Der Denkmalzerstörer
Weltweit begleiten Proteste gegen koloniale Statuen die „Black Lives Matter“-Bewegung. Selbst in Afrika gibt es noch entsprechende Denkmäler. In Kamerun hat sich ein Aktivist ihre Zerstörung zur Lebensaufgabe gemacht – und nimmt dafür auch Gefängnisstrafen in Kauf
Kameruns bekanntester Denkmalzerstörer reist zu seinen Tatorten mit dem Fahrrad. „Um Nyobe“ steht auf dem Lenker von André Blaise Essama geschrieben, der Name eines kamerunischen Nationalisten der 1950er Jahre, der einst für die Unabhängigkeit des Landes von Frankreich kämpfte. Diese ist in Kamerun seit 60 Jahren vollzogen, nicht aber die Entfernung aller kolonialer Denkmäler.
Dutzende Male hat Essama Statuen beschädigt oder zerstört, die noch von den Franzosen errichtet worden waren, kämpft dafür, sie mit Helden Kameruns zu ersetzen. „Was ich tue, ist ein Akt der öffentlichen Gesundheit“, sagt der 44-Jährige. Die Behörden haben ihn sechs Mal verhaftet, sehen ihn als Vandalen. Für viele Bewohner in Douala, der wichtigsten Wirtschaftsmetropole Kameruns, hat er dagegen Prominentenstatus. Einige von ihnen beteiligen sich regelmäßig an den Geldstrafen, die ihm aufgebrummt werden. Auch Leute aus der Diaspora haben schon für seine Kaution gespendet.
In gewisser Weise sieht Essama die neu erstarkende „Black Lives Matter“-Bewegung auch als seinen Erfolg an. Zuletzt wurde im belgischen Brüssel eine Statue des ehemaligen Königs Leopold II. beschmiert, Demonstranten forderten ihre Entfernung. In Bristol (England) hatten Anti-Rassismus-Aktivisten im Juni die Statue des früheren Sklavenhändlers Edward Colston vom Sockel gestoßen. Derartige Taten seien auch in Kamerun „Verpflichtung unserer Generation“, sagt Essama. Nichtstun sei Verrat.
Er selbst ist gemäß dieser Definition seit über zwei Jahrzehnten kein Verräter mehr. Damals fing er an, sich intensiver mit der Geschichte des Landes zu beschäftigen, auch aus Enttäuschung über die Regierung des amtierenden Präsidenten Paul Biya. Dieser verbringe lieber Zeit damit, den französischen Botschafter zu empfangen, anstatt den Kontakt zu einheimischen Pädagogen, Ärzten, Ingenieuren und Geschäftsleuten zu suchen, sagt er. Ohnehin könne von einer Demokratie könne Rede sein. Er lebe in einer „falschen Freiheit“.
Dutzende Male ist er losgezogen, besonders ein Denkmal für den ehemaligen französischen Gouverneur Jacques-Philippe Leclerc ist sein Ziel. Siebenmal hat er die Statue enthauptet, einmal konnte er den Kopf in seinem Heimatdorf begraben. Siebenmal wurde das Denkmal wieder repariert.
Ähnliche Devotheit gegenüber Symbolen des Kolonialismus will Essama auch in anderen afrikanischen Ländern erkannt haben. Während in Belgien die Statue von Leopold II. beschmiert werden, blieb ein Denkmal des früheren belgischen Königs im Kongo bislang unangetastet – jenem Land, das der Herrscher als Privatbesitz ansah und das wohl rücksichtsloser als jede andere ehemalige Kolonie ausgebeutet wurde.
Die Debatte zu den Spuren des Kolonialismus begleitet viele afrikanische Länder seit ihrer Gründung. In Namibias Hauptstadt Windhoek stand bis zum Jahr 2009 das Reiterdenkmal als Symbol deutscher Herrschaft. Besonders die Volksgruppen Herero und Nama fühlten sich durch den überlebensgroßen Schutztruppenreiter an den Deutschen Lothar von Trotha erinnert, der einst den Befehl für die Ermordung von Zehntausenden ihrer Vorfahren gegeben hatte. Es wurde inzwischen, unter Protest von Teilen der deutschsprachigen Gemeinde in Namibia, in den Innenhof der Alten Feste umgesiedelt, dem ehemaligen Hauptquartier der Schutztruppe.
