Phoenix in der Asche
Nirgends offenbaren sich die katastrophalen Auswirkungen der Massenzerstörungen in Südafrika auf die Beziehungen zwischen Schwarzen, Weißen und Indisch-Stämmigen deutlicher als in der Stadt Phoenix. Dort befürchten Anwohner einen Wendepunkt. Ein Ortsbesuch
Der Weg zum Haus von Arthi Nundhlal führt an verbrannten Autos vorbei. Mit Hockeyschlägern bewaffnete Bürger haben am Donnerstag (15. Juli) an der Zufahrtsstraße zu der überwiegend von indisch-stämmigen Südafrikanern bewohnten Nachbarschaft Sperren mit abgesägten Bäumen errichtet. Sie kontrollieren immer wieder auch nach rassistischem Profiling: Schwarzen Bürgern in Gruppen werde in der südafrikanischen Stadt Phoenix nahe Durban widerholt der Zutritt in das Wohngebiet verwehrt, berichten Betroffene.
Tagelang war der Ort mit seinen rund 200.000 Bewohnern während der jüngsten Unruhen in Südafrika in Alarmbereitschaft. Nirgends sind die enormen Plünderungen und Zerstörungen in Südafrika Johannesburg und im Großraum Durban derart in Gewalt zwischen Angehörigen der schwarzen und indisch-stämmigen Bevölkerung ausgeufert wie hier. 212 Menschen wurden insgesamt in Südafrika getötet, viele davon starben durch einstürzende Dächer von Geschäften oder auch bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Von den 20 Toten in Phoenix sind einige wohl aber auf Auseinandersetzungen zwischen schwarzer Plünderern mit indischen Anwohnern zurückzuführen.
Viele Unterkünfte hier sind eher klein und unscheinbar, an einigen bröckelt der Putz. Arbeiter-Milieu, aber doch deutlich wohlhabender als die Bewohner der umliegenden Armenviertel, in denen schwarze Südafrikaner in Blechhütten leben. Sie werden von vielen Menschen in Phoenix derzeit pauschal der Plünderung beschuldigt.
Nundhlal steht am Donnerstag (15. Juli) mit ihren Nachbarn auf der Straße, man versucht zusammen mit den wenigen schwarzen Anwohnern der Straße eine Delegation auszuwählen, die zu Verhandlungen in die Townships aufbrechen soll. Kein einfaches Unterfangen: „Das war eindeutig ein rassistischer Angriff auf uns“, sagt die junge Mutter. Nur wenige Blöcke entfernt brannten Einkaufszentren, Lagerhäuser und Fabriken. Indische Geschäfte wurden geplündert. Und es habe, so sagen viele in Phoenix, auch Einbrüche in Privathäuser gegeben. Die Wunden sind eigentlich zu frisch, um miteinander zu reden.
Seit Generationen lebt Nundhlals Familie in der Gegend, die wie viele indische Wohngebiete einst von den Planern der Apartheid als Puffer zwischen schwarzen und weißen Gebieten geplant wurde. Entsprechend haben sich hier im Laufe der Jahrzehnte mehrfach Rassenspannungen entladen. So schlimm wie jetzt war es aber seit den Transformationsjahren nach dem Ende der Apartheid nie, auch das Vertrauen in die Grundfunktion des Staates – nämlich ein Mindestmaß an Sicherheit für Gesundheit und Besitz – ist auf einem Tiefpunkt. Und das nicht nur in Phoenix.
Seit Freitag (16. Juli) ist die Lage deutlich ruhiger, es gibt nur noch vereinzelt Plünderungen, auch viele Bürgerwehren ziehen sich zurück. 25.000 Soldaten wurden entsandt, mehr waren es seit den 1990er Jahren nie. Sicherheitskräfte beschlagnahmen in Armenvierteln gestohlene Waren, Bürger aller ethnischer Gruppen beteiligen sich an den Aufräumarbeiten. Die Polizei zeigt auch in nicht betroffenen Großstädten wie Kapstadt weiterhin verstärkte Präsenz.
Über 3000 Menschen wurden verhaftet, darunter fünf angeblich politisch motivierte Anstifter, so die Regierung. Nach mindestens acht weiteren wird gesucht. Präsident Cyril Ramaphosa bezeichnete die Geschehnisse als „geplant und koordiniert“, es habe sich um einen „gescheiterten Aufstand“ gehandelt. Auch Häfen waren lahmgelegt worden, dazu zwischenzeitlich einige der wichtigsten Versorgungsstraßen des Landes.
