Das neue Wildern für China
Schuppentiere und Esel werden selten mit Wilderei und Massenschlachtung für den asiatischen Markt in Verbindung gebracht. Doch in China ist die Nachfrage nach beiden Tieren inzwischen so enorm, dass dies in Afrika zu großen Problemen führt
Von Christian Putsch (WELT am SONNTAG)
Vor einigen Tagen sind wieder zwei Pangoline in die Klinik gebracht worden, befreit aus dem Kofferraum von Wilderern. Sie schlafen, sagt Nicci Wright und zeigt auf eine große Holzkiste, in der sich die scheuen Schuppentiere erholen. Man möge bitte nicht zu laut reden. Sie seien traumatisiert, sagt die Tierschützerin, „oft reicht eine Männerstimme oder Zigarettenrauch, und Pangoline zeigen Stresssymptome.“ Nahezu alle Wilderer in Südafrika seien Männer. Und offenbar rauchen sie viel.
Wright, 57, durchtrainiert, Hose in Tarnfarben, ist eine der renommiertesten Aktivisten Afrikas im Kampf gegen die Wilderei. Sie sitzt am Arbeitstisch der „Wildlife Veterinary Clinic“ am Stadtrand von Johannesburg. Vor zwei Jahren hat sie zusammen mit der Tierärztin Karin Lourens diese in Südafrika einzigartige Klinik in den Räumen eines alten Warenhauses gegründet. Von der zahnlosen Schlange bis zum Otter werden Wildtiere behandelt, die sich in die Nähe der Großstadt verirrt haben. Niemand ist aber derzeit so sehr auf ihre Hilfe angewiesen wie das Pangolin.
Das Schuppentier ist im Milliardengeschäft der Wilderei zu einer der kostbarsten Waren geworden. „Sie sind die am häufigsten geschmuggelten Tiere der Welt, große Syndikate betreiben das im industriellen Stil“, sagt Wright, „wir sprechen von einem Vielfachen des Umfangs des Handels mit Nashorn, Tigerknochen und Elfenbeinhandel.“ Allein in diesem Jahr wurden bereits 56 Tonnen Schuppen in Asien und Afrika beschlagnahmt. Ihr Wert: mehr als 107 Millionen Dollar.
Die Nachfrage kommt überwiegend aus China, sagt Wright. Auch in Laos und Vietnam gebe es reichlich Käufer. Das Fleisch der Pangoline gilt als Delikatesse. Doch vor allem die Schuppen sind in der traditionellen Medizin weit verbreitet, ungeachtet der Tatsache, dass sie überwiegend aus Keratin bestehen, der gleichen Substanz wie Fingernägel. Sie werden als Wundermittel vermarktet, das von Arthritis, über Krebs bis hin zur Impotenz so ziemlich alles kurieren kann.
Das erinnert stark an das Horn des Nashorns, dessen chemische Zusammensetzung ebenfalls keine nachweisbaren Heilungsfähigkeiten hat. Der Unterschied: Für den Schutz der Schuppentiere interessiert sich kaum jemand. Wright glaubt, dass es „ein gewisses Charisma“ brauche, damit sich die internationale Gemeinschaft für eine Tierart einsetzt. In dieses Schema scheinen die größtenteils nachtaktiven Ameisenfresser nicht zu passen.
Neben Wright erkennt auch Tierärztin Karin Lourens sehr wohl Charisma im Pangolin. Sie hat bislang nur zugehört, zu sehr war sie damit beschäftigt, einen jungen Galagos mit einer winzigen Flasche aufzupäppeln – ein Farmer hat den nur wenige Zentimeter großen Affen, auch Buschbaby genannt, auf einem Feld außerhalb der Stadt gefunden und abgegeben. 4000 Tiere hat Lourens in den vergangenen beiden Jahren hier behandelt, rund 50 waren befreite Pangoline.
„Es sind hochgradig sensible Tiere, die für unser ökologisches Gleichgewicht und die Kontrolle der Insektenbestände enorm wichtig sind“, sagt sie. Manchmal begleitet Lourens die ihr anvertrauten Pangoline stundenlang bei der nächtlichen Suche nach Ameisen und Termiten. Bis zu ein Kilo verspeisen die Tiere, bevor sie sich mit den ersten Sonnenstrahlen wieder zurückziehen, zusammengerollt, die Schuppen als einziger Schutz. Für Wilderer sind die eher trägen Einzelgänger leichte Beute.
Während der Druck auf China beim illegalen Handel mit Nashorn oder Elfenbein enorm gestiegen ist, floriert das Geschäft mit unscheinbaren Tierarten. Darunter leiden nicht nur die Schuppentiere. Auch nach den Eseln hat die Nachfrage in China stark zugenommen. Ihr Unterhautfettgewebe wird ebenfalls in der Medizin verwendet. Es gilt als Energie-Booster – soweit Gelatine eben Kraft geben kann. Darum handelt es sich bei dem Produkt im Wesentlichen. Gummibärchen ohne Zucker, dafür mit Placebo-Effekt. In China selbst gibt es längst nicht mehr genug Esel, um den Bedarf zu decken.
