„Epizentrum des islamistischen Terrorismus ist heute die Sahelzone“
Der Niger ist nach Angaben der Vereinten Nationen das ärmste Land der Welt, der westafrikanischen Nation kommt im Kampf gegen Terror und illegale Migration in der Sahel-Zone eine Schlüsselrolle zu. Der neue Präsident ist seit dem ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes im März Mohamed Bazoum, 61. Am Donnerstagabend trifft er im Rahmen eines Staatsbesuchs in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Vorfeld sprach Bazoum im Telefoninterview mit der WELT über die Verlagerung des internationalen Terrorismus in die Sahelzone, Deutschlands Militäreinsatz und den anhaltenden Kampf gegen illegale Migrationsströme.
WELT: Präsident Bazoum, Niger gehörte in den vergangenen Jahren zu den Ländern mit dem höchsten Anstieg von Terroranschlägen. Wie lässt sich diese Bedrohung bewältigen?
Mohamed Bazoum: Der Kampf gegen den radikalen Islam verlagert sich. Das Epizentrum des globalen Terrorismus ist heute die Sahelzone und nicht mehr Syrien und Irak. Wir sind darauf angewiesen, dass es die gleiche internationale Mobilisation, die wir dort gegen Organisationen wie den Islamischen Staat erlebt haben, auch bei uns gibt. Wir brauchen Unterstützung, weil dieses Problem nun in unserer Gegend angekommen ist.
WELT: Es gibt Beobachter, die befürchten, dass die Regierungen einiger Sahelstaaten ohne die internationalen Truppen von Islamisten gestürzt werden könnten. Sehen Sie das auch so?
Bazoum: Mali gibt Anlass zur Annahme, dass das Land ohne die Unterstützung enorme Probleme haben würde. Für andere Länder gilt das womöglich nicht im gleichen Maße, aber auch der Niger hätte ohne diese Hilfe große Herausforderungen. Ich möchte nicht alarmistisch klingen, aber es gibt Gründe, warum die Kooperation mit unseren Partnern essentiell ist. Deshalb bitten wir die EU ihr Engagement zu erhöhen.
WELT: In welcher Form?
Bazoum: Der Kampf gegen den Terror erfordert in erster Linie technologische Kapazitäten, die wir nicht haben. Frankreich hilft uns mit Luftaufklärung. Wir brauchen Unterstützung beim Training unserer Truppen und moderne Ausrüstung, auch beim Ausbau der Infrastruktur. In diesen Bereichen hilft uns Deutschland sehr, wofür wir äußerst dankbar sind. Das Engagement von Angela Merkel für die Entwicklung des Landes und auch des Sicherheitssektors war kontinuierlich und hilfreich. Wir hoffen, dass wir dieses Level an Kooperation fortführen werden, auch bei Maßnahmen zur Reduzierung der Armut.
WELT: Lässt sich die Bedrohung in der Sahelzone auf radikalislamistische Einflüsse reduzieren?
Bazoum: Nein, dieser Terrorismus ist nicht allein ein ideologisches Phänomen. Es gibt einige Leute, die ihre Führungspositionen missbrauchen. Sie nutzen Armut und interethnische Konflikte, um junge Menschen zu rekrutieren. Das ist wichtig zu verstehen, wenn es um die Maßnahmen bei der Bekämpfung geht. Und es bedarf für jedes der betroffenen Länder eines eigenen Ansatzes. Burkina Faso, Mali und Niger gehen alle militärisch gegen diese Gruppen vor. Aber politisch gesehen braucht es für jedes Land eine eigene Strategie.
WELT: Nach dem Angriff auf deutsche Bundeswehrsoldaten in Mali Ende Juni mit mehreren Schwerverletzten mehren sich in Deutschland die kritischen Stimmen, die den Einsatz in der Sahelzone in Frage stellen. Können Sie das verstehen?
Bazoum: Dieser tragische Vorfall ist sehr bedauerlich. Ich denke aber nicht, dass er dazu führen sollte, das deutsche Engagement in der Sahel-Zone zu kritisieren. Ich würde diese Präsenz in der Sahelzone nicht als übertrieben bezeichnen, das wäre unfaire Kritik. Deutschland ist ein großes Land, das den Anspruch haben sollte, mit derartigen Einsätzen im Sinne der Humanität weltweit tätig zu sein.
WELT: Niger ist ein traditionelles Transitland, die Bekämpfung der illegalen Migration war ein entscheidender Grund für die Europäische Union beim Ausbau der Beziehungen mit Niger ab dem Jahr 2015. Welchen Einfluss haben Pandemie und Terrorismus auf diese Bemühungen?
Bazoum: Generell hat die Pandemie einen katastrophalen Effekt auf unsere Wirtschaft und damit auch Auswirkungen auf die Ressourcen zur Eindämmung illegaler Migration. Aber die im Jahr 2016 implementierten Maßnahmen hatten einen sehr guten Effekt, wir haben deutlich weniger Migranten, die durch unser Territorium in Richtung Europa reisen. Und diese Maßnahmen wurden und werden aufrechterhalten. Doch das bedarf einer kontinuierlichen Anstrengung. So lange die Lebensbedingungen in vielen afrikanischen Ländern so schwierig sind wie derzeit, wird es weiter Menschen geben, die nach Europa reisen wollen.
WELT: Sind Sie mit der Hilfe aus Europa bei der Armutsbekämpfung zufrieden?
Bazoum: Die Europäische Union ist unser Hauptpartner bei der Umsetzung unseres wirtschaftlichen Plans, wir wertschätzen das sehr. Sie hat nicht die Verpflichtung, die Armut oder finanzielle Probleme des Nigers zu beenden. Aber wenn Sie mich fragen, ob unsere vorhandenen Mittel für die Erfüllung unserer gemeinsamen Entwicklungsziele ausreichen, dann muss ich sagen: sicherlich nicht.