Am Rande
Keine Volksgruppe hat das Apartheid-System in Südafrika entschlossener unterstützt, inzwischen sehen sich die Buren in der Opferrolle. Ein Mord an einem Farmer in einer Kleinstadt offenbart tiefe Wunden des Landes
Vor dem Zaun kleben auch zwei Wochen später noch vertrocknete Blutspuren im Gras. Der Farmer Gilly Scheepers, ein hochgewachsener Mann mit angegrautem Schnauzbart, kniet nieder und zeigt auf die Stelle, an der sein Angestellter Brendin Horner getötet wurde. Erwürgt, dazu Stichwunden.
„Er war ein harter Arbeiter mit guten Manieren, ein Top-Junge“, sagt Scheepers leise. Erst neulich war man erstmals zusammen jagen. Viele Farmer im Umkreis der Kleinstadt Senekal kannten Horner. Er war einer der ihren.
Und er starb mit nur 22 Jahren. Getötet von Viehdieben, vermutet Scheepers.
Seit dem Verbrechen werden die Farmmorde in Südafrika diskutiert wie nie. Der Polizeiminister war da, Präsident Cyril Ramaphosa versprach Hilfe. Warum erst jetzt, fragt sich Scheepers. Nach all den Toten.
Die Brisanz des Falls hat mit der Reaktion der Farmer der Gegend zu tun. Zu 90 Prozent sind es Buren - Nachfahren der Siedler des 18. und 19. Jahrhunderts. Als zwei Verdächtige verhaftet wurden, versuchten einige der Bauern, die Zellen zu stürmen, setzten einen Polizeiwagen in Brand. Die Bilder gingen um die Welt. Scheepers sagt, da habe sich viel Wut entladen. Über das Verbrechen. Über die Viehdiebe, die unterstützt von korrupter Polizei großen Schaden anrichten. Und die von der Justiz immer wieder laufengelassen werden: der eine Mordverdächtige 16 Mal, der andere drei Mal. „Es geht hier nicht um Schwarz gegen Weiß“, sagt Scheepers.
Doch in Südafrika dreht sich die politische Debatte wieder einmal genau darum. Zu beobachten Mitte Oktober in der sonst so verschlafenen Ortschaft Senekal: Tausende rot gekleidete Aktivisten der Oppositionspartei „Economic Freedom Fighters“ (EFF) marschieren anlässlich einer Gerichtsanhörung der mutmaßlichen Täter durch die Stadt. Einige singen auf Zulu ein als Kulturgut verherrlichtes Lied aus dem Befreiungskampf: „Tötet den Buren.“
Ein Großaufgebot der Polizei hält die Aktivisten nur mühsam davon ab, eine Gruppe von 200 weißen Farmern zu attackieren. Sie bleiben weitgehend ruhig, weichen nicht. Vor der Ortschaft haben sich Hunderte weitere versammelt. Präsenz zeigen. Beiden Seiten waren bei Polizeikontrollen am Ortseingang Waffen abgenommen worden.
„Wir beschützen Staatseigentum vor den Weißen“, sagt EFF-Sprecherin Delisile Ngwenya mit Chuzpe, schließlich fallen ihre Aktivisten ungleich öfter mit gewaltsamen Protesten auf. „Auf uns schießt die Polizei. Bei Weißen passiert nichts.“ Und, so räumt sie auf Nachfrage ein: „Es geht immer auch um Land.“
Die 420 Farmen im Bezirk von Senekal gehören zu 90 Prozent den Buren. Landesweit sind knapp 70 Prozent des fruchtbaren Farmlandes in weißem Besitz. Oft ist das ein harter Job, doch die Einkommensunterschiede zu den Bewohnern umliegender Dörfer sind weiterhin enorm. Ein idealer Nährboden für die zahlreichen Populisten des Landes.
Die Buren auf dem Land gelten als die Volksgruppe, die das Apartheid-System am entschlossensten unterstützt hat. Heute sieht sie sich wie keine andere als Opfer von Fehlentwicklungen des demokratischen Südafrikas.