Den Kenianer Frederick Otieno hat das die Existenz gekostet. Schweigend geht der 23-Jährige in einem Armenviertel der Hauptstadt Nairobi zu einem Feld und hebt zwei Knochen vom Boden. Hier haben Diebe im März seinem Esel Zakary die Sehnen an den Hinterläufen durchtrennt, damit er nicht davonrennen kann. Dann schnitten sie ihm die Kehle durch und zogen das Fell ab. „Seitdem bin ich arbeitslos“, sagt Otieno, der mit Zakary Wasserkanister ausgefahren hatte – ein Job, der ihm und seiner Familie an guten Tagen umgerechnet sieben Euro einbrachte.
Anders als beim Geschäft mit den Schuppentieren ist der Export der Eselhaut nach China legal. Seit dem Jahr 2016 wurden in Kenia vier chinesische Schlachthäuser geöffnet, die insgesamt rund 500 Esel am Tag verarbeiten. Fleisch und Haut werden mit allen nötigen Dokumenten und Abgaben exportiert. Es besteht derzeit weder die Gefahr, dass der Esel ausstirbt, noch dass das ökologische Gleichgewicht gestört wird. Wo also ist das Problem?
Otieno hat darauf eine klare Antwort: „Ich kann mir keinen Esel leisten“, sagt er, „und selbst wenn – es gibt kaum welche zu kaufen.“ Er hatte vor drei Jahren für den bereits für den Fuhrbetrieb ausgebildeten Zakary 15.000 Kenia-Schilling bezahlt, umgerechnet 130 Euro. Nun kostet wegen der chinesischen Nachfrage schon ein untrainiertes Jungtier mindestens 25 Prozent mehr. Hinzu kommen die Ausgaben für die inzwischen unumgängliche Bewachung des Tieres in der Nacht. Für Diebe ist ein lukrativer Markt entstanden – die Eselhaut der gestohlenen Tiere lässt sich problemlos in die offiziellen Vertriebswege einzuschleusen.
„In einigen afrikanischen Ländern gibt es inzwischen ein Exportverbot für Esel“, sagt der Tierarzt Solomon Onyango, 41, der im Auftrag der deutschen Organisation „Welttierschutzgesellschaft“ in Nairobi im Einsatz ist. „Aber in Kenia versteht die Regierung nicht, wie wichtig die Esel für den informellen Sektor sind. “ Durch die Massenproduktion im Land würden zudem Esel aus Nachbarländern wie Äthiopien, wo der Export nach China verboten ist, im großen Stil nach Kenia gebracht. Dort leide die örtliche Bevölkerung deshalb unter ähnlichen Problemen. Die Organisation bemängelt zudem die schockierenden Zustände in den Schlachthäusern. Viele der Tiere seien unterernährt, bei der Schlachtung würde ihnen mit einem Metallstab gegen die Stirn geschlagen, bis sie das Bewusstsein verlieren.
In einem Kapstädter Einfamilienhaus berichtet Mary Ting, eine chinesisch-amerikanische Dozentin für Umweltschutz, vor örtlichen Aktivisten von ihren chinesischen Wurzeln. Die Großeltern waren einst in die USA ausgewandert. Als Kind fragte sie die Mutter, woher denn das Elfenbein der Buddha-Statuen im Wohnzimmer kämen. „Vom Friedhof der Elefanten“, antwortete diese. Später, als mehr Nachrichten über Wilderei durchdrangen, wurden sie weggeräumt.
Die Wissenschaftlerin der „John Jay Hochschule für Kriminologie“ in New York ist unter anderem als Gast der Umweltschutzorganisation „Conservation Action Trust“ nach Südafrika gekommen, um über Strategien Chinas zu sprechen. Das Infrastrukturprojekt der „neuen Seidenstraße“, mit dem neue Handelsnetze zwischen den Kontinenten geschaffen werden solle, diene nicht zuletzt der Verbreitung der traditionellen Medizin des Landes, sagt Ting – sowohl was den Zugang zu Inhaltsstoffen, als auch den Vertrieb angeht: „Das ist alarmierend, die rasche Verbreitung von Produkten aus Eselhaut sollte ein warnendes Beispiel sein.“
Nur ein internationaler Aufschrei helfe gegen die Wilderei. So habe China 2018 die Lockerung des Handelsverbots mit Horn von Nashörnern und Tigerknochen angesichts der enormen Kritik umgehend zurückgenommen. „Die kritischen Stimmen in China müssen unterstützt werden“, sagt Ting, „davon gibt es besonders in der jüngeren Generation immer mehr.“
In der Tierschutzklinik in Johannesburg bemüht sich Tierärztin Lourens, ähnlichen Optimismus aufzubringen. Im Operationssaal der Klinik hat sie die erste erfolgreiche Blutplasmatransfusion an einem Pangolin überhaupt vollzogen. Sie rettet so viele der Schuppentiere wie möglich. „Wer weiß, wie viel Zeit bleibt? Wenn es so weitergeht, könnten sie in zehn Jahren ausgestorben sein.“ Auf ihren rechten Unterarm hat sie sich ein Pangolin tätowieren lassen.