Refugees Welcome in Uganda
Uganda hat mehr Flüchtlinge als jedes andere Land Afrikas aufgenommen, alleine aus dem Südsudan kamen über eine Million. Die Integration funktioniert erstaunlich gut – aber nicht ohne Probleme.
Christian Putsch, Bidi Bidi
Sie sprechen kaum eine gemeinsame Sprache und teilen weder Religion noch Nationalität. Aber irgendwie ist eine Freundschaft entstanden. Der ugandische Farmer Jamal Babu, ein Muslim, steht auf dem Feld von Okelo Atto. Eigentlich ist es sein eigenes Feld, so groß wie zehn Fußballfeldern. Aber er hat es dem fremden Christen aus dem Südsudan überlassen. Kostenlos, bis sich Atto eine kleine Pachtgebühr leisten kann.
Babu sagt, der neue Nachbar sei jetzt sein Bruder. Atto hat einmal erzählt, wie der Krieg in sein Dorf kam, 30 Freunde tötete. Aber Babu meint, man solle sich nicht zu oft mit der Vergangenheit beschäftigen. Schweigend graben sie den kargen Boden um.
Die Freundschaft der beiden Männer ist eine der vielen bemerkenswerten Geschichten in Ugandas Bidi-Bidi-Camp, der mit rund 290.000 Menschen größten Flüchtlingssiedlung Afrikas. Es ist ein Vorzeigeprojekt der Vereinten Nationen. Das Lager belegt, dass die meisten politischen und wirtschaftlichen Flüchtlinge nicht unbedingt den Weg nach Europa wählen, sondern den in die umliegenden Länder.
Mit 1,4 Millionen Asylanten hat Uganda mehr Schutzsuchende als jedes andere Land Afrikas aufgenommen. Die meisten stammen aus dem Südsudan, der jüngsten Nation der Welt, wo seit dem Jahr 2013 ein brutaler Bürgerkrieg herrscht. Das Gastgeberland sichert ihnen umfassende Rechte zu.So bekommen Flüchtlinge ein Stück Land zugeteilt, auf dem sie ein Haus bauen und kleine Felder anlegen können. Sie haben uneingeschränkte Arbeits- und Reiseerlaubnis sowie auf lokaler Ebene Wahlrecht.
Kurz: eine Geschichte, die nicht so recht in das Weltbild der Rechtspopulisten in Europa passt. Zumal es im Nordwesten Ugandas vor allem muslimisch geprägte Dörfer sind, die christliche Flüchtlinge willkommen heißen. Uganda verdiene „Lob und Bewunderung von der gesamten internationalen Gemeinschaft“, lobte UN-Generalsekretär António Guterres.
Doch die UN untersucht derzeit, ob die eigene Darstellung ein wenig zu rosig war. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Zahl der Flüchtlinge übertrieben wurde, um zusätzliche Zahlungen der internationalen Gemeinschaft zu generieren. Für Uganda, eines der stabilsten Länder in der Region, sind derartige Vorwürfe Gift. Es kommen neue Flüchtlinge aus dem Kongo. Das Regierungsbudget für Flüchtlinge beträgt in diesem Jahr 380 Millionen Euro, überwiegend getragen von Geberländern. Im Februar waren davon gerade einmal zehn Prozent gesichert.
Das bedroht die Erfolgsgeschichte. Innerhalb von zwei Jahren ist eine Siedlung entstanden, deren Größe die der meisten ugandischen Städte übertrifft. Davon profitieren auch die umliegenden Dörfer. 30 Prozent der Projekte von Hilfsorganisationen müssen laut Gesetz der lokalen Bevölkerung zugutekommen. Uganda rangiert auf Rang 163 des UN-Entwicklungsindex nicht weit vor dem Südsudan (181), in dieser friedlichen, aber strukturschwachen Gegend ist Hilfe dringend benötigt. Es gibt jetzt mehr geteerte Straßen, neue Krankenhäuser und Schulen.