Die Buren beklagen sich oft und lautstark. Über Schlaglöcher, Korruption, verschärfte Waffengesetze, Kriminalität und Gesetze, die größere Unternehmen zur Einstellung eines festgeschriebenen Anteils schwarzer Arbeitnehmer verpflichtet. Umgedrehte Apartheid, nennen das viele Buren mit beachtlicher Ignoranz zu Dimensionen historischer Ungerechtigkeit.
Herkie Viljoen sitzt in seinem Garten, im Hintergrund grasen Schafe. Apartheid sei Unrecht gewesen, sagt er, der Wandel alternativlos. „Aber es ist nicht hinnehmbar, dass wir bei unserem Schutz im Stich gelassen werden. Dass an den Eigentumsrechten gesägt wird. Und dass wir immer wieder zu Sündenböcken gemacht werden.“
Er sei stolz darauf, ein Bure zu sein. Als solche hat er auch seine Kinder erzogen, tief religiös, auf Afrikaans natürlich, konservativ, mit starken Traditionen. Liebe zur Natur. Und zur Landwirtschaft, die Viljoen in fünfter Generation betreibt. Sein Sohn wird folgen, komme was folgen.
Den Mund lassen sich die Buren nicht verbieten, sie beklagen sich oft und lautstark. Von Schlaglöchern, Korruption über verschärfte Waffengesetze bis hin zu Gesetzen, die größere Unternehmen zur Einstellung eines festgeschriebenen Anteils schwarzer Arbeitnehmer verpflichtet. Umgedrehte Apartheid, nennen das viele Buren mit beachtlicher Ignoranz zu Dimensionen historischer Ungerechtigkeit.
Konservative Kreise verbreiten hartnäckig die Behauptung, es finde ein Genozid gegen weiße Bauern statt, was in Deutschland zuletzt die Alternative für Deutschland (AfD) zur Forderung veranlasste, die Entwicklungszusammenarbeit mit Südafrika einzustellen.
Die Statistiken belegen das nicht. Im vergangenen Jahr gab es 73 Morde auf Farmen, darunter sind auch Schwarze erfasst. Die Zahlen sind seit langem weitgehend stabil und decken sich im Wesentlichen mit den Recherchen von AfriForum, der einflussreichsten Lobbygruppe der weißen Südafrikaner. Erfasst sind dabei auch Verbrechen an den zumeist schwarzen Arbeitern. Die Zahl der Angriffe und Diebstähle stiegen zuletzt gleichwohl deutlich - und damit die Sicherheitskosten.
Im Großraum Senekal hatte es vor dem Fall Horner neun Jahre lang keinen Mord mehr an einem Weißen gegeben. Den letzten Mord an einem Farmer in der Gegend passierte allerdings vor zwei Jahren - es traf einen der wenigen schwarzen Landwirte.
Erstaunlich viele Weiße in Senekal betonen, dass Kriminalität in ländlichen Gegenden auch - man möchte präzisieren: mehrheitlich - Schwarze betrifft. Diesen Umstand vergisst so manche „weiße“ Interessenvertretung bei aller berechtigten Wut über die ebenfalls erschreckend hohe Mordrate an Farmern. In Südafrika, wo die große Mehrheit der zahlreichen Mordopfer dunkle Hautfarbe hat, ist diese Auslassung schon fast eine Beleidigung.
Er sehe sich in erster Linie als Südafrikaner, betont Viljoen. Und erst dann als Bure. „Meine Vorfahren haben Fehler gemacht, aber müssen wir die gleichen Fehler wieder machen?“ Einige, so räumt er ein, seien „in ihrem Denken stehengeblieben“, schauen mit Wehmut auf die Vergangenheit zurück. „Aber ein Bure ist nicht automatisch Rassist.“
Ob er Südafrika jemals verlassen würde? Viljoen ringt nach Worten, „da müssten sie mich vorher töten“. Wieder stockt er, schließlich kommen ihm die Tränen.
„Wir lieben dieses Land“, sagt der Farmer, „wir können nicht zulassen, dass es in Flammen aufgeht.“