Wie Gambias Migranten zum Politikum wurden
Selten hat ein afrikanisches Land die Rücknahme von in Deutschland abgelehnten Asylbewerbern so kategorisch abgelehnt wie Gambia – mit Verweis auf ihre angeblich unmögliche Reintegration. Ein Besuch bei Rückkehrern legt eine andere Vermutung nahe: innenpolitisches Kalkül
Als Sarjo Darboe vor drei Jahren aus Deutschland nach Gambia zurückkehrte, war die Sache für die Familie seiner Frau klar. Ihr Schwiegersohn würde endlich eine angemessene Hochzeitsfeier organisieren. Die hatte es wegen seines jahrelangen Asyl-Gesuchs in Deutschland nie gegeben – ein Affront, der dringend einer Korrektur bedurfte.
Doch Darboe hatte andere Pläne. Die geringen Ersparnisse, die er mit Sozialhilfe und Hilfsarbeiten auf einem Bauernhof in Baden-Württemberg angesammelt hatte, wollte der 25-Jährige nicht in eine große Zeremonie investieren, sondern in den Aufbau seiner eigenen Farm. Seine Familie besaß schließlich 10.000 Quadratmeter brachliegende Ackerfläche in seiner Heimatstadt Gunjur.
Darboe, 25, rotes Fußball-Trikot, steht auf diesem Feld. Hier hat er seit seiner Rückkehr fast jeden Tag verbracht. Der schlaksige Landwirt prüft die Pflanzen auf Schädlinge. Tomaten, Zwiebeln und Möhren pflanzt er, mit Methoden, die er in Deutschland gelernt hat. Ein kleines Unternehmen, es reicht so gerade. Seine Frau hat ihn verlassen, wegen des Drucks ihrer Familie, sagt Darboe. „Sie denken noch immer, dass ich aus Deutschland deportiert wurde und mit leeren Händen zurückgekommen bin.“ Er sei aber freiwillig zurückgekehrt.
Die Reintegration war alles andere als einfach, trotz einiger Hilfe der „Internationalen Organisation für Migration“ (IOM). Unmöglich, sagt Darboe, war sie nicht. Diese Argumentation aber nutzt derzeit Gambias Präsident Adama Barrow gegenüber der Europäischen Union (EU). Ende August verhinderte seine Regierung Abschiebeflüge mit gambischen Staatsbürgern, indem im Vorfeld die Landeerlaubnis verweigert wurde. Derartige Vorfälle gab es bei einem Moratorium schon im Jahr 2019. Auch die Kommunikation des zuständigen deutschen Innenministeriums mit so manch anderer Regierung in Afrika zu dieser Frage läuft schleppend. Gelinde formuliert.
Neu war aber die kategorische Deutlichkeit, mit der diesmal generell und dauerhaft die Rücknahme abgeschobener Asylbewerber aus der EU ausgeschlossen wurde. Man könne die Rückkehrer nicht reintegrieren, teilte seine Regierung mit. Schließlich sei bei einer Rückkehr Tausender Bürger mit „sozialen Unruhen“ zu rechnen: „Wir versuchen den Frieden, Stabilität und Demokratie in unserem Land zu konsolidieren“, teilte ein Sprecher mit.
Man kann davon ausgehen, dass diese Äußerungen in deutschen Amtsstuben für einiges Aufsehen gesorgt haben. Schließlich könnte diese Haltung eine gewisse Präzedenzwirkung für andere Regierungen haben. Denn von den rund 15.000 Gambiern, die in Deutschland leben, sind mindestens 6000 zur Ausreise verpflichtet. Im vergangenen Jahr kamen 644 Menschen aus dem winzigen westafrikanischen Land nach Deutschland und stellten Asylanträge. Rund 85 Prozent davon wurden abgelehnt, ähnliche Quoten gab es in den Vorjahren.
Die Rückkehr der abgelehnten Asylbewerber erwies sich schon während der jahrzehntelangen Diktatur von Yahya Jammeh als schwierig, schon damals war die Anerkennungsquote gering. Dabei gab es damals triftige Fluchtgründe: Jammeh regierte das Land gleichermaßen brutal wie skurril. Menschenrechtsorganisationen berichteten von Folterungen und Morden an politischen Gegnern. Die Krankenhäuser wurden dazu gezwungen, HIV-Patienten mit einer Kräutermischung zu behandeln, die der Despot eigenhändig erfunden hatte.
Als sich Jammeh Anfang des Jahres 2017 nach verlorenen Wahlen überraschend ins Exil in Äquatorialguinea begab (inklusive elf Millionen Dollar aus den Staatskassen) und sich sein Nachfolger Barrow dem Aufbau einer funktionierenden Demokratie verschrieb, reagierte die deutsche Regierung schnell. Aus dem Kanzleramt ging die Weisung an mehrere Ministerien, die Beziehungen mit dem Land auszubauen – was besonders das Innenministerium mit Blick auf die sich angestauten Abschiebungen beherzigte. Auch Repräsentanten der Europäischen Union wurden wegen des Themas schon wenige Wochen nach dem Machtwechsel vorstellig.
