Christian Putsch

Sambias Alltag in der Pleite

Christian Putsch
Sambias Alltag in der Pleite

Als erstes afrikanisches Land während der Pandemie ist Sambia zahlungsunfähig, andere Nationen könnten folgen. Hinter der dekorierten Fassade der Hauptstadt Lusaka sind die Folgen deutlich spürbar – selbst bei vielen Chinesen, die hier auf florierende Geschäfte hofften 

Lusaka – Jahrelang war die „JCS Food Town“ Treffpunkt für die chinesische Gemeinschaft in Sambias Hauptstadt Lusaka. In den Lebensmittelgeschäften des Einkaufszentrums finden sich weit mehr Hinweisschilder auf Chinesisch als auf Englisch, der Amtssprache. Das Geschäft boomte. 

Doch nicht erst seit Beginn der Coronakrise aber herrscht Tristesse. Seit drei Jahren arbeitet der Friseur Alimon Mateyo im Friseursalon „Ido Hair“. Er ist Sambier und darf ausschließlich die Haare seiner Landsleute schneiden, die asiatische Kundschaft wird von den chinesischen Besitzern übernommen. „Wir haben vielleicht noch zehn Prozent der Kunden von früher“, sagt der junge Mann, der vor der Ladentür steht, „es sind harte Zeiten.“

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In einer Lebensmittelhalle wurden gerade mal wieder die an die Wände geklebten Preise angehoben, wie alle paar Wochen derzeit angesichts der enormen Inflation von 22 Prozent. Rund ein Drittel der Geschäfte des Einkaufszentrums mussten schließen, auch die chinesische Betreiberin eines Gemischtwarenladens wird wohl bald aufgeben. „Sehen Sie sich um“, sagt sie, „keine Kundschaft.“ Und sie rechnet nicht damit, dass sich das bald ändern wird. Ihre Familie, so berichtet sie, überlege, in die Elfenbeinküste nach Westafrika zu ziehen. Dort gehe es der Wirtschaft besser.

Bis vor wenigen Jahren wurde das rohstoffreiche Sambia noch als „Vorreiter des afrikanischen Wachstums“ (NY Times) gefeiert. Im vergangenen November aber machte das Land weltweite Schlagzeilen als erstes Land des Kontinents, das im Zuge der Corona-Krise die Zahlungsunfähigkeit verkündete. 

Rund 18 Milliarden Dollar Schulden plagen das Land, zwölf Milliarden Dollar davon sind Auslandsschulden. Auf einen weitreichenden Schuldenerlass, wie es ihn im Jahr 2000 für Entwicklungsländer gegeben hat, kann das Land nicht bauen. Die Kredite haben sich inzwischen diversifiziert, die Lage dadurch verkompliziert. Im Jahr 2000 war eine politische Lösung angesichts der überwiegend bilateralen und multilateralen Struktur der Verbindlichkeiten realisierbar, auch Sambia profitierte. Im Jahr 2021 wird es diese Erlösung nicht geben.

Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat sich das Land erheblich in Form von Anleihen und Darlehen auf dem privaten Kapitalmarkt bedient, hier hat sich inzwischen knapp die Hälfte der Last angesammelt, besonders in Form von Eurobonds. Und diese Gläubiger sind bekanntlich weniger entgegenkommend als Institutionen wie der „Internationale Währungsfonds“ (IWF) – oder auch die G20-Staaten, die 73 hochverschuldeten Ländern erlaubt haben, Rückzahlungen bis Mitte 2021 auszusetzen. Dieses Angebot nehmen viele Nationen übrigens nicht einmal wahr, aus Angst vor Abwertungen durch Ratingagenturen, wie sie Sambia jetzt nur Tage nach der Bekanntgabe der finanziellen Hiobsbotschaft erlebte.

Nicht nur deshalb wird die Entwicklung in dem politisch vergleichsweise stabilen Land von mehreren klammen Regierungen der Region aufmerksam beobachtet. Schon vor der Corona-Krise waren laut IWF rund 40 Prozent der Niedriglohnländer in Afrika entweder in Schuldennot oder in entsprechender Gefahr. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben diese Entwicklung beschleunigt. Länder wie Angola oder Mosambik, die ebenfalls Milliarden auf dem privaten Kapitalmarkt schulden, könnten sich bald in einer ähnlichen Situation wie Sambia befinden.

Wo aber ist das ganze Geld in Sambia geblieben? Wohl nur wenige Länder haben derart falsch priorisiert. Direkt neben dem bestehenden, ohnehin nur mäßig ausgelasteten Flughafen Lusakas wurde ein neuer Flughafen aus dem Boden gestampft, größer und mit schicker Glasfassade, aber ohne Aussicht auf Auslastung. Auch im Norden des Landes gönnte man sich einen prachtvollen Flughafen, den „Copperbelt International Airport“. Dort wird zwar massenhaft das Hauptexportgut Kupfer gewonnen, das jedoch überwiegend über Straßen abtransportiert werden. Touristen verirren sich dorthin kaum.

Gegenden mit mehr Potenzial für Besucher werden dagegen vernachlässigt – wie auch die Straßenverbindungen in das Nachbarland Angola. Sambia könnte als Transitland für den Gütertransport profitieren, stattdessen importiert Angola den Großteil seiner Waren weiter aus Lateinamerika.

