Christian PutschComment

Der Feind in der eigenen Partei

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Der Feind in der eigenen Partei

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa wirbt vor den Wahlen am Mittwoch mit kompromisslosem Kampf gegen Korruption um neues Vertrauen in den ANC. Doch was bedeutet das an der Basis für die Whistleblower der Partei? In einer Kleinstadt wurden vier von ihnen erschossen. Ein Besuch

Von Christian Putsch

Umzimkhulu – Am Abend, beim Zubettgehen, spricht der Sohn zum Vater. „Du, Daddy“, flüstert er, gerade sieben Jahre alt geworden, „wenn sie dich töten, werde ich traurig sein. Aber wenn ich groß bin, werde ich dich rächen.“ Dem Vater schießen die Tränen in die Augen. Sprachlose Stille. Dann sagt er leise, während er das Licht ausschaltet: „Sie werden mich nicht töten. Schlaf gut.“ Der Stimme, ihr fehlt der nötige Nachdruck.

Einige Wochen später steht der Vater im Hof des Magistratsgerichts von Umzimkhulu, einer unscheinbaren Kleinstadt im Osten Südafrikas. Thabiso Zulu schaut regungslos zu, wie drei Männer in Fuß- und Handschellen in den Gerichtssaal geführt werden – einer davon ein ehemaliger Polizist. Sie werden verdächtigt, Sindiso Magaqa ermordet zu haben, Zulus befreundeten Genossen der Regierungspartei „African National Congress“ (ANC). Der Grund, da ist sich Zulu sicher, befindet sich in der braunen Aktentasche, die er mitgebracht hat.

Dutzende Verträge sind darin, sorgsam in einem Ordner abgeheftet. Magaqa hat sie ihm, dem erfahrenen Antikorruptionskämpfer, kurz vor seinem Tod gegeben. Sie geben Indizien, wie die Renovierung der Stadthalle zum Korruptionsdeckmantel wurde, wie die Kosten von ursprünglich bewilligten vier Millionen Rand (246.000 Euro) auf 29 Millionen Rand (1,8 Millionen Euro) explodierten. Wie nie oder unzureichend fertig gestellte Bauabschnitte abgezeichnet wurden, manchmal mehrere innerhalb weniger Stunden. „Er hat damit die Cosa Nostra verraten“, sagt Zulu, „und für Verräter schickt die Mafia ihre besten Soldaten.“

Der hagere Magaqa, 34, war eines der größten Talente des ANC. Schon mit 14 Jahren engagierte er sich, inspiriert von der ANC-Legende Oliver Tambo. Der talentierte Redner stieg später in der einflussreichen Jugendliga bis zum Generalsekretär auf, die Partei holte ihn in ihre Zentrale nach Johannesburg. Als er den Posten nach einem internen Machtkampf verlor und nach Umzimkhulu zurückkehrte, wirbelte er als Stadtrat die von Korruption zersetzte lokale Politik auf. Sein Cousin Lwazi Magaqa sagt, Magaqa wäre bei den Wahlen am Mittwoch „mit Sicherheit“ in das Provinzparlament von KwaZulu-Natal eingezogen.

Doch am 13. Juli 2017 fielen Schüsse. Magaqa war mit Parteifreunden auf dem Rückweg von einer politischen Versammlung. Sie fuhren in seinem Mercedes ML350, diesem PS-strotzenden Status-Symbol, bei dem sich so mancher im Ort fragte, wie er sich das von seinem Politiker-Gehalt leisten konnte. Sie hielten an, um Guthaben fürs Handy zu kaufen. Ein roter BMW parkte neben ihnen, Johannesburger Kennzeichen. Zwei Männer mit Pistolen stiegen aus. 

Sechs Schüsse trafen Magaqa in Unterleib und Oberschenkel, drei seine Beifahrerin, die Stadträtin Nontsikelelo Mafa. „Lasst uns beten“, sagte der schwer verletzte Magaqa, als die Attentäter flüchteten. Zwei Monate später starb der Vater von vier Kindern im Krankenhaus. Er war bereits der vierte ANC-Politiker, der im Jahr 2017 allein im Großraum von Umzimkhulu ermordet wurde. Sie alle hatten eines gemeinsam: Bis hinauf zur nationalen Parteiebene meldeten sie die Korruption in ihrer Nachbarschaft.