Ihren Ausgangspunkt hatten die Unruhen mit der Verhaftung des korrupten Ex-Präsidenten Jacob Zuma, der im Großraum Durban populär ist. In seinem Umfeld wird ermittelt, das Chaos mit Tausenden opportunistischen Plünderern war allerdings im Interesse des Zuma-nahen linken Flügels der Regierungspartei, dem African National Congress (ANC) – und anderen Akteure, die einen „radikalen ökonomischen Wandel“ erzwingen wollen. Sie wollen eine Ablösung des führungsschwachen, aber wirtschaftspolitisch vergleichsweise gemäßigten Ramaphosas erreichen.
Die Regierung hat offiziell zwölf Verdächtige als mögliche Anstifter identifiziert, darunter eine Tochter von Zuma. Ein Tweet von Zumas Stiftung liest sich wie ein Erpresserschreiben: „Frieden und Stabilität in Südafrika stehen in direktem Zusammenhang mit der sofortigen Freilassung von Präsident Zuma.“ Der korrupte Politiker, 79, hat mehr als deutlich gemacht, dass er dafür den gesellschaftlichen Kollaps in Kauf nimmt.
Die Nation spürt, dass sie im Zuge der Versorgungsengpässe und Milliardenschäden an dem wohl kritischsten Punkt ihrer knapp 30-jährigen demokratischen Geschichte steht. Das Zusammenleben von Volksgruppen, in denen die international nahezu beispiellosen Einkommensunterschiede noch immer oft mit verschiedenen Hautfarben übereinstimmen, steht zumindest in den betroffenen Städten vor einer Zerreißprobe.
Vor Lagerhallen fuhren Fahrzeuge mit abmontierten Nummernschildern vor und transportierten Fernseher, Kühlschränke und ganze Sofa-Garnituren ab. Zehntausende in Durban und Johannesburg pilgerten zu den Industriegebieten und bedienten sich. Sie habe die Türen ja nicht aufgebrochen, sagt am Mittwoch eine Frau, die eine gestohlene Matratze von einem zertrümmerten Einkaufszentrum abtransportiert, „es war ja schon alles offen.“ Sie wohnt in Sichtweite in einem Township. Dort hätten die meisten die Gelegenheit genutzt, „und dann bin ich eben auch losgegangen.“
Auf der Straße in Phoenix will niemand das Argument der Armut gelten lassen. „Das wird uns alle unsere Arbeitsplätze kosten“, sagt ein Nachbar von Nundhlal. Dann erst werde es wirkliche Armut geben. Ein anderer kommt gerade von einer der Bürgerwehren zurück, in denen sich weiße und indisch-stämmige Südafrikaner oft gemeinsam organisierten: „Einige der Täter plündern nicht, sondern zerstören gezielt Fabriken, Wasserleitungen und Stromleitungen“, hat er beobachtet.
Auch der renommierte politische Analyst Protass Madlala ist tief besorgt. Der 55-Jährige hat sein Leben lang gegen Ungerechtigkeit gekämpft, war bekannter Anti-Apartheid-Aktivist. Die Anstifter der aktuellen Ereignisse müssten nun ebenfalls bekämpft werden, sagt er. Die große Mehrheit der Schwarzen verurteile die Plünderungen, viele würden sich an Aufräumarbeiten beteiligen. Allerdings seien auch „so ziemlich 100 Prozent der Plünderer aus schwarzen Townships“ gekommen. Und die Folgen seien auf unabsehbare Zeit für alle im Land schrecklich. In jedem normalen Land müsste Ramaphosa angesichts des „kolossalen Versagens“ seiner Regierung in dieser Krise zurücktreten, sagt Madlala. Aber damit hätte Zuma sein Ziel erreicht.
„Der Hauptgrund für die Ausweitung der Zerstörungen hat aber vor allem mit der Zeitbombe zu tun, die in Südafrika tickt“, sagt Madlala, „ohne entschieden agierende Sicherheitskräfte ist manchmal nur ein Funken nötig, um sie zur Explosion zu bringen.“ Die Wut in den Armenvierteln ist spätestens seit einem erneuten Lockdown vor einigen Wochen angesichts steigender Covid-Infektionszahlen groß. Er bedeutet für viele den Verlust von Arbeitsplatz und mangels Rücklagen auch Hunger. Der Kontrast zu den Zuma-Jahren ist auch aus Korruptionsgründen enorm. Dieser hatte im absurden Stil Staatsressourcen nach Durban gelenkt, die Hauptstadt seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal. In den dortigen Townships wurde weit mehr in Sozialbauten investiert als in anderen Großstädten.