In Südafrika, wo nach dem Ende der Apartheid zahlreiche Städtenamen umbenannt wurden, gibt es seit Ewigkeiten ähnliche Debatten um Statuen des Supremacisten Cecil Rhodes, einem der Drahtzieher der britischen Kolonialisierung im Südlichen Afrika während des 19. Jahrhunderts. Er kam dabei auch durch oft ausbeuterischen Bergbau zu enormem Reichtum, mit dem er einige Bildungsinitiativen finanzierte und so seine Reputation aufbesserte. Wohl auch deshalb wurde eine seiner Statuen an der Universität Kapstadt erst im Jahr 2015 nach massiven Studentenprotesten entfernt. Anfang Juli wurde nun eine weitere Rhodes-Skulptur in einem Park der Stadt geköpft. Und die Universität Oxford teilte mit, ein Standbild des Imperialisten zu entfernen.
In Simbabwe ging die Wut auf Rhodes zwischenzeitlich sogar so weit, dass Aktivisten im Jahr 2008 seine Exhumierung forderten. Schließlich ist er dort in der Nähe eines Königs der Ndebele-Volksgruppe begraben, die von Rhodes Truppen bei der Eroberung des heutigen Simbabwes besiegt worden war. Die sterblichen Überreste von Rhodes sollten nach England geschickt werden, so die Forderung – die Initiative scheiterte am Veto des damaligen Präsidenten Robert Mugabe. Dessen hinlänglich bekannter Britenhass reichte für eine derartige Maßnahme offenkundig doch nicht aus.
In seinem Haus in Douala arbeitet Essama mit lokalen Künstlern an Denkmälern, die seiner Meinung nach künftig an prominenten Orten der Stadt stehen sollen. Das von Jean Rameau de Bamendjou etwa, einem traditionellen Anführer aus dem Westen Kameruns. Oder eine Büste des Widerstandskämpfers Ernest Ouandié, der 1971 vom damaligen Präsidenten Ahmadou Ahidjo hingerichtet wurde. Und eine von Jean-Miché Kankan, einem verstorbenen Komiker.
Essama berichtet, dass die Polizei bei ihren Razzien derartige Kunst zerstört habe. Auch ein Bruder wurde dabei verhaftet. Die Unterstützung seiner Mutter Ndofack Afana Marguérite hat er dennoch. „Ich verstehe die Kameruner nicht“, sagt sie, „warum gehen sie nicht raus, um ihm zu helfen?“ Essama glaubt, die Antwort zu wissen: aus Angst.
„Das kamerunische Volk ist seit langem durch Neokolonialisierung zombifiziert, weil es eine Angstkultur gibt, die von den europäischen Siedlern installiert wurde“, sagt Essama, „jungen Menschen war es verboten, in öffentlichen Angelegenheiten Einfluss zu fordern.“ Die Folgen des Kolonialismus würden Geist und Moral des kamerunischen Volkes bis heute schwächen. Das geschehe nicht nur durch Denkmäler, sondern auch durch die Amtssprache Französisch und die Wechselkursbindung des CFA-Franc an den Euro. „Es ist eine Schande für meine Generation, dass unser Schicksal von anderen bestimmt wird“, sagt Essama, der sich auch für den Aufbau von Internetarchiven zur Geschichte Kameruns engagiert.
Die Behörden, so glaubt der Denkmalaktivist, wollen verhindern, dass das Volk seinem Widerstand gegen die Staatsgewalt in anderen Bereichen folgt. Ein Richter, der ihn zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte, habe ihm gesagt, er habe keine andere Wahl: „Ich weiß aber, dass du für unsere Würde kämpfst.“ Und ein Polizist nahm ihn bei einer Durchsuchung beiseite und sprach ihm seine Bewunderung aus: „Ich muss dich verhaften, sonst verliere ich meinen Job. Aber was du tust ist großartig.“ Seine beiden Motorräder, mit deren Hilfe Essama seinen Lebensunterhalt bestritt, wurden dennoch beschlagnahmt.
Immerhin einen kleinen Sieg hat der kräftige Mann neulich dann doch noch erreicht. Eine Straße in seiner Nachbarschaft hieß seit Kolonialzeiten „Rue Franckville“. Sie wurde auf sein Bestreben hin nach Marcel Bebey Eyidi benannt. Einem einheimischen Arzt.
(mit Henri Fotso)