Millionengrab: Umzimkhulus Stadthalle (2019)

Millionengrab: Umzimkhulus Stadthalle (2019)

Magaqas Beerdigung wurde im Staatsfernsehen übertragen, er war das prominenteste Opfer eines politischen Mordes seit Jahren. Zwischenzeitlich wurde sogar der Bürgermeister Mluleki Ndobe verhaftet, der als Verbündeter von Zuma gilt. Aus Mangel an Beweisen wurde die Anklage gegen ihn fallengelassen, doch die blutigen Grabenkämpfe bekommen mit den laufenden Gerichtsanhörungen endlich nationale Aufmerksamkeit.

311 südafrikanische Politiker wurden nach Angaben eines Verbunds südafrikanischer Forschungsinstitute seit dem Jahr 2000 ermordet, Tendenz seit dem Jahr 2016 deutlich steigend. Während derartige Morde in den 1990er Jahre noch überwiegend aus Rivalitäten zwischen ANC und rivalisierenden Parteien resultierten, sind es inzwischen meist ANC-Politiker, die wegen Korruptionsvertuschung oder dem Geschacher um Posten eigene Genossen ausschalten.

Weit über die Hälfte dieser Verbrechen ereigneten sich in KwaZulu-Natal. Die Provinz, zu der auch Umzimkhulu gehört, hat die meisten ANC-Mitglieder. Entsprechend wichtig ist sie für die ehemalige Befreiungsorganisation, die während der Apartheid weltweite Solidarität erlebt und einst unter der Führung von Nelson Mandela Hoffnungen auf eine florierende „Regenbogennation“ geweckt hatte. 

In der Parteizentrale der Provinz sitzt ANC-Sprecherin Nomagugu Simelane-Zulu an einem Konferenztisch und behauptet allen Ernstes, der Fall habe „keine Auswirkungen“ auf den aktuellen Wahlkampf. Gleichwohl räumt sie ein, dass die Entwicklung „große, große Sorgen“ bereite. „Wir wollen dieses unglückliche Kapitel schnell schließen, indem wir herausfinden, was passiert ist.“

Noch im Jahr 2017 habe die Polizei „nichts getan, obwohl es einen Mord nach dem anderen gab“, sagt Simelane-Zulu. Nach der Übernahme des Präsidentenamtes durch Cyril Ramaphosa Anfang 2018 habe es dann Fortschritte gegeben. „Er hat eine Task Force unter Beteiligung verschiedener Ministerien und Sicherheitsbehörden zusammengestellt, seitdem erleben wir Verhaftungen.“ Der ANC wolle nun, dass beschuldigte Offizielle, also die möglichen Auftraggeber, ihre Posten zumindest bis zum Ende der Ermittlungen ruhen lassen. Das ist nur selten der Fall.

Ramaphosa versuchte vor den Wahlen am Mittwoch, verlorengegangenes Vertrauen in den ANC mit gesteigerter Transparenz zurückzugewinnen – auch bei den lange tabuisierten politischen Morde, zu denen es inzwischen immerhin offizielle Polizeistatistiken gibt. Beobachter gehen davon aus, dass die Partei wegen ihrer zahlreichen Korruptionsskandale und der stagnierenden Wirtschaft im Vergleich zu den Wahlen 2014 (62 Prozent) mit Stimmverlusten rechnen muss.

Die Denkfabrik „Institute for Race Relations“ (IRR) veröffentlichte sogar eine Umfrage, der zufolge der ANC mit 49,5 Prozent der Stimmen sogar die absolute Mehrheit verlieren könnte. Wahrscheinlicher erscheinen die 56,9 Prozent, die das Meinungsforschungsinstitut „Ipsos“ prognostiziert. Die Partei ist tief gespalten, den Reformisten im Ramaphosa-Camp stehen die alten Loyalisten des korrupten ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma gegenüber, angeführt von ANC-Generalsekretär Ace Magashule. Sollte die Partei unter 55 Prozent fallen, wird es für den Präsidenten kritisch. 