„Der klare Fokus lag auf den Abschiebungen, anstatt sich am Aufbau demokratischer Strukturen im Land zu beteiligen“, sagt Julian Staiger, Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation „Flüchtlingsrat Baden-Württemberg“, „hätte man dem Land fünf Jahre gegeben, wären wir wahrscheinlich bei der Bekämpfung der Fluchtursachen viel weiter.“ Die meisten Gambier in Europa wollen Staigers Angaben zufolge in ihre Heimat zurückkehren. „Aber dabei bedarf es Möglichkeiten in der Heimat, in Europa erlernte Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt auch einzubringen.“
Staiger hält die im Dezember anstehenden Präsidentschaftswahlen für einen wichtigen Grund bei der Verweigerungshaltung. Denn mit dem Thema Migration wird Politik gemacht – nicht nur in Europa, sondern auch den Herkunftsländern. Barrow, der einst einen Rückzug von der Staatsspitze nach drei Jahren versprochen hatte, hat mit dem populären Oppositionspolitiker Ousainou Darboe einen starken Herausforderer. Der Präsident scheint unter gewaltigem Druck zu stehen, jedenfalls verkündete er eine Allianz mit der Partei von Ex-Diktator Jammeh – was Gerüchte über dessen Rückkehr aus dem Exil befeuert.
In dieser Gemengelage ist die Rückkehr der illegal nach Europa eingereisten Migranten ein noch größeres Politikum als ohnehin schon. Überweisungen aus der Diaspora machen über 21 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, der Anteil hat sich wegen der pandemiebedingt eingebrochenen Tourismus-Einnahmen zuletzt deutlich erhöht. „Ein Präsident, der Abschiebeflüge zulässt, macht sich natürlich nicht beliebt, schließlich hängen an diesen Rücküberweisungen viele Existenzen“, sagt Staiger, „und es gibt auch Leute, die sagen, dass es unter der Diktatur von Jammeh immerhin keine Abschiebeflüge aus Europa gegeben habe.“
Im Jahr 2018 gab es mehrere Charterflüge, in denen Migranten aus europäischen Ländern, darunter Deutschland, zurück nach Gambia gebracht wurden. Jedes Mal berichtete das lokale Fernsehen groß, die Entrüstung war enorm. Gambia hat nicht einmal drei Millionen Einwohner, an ihren Zahlungen in Richtung Heimat hängt bisweilen die Existenz Dutzender Familienmitglieder – das macht sich entsprechend auch an den Wählerstimmen bemerkbar. Und die wiegen für Barrow wenig überraschend stärker als die Rechtsverpflichtung zur Rücknahme seiner Bürger.
Oder als die Angst vor Sanktionen. Außer Reiserestriktionen für Politiker bleiben kaum Hebel. Einschränkungen von Entwicklungshilfe sind in derartigen Fällen unüblich. Sie würden in erster Linie die ärmeren Bevölkerungsschichten treffen, was die Bekämpfung der Fluchtursachen weiter schwächen würde. Erst bei den Verhandlungen realisiert so mancher EU-Gesandter, dass er in einer schwachen Verhandlungsposition ist.
Aktivist Staiger hält allerdings das Argument der problematischen Reintegration durchaus für berechtigt. „Viele Rückkehrer haben während ihrer Flucht traumatische Erfahrungen gemacht und bräuchten psychologische Betreuung, um in Gambia Fuß zu fassen“, sagt er. Diese seien „nahezu nicht vorhanden“. Zudem würden Flüchtlinge und Migranten, die ohne große materielle Ressourcen zurückkehren, in Gambia „oft als komplette Versager angesehen“ – selbst im näheren Umfeld. „Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie aus den familiären Strukturen fallen.“
Diese Erfahrung hat Farmer Sarjo Darboe gemacht. Schließlich war seine Reise von großen Hoffnungen begleitet. Bevor er im Jahr 2015 nach Europa aufbrach, hatte er in Mauretanien gearbeitet, um die Schlepper nach Europa zu bezahlen. In Gambia hatte er damals keine Zukunft für sich gesehen – und bei seiner Rückkehr waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kaum besser. Allerdings habe er zumindest etwas Unterstützung bekommen, von der IOM, aber auch einem lokalen Finanzierungsinstitut, das ihm einen kleinen Zuschuss für die Existenzgründung gegeben habe.
Das Stigma des mittellosen Rückkehrers hat der Landwirt noch nicht ganz abschütteln können. Doch Darboe hat für sich entschieden, derartige Lästereien zu ignorieren. Schließlich stimmen sie nicht. Inzwischen stehen ein kleines Haus und ein Zaun auf der Farm. Und er beschäftigt sieben Mitarbeiter.
(mit Jalang Dembo)