"Unsere Generation wird Afrika neu definieren"
Kampala – Vier moderne Überwachungskameras sind im Abstand von 100 Metern auf der ungeteerten Straße installiert, die zum Haus von Robert Kyagulanyi führt. Die Polizei hat sie aufgestellt, als sich abzeichnete, dass der erfolgreichste Popsänger Ugandas, den dort alle unter dem Künstlernamen Bobi Wine kennen, die bisher größte politische Gefahr für den zunehmend autokratisch agierenden Präsident Yoweri Museveni darstellt. Bei den Wahlen am Donnerstag will der 38-Jährige Parlamentarier nun den doppelt so alten Amtsinhaber im höchsten Amt des Landes ablösen. Und selten hatte ein Oppositionskandidat in Afrika derart große Unterstützung bei der Jugend.
Der Kontaktmann für das Interview ist bei der Anfahrt nervös, schließlich wurden lokale Journalisten bei der Berichterstattung über den Kandidaten der Partei „National Unity Platform“ (NUP) immer wieder vertrieben oder gar verletzt. Doch dann geht das Tor auf, und Wine spricht über seine Wurzeln im Slum, die Sehnsüchte der Jugend in dem von alten Eliten kontrollierten Land und die Gefahr seiner Kandidatur für die Familie.
WELT: Möchten Sie mit Ihrem bürgerlichen Namen oder Künstlernamen angesprochen werden?
Bobi Wine: Wie Sie wollen. Aber bleiben wir ruhig bei Bobi Wine.
WELT: Sie haben vor einigen Tagen Ihre vier Kinder in die USA ausfliegen lassen. War das ein Moment, während dem Ihnen der Gedanke gekommen ist, dass der Preis Ihrer Präsidentschaftskandidatur für die Familie zu hoch ist?
Wine: Ja, darüber habe ich nachgedacht. Es war schmerzhaft, sie in ein anderes Land, ins Exil zu schicken – unser jüngstes Kind ist erst fünf. Aber ich hatte Hinweise auf Pläne für eine Entführung meiner Kinder, um mich zu zwingen, Dinge gegen meine Überzeugung zu sagen, ja womöglich sogar meine Kandidatur zurückzuziehen. Diese Möglichkeit musste ich unterbinden.
WELT: Ist Ihre Maßnahme als Zeichen zu werten, dass Sie mit Gewalt im Umfeld der Wahlen rechnen?
Wine: Museveni prahlt oft mit der Macht der Armee. Er bezeichnet sich mit Stolz als „Meister der Gewalt“. Und wir rechnen auch bei den Wahlen damit. Unsere Energie liegt in den Ideen. Wir sind eine friedliche Bewegung, die generell jede Form von Gewalt ablehnt. Dafür gibt es in unserer Generation, in unserer heutigen Welt keinen Platz. Brutale Übergriffe gegen uns gab es allerdings den gesamten Wahlkampf über. Ich habe die Auftritte mit Helm und kugelsicherer Weste absolviert, wurde zwischenzeitlich verhaftet. Daraufhin ging die Polizei mit scharfer Munition gegen meine Anhänger vor. Die Regierung sagt, es wurden 54 Menschen getötet, in Wahrheit waren es über 100, um das Volk einzuschüchtern. Unsere Fahrzeuge wurden beschossen, Mitarbeiter meiner Kampagne verletzt, einer getötet. Dafür muss Museveni vom Internationalen Strafgerichtshof verantwortlich gemacht werden.
WELT: Die Sicherheitsbehörden begründeten Ihre Verhaftung im November mit Verstößen gegen Covid-19-Bestimmungen.
Wine: Die Wahlkommission hat meine Kundgebungen blockiert, während die anderen Kandidaten weitermachen durften. Sie ist Komplize der Regierung in Zeiten enormer Ungerechtigkeit. Aber je mehr sie versuchen, mich zu stoppen, umso mehr Leute schließen sich unserer Bewegung an. Nicht, weil ich so ein toller Typ wäre. Sondern weil ich eine Repräsentation des Schmerzes bin, den wir alle erleiden. Und dazu sollte es weit mehr internationale Konsequenzen geben.
WELT: Zahlreiche westliche Nationen haben die Gewalt vom November deutlich verurteilt.
Wine: Ja, aber für Länder wie Deutschland und andere Partner sollten Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeiten die Voraussetzung für Entwicklungszusammenarbeit sein. Sie sollten nicht länger als Verbündete von Verbrechen in Uganda gesehen werden.
WELT: Es gibt aus Deutschland kaum Direkthilfe an die Regierung, die meisten Mittel fließen indirekt über Projekte.
Wine: Aber sie arbeiten mit Museveni zusammen, nicht den Ugandern. Wir haben demokratische Prinzipien, die uns verbinden, und danach sollten wir uns richten. Eine Zusammenarbeit ohne derartige Bedingungen ist – wenn auch unbeabsichtigt – ein Verhalten wie China, für das allein das geschäftliche Interesse zählt.
WELT: Sie sind seit dreieinhalb Jahren Parlamentarier, haben auch ein Programm der amerikanischen Harvard-Universität für junge Politiker absolviert. Haben Sie die nötige Erfahrung für das Präsidentenamt?
