Christian Putsch

Wenn Haare zum Politikum werden

Christian Putsch
Wenn Haare zum Politikum werden

Eine südafrikanische Drogeriekette veröffentlichte eine Werbung, bei der Haare von schwarzen Frauen als „beschädigt“ dargestellt werden. Es folgen von Politikern initiierte Zerstörungen von Filialen des Unternehmens – und die Erkenntnis, wie tief die Wunden der Vergangenheit in Südafrika weiter sitzen

Kapstadt – Es gab zuletzt eigentlich kein anderes Thema bei ihr im Salon. Zutiefst skandalös fanden ihre Kundinnen die rassistische Werbung auf der Homepage der südafrikanischen Drogerie „Clicks“, sagt Friseurin Joyce Munyama. Seit über einem Jahrzehnt schneidet sie in einer Blechhütte des Kapstädter Townships Imizamo Yethu Haare, eine solche Aufregung hat sie noch nicht erlebt: „Die Leute sind wütend.“

Anfang September hatte die landesweit agierende Handelskette eine Werbung der amerikanischen Firma „Tresemmé“ für ein Shampoo auf seiner Homepage veröffentlicht. Dort wird das Haar von schwarzen Frauen als „trocken und beschädigt“, sowie „kraus und stumpf“ bezeichnet – das von weißen Frauen dagegen als „in Ordnung und eben“. Kurz: „Normal“. 

Landesweit rief die linksradikale Oppositionspartei „Economic Freedom Fighters“ (EFF) daraufhin zu Protesten gegen Filialen der Drogerie auf. Zahlreiche Anhänger folgten dem Appell, ließen sich weder von Entschuldigungen des Unternehmens beruhigen, noch der Entfernung des Shampoos aus dem Sortiment. Noch der Entlassung mehrerer Marketing-Mitarbeiter. 

Vor Hunderten Geschäften kam es zu Demonstrationen, in vielen davon auch zu Verwüstungen. In einer Filiale wurde sogar eine Benzinbombe gezündet – ein Verbrechen, das bislang jedoch nicht der Partei zugeordnet wurde. Die Lage beruhigte sich erst ein wenig, als landesweit alle Filialen für einen Tag geschlossen wurden. Es war eine der Forderungen der EFF. Der dadurch entstandene wirtschaftliche Schaden sei „der einzige Weg für Kapitalisten, echte Reue zu fühlen“, so die Partei. Nicht alle ihrer Kundinnen seien mit den anschließenden Verwüstungen einverstanden gewesen, sagt Monyama. Aber die meisten hätten die Wut doch verstanden.

In ihrem improvisierten Salon wartet die Friseurin auf die nächste Kundin. Sie hat während der vergangenen Monate um die Existenz gekämpft, ist mit der Miete (monatlich 35 Euro) im Rückstand. Viele Kunden haben ihren Job verloren und können sich den Besuch bei ihr kaum noch leisten. Aber immerhin kommen sie noch. Eigentlich kostet der Schnitt umgerechnet zwei Euro. Aber wenn es sein muss, schneidet die zweifache Mutter auch für den halben Preis. In schwierigen Zeiten sei die Bewahrung der Würde schließlich noch wichtiger als sonst, sagt sie. Und zur Würde gehören die Haare.

Vielleicht gilt das nirgends so sehr wie in Südafrika. Während der Apartheid wurde bei der Einordnung der Rasse in Zweifelsfällen der „Bleistift-Test“ eingesetzt. Der Stift wurde durch das Haar gesteckt – blieb er stecken, wurde das Kind als schwarz eingestuft. Verbunden mit einer schlechteren Schulbildung, kaum existenter Gesundheitsversorgung und zahlreicher weiterer Menschenrechtsverletzungen. 

Schon Jahrhunderte zuvor war der Umgang mit Haaren auf dem Kontinent bisweilen mit Demütigungen verbunden. Einige afrikanische Stämme glauben, dass Haare wegen ihrer Ausrichtung zum Himmel einen wichtigen Bestandteil der spirituellen Verbundenheit zu Gott darstellen. Zu Zeiten der Sklaverei wurden die Haare von Sklaven jedoch schlicht rasiert. Um die afrikanische Identität zu zerstören und die Kosten zu reduzieren.

