Vielehen für alle
In Südafrika haben besonders in ländlichen Gegenden viele Männer mehrere Ehefrauen. Nun beanspruchen diese das gleiche Recht – und stoßen auf gewaltigen Widerstand
Der Beziehungsstatus der Südafrikanerin Muvumbi Ngwenya lautet „mehrfach vergeben“. Da ist zum einen ihr „Nest-Partner“, wie sie Mzu nennt, den Vater von zwei ihrer drei Kinder. Mit ihm lebt sie zusammen. Dann eine Frau, mit der sie verlobt ist. Dazu der „Dienstagsfreund“, benannt nach dem Tag, an dem man sich meistens trifft. Und noch ein Mann in Schweden.
Ngwenya, 33, gehört zu den wenigen südafrikanischen Frauen, die einen polyamourösen Lebensstil offen leben. Und diesen in voller Konsequenz gesetzlich anerkannt wissen wollen, gleichberechtigt mit Männern. Denen ist Polygamie gestattet, also die gleichzeitige Ehe mit mehreren Frauen. Polyandrie dagegen, die Ehe einer Frau mit mehreren Männern, ist untersagt. Das könnte sich bald ändern: „Wir wollen uns nicht länger verstecken – auch wenn es ein Kampf ist, der noch Generationen anhalten wird“, sagt Ngwenya.
Derzeit erlebt die Nation einen ähnlich empörten Aufschrei wie bei der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2006. Denn vor einigen Monaten hat das Innenministerium eine Reform des Ehegesetzes initiiert, nach der Frauen möglicherweise bald die gleichen Rechte wie Männer haben. In einem „Grünbuch“, die Diskussionsgrundlage für eine umfangreiche Gesetzesänderung, wird die Legalisierung von Polyandrie als realistisches Szenario dargestellt.
Südafrika hat schon jetzt eine der progressivsten Verfassungen überhaupt. Das gefeierte Schriftwerk steht dabei bisweilen in Kontrast zur erzkonservativen Gesellschaft. Die Ehegesetze sind so ein Beispiel. Ein Flickenteppich aus Regelungen, die noch aus Zeiten der Apartheid datieren, traditionellen Gesetzen und der liberalen Verfassung. Schließlich garantiert sie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. „Ironischerweise waren Interessenvertreter, die an die Praxis der Polygamie glaubten, gegen die Praxis der Polyandrie“, heißt es in dem Papier zu den bisherigen Beratungen mit Politik und Zivilgesellschaft.
Tatsächlich gehören die Gruppen, die sich am lautesten für eine Reform der Ehegesetze eingesetzt hatten, nun zu den vehementesten Kritikern. Die muslimische Minderheit zum Beispiel. Sie protestiert seit Jahren, weil ihre Zeremonien vom Standesamt nicht anerkannt werden. Für sie ist die Registrierung von polygamen Ehen zudem deutlich komplizierter als etwa für die größte Volksgruppe, die Zulus. Doch auch die traditionellen Oberhäupter der Zulus wollten ein neues Gesetz, das es ihnen ermöglicht, Trauungen zu besiegeln. Aktuell ist das nur christlichen Pfarrern und Standesbeamten möglich. Gerade in ländlichen Gegenden sind die Standesämter fern, Zweitehen werden selten registriert, was Frauen bei Scheidungen vor existentielle Probleme stellt.
Das mit der Polyandrie werde Konflikte zwischen den Männern geben, sagte der Abgeordnete Ganief Hendricks, Vorsitzender der islamischen „Al-Jamah Partei“, in einer Parlamentsdebatte. Da werde man wohl so manchen DNA-Test machen müssen. Die christliche Partei „African Christian Democratic Party” (ACDP) befürchtet apokalyptisch die „Zerstörung der Gesellschaft“ und auch die Regierungspartei „African National Congress“ (ANC) in KwaZulu-Natal will gegen das Vorhaben des ANC-geführten Ministeriums mobilisieren. Dabei wird die Mehrheit aller polygamen Ehen in dieser Provinz abgeschlossen. Es gibt sogar eine populäre Reality-TV-Serie über die Ehe eines Geschäftsmannes mit seinen vier Frauen.
Ngwenya erlebt dagegen allerlei Widerstände. Ihre Mutter war „eindeutig nicht ok“, als sie ihr diese Entscheidung mitteilte. Der Schock saß noch tiefer als bei ihrem Outing als Bisexuelle einige Jahre zuvor. Sie hielt entgegen, dass einige ihrer Tanten mit dem gleichen Mann verheiratet seien, „wo ist der Unterschied?“ „Die Leute werden darüber reden“, entgegnete die Mutter.
Davon lässt sich Ngwenya nicht abhalten und will eines Tages mehrere ihrer Partner heiraten – „für die Stabilität der Familie“, wie sie sagt. Und um im Notfall im Krankenhaus Informationen zu bekommen, das gemeinsame Reisen zu erleichtern. Schon jetzt gebe es in der Szene informelle Verlobungszeremonien.
Es gibt weltweit kaum Gesellschaften, in denen Polyandrie üblich ist. In Tibet gehen manchmal mehrere Brüder eine Beziehung mit nur einer Frau ein. Hintergrund ist das Vererbungsmuster für Landbesitz. Teilen sie sich Land und Frau, muss das Eigentum nicht aufgeteilt werden. Auch in vereinzelten ethnischen Gruppen in Indien, Nigeria und Kongo ist Polyandrie akzeptiert.
Das umstrittene Gesetzeswerk in Südafrika wäre in seiner Liberalität aber einmalig. Laut dem „Grünbuch“ des Ministeriums wird es frühestens im Jahr 2024 in Kraft treten. Den Aufwand ist es wert, sagt Ngwenya. Die Gesellschaft folge den Gesetzen, das Recht auf eine gleichgeschlechtliche Ehe habe schließlich auch Vorbehalte gegen Homosexuelle etwas reduziert, „auch wenn das alles noch ein weiter Weg ist“.
In ihrer Familie ist der ungewöhnliche Lebensstil längst Alltag. Die älteste Tochter ist zehn, sie fragt manchmal nach, wie es den anderen Partnern ihrer Mutter geht. Auch „Nest-Partner“ Mzu lebt polyamourös. „Wir freuen uns füreinander, wenn wir glücklich sind“, sagt Ngwenya. Dennoch ist auch in ihrer Familie Eifersucht ein Thema. Das Paar geht dagegen vor, indem sie sich die anderen Partner vorstellen. Vertrauen aufbauen.
Völlige Transparenz, lautet die Devise der selbstbewussten Frau, mit gleichen Rechten. In der Familie. Und möglichst bald auch vor dem Gesetz.