gibt keine Industrie, keine Jobs, deshalb laufen die Leute weg“, sagt Tafirennyika, „es ist noch schlimmer als unter Mugabe. Zimbabwe ist am Ende.“ Ein Bruder in Kapstadt bot ihm eine Unterkunft an – und Tafirennyika machte sich auf den Weg. Nun also Parkwächter, der bescheidene Broterwerb so vieler afrikanische Migranten in Südafrika. Unter ihnen sind Lehrer, Ingenieure, einige Zeit lang sogar ein ehemaliger Fußballnationalspieler des Kongos. Sie weisen Autos ein, helfen beim Ausparken und dem Tragen der Einkäufe. Ein Grundgehalt gibt es nicht, manche Kunden zahlen rund fünf Rand (0,3 Euro), in größerer Zahl fahren sie einfach vorbei. Die Leute in Hout Bay aber schätzen den freundlichen und enorm emsigen Tafirennyika. An guten Tagen kommt er deshalb auf umgerechnet knapp 20 Euro, mehr als die meisten Parkwächter. Davon unterstützt er sieben Verwandte.
An diesem Wochenende fährt er mit dem Bus in die Heimat, zum ersten Mal seit über zwei Jahren. Drei Tage dauert die Reise. Tafirennyika tritt sie nicht wegen der anstehenden Trauerfeiern für Mugabe an, sondern um den Eltern endlich seine Tochter vorzustellen. Und ihnen zu helfen. Sein pensionierter Vater arbeitete einst als Arzt, doch seine Rente ist wegen der Währungskrisen des Landes wertlos geworden. Er lebt jetzt überwiegend von den Pflanzen in seinem Garten. Der Parkwächter muss ihnen Lebensmittel bringen. In Zimbabwe sind sie unerschwinglich geworden. Nach monatelangem Sparen hat Tafirennyika für umgerechnet 90 Euro Speiseöl, Reis, Nudeln, Bohnen und Seife eingekauft.
Immerhin ist der Parkwächter nicht von den fremdenfeindlichen Übergriffen der letzten Tage in Südafrika betroffen, die Plünderungen und Angriffe fanden vor allem in Johannesburg und Pretoria statt. Migranten arbeiten oft für geringere Löhne, zudem gelten die Arbeitnehmer aus Zimbabwe als besser ausgebildet und werden von Firmen bevorzugt – das sorgt immer wieder für Spannungen. Doch das Zusammenleben mit den Südafrikanern im örtlichen Townships, wo Migranten aus über einem Dutzend Ländern wohnen, funktioniere im Vergleich zu anderen Armenvierteln der Stadt gut, sagt Tafirennyika.
Viele Simbabwer sind seit Jahrzehnten in Südafrika und haben die Hoffnung auf eine Rückkehr aufgegeben. Nicht so Tafirennyika. Er vermisst seine Heimat und träumt vom eigenen Taxi in der Hauptstadt Harare. „Ich versuche zu sparen, aber es bleibt kaum etwas übrig“, sagt er.
Es ist ein Traum, den der Familienvater nicht aufgeben will. Unter keinen Umständen. Auch wenn er längst realisiert hat, dass die Zukunft Zimbabwes ohne Mugabe nicht automatisch besser ist.