Es überrascht jedenfalls nicht, dass der Vorgang vehement von Südafrikas Parteien aufgenommen wurde – schließlich landet die politische Debatte in Südafrika auch knapp drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid allzu oft früher oder später beim Thema Rassismus. Die Jugendliga der Regierungspartei „African National Congress“ (ANC) rief zum Boykott der Shampoo-Marke auf, schloss sich aber immerhin dem Gewaltaufruf der EFF nicht an. Die überwiegend von der weißen Minderheit gewählte „Democratic Alliance“ (DA) kritisierte die „taktlose“ Werbung, rief aber gleichzeitig zur Verhaftung der EFF-Führung wegen des Aufrufs zur Zerstörung privaten Eigentums auf. Es sei „unglücklich, dass sich Clicks den Launen und Willen der EFF“ beuge, hieß es in einer Mitteilung nach der Schließung der Filialen.

Immer wieder beherrschen derartige Themen die Nachrichten in Südafrika. Besonders die Verbreitung der sozialen Medien hat diese Entwicklung in den vergangenen Jahren noch verstärkt. Im Jahr 2016 erlangte eine Immobilienmaklerin landesweite Bekanntheit, als sie in einem Facebook-Post schwarze Strandbesucher rassistisch beleidigte – sie wurde wegen „Hasssprache“ zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. In diesem Fall kam die Klage von einem DA-Mitglied. Es folgte eine weitere Klage des ANC und eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet rund 10.000 Euro Strafe. 

In wenigen Ländern gibt es so große Einkommensunterschiede wie in Südafrika, und in wenigen Ländern gibt es eine so deutliche Korrelation zur Hautfarbe. Weiße Südafrikaner verdienen durchschnittlich das Dreifache ihrer schwarzen Landsleute. Im Jahr 2011 war es noch das Sechsfache. Aber die Diskrepanz bleibt enorm trotz diverser Gleichstellungsgesetze, die Unternehmen zur Einstellung schwarzer Arbeitnehmer verpflichtet.

Wohl nicht zuletzt deshalb geraten Debatten wie die zur Drogeriewerbung immer wieder außer Kontrolle. Selbst Lobbyisten versuchen diese Dynamik zu nutzen. Als Südafrika im Zuge des Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie als eines der wenigen Länder weltweit den Verkauf von Alkohol verbot, unterstellten die Industrieverbände der überwiegend von Schwarzen geführten ANC-Regierung Rassismus. Gegen Schwarze. Schließlich seien deren Vorräte nicht so üppig wie die der Weißen. Gebracht hat die eigenartige Logik wenig, der Verkauf wurde erst Monate später wieder erlaubt.

Friseurin Monyama denkt oft, dass Südafrika nicht so rassistisch ist, wie es die Politiker darstellen. Sie ist eine Gegnerin von Gewalt jeder Art, sagt sie. Im Fall der „kaputten Haare“ findet sie es aber richtig, dass sich viele Politiker geäußert haben. Vor einigen Jahren hatte die Stylistin beobachtet, wie immer mehr ihrer Kundinnen auf das chemische Glätten ihrer Haare und Perücken mit Haaren aus Indien oder Brasilien verzichten. Damals gewann die „Natural Hair Movement“ an Momentum. Prominente wie die südafrikanische Pop-Sängerin Lira, Nigerias Bestseller-Autorin Chimamanda Ngozi Adichie und die First Ladies Kenias und Ugandas warben für Haar als panafrikanisches Statement.

Zuletzt hätte dieser Trend aber wieder etwas abgeebbt, so Friseurin Monyama. Wohl auch wegen der Werbung der Haarpflege-Industrie, die mit glättenden Produkten für afrikanisches Haar weiterhin Hunderte Millionen Euro Umsatz macht. „Solche Botschaften“, sagt sie, „dürfen wir nicht erlauben.“