Besonders Sambias Hauptstadt Lusaka wirkt wie eine einzige Baustelle. Durch sie führt jetzt eine vierspurige Autobahn, Präsident Lungu lässt es sich auch nicht nehmen, immer neue aufwändige Straßenüberführungen persönlich zu eröffnen. Der Verkehr soll flüssiger werden, gleichzeitig gibt es die wohl imposanteste Dichte an Aufpflasterungen zur Verkehrsberuhigung in Afrika. Die teilweise absurd hohen „Buckel“ verschaffen in erster Linie den Werkstätten Umsatz: beim Verkauf neuer Stoßdämpfer. Die Entwicklung ländlicher Gegenden wurde dagegen sträflich vernachlässigt.

Der Menschenrechtsaktivistin Laura Miti kommen die Investitionen in Lusaka wie eine „Dekoration“ vor, mit der die ohnehin ausgeprägte Zentralisierung des Landes weiter verstärkt werde. In ländliche Gegenden müsse die Regierung dagegen LKW mit Trinkwasser schicken, weil es kein sauberes Wasser gebe. Miti bleibt eine der lautstärksten Kritikerinnen der Regierung, obwohl sie deswegen schon zweimal verhaftet worden ist. „Die Prioritäten der Infrastrukturinvestitionen sind falsch“, sagt sie, „vor allem aber erfolgen sie in der Regel zu deutlich überhöhten Kosten.“ 

Transparenz gebe es sowohl bei Regierungsaufträgen, als auch bei den Kreditbedingungen kaum, sagt Miti. Besonders über die Sicherheiten für die Verbindlichkeiten an China ist wenig bekannt. Nur mühsam gelingt es der Regierung Gerüchte zu entkräften, denen zufolge der neue Flughafen bald von China kontrolliert werden könnte. In die Strukturen des Staatssenders ZNBC hat sich die Weltmacht bereits eingekauft.

40 Prozent des Staatshaushalts gehen für die Bedienung der Schulden drauf, bald werden es 50 Prozent sein – der IWF empfiehlt maximal 15 Prozent. Die Gehälter im öffentlichen Dienst verschlingen weitere 40 Prozent, sie sind völlig aufgebläht, was Mitarbeiter im Gesundheitsministerium zuletzt freilich nicht davon abhielt, einen Millionenauftrag an eine unzureichend registrierte Firma zu vergeben, die auch noch wirkungslose oder gar schädigende Medizin und Ausrüstung lieferte. Entsprechend bleibt nur ein Bruchteil für Gesundheit, Bildung und soziale Leistungen übrig, auch Investitionen in die Landwirtschaft als Hauptarbeitgeber sind kaum möglich. 

Die Auswirkungen erleben Menschen wie Agness Wuzangi. Früher lebte sie in einer Blechhütte für umgerechnet 30 Euro Miete, inzwischen kann sie sich nicht einmal mehr das leisten. Sie schläft in einem Zelt aus Planen, die Tochter geht nicht zur Schule, sondern hilft beim Kochen für Arbeiter des Buseko Holzmarkts in Lusaka – nur so reicht es gerade so zum Überleben. „Jedes Jahr verdiene ich weniger, jedes Jahr wird alles teuer“, sagt Wuzangi. Von den Investitionen der Regierung spüre sie jedenfalls nichts.

Hinter vorgehaltener Hand wundert sich selbst so mancher hochrangige Politiker des Landes, warum der private Kapitalmarkt noch Kredite bereitstellte, als die prekäre Lage Sambias längst offensichtlich war. Und inzwischen übt die lange uneinsichtige Regierung Selbstkritik. „Wir hätten unsere Programme an die Auswirkungen des niedrigen Kupferpreises und Dürren anpassen und einige Projekte stoppen sollen“, sagt Mukuli Chikuba, Staatssekretär im Finanzministerium. Es habe einen Investitionsstau gegeben und man sei von Wachstumsraten von mindestens fünf Prozent ausgegangen – ein Irrtum, schon vor der Pandemie. Bei einem Abbruch vieler Infrastrukturprojekte hätten die Kreditvereinbarungen jedoch bisweilen höhere Strafzahlungen als die Fertigstellung verursacht, sagt er. Zudem habe die Tatsache, dass Sambia in die Kategorie der „Länder mit niedrigem und mittleren Einkommen“ aufgestiegen sei, dazu geführt, dass Entwicklungsbanken Kredite nur mit höheren Zinssätzen vergeben.

Chikuba weiß, dass es bei den Gläubigern Misstrauen gibt. Viele Besitzer von Eurobonds glauben, dass Chinas Schulden weiter bedient werden. „Das ist absolut nicht wahr“, sagt er, „China hat sich schon Ende 2019 beschwert, dass es Schuldenrückstände gibt, bei den Eurobonds war das erst im 3. Quartal 2020 der Fall.“ Man kehre nichts unter den Tisch und stelle den Beteiligten alle Fakten zur Verfügung. 

Anders als von Chikuba behauptet finden sich auf der Webseite des Finanzministeriums aber keine detaillierten Auflistungen, sondern eher allgemeine Verlautbarungen zur Struktur der Schulden. Und der IWF hält den schon im Jahr 2016 beantragten Milliardenkredit weiter zurück. Damals gab es erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Reformbereitschaft der Regierung, die Beziehungen waren auf einem Tiefstand. Inzwischen nähert man sich wieder an und die Regierung präsentiert sich zumindest als kooperativ, aber ein Kredit vor den Wahlen im August erscheint eher unwahrscheinlich. Das gleiche gilt gerade in Wahljahren freilich für einschneidende Sparmaßnahmen.

Verkäuferin Wuzangi hat ohnehin die Hoffnung aufgegeben, dass die Regierung ihr Leben verbessern wird. „Ich kämpfe jeden Tag um mein Überleben“, sagt sie. So werde es auch in Zukunft sein. Ob mit oder ohne Staatspleite.