Ramaphosa, vom Magazin „The Economist“ als „Südafrikas beste Chance“ gepriesen, weiß um sein instabiles Fundament. Schon während der Transformationsjahre am Ende der Apartheid verdiente er sich als ANC-Unterhändler die Reputation eines glänzenden Taktikers. Dieses Gespür bewies er auch zuletzt. Er machte die von Zuma zerlegten Strafverfolgungsbehörden wieder funktionsfähig und tauschte immerhin einige inkompetente Minister aus – ohne allerdings zu viele Köpfe aus dem Zuma-Lager rollen zu lassen. Optimisten glauben, dass er bei den Wahlen auf ein klares Mandat hofft, mit dem er dann gestärkt die größeren Aufräumarbeiten angehen kann. 

Gebetsmühlenartig wiederholt der Präsident seine Bemühungen im Kampf gegen die ausufernde Korruption. Doch was heißt das an der Basis für die Whistleblower? Knapp zwei Jahre nach den Schüssen steht die Stadträtin Nontsikelelo Mafa, 29, die bei dem Attentat neben Magaqa im Auto saß, noch immer unter Polizeischutz. Zwei Beamte in Zivil teilen sich den Job im Schichtbetrieb.

Zum Interview kommt Mafa humpelnd. Es findet in einem Schulgebäude statt, die Adresse zu ihrem Haus gibt sie ungern heraus. Eine der drei Kugeln, die sie trafen, ist noch immer in ihrem Bein, die Operation wäre zu gefährlich gewesen. „Als der erste Stadtrat erschossen wurde, wies mich Magaqa an, dass der Bürgermeister und seine Leute nicht zu seiner Beerdigung gelassen werden sollen, wenn auch ihm etwas zustoßen sollte“, sagt Mafa. Sie stellte damals ähnliche Fragen wie er. „Der Fortschritt bei den Bauarbeiten der Stadthalle passte nicht annähernd zu der Höhe der ausgegebenen Geldern.“ 

Mafa und Magaqa verglichen die Kosten mit einem vergleichbaren Bauprojekt in einer Nachbarstadt, das bei gerade einmal einem Drittel der Kosten deutlich höhere Qualität lieferte. In Umzimkhulu sei ein Unternehmen einfach verschwunden, nachdem es umgerechnet rund eine Million Euro kassiert habe. Die halbfertige Halle im Ortszentrum wirkt tatsächlich wie eine Ruine.

Die Stadträtin hält sich inzwischen mit Kritik zurück. In einigen Tagen endet ihr Mandat, sie wird den Posten abgeben. „Mir fehlt die Kraft“, sagt Mafa, „ich kann nicht länger als eine Stunde stehen.“ Und sie hat Angst. Bei den Schüssen war sie in der dritten Schwangerschaftswoche. Wie durch ein Wunder überlebte das Baby. Ihre Tochter ist inzwischen 19 Monate alt – und gesund. Sie möchte, dass das so bleibt.

Ich kann mich nicht für immer in einen Käfig einsperren.
— Whistleblower Thabiso Zulu

Im Hof des Gerichts lässt Whistleblower Thabiso Zulu dagegen keine Zweifel daran, dass er weiter gegen Korruption kämpfen wird. Es ist mühsam, an diesem Tag wird die Anhörung der Verdächtigen verschoben, weil der zuständige Richter verhindert ist. Polizeischutz wird Zulu trotz Empfehlungen der Sicherheitsbehörden und einer empörten Regierungsanfrage der Vereinten Nationen weiterhin verwehrt. Seine Familie zahlte eine Zeit lang selbst für Bodyguards, am Anfang schlief er auch an wechselnden Orten. „Aber ich kann mich nicht für immer in einen Käfig einsperren.“

In der Partei hat Zulu alle Ämter niedergelegt, ANC-Mitglied aber bleibt er – trotz der anhaltenden Morddrohungen. „Der ANC ist tief verrottet, aber er ist wie der Meer – er wird sich selbst von innen reinigen“, sagt Zulu, „wenn es sein muss, mit meinem Blut.“