Wine: Ich bin im Ghetto aufgewachsen, unter Repression, unter schwierigen Bedingungen. Das ist einer der Gründe, die mich inspirieren, so hart zu arbeiten. Genau diese Lebensumstände zu ändern. Sie zu reparieren, denn ich kenne die Probleme der Menschen aus erster Hand. Mehr als 80 Prozent unseres Volkes lebt in Armut, und ich komme aus ihrem Kreis. Ich weiß genau, wovon ich spreche und was die Menschen durchmachen. Es wird meine Priorität sein, ihnen die Möglichkeit zu geben, produktive Bürger zu werden. Wir müssen den zerstörerischen Kurs unseres Landes ändern. Und dafür habe ich große und kompetente Unterstützung aus weiten Teilen der Bevölkerung.
WELT: Wie wollen Sie das umsetzen?
Wine: Im Moment ist nicht jeder Bürger gleich vor dem Gesetz. Mit der Regierung verknüpfte Unternehmer vertreiben im großen Stil Menschen in den Dörfern von ihrem Land. Wir wollen gleichen Zugang für alle Ugander zu guter Bildung und Gesundheit. Die Regierung wirft mit Zahlen zum Wirtschaftswachstum rum, aber es kommt nicht bei den Massen an. Wir sind reich an Rohstoffen, aber Museveni spricht von „seinem Gold“, Mineralien kommen im Wesentlichen seiner Familie zugute. Institutionen für Landwirtschaft funktionieren nicht. In einigen Wirtschaftsbereichen wollen wir einen deutlich liberalen Weg gehen. Und wir wollen unsere internationale Reputation verbessern, nicht mehr als korruptes Land gelten.
WELT: Ihre Bewegung hat ihren Ursprung in der Musikszene. Es gibt jedoch auch bekannte Künstler, die sich gegen Sie ausgesprochen haben. Warum steht die Szene nicht vereint hinter Ihnen?
Wine: Diktaturen nutzen zwei Dinge: Zuckerbrot oder Peitsche. Entweder Bestechung oder Einschüchterung. Viele Künstler sind sich ihrer Macht nicht bewusst, das Leiden ihrer Anhänger zu ändern, oder sie sind sich nicht im Klaren über die Lage der Nation. Und ihrer Verantwortung als Künstler. Einige wurden bezahlt, sie bekamen Beraterjob der Regierung, andere bekamen neue Autos. Manche wurden verhaftet, geschlagen und mit Angst zum Schweigen gebracht. Aber insgesamt steht eine große Bandbreite von Künstlern an unserer Seite. Patrioten, die wissen, was im Land passiert.
WELT: Wie passt es zusammen, dass Uganda mit einem Durchschnittsalter von 17 Jahren eines der jüngsten Länder der Welt ist, aber seit 35 Jahren vom selben Mann regiert wird?
Wine: Das passt natürlich absolut nicht zusammen. Museveni sollte der letzte Diktator Ugandas sein, der letzte Präsident, der sein Leben lang regieren möchte. Wir werden als erste Maßnahme nach dem Gewinn der Wahlen die von ihm abgeschaffte gesetzliche Beschränkung von zwei Amtszeiten wieder einführen, und auch das Alterslimit für Präsidenten (es stand in Uganda lange bei 75 Jahren, bis sich Museveni diesem Alter näherte, d.Red.) gesetzlich neu verankern. Aber die jungen Menschen müssen sich auch ihrer Verantwortung bewusst sein.
WELT: Wie meinen Sie das?
Wine: Eines unserer größten Ziele war, die jungen Leute Ugandas aufzuwecken. Wir haben viele talentierte Menschen, qualifizierte Experten in ihren Berufen, die für lange Zeit nicht die Notwendigkeit, die Wichtigkeit und den Effekt politischer Aktivitäten gesehen haben. Wir wollten dieses Bewusstsein inspirieren, und ich bin froh, dass wir das im Groben und Ganzen geschafft haben. Es muss mehr Bobi Wines aus verschiedenen Bereichen geben, die ihr Können einbringen.
WELT: Es gibt noch immer kaum Präsidenten und Premierminister unter 60 Jahren in Afrika. Warum ist das so?
Wine: In vielen Ländern hier in Afrika stecken wir unglücklicherweise mit alten Männern an der Spitze des Staates fest, deren Zukunft bereits hinter ihnen liegt, die aber die Zukunft der Jugend bestimmen. Eine Zukunft, die sie nicht selbst erleben werden und sich entsprechend nicht für ihre Fehler rechtfertigen müssen. Afrika hat die jüngste Bevölkerung der Welt. Sie sind es nicht, auf die der Begriff „Dritte Welt“ passt, es sind oft die politischen Anführer. Europa hatte einst auch sehr viel ältere Politiker als heute. In vielen Industrienationen wird das Potenzial der Jugend inzwischen viel besser genutzt, jüngere Menschen sind in politischen Führungspositionen. Das ist Teil des Erfolgs dieser Länder. Hier in Afrika ändert sich das nun auch. Es ist unsere Generation, die Afrika neu definieren wird – für jetzt und für immer.