Christian PutschComment

Und der Diktator lächelt

Christian PutschComment
Und der Diktator lächelt

Im Sudan steht der gestürzte Diktator Omar al-Bashir nach dem Volksaufstand vor Gericht. Vorerst nicht wegen seiner Massenmorde. Aber immerhin wegen illegaler Geldgeschenke aus Saudi-Arabien. Der Prozess gibt Einblicke in die Funktionsweise einer Diktatur

Von Christian Putsch

Khartoum – Um Punkt zehn Uhr tritt Sudans gestürzter Diktator Omar al-Bashir in den schwarzen Käfig, in dem er derzeit im Wochentakt vorgeführt wird. Etwa drei Meter ist er lang, einen guten Meter breit. Es bleibt kaum mehr Platz als für den Bürostuhl in der Mitte und die drei uniformierten Soldaten, die den Diktator in den beengten Raum führen.

Davor, auf den Zuschauerrängen des Gerichts in der Hauptstadt Khartum, erheben sich seine Anhänger, sie haben rund die Hälfte der 128 Stühle belegt. „Allahu Akbar“, rufen sie dem Mann entgegen, der den Islam drei Jahrzehnte fest in der Gesetzgebung verankert hielt, „Gott ist groß.“

Einer seiner zahlreichen Anwälte war einige Minuten zuvor von Reihe zu Reihe gegangen und hatte den Gruß angeordnet. Frauen werfen al-Bashir Handküsse zu, der freundlich durch das engmaschige Gitternetz lächelt und zurückwinkt. Seht her, so die Strategie der Verteidigung bei dem live im Staatsfernsehen übertragenen Prozess – er wird doch geliebt. Auch im Käfig.

Nichts könnte für die große Mehrheit der 40 Millionen Sudanesen ferner der Wahrheit sein. Knapp drei Jahrzehnte verbaute ihnen al-Bashir die Zukunft, unterdrückte jeden Widerstand mit Militär, Polizei und Milizen, die er mit 70 Prozent des Staatsbudgets gewogen hielt. Im April stürzte ihn das Militär nach monatelangen Protesten der Bevölkerung trotzdem, in der Hoffnung, ein neuer Militärherrscher werde die Lage beruhigen. Denkste, viele Millionen Bürger gingen weiter täglich auf die Straßen, blockierten mit Sitzblockaden die Zufahrtswege zum Armee-Hauptquartier und ließen sich auch von einem von regierungsnahen Kämpfern verübten Massaker mit über 100 Toten nicht von ihrem Ziel abbringen: der Demokratie.

Seit einigen Wochen hat das Land tatsächlich Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen. Zivilisten und Militär einigten sich auf die Bildung des gemeinsamen „Souveränen Rates“, der während einer gut dreijährigen Übergangszeit das Land regieren und Wahlen vorbereiten soll. Die Anführer der Proteste, der Gewerkschafts-Dachverband „Sudanese Professionals Association“ (SPA), einigte sich zudem mit dem neuen Premierminister Abdalla Hamdok auf Minister, die bis dahin das wirtschaftlich und politisch abgewirtschaftete Land stabilisieren sollen.

Es spricht für die Besonnenheit und Autorität der SPA, dass sie die unzähligen Befürworter der Revolution erfolgreich dazu aufrief, dem Prozess fernzubleiben, um Auseinandersetzungen mit Al-Bashir-Loyalisten zu vermeiden – bloß keine Gewalt mehr in dieser sensiblen Phase. Dabei hatten in den vergangenen Tagen wieder Tausende auf den Straßen demonstriert. Für die seit Wochen ausstehende Berufung eines unabhängigen Justizchefs. Die Menschen wissen, dass die Gerichte, wie auch weite Teile der Administration, von al-Bashir-Loyalisten durchsetzt ist.

In dem Prozess werden die tiefsten Wunden des Sudans, wie al-Bashirs Kriegsverbrechen und die landesweite Gewalt gegen die Demonstranten in seinen letzten Monaten an der Macht, beiseitegelassen. Zu frisch ist der Frieden, zu schwach die Institutionen, zu schnell könnte es zu Unruhen kommen, sagen die einen. Ein Show-Prozess der korrupten Justiz, sagen kritischere Geister. Im Sudan bezweifeln viele Menschen, dass er wegen seiner Verantwortung für die 300.000 Toten in Darfur jemals an das Weltstrafgericht in Den Haag ausgeliefert wird. Zu stolz ist das Land, zu kritisch nach wie vor dem Westen gegenüber, mit dem es das Gericht assoziiert.

Nein, es geht vorerst „nur“ um umgerechnet knapp acht Millionen Euro, die bei seinem Sturz im April in Euro, Dollar und sudanesischen Pfund in seiner Residenz gefunden worden. Illegaler Besitz und Annahme von Fremdwährungen sowie Korruption lautet die Anklage, im Vergleich zu seinen anderen Verbrechen Lappalien, wenngleich al-Bashir für ähnliche Delikte einst Hinrichtungen angeordnet hatte. Die Bilder des Diktators im Käfig sollen vor allem der Bevölkerung signalisieren, dass mit der alten Elite aufgeräumt wird. Viele hatten vor dem Prozess nicht geglaubt, dass al-Bashir überhaupt in Haft ist, nach seinem Sturz war er monatelang nicht gesehen worden. Er wird Armeeangaben zufolge im Kober-Hochsicherheitsgefängnis festgehalten, ausgerechnet an jenem Ort, an dem das Regime jahrzehntelang seine Kritiker eingesperrt und gefoltert hatte.