In Phoenix hat sich längere Zeit einiges angestaut. Eine Nachbarin der besorgten Mutter Nundhlal berichtet von zahlreichen Gewaltverbrechen, die von schwarzen Menschen in der Gegend verübt worden seien. Ein anderer gibt aber auch zu, dass so mancher hier „sehr sorglos“ rassistische Beschimpfungen gebrauche – das müsse aufhören.
Die verbale Grenze ist in dieser Gegend vorerst weit überschritten. Einige Kilometer weiter leben 37 Familien im Armenviertel „Phola Park“, eine Ansammlung von Blechhütten ohne Stromanschluss. Hier wohnt Nzondeleo Banga, 32, in der Hand hält er eine Pistolenkugel. Das Projektil sei vor einigen Tagen angeblich von einer Gruppe indisch-stämmiger Südafrikaner abgefeuert worden, behauptet er. Zwei Nachbarn zeigen entzündete Wunden an Händen und Füssen, auch sie würden ebenfalls von Schüssen stammen. „Sie haben auch eine Benzin-Bombe geworfen und gesagt, sie werden alles niederbrennen“, sagt Banga.
Die Bewohner von „Phola Park“ verurteilen die Massenplünderungen der vergangenen Woche und betonen, sich nicht daran beteiligt zu haben. Das ist schon allein deshalb glaubwürdig, weil es im Vergleich zu den meisten anderen Slums eine äußerst kleine Siedlung ist, die zudem von indischen Wohngebieten umgeben ist. Phola Park sind alle Lebensmittel ausgegangen, der Zugang zu den Geschäften aber wurde ihnen an diesem Tag verweigert, die meisten Besitzer sind indischer Herkunft. „Wir sind hier eingesperrt“, sagt Banga. Brot findet er nur noch auf dem Schwarzmarkt, der Preis hat sich verdreifacht.
Rasant verbreiteten sich über die sozialen Netzwerke in Phoenix „Fake News“ auf beiden Seiten. Viele indisch-stämmige Anwohner hatten zu den Waffen gegriffen, als sich über „WhatsApp“ eine Audio-Nachricht verbreitete, in der von einer Anweisung zu Masseneinbrüchen die Rede ist. In den Townships werden derweil Posts weitergeleitet, die von angeblich geplanten Angriffen der Weißen und Indisch-Stämmigen auf die Slums berichten. Bei einem Besuch des Bürgermeisters von Durban in Phoenix am Mittwoch bat ein Gemeindeanführer, das Internet am besten vorübergehend gleich ganz auszustellen.
In der Nachbarschaft der jungen Mutter Arthi Nundhlal verzögert sich die Entsendung der Delegation. Zu gefährlich. Zu groß ist die Wut in den größeren Townships der Gegend, aus denen viele Plünderer stammen, berichten Kontaktleute telefonisch. Die Frustration in den Armenvierteln ist spätestens seit neuen Lockdown-Maßnahmen groß, die Infektionszahlen sind hoch. Das bedeutet für viele den Verlust von Arbeitsplatz und mangels Rücklagen und nur niedriger Sozialhilfe manchmal sogar Hunger. Der Kontrast zu den Zuma-Jahren ist auch aus Korruptionsgründen groß. Dieser hatte im absurden Stil Staatsressourcen nach Durban gelenkt, die Hauptstadt seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal. In den dortigen Townships wurde weit mehr in Sozialbauten investiert als in anderen Großstädten.
Nundhlals Stimme ist jede Hoffnung entwichen. Ihre Großmutter hat 1949 erlebt, wie sich die Wut der schwarzen Bevölkerung über die gerade eingeführte Politik der Rassentrennung an der indischen Minderheit weit mehr entlud als an den besser geschützten Weißen. Sie wurden ebenfalls unterdrückt, hatten aber mehr Rechte als die schwarzen Ethnien. 142 Inder starben. Ihre Mutter sah dann im Rahmen politischer Unruhen im Jahr 1985 Massenzerstörungen, als über 1000 indisch-stämmige Familien alles verloren.
„Sie wuchsen auf mit der Angst, dass die Zulus zu unseren Häusern kommen und sie niederbrennen“, sagt Nundhlal, „ich hätte nie gedacht, dass meine Kinder diese Erfahrung machen würden.“ Sie hätten bislang beim Spielen mit schwarzen Kindern die Hautfarbe anders als die vorangegangenen Generationen nicht wahrgenommen, sagt die Mutter. Das sei angesichts der vergangenen Tage vorbei: „Ich frage mich, wie sie das je vergessen können.“
Diese Frage stellen sich derzeit ziemlich viele Menschen im Land.