Christian Putsch

Der Söldner, der zum Politikum wurde

Christian Putsch
Der Söldner, der zum Politikum wurde

„Private Militärunternehmer“ gelten in Afrika als zunehmend verpönt. Der Südafrikaner Will Endley hatte sich eigentlich schon von dem Handwerk verabschiedet und auf den Import von Autos in den Südsudan spezialisiert. Dann wurde er verhaftet und wegen seiner Nähe zu einem in Ungnade gefallenen Politiker zum Tode verurteilt. Erst 2018 kam er auf internationalen Druck frei. Hier erzählt er seine Geschichte

Als der Gefangene auch noch an Malaria erkrankt war und binnen weniger Wochen 20 Kilogramm verloren hatte, da griff der Chef der Strafanstalt des Geheimdienstes im Südsudan „Blue House“ zum Telefon. Seit Monaten war der südafrikanische Ex-Söldner Will Endley ohne Anklage eingesperrt in dem berüchtigten Gebäude, das in der Hauptstadt alle nur „Blue House nennen. Nur einmal täglich hatte er ein paar Bohnen und etwas Mais bekommen. „Der stirbt uns hier weg“, sagte der Aufseher. Lass’ ihn sterben, lautete die Antwort am anderen Ende der Telefonleitung.

Der abgemagerte Endley hörte trotz seines Dämmerzustands die Unterhaltung. Es war der Moment, in dem er sich sagte: „Ich werde hier rausgehen – und nicht rausgetragen.“ Die Chancen dafür standen schlecht. Entweder würde ihn wohl Malaria töten. Oder der Henker: Die Todesstrafe wegen vermeintlichem Hochverrat schien fast unausweichlich. Längst war er als angeblicher Söldner zum politischen Spielball des Bürgerkriegs im Südsudan geworden, ein vermeintlicher Beweis der Regierung von Präsident Salva Kiir für die Umsturzabsichten des geschassten Vize-Präsidenten Riek Machar. Mit Machar war Endley befreundet, ein ausreichendes Vergehen.

Über drei Jahrzehnte hat er ein Leben geführt, das ihn immer wieder an den Rand des Todes gebracht hat. Erst als Soldat ganz regulär in Staatsdiensten Südafrikas, ab dem Jahr 2004 dann als Söldner, Unternehmer, politischer Berater – die Trennlinie ist nicht immer leicht zu ziehen. Es ist ein gleichermaßen verschwiegenes wie umstrittenes Geschäftsfeld, in das es selten Einblicke gibt. Und das ehemalige südafrikanische Soldaten wie Endley lange mitgeprägt haben.

Endley lebt. Seit gut einem Jahr ist er wieder ein freier Mann. Einer, der reden will. Über den Südsudan, dem er sich noch immer so verbunden fühlt. Und seinen Beruf, bei dem nicht so ganz klar sei, wie man ihn beschreiben soll – der jedenfalls besser sei als sein Ruf, wie Endley meint.

Das Wort Söldner ist in Südafrika schon aus juristischen Gründen verpönt. Im Jahr 1977 beschloss die Vorgängerorganisation der Afrikanischen Union (AU) die „Konvention zur Eliminierung von Söldnertum in Afrika“, die das schmutzige Handwerk weitgehend illegal macht. So können sich etwa Südafrikaner wie Endley in ihrer Heimat strafbar machen, wenn sie an ausländischen Kriegen außerhalb von humanitären Einsätzen teilnehmen – es sei denn, es liegt eine Regierungsgenehmigung und das ausdrückliche Einverständnis des Einsatzlandes vor. 

Noch in den 1990er-Jahren betrachtete der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan den Einsatz von Söldnern in Ruanda als Option, im Jahr 2002 hielt der der britische Außenminister Jack Straw „eine Rolle eines achtbaren privaten Militärsektors bei der raschen und effektiven Krisenbewältigung der UN“ für möglich.

Inzwischen ist das Geschäft gerade in Afrika geächteter denn je. Denn in der Praxis war und bleibt der Einfluss von Söldnern erheblich. Im Kongo waren sie Teil der zahlreichen Kriege während des Kalten Krieges, auch danach setzte Joseph Mobutu in den neunziger Jahren ausländische Kämpfer in den Gefechten mit den Leuten seines Konkurrenten Laurent-Désiré Kabila ein – und umgekehrt. 

Muammar al-Gaddafi zementierte seine Macht als Libyens Staatsoberhaupt über Jahrzehnte mit Söldnern aus Mali und dem Niger, viele davon Tuareg. Die Tatsache, dass Tausende von ihnen nach dem Sturz des Diktators in ihre Heimat zurückgekehrt sind, gilt als einer der Gründe für die zunehmende Instabilität in der Sahelzone. Afrikanische Söldner kamen im Irak, Afghanistan, Somalia und zuletzt in großer Zahl im Krieg im Jemen zum Einsatz. Saudi-Arabien finanzierte dort Tausende Soldaten des sudanesischen Kriegsfürsten Hemeti, der vor einigen Monaten in die Übergangsregierung des Sudans aufgestiegen ist.

In Äquatorialguinea wurde während der vergangenen 15 Jahre gleich zweimal ein Umsturz geplant, bei dem Söldner helfen sollten. Bei einem war der Brite Simon Mann beteiligt. Angesichts der Lebensgefahr eher niedrige Monatszahlungen von 6000 bis 15.000 Dollar seien üblich, die über Firmen in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands abgewickelt werden, sagte er im Jahr 2015 im Interview mit der deutschen Zeitung „Welt“. Nur die Drahtzieher würden „das wirklich große Geld machen“. Es handele sich keineswegs um Adrenalin-Junkees oder Abenteurer, als die sie in Filmen wie „Blood Diamond“ dargestellt werden. Viele Söldner seien „umgängliche Leute mit Familie“.

Manns Charakterisierung trifft durchaus auf den Familienvater Endley zu. 58 Jahre alt, mit Schnauzbart und noch immer etwas hagerer Gestalt sitzt er auf einem altmodischen Ledersofa im Einfamilienhaus seiner Schwester. Hier am Stadtrand von Kapstadt sind die Vorgärten gepflegt, es fährt kaum ein Auto, ab und an hört man ein Hundebellen. In diese Vorstadt-Langeweile hat sich der Soldat seit seiner Freilassung zurückgezogen. Das Geschehene verarbeiten, die Bilder der Folterungen von Mitgefangenen verdrängen. Er sah, wie mindestens vier starben. 

Dazu die ständigen Todesdrohungen der Wärter. Leute wie er sind Spezialisten darin, diesen Druck auszuhalten, die Nerven zu behalten. So einfach ist es dann aber doch nicht. „Ich habe Momente, in denen das alles wieder durchbricht“, sagt Endley. Seine Schwester, die so ausdauernd im In- und Ausland für seine Freilassung mobilisiert hatte, fange ihn gut auf.

Endley (links) kurz vor seiner Freilassung mit einem Mitgefangenen im Südsudan

Endley (links) kurz vor seiner Freilassung mit einem Mitgefangenen im Südsudan

Lange vor seiner Verhaftung im Südsudan hat sich auch Südafrika den Ruf eines Herkunftslandes für Spezialisten der Branche erworben. Nach dem Ende der Apartheid, während der Südafrika eine hochqualifizierte Armee aufgebaut hatte, mussten Tausende erfahrene Elitesoldaten das Heer verlassen – oder kamen, wie im Fall von Endley, wegen ihrer weißen Hautfarbe nicht mehr für Führungspositionen in Frage. Vielen fehlte schlicht die berufliche Alternative.

Hunderte, einige Quellen sprechen von bis zu 1500, fanden bei der südafrikanischen Firma „Executive Outcomes“ neue Beschäftigung, die in den 1990er Jahren in Angola und Sierra Leone im Auftrag der jeweiligen Regierungen Rebellenbewegungen niederschlugen. Die Firma wurde wegen der verschärften Gesetze in Südafrika aufgelöst, das Gewerbe aber besteht fort. 

In Nigeria halfen im Jahr 2015 rund hundert südafrikanische Söldner bei der Zurückdrängung der Terrororganisation Boko Haram. Südafrikas Regierung drohte mit ihrer Verhaftung bei der Rückkehr, ließ sie am Ende aber doch gewähren. Auch Tausende Söldner der russischen Wagner-Gruppe sind einem Bericht der südafrikanischen Nachrichtenseite „Daily Maverick“ in rund 20 afrikanischen Ländern im Einsatz.

Im Kapstädter Einfamilienhaus serviert Endley starken Kaffee und überlegt, ob die Beschreibung „Söldner“ auf ihn zutreffe. Während seiner Einsätze im Irak und Afghanistan „vielleicht“, sagt er schließlich. Dort war er für amerikanische Militärfirmen bei der Befreiung von Minen im Einsatz. Im Südsudan sei er aber „definitiv kein Söldner“ gewesen.

Zunächst habe er die Sicherheit des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen koordiniert, dann sei er jahrelang für die Entfernung von Landminen zuständig gewesen. Nach einigen Jahren in Afghanistan kam er 2012 zurück in Südsudans Hauptstadt. Diesmal, kurz nach der umjubelten Unabhängigkeit, mit einem rein zivilen Auftrag, wie er sagt. Der Bürgerkrieg noch nicht in Sicht. Die thailändische Automobilfirma „RMA Group“ beauftragte den in der Hauptstadt Juba hervorragend vernetzten Endley, eine Zweigstelle aufzubauen.

„Es gab viel Enthusiasmus im Land und reichlich Unterstützung der internationalen Gemeinschaft“, sagt Endley, „alle dachten, Südsudan sei ein Rohdiamant, ein neuer Markt. Ich auch.“ Dann aber entließ Präsident Kiir im Juli 2013 seinen Vize-Präsidenten Machar, bald darauf wurden dessen in die Armee integrierten Soldaten entwaffnet – der Beginn eines Bürgerkrieges, der Hunderttausenden das Leben kosten sollte.

Für Endley schien es zunächst lediglich das Ende eines Jobs zu sein. Sein Arbeitgeber beendete das Südsudan-Investment, und der Südafrikaner kehrte arbeitslos in die Heimat zurück. Während er sich auf neue Jobs bewarb, klingelte eines Tages das Telefon. Es war der südafrikanische Geheimdienst, der um Hilfe bat. Machar war ins Exil nach Pretoria geflohen, eine diplomatisch heikle Situation für Südafrikas Regierung. Ob er, Endley, nicht bei den Verhandlungen mit seinem Freund, dem flüchtigen Rebellenführer, helfen könne.

Die beiden Männer redeten lange, schon bald begleitete Endley den Politiker zu Verhandlungen nach Addis Ababa in Äthiopien. Ihm habe imponiert, dass Machar die extreme Tribalisierung der südsudanesischen Politik durchbrechen wollte. Während Präsident Kiir ausschließlich Politik für seinen Stamm, die Dinka, gemacht habe, wolle Machar nicht als alleiniger Interessenvertreter der Nuer-Volksgruppe gelten. Im April 2016, nach schier unendlichen Verhandlungsrunden, erfolgte schließlich der Durchbruch – Machar kehrte als wieder eingesetzter Vize-Präsident in den Südsudan zurück. Mit dem Südafrikaner als Berater im Schlepptau. Seine Aufgabe seien Risikoanalysen und technische Fragen bei der Reintegration der Rebellen in die Armee gewesen, sagt Endley.

Doch nach wenigen Wochen scheiterte die Vereinbarung, Kämpfe flammten auf, Machar musste erneut flüchten. Endley blieb, nicht zuletzt, weil seine Frau – eine Äthiopierin – wegen Visumsproblemen nicht ohne Weiteres nach Südafrika mitreisen konnte. Ein Fehler: Er wurde im August 2016 verhaftet. 

Es dauerte über ein Jahr, bis ihm die Anklagepunkte offiziell mitgeteilt wurde: Spionage, Hochverrat, illegales Training von Rebellen. Die Forderung des Staatsanwalts: die Todesstrafe. Erst nach einem halben Jahr hatte er mit seiner Familie, einem Anwalt und Vertretern der südafrikanischen Botschaft sprechen dürfen. Kirchlichen und medizinischen Organisationen, die sich um ihn bemühten, wurde der Zugang ganz verwehrt.

Als es im Februar 2018 zur Verhandlung kam, da wusste Endley bereits, dass er keine Chance mehr hatte. Zu eindeutig war die politische Lage, in der Kiir jeden vermeintlichen Beleg zur Diskreditierung Machars nutzte. Tod durch den Strang, lautete das Urteil gegen Endley und Machars ehemaligen Sprecher James Gatdet. „Kurz vorher hat der Richter noch Kiirs Stellvertreter Taban Deng Gai angerufen, um das Urteil absegnen zu lassen“, sagt Endley, „das war ein abgekartetes Spiel. Ich hatte mein Schicksal akzeptiert.“

Am Ende habe der Druck der damaligen US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, den Ausschlag für seine Freilassung gegeben. Auch Gatdet wurde begnadigt. Auf Haleys Initiative hatten die Vereinten Nationen ein Waffenembargo gegen den Südsudan sowie Reiseverbot und Einfrieren von Vermögenswerten führender Politiker verhängt. Als Machar schließlich auch noch seine Teilnahme an weiteren Friedensverhandlungen von Endleys Freilassung abhängig machte, lenkte Kiir endlich ein. Am 1. November 2018 verließ der Südafrikaner sein brutales Gefängnis.

„Ich hatte Glück, dass die Welt von mir wusste“, sagt Endley. Tausende Menschen würden vermisst, viele von ihnen seien einfach in den Nil-Fluss geworfen worden, glaubt der Ex-Söldner. Die Friedensverhandlungen zwischen Kiir und Machar stocken weiter, aber sie finden immerhin statt, im November 2019 wurde die Frist zur Bildung einer Übergangsregierung um 100 Tage verlängert. Immerhin begnadigte Kiir Anfang Januar 31 Gefangene, darunter einen Wirtschaftswissenschaftler, der für ein nicht genehmigtes Interview zur Wirtschaftskrise zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Es handele sich um eine Geste des guten Willens, so der Präsident.

Allzu großen Optimismus, dass es zu einer nachhaltigen Einigung kommt, versprüht Endley derzeit nicht. Vorerst konzentriert er sich auf Vorträge aus seiner bemerkenswerten Biografie „No justice, no mercy“ (Keine Gerechtigkeit, keine Gnade). Und in Addis Ababa, wo er sich mit seiner Familie niederlassen will, wird er seine eine eigene Beratungsagentur gründen. Er hat wieder eine Zukunft.

Endley atmet tief durch. „Ich habe kein Bedauern und würde alles wieder so machen.“ Ganz ausschließen möchte er selbst eine Rückkehr in den Südsudan nicht. Er möge die Herausforderung, dort zu arbeiten, sagt der ehemalige Soldat, „ich mag es, wenn die Chancen eindeutig gegen dich stehen.“ Dann schmunzelt er.