Noch wirkt das Fundament für ein Zusammenleben stabil, nicht zuletzt wegen der Bemühungen der Südsudanesen. In einem Abschnitt von Bidi Bidi patrouillieren acht Männer die staubigen Straßen. Sie haben sich – koordiniert von der ugandischen Polizei – zu einer Nachbarschaftswache zusammengeschlossen.
Initiativen wie diese zählen zu den Gründen, warum die Kriminalitätsrate nicht deutlich angestiegen ist. Es gab nur wenige kritische Situationen. Ein ugandischer Motorradfahrer fuhr einen Südsudanesen an. Aufgebrachte Südsudanesen versammelten sich, die Nachbarschaftswache brachte den Fahrer zur Polizei und damit in Sicherheit.
Ein anderes Mal waren die Ugander wütend. Südsudanesen hatten ein Schwein geschlachtet und damit den muslimischen Glauben der Gastgeber in den umliegenden Dörfern missachtet. Auch diese Situation endete friedlich. Verletzungen religiöser Gefühle bleiben die Ausnahme, die Männer berichten sogar von den ersten Hochzeiten zwischen Angehörigen beider Gemeinden.
Bei den Erzählungen zeigt sich jedoch, dass es Unterschiede zwischen beiden Ländern gibt. „Im Südsudan darf sich die Frau nicht scheiden lassen“, erzählt ihr Anführer Charles Okot, „in Uganda kann sie einfach weglaufen.“ In seiner neuen Heimat sei es auch illegal, seine Frau zu schlagen. Daran halte er sich – wenngleich es im Südsudan dagegen üblich sei, die Ehefrau „zu disziplinieren“, wie er unverblümt sagt: „Wenn sie die Wäsche wiederholt nicht ordentlich macht, bekommt sie das zu spüren.“
Problematisch ist besonders die Suche nach Arbeit. Theoretisch dürfen sich die Flüchtlinge landesweit bewerben, aber nur die wenigsten verlassen das Bidi-Bidi-Camp. Bei der Vergabe von Jobs in den Städten würden kaum Ausländer berücksichtigt, sagt Okot. Für eigene Unternehmensgründungen fehlt das Kapital. „Die Banken vergeben keine Kredite an uns.“
Da hilft oft nur Wille zur Improvisation. Mit Unterstützung der Hilfsorganisation „International Rescue Committee“ (IRC) haben 80 Frauen einen Sparklub gegründet, eine Art informelle Bank. Wöchentlich kommen sie zusammen, ihre Geld-Kiste ist mit drei Schlössern gesichert.
Hier treffen sich Gastgeber und Gäste – und lernen voneinander. Die Südsudanesin Jacqueline kam mit der Uganderin Bettie auf einem Markt ins Gespräch und lud sie zum Sparklub ein. Sie legten die Ersparnisse zusammen und bekamen einen Kredit von umgerechnet 30 Franken, genug Kapital für einen gemeinsamen Markstand.
Jacqueline hatte schon im Südsudan einen Stand und bringt die geschäftliche Erfahrung mit, Bettie liefert Ware von ihrem kleinen Feld und von Nachbarn. Längst kochen sie in der Freizeit gemeinsam. „Jacqueline weiß genau, was sich verkauft“, sagt Bettie, „mein Einkommen hat sich verdoppelt.“
Und Jacqueline fühlt wieder so etwas wie Heimat, nachdem ihr der Krieg in der alten Heimat den Mann aus dem Leben gerissen hat. Sieben Tage war sie mit ihren Kindern nach Uganda gegangen. Sie will bleiben. In der Fremde zwar, aber dafür gibt es hier keine Rebellen, die Straßensperren aufstellen und die Verdienste des Tages einkassieren. Und nachts keine Schüsse. Ein Anfang, etwas Hoffnung. Immerhin.