Ich bekam einen Anruf vom Sonderberater des Kronprinzen. Wir haben eine besondere Botschaft für den Präsidenten, hieß es.
— Hatim Hassan Bakhin, ehemaliger Bürochef von al-Bashir

Doch schon dieser Prozess bietet unfassbare Einblicke, wie al-Bashirs Diktatur funktionierte. Zeugen seiner ehemaligen Administration schilderten am Samstag, wie im Januar 2018 ein persönliches Geldgeschenk des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Höhe von 22 Millionen Euro zustande kam. Sudanesische Soldaten bekämpfen im Jemen für Saudi-Arabien die Houthi-Rebellen. Dagegen gab es im Sudan, wo die Wirtschaftskrise immer schlimmer wurde, zunehmenden Widerstand. Zeit für die nächste persönliche Erkenntlichkeit. Er solle es nach eigenem Ermessen verwenden.

In den Zeugenstand tritt Hatim Hassan Bakhit, al-Bashirs ehemaliger Bürochef. „Ich bekam einen Anruf vom Sonderberater des Kronprinzen“, sagt er, „wir haben eine besondere Botschaft für den Präsidenten, hieß es. Drei Männer kommen in einigen Tagen.“ Sie hätten den Flughafen von Khartum gar nicht erst verlassen, blieben nur zwei Stunden, so Bakhit. Al-Bashir habe angeordnet, dass ein Mahl für die Delegation zubereitet werde. In Säcken übergab diese dann die Eurobanknoten. „Ich musste den Erhalt unterzeichnen“, sagt Bakhit, „dann habe ich das Geld zum Präsidenten gebracht.“

Al-Bashir sitzt in seinem Käfig, wie immer bei den bislang fünf Anhörungen schweigend. Betont gelassen wirkt er, ein Lächeln hier, ein Lächeln da. Seine Anwälte betonen seine Unschuld, er habe sich nicht persönlich bereichert, das Geld sei zum Beispiel für Getreide und Benzin ausgegeben worden. Und überhaupt, es könne nicht sein, dass die drei Uniformierten, die ihn da im Käfig flankieren, nur den Rank eines Leutnants hätten. Ihrem Mandanten gebühre hochrangigere Wachmänner. Und die Freilassung auf Kaution. Die Anträge wurden schon vor Wochen abgelehnt.

Am Ende seiner Aussage winkt Bakhit in Richtung al-Bashir. Der winkt zurück. Einige Monate nach der Geldübergabe hatte der Despot den Bürochef gefeuert, als er in flagranti mit zwei Frauen erwischt wurde, zudem hatte er 100.000 Dollar im Gepäck. Die damals für ein derartiges Vergehen übliche Auspeitschung blieb ihm erspart, stattdessen bekam der loyale Wegbegleiter schnell einen Kultur-Posten mit dem gleichen Gehalt wie Minister. Nun, nach der Revolution, ist er in den Ruhestand versetzt worden.

Brisant ist die Verwendung derartiger Geschenke. So sagte Tarig Yagub Ahmed, damals Chef der einst von Russland und Iran mitaufgebauten Waffenfirmen des Sudans, er habe 1,2 Millionen Euro von al-Bashir bekommen. Versehen mit dem Auftrag, Waffen „für ein Nachbarland“ bereitzustellen. Welches Land das sei, will einer der Anwälte wissen? „Das werde ich nicht sagen“, antwortet Ahmed. Es wird gemunkelt, es handele sich um die Zentralafrikanische Republik.

Sadig Ismail, einst Büroleiter des Verteidigungsministers, berichtet, er habe 4,25 Millionen Euro in bar erhalten, „als Spende“ für die Armee. Auf ein Nachzählen hat er zur Überraschung des Richters verzichtet, „ich vertraue meinen Leuten“. Das Geld sei „als Teil von Militärinvestitionen“ in den Bau eines Krankenhauses geflossen. Es gehört einigen der engsten Vertrauten des ehemaligen Diktators. In den Bilanzen des Finanzministeriums sei davon nichts zu finden, räumt er ein. Der Richter entlässt ihn aus dem Zeugenstand. Inzwischen leitet Ahmed das Büro von General Abdel Fattah al-Burhan, Vorsitzender des „Souveränen Rat“, dem höchsten Organ der Übergangsregierung. Der Weg zur Demokratie ist trotz der erstaunlichen Beharrlichkeit der Bevölkerung wahrlich kein Selbstläufer.

Nach vier Stunden Anhörung verabschiedet sich al-Bashir winkend von seinen Anhängern. Reue, das wird an diesem Tag klar, ist von ihm nicht